Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen/Von Dschulfa nach Urmia

Die Russen in Transkaukasien und ihr Werk Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen
von Paul Müller-Simonis
Das Land von Urmia. Persien und die persische Regierung
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Achtes Kapitel.
Von Dschulfa nach Urmia.
Die Vorbereitungen im Orient. Unsere Zabtiehs. Von Dschulfa nach Evoglu. Unser Karawanenführer ein Martyrer. Wir leiden Durst. Luftspiegelung. Der Sunus-Tschai mit seinem salzigen Wasser. Salz in Überfluß. Evoglu. Kerim. Von Evoglu nach Choï. Fruchtbare Gegenden. Unsere Anführer sind Nachzügler. Gefahren beim Durchwaten seichter Stellen. Choï. Die Pilger von Kerbela. Wir werden Ärzte. Bedeutung von Choï. Ansprüche unserer Zabtiehs. Von Choï nach Khosrawa. Aufenthalt beim Verlassen der Stadt wegen Zollangelegenheiten; unbeschreibliche Schwierigkeiten; Besuch beim Gouverneur. Abreise der Karawane von Kerbela. Die Frauen und ihre provisorischen Männer. Endlich reisen wir ab. Täglich Räubergeschichten. Salzhügel. Ein steckengebliebenes Pferd. Wasserscheide zwischen dem Aras und dem See von Urmia. Trennung von Nathanael. Unannehmlichkeiten beim Reisen während der Nacht. Räuber. Ende gut, alles gut. Khosrawa. Khosrawa und Salmas. wie Khosrawa katholisch wurde. Die Lazaristenmission und ihr Werk. Die Schwestern. Beschreibung des Tandurs. Sein Brennmaterial. Das Brot „Lawasch". Das Salz und seine Bereitung. Der Kirchhof von Khosrawa. Der Erzbischof von Khosrawa. Der russische Konsul Kulubakin. Wir beschließen, einen Abstecher nach Wan zu machen. Nathanael bleibt bei seiner Familie. Kascha Isaak. Gegu Schaudi. Von Khosrawa nach Saatlui. Giavilen; der Priester Reynard. Kerim gehört nicht der Sage an. Mängel der Karte von Kiepert. Ein Orkan von Staub. Von Saatlui nach Urmia. Urmia.


19. September.

Diesen Morgen machten wir unsere Anfänge in der Vorbereitungskunst zum „Kampfe". Es war dies die unangenehmste Arbeit des Tages. Reist man in einer zahlreichen Gesellschaft von Eingeborenen, so bildet man eine Karawane, deren Anführer stets ein einheimischer Mann ist, und dem die ganze Gesellschaft gehorcht. Ist aber der Reisende selbst der Anführer seiner kleinen Truppe, so mißbrauchen die Tscherwadare, wie im Persischen die Führer einer Karawane genannt werden, oft seine Geduld.

In Persien ist es unbedingt notwendig, daß man sich des Hilfsmittels der Peitsche bedient, denn die Peitsche ist für den Perser ein unwiderstehliches Beweismittel. Derjenige, der sich ihrer gut zu bedienen weiß, wird unmittelbar unter die Herren gruppiert, er wird gefürchtet, aber auch bedient. Aber in Kurdistan sind die Leute stolzer und empfindlicher, so daß man sich auf seine Stimme beschränken muß und so gut es geht, fertig zu werden versucht. Mit der Zeit kommt der Reisende dahin, die Vorbereitungen rasch zu treffen; aber die Thätigkeit ist immerhin aufregend. Gewöhnlich standen wir des Morgens um 4½ Uhr, spätestens um fünf Uhr auf. Verzögerungen von einer Seite, schlechte Verpackungen von der andern bewirkten, daß wir erst gegen 7½ Uhr aufbrechen konnten, was öfters geschah.

Der Vorsteher des Zollamtes in Dschulfa hatte uns zu unserm Schutze vor Räubern zwei Zabtiehs mitgegeben. Keiner dieser tapferen Männer hatte ein brauchbares Gewehr; an dem einen fehlte der Hahn und an dem andern die Abzugsstange.[1]

Abreise 7 Uhr des Morgens.

