Von einem Pfarrer, der allzu kräftig predigte

Textdaten
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Autor: Johann Wilhelm Wolf
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Titel: Von einem Pfarrer, der allzu kräftig predigte
Untertitel:
aus: Deutsche Hausmärchen, S. 430–435
Herausgeber: Johann Wilhelm Wolf
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1851
Verlag: Dietrich'sche Buchhandlung, Fr. Chr. Wilh. Vogel
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Erscheinungsort: Göttingen und Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Von einem Pfarrer, der allzu kräftig predigte.

Es war einmal ein Bauer, der war so dumm, daß er sein eignes Haus im Orte nur daran kannte, daß ein Kirschbaum vor der Thür stand. Jeden Morgen, wenn er aufs Feld zur Arbeit ging, gab seine Frau ihm ein Stück Brod, damit mußte er umspringen bis zum Abend. Kam einmal ein armer Handwerksbursche daher und bat ihn um ein Almosen: „Ich habe nur ein Stück Brod, da ist es,“ sprach der Bauer, „aber im Orte steht ein Haus und davor ein Kirschbaum, da wohne ich; gehe dahin und laß dir mehr geben, meine Frau ist zu Hause.“ Der Handwerksbursche, welcher ein Schneider seines Zeichens war, ging in das Dorf, suchte das Haus und sagte der Frau, ihr Mann habe ihn zu ihr geschickt und sie solle ihm etwas geben. Da gab sie ihm vollauf, denn er war ein schöner Mensch und gefiel ihr. Sie klagte ihm, wie sie mit ihrem dummen Manne so übel dran sei und von Herzen wünsche, von ihm erlöst zu werden. „Ei das ist nichts leichter,“ sprach der Schneider, „wenn du mich heirathen willst, will ich alles Uebrige schon in Ordnung machen.“ Das garstige Weib freute sich zu sehr, als es das hörte, fiel dem Schneider um den Hals und rief ein über das anderemal: „Ach was bin ich für eine glückliche Frau!“ „Gib mir vor allem die Säge,“ [431] sprach der Schneider „und geh mit vor die Hausthür.“ Das geschah und da sägten sie den Kirschbaum unten an der Wurzel ab und schleiften ihn in die Scheune. „Jetzt sind wir geborgen,“ sprach der Schneider, „nun laß uns lustig leben.“ Da hausten die Beide mit des Bauern sauer verdientem Geld, daß es eine Schande war; Wein und Braten konnte nicht alle werden.

Als der Bauer auf dem Felde mit seiner Arbeit fertig war, trieb er mit seinen Kühen nach dem Dorfe zurück. Da suchte er die Straße hinauf, die Straße hinab nach dem Haus mit dem Kirschbaum davor, aber er fand es nicht und fand es nicht. Die Beiden standen am Fenster, sahen, wie der arme Bauer suchte und lachten. Endlich sprach der Schneider, der doch kein so ganz verdorbenes Herz hatte, wie das Weib: „Wir wollen ihn doch die Nacht noch einmal bei uns logiren lassen. Morgen mag er sehn, wie er sich forthilft.“ Er trat an die Thür und als der Bauer wieder vorbeikam und ein recht betrübtes Gesicht machte, rief er ihm zu und sprach: „Was fehlt euch denn?“ „Ach ich suche mein Haus, davor ein Kirschbaum steht, und kann es nicht finden und habe doch die letzte Nacht darin geschlafen. Sagt mir doch, wo ich mein Haus mit dem Kirschbaum finde,“ bat der Bauer und der Schneider sprach: „Lieber Freund, ich bin in dem Ort geboren und erzogen, aber ein Haus mit einem Kirschbaum habe ich nie hier gesehn. Ihr müßt in einem andern Ort zu Hause sein. Da es aber schon spät ist, so geht mit mir und übernachtet bei mir.“ „Gott lohn's euch!“ sagte der Bauer und bot ihm treuherzig die Hand, dann trieb er seine [432] Kühe durch das Hofthor in den Stall und der Schneider ging mit. Im Stalle schaute der Bauer sich um und sprach: „Wenn der Stall nicht euch gehörte, weiß der Himmel, ich möchte drauf schwören, es sei mein Stall.“ „Was sind das für Redensarten? Ihr werdet doch nicht denken, ich hätte euren Stall genommen?“ frug der Schneider. „Bewahre, bewahre, lieber Freund,“ antwortete der Bauer. „Ein Stall kann ja aber dem andern gleichen.“ Nachdem die Thiere versorgt waren, sagte der Schneider: „Nun kommt herein und eßt mit uns zu Nacht.“ „Von Herzen gern, ich habe großen Hunger,“ sprach der Bauer und folgte dem Schneider. Als sie in die Stube kamen, saß das Weib da und strickte. Der Bauer schaute sich um, guckte das Weib an und sprach: „Wie es einem doch so kurios gehen kann! Wenn ich nicht wüßte, daß ich in eurem Hause bin, wollte ich drauf schwören, das sei meine Stube und dort sitze meine Frau.“ „Was muß ich da hören?“ rief der Schneider. „Zuvor sagtet ihr, daß es euch scheine, mein Stall sei euer, und jetzt wollt ihr gar behaupten, mein Haus und meine Frau seien euer.“ „Bewahre, lieber Freund,“ sprach der Bauer, „aber ein Haus und eine Frau können einander gleichen. Es schien mir nur so.“ Sie setzten sich jetzt zu Tische und aßen, dann legten sie sich alle schlafen. Da berieth der Schneider mit dem Weibe, was sie jetzt weiter machen sollten. „Halt ich hab's!“ rief er endlich. „Ich sah in deinem Kleiderschrank vorhin ein schwarzes Kleid hängen, daraus mache ich ihm einen Pfarrersrock und ein Pfarrerkäppchen. Für das Uebrige laß mich nur sorgen.“ Sie holte rasch das Kleid und [433] Zwirn, Nadel und Scheere dazu, mein Schneider sprang auf den Tisch und nähte tapfer drauf los, so daß er vor Tagesanbruch mit dem Anzuge fertig war; den legte er dem Bauern vor sein Bett.