Nachdem wir drei Stunden durch eine Ebene gewandelt waren, einem ausgetrockneten Strombette in der Mitte eines Kreises von Bergen, die von den Strahlen der Morgensonne herrlich beleuchtet waren, gelangten wir an den Anfang einer Felsschlucht, wo armselige Menschen, in Wirklichkeit wilde, ihr Lager aufgeschlagen hatten. Ihre Kinder waren ganz nackt; die Frauen, deren Aussehen sehr herabgekommen ist, boten uns geronnene Milch, die mit Wasser verdünnt war, im ganzen ein angenehmes Getränk.

Der vulkanische Engpaß, nackt, holperig, schlängelt sich zwischen tausend kleinen verwitterten Hügeln hin. Bei jeder Biegung des Weges glaubten die tapferen Zabtiehs Räuber zu sehen und wollten nicht eher anhalten, als bis wir auf offenem Felde waren. wir waren also gezwungen, ohne Rast bis zu dem Gipfel zu steigen, wo wir bei einer Lache salzhaltigen Wassers Halt machten. Glücklicherweise hatten wir einen Schlauch Trinkwasser bei uns. Nirgendwo war ein Plätzchen zu entdecken, wo wir in etwa vor den glühenden Sonnenstrahlen geschützt waren. Dieser Umstand, so lästig er auch war, hatte indes das Gute für uns, daß der Aufenthalt nicht lange dauerte. Nach einer halben Stunde waren die Tscherwadare es müde, sich noch länger braten zu lassen, und gaben selbst das Zeichen zum Aufbruch.

Der Haupt-Tscherwadar hatte vor zwei Tagen die Rolle eines „Martyrers“ gespielt. Sein blasses, verschrumpftes Gesicht, seine geschwollenen Lippen gaben von seinem Eifer Zeugnis. Den arg mißhandelten Schädel hatte er mit einem Tuche umwickelt. Wiewohl er vor Fieber zitterte, hielt er sich doch noch aufrecht und marschierte stets. Zur Erleichterung hatte er sich den Luxus gegönnt, seinen Esel mit sich zu nehmen, der ihm zeitweise zum Reiten diente. Von der Höhe senkt sich der Weg in das Thal des Kisil-Tschai hinab; das Gefälle ist nicht bedeutend, denn dort beginnt schon das System der Hochebenen, die Persien charakterisieren.

Der ganze Anblick dieser Gegend war für uns etwas Neues; vier Stunden lang durchwanderten wir eine unbeschreibliche Ebene, die nach Westen von den Bergen der asiatischen Türkei begrenzt wird. In der Ferne bildeten Windhosen oder Staubhosen, die durch den Wind in die Höhe gehoben werden, auffallende, senkrechte Säulen von schönen Formen, die dazu eine Höhe von über hundert Metern erreichten. Mit großer Schnelligkeit verändern sie ihren Standort und stehen dann oft längere Zeit, ehe sie sich auflösen.

Der intelligente Sergius, der vom Morgen an Wein getrunken hatte, indem er ein so gemeines Getränke wie Wasser verschmähte, hatte schließlich doch den ganzen Schlauch Wasser ausgetrunken; unter den senkrecht fallenden Sonnenstrahlen litten wir deshalb bald Durst. Da sich vor uns ein schönes Flüßchen hinschlängelte, beeilten wir uns, dasselbe zu erreichen. Eine Luftspiegelung! Es war kein Fluß, sondern nur das Wiederspiegeln der großen Salzlachen, die die ganze Ebene bedecken. Eine Luftspiegelung ist kaum verschwunden, als schon wieder eine neue folgt; auf diese Weise erduldeten wir in Wirklichkeit Tantalusqualen.

Endlich erreichen wir aber einen wirklichen Fluß, den Sunus-Tschaï, einen Zufluß des Kisil-Tschaï (roter Fluß); sofort stürzen sich die Pferde in denselben und saufen mit großer Gier. Ich sprang vom Pferde in den Fluß, um ebenfalls meinen Durst zu löschen; aber das Wasser ist salzig. Das kann man jedenfalls Unglück nennen.

Der Sunus-Tschaï (oder Fluß von Sunus) fließt bei Marand zwischen den Salzbergen hin, denen er auch seinen großen Salzgehalt verdankt. Übrigens findet sich hier überall Salz. Oberhalb Etschmyadsin bilden die Hügel von Kulpi eine einzige Masse Steinsalz, das in früheren Zeiten gegraben wurde; hinter Choï finden wir noch diese Hügel. Alle Wasserflächen in Persien werden salzig, und diejenigen, die im Sommer austrocknen, lassen nur einen nackten, steinigen Boden zurück, der aber mit einer Salzkruste bedeckt ist.

Endlich erreichten wir Evoglu gegen zwei Uhr.

Evoglu ist ein kleines Dorf, das auf dem linken Ufer des Kisil-Tschaï erbaut ist und sich terrassenförmig an dem Seitabhang des Hügels abstuft. Von unserer Wohnung aus, die ganz oben im Dorfe ist, schweift der Blick über die weite Ebene, die ganz versengt erscheint. Einige Gruppen Bäume bilden die einzigen grünen Flecke. Das Dach unseres Nachbarhauses, das uns zugänglich war, diente als Spazierplatz.

Beim herrlichen Mondenschein unterhielten wir uns mit den Alten des Dorfes, die eigens herzukamen, um die „vornehmen Fremden“ zu ehren. Alle beklagten sich einstimmig über die Vernachlässigung, die sie von der Regierung erfahren; ohne Umschweife reden sie und legen ihren Gefühlen gar keinen Zwang auf. Da sie sich gewöhnlich in den Händen gewissenloser Beamten befinden, so sprechen sie es ungeniert aus, daß sie den Tag erwarten, wo Rußland auch dieses Land annektieren wird. Diese Freiheit im Sprechen versetzte uns in großes Staunen.

Der tapfere Brigant Kerim war der Held des Tages; das ganze Land zitterte vor ihm. Der Vorsteher des Ortes malte die Gefahren unserer Reise mit den lebhaftesten Farben. Wenn man ihm Glauben schenkte, würde man nicht reisen, ohne wenigstens von einem Regiment Soldaten begleitet zu sein. Aber da aller Wahrscheinlichkeit nach dieses Regiment aus den Leuten von Evoglu sich zusammensetzen sollte, so merkten wir schon eine kleine Rechnung auf Trinkgeld. Übrigens glaubten wir gar nicht an Räuber und noch weniger an den Mut der vorgeschlagenen Eskorte. Im Falle eines räuberischen Angriffes hatten wir an unsern zwei Zabtiehs schon zu viel; denn diese würden sofort mit den Angreifern einen Vertrag abschließen über die Teilung der Beute. Das beste Mittel ist einfach auf das Geratewohl zu reisen.

Am Ende Evoglus führt der Weg den Fuß entlang, dessen Ufer fruchtbar zu sein scheinen. Man hat zwar ernstliche Versuche zu einer künstlichen Bewässerung gemacht, aber trotzdem steckt die ganze Kultur noch in den Kinderschuhen. Hirse, Reis und armselige Baumwolleplantagen bilden so ziemlich das Ganze. Der Boden soll ziemlich schwer sein, denn Morier, der zur Zeit des Umpflügens in Choï war, sah an einem Pfluge zwei Ochsen.[2]

Pflug aus Aderbeidschan.

Die Lache sind mit Brustbeerbäumen eingefaßt, die ganz mit Früchten bedeckt sind, deren an Stärkemehl erinnernder Geschmack durchaus nicht unangenehm ist. Unter den Früchten, welche das Land im Überflusse hervorbringt, ist die Aprikose übrigens die einzige, die in ihrem Heimatlande unseren Früchten vorzuziehen ist. Sie ist köstlich, und ein guter Vorrat getrockneter Aprikosen, den wir in Khosrawa erstanden, lieferte uns für die Fortsetzung der Reise ein ausgezeichnetes Gewürz für den Pilau (mit Fett gekochter Reis).

Obgleich wir uns schon dem „Garten Persiens“ näherten, sind die Dörfer doch noch dünn gesäet.

Unsere Tscherwadare waren unverbesserliche Nachzügler, die beständig mindestens zweihundert Meter hinter der Karawane kamen, um die Brustbeerbäume zu plündern. Sie kümmerten sich gar nicht mehr um ihre Tiere, und bei jedem Übergang über einen Bach traten unvorhergesehene Zwischenfälle ein: Die Pferde schlugen sich, weil jedes zuerst trinken wollte, die Lasten fielen durcheinander und der Wirrwarr war fertig. Bei einem solchen Übergang fiel unser