Als der Bauer Morgens erwachte und sich anziehen wollte und den Pfarrersrock mit dem Pfarrerkäppchen fand, war er gar verdutzt und sprach zu sich selber: „Hab ich doch gemeint, ich sei ein Bauer und bin doch ein Pfarrer. Was man sich nicht Alles einbilden kann!“ Er zog sich an und ging in die große Stube, da stand der Schneider und das Weib ehrerbietig auf und grüßten ihn: „Guten Morgen, lieber Herr Pfarrer.“ Der Bauer schüttelte den Kopf und fragte sich selber aufs Gewissen noch einmal: „Bin ich's, oder bin ich's nicht?“ Da sprach der Schneider: „Wollen Sie denn so früh schon weiter ziehen, Herr Pfarrer?“ und das Weib: „Ich will Ihnen vorher noch einen guten Kaffee kochen, Herr Pfarrer.“ „Ich bin's nicht, ich bin der Pfarrer,“ sagte jetzt der Bauer zu sich selbst, denn so große Falschheit hielt er in seiner Treuherzigkeit nicht für möglich. „Ich nehme den Kaffee mit Dank an,“ antwortete er alsdann, trank und aß und reiste weiter, während der Schneider und das Weib ins Fäustchen lachten.

Gegen Mittag kam er an ein Dorf, da war der Pfarrer gestorben und die Bauern suchten einen neuen Pfarrer. Da kam ihnen der Bauer gerade recht und er wurde sogleich ins Pfarrhaus geführt und am folgenden Tage, der ein Sonntag war, sollte er zuerst predigen. „Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt [434] er auch Verstand,“ dachte der Bauer und ging Nachmittags aus, um einen Text zu seiner Predigt zu suchen. Da kam er an ein Wasser, worauf ein Korb schwamm und er sprach: „Halt, da habe ich schon eins, das ist Corpum.“ Dann kam er an eine Wiese, worauf eine Kuh Klee fraß. „Es geht gut,“ sprach er, „das ist also Corpum Kuhkleeum.“ Dann kam er auf den Weg, wo eine alte Frau saß. „Jetzt hab ich den Text,“ sprach er; „Corpum Kuhkleeum diealta Mameum.“ Ging nach Hause zurück, ließ vier Zimmerleute kommen, die mußten den andern Morgen vor der Predigt auf den Boden gehn jeder mit einer Axt. Was sie da zu thun hatten, sagte er ihnen ins Ohr.

Morgens als die Gemeinde in der Kirche saß, bestieg er die Kanzel und sprach: „Meine lieben Zuhörer, jetzt fange ich meine Predigt an, deren Text ist schon so kräftig, daß Holz und Stein in der Kirche sich darüber erbarmen und krachen und bersten vor lauter Rührung und ihr alle werdet weinen und jammern, als wenn das jüngste Gericht anbräche.“ „Ah das ist einmal ein Prediger für uns“ sagten die Bauern einer zum andern, als sie husteten und sich schneuzten. „Der versteht's.“ Jetzt fuhr der Pfarrer fort: „Mein Text lautet aber also: Corpum Kuhkleeum.“ Da schlugen zwei Zimmerleute mit ihren Aexten wider die Decke, daß es Kalk und Lehm regnete. „Die alta Mameum!“ schrie der Pfarrer weiter und da handhabten sie die Aexte alle vier, so daß große Stücke von der Decke herniederfielen und die Bauern alle aus der Kirche flohen, denn sie glaubten nicht anders als sie stürze ein. Er aber ging zufrieden nach Hause. [435]


Da kam der Bürgermeister mit dem Gemeinderath zu ihm und sprach: „Lieber Herr Pfarrer, unsere Kirche ist nicht für so kräftige Predigten gebaut. Da wir aber einen Mann wie euch um alles in der Welt als Pfarrer behalten wollen, so bitten wir euch um Erlaubniß, euch noch einen Pfarrgehülfen geben zu dürfen.“ „Daran thut wie euch gefällt, liebe Pfarrkinder,“ sprach der Pfarrer. Er bekam jetzt einen Gehülfen, brauchte nicht mehr zu predigen und hatte gute Tage bis an sein Ende.


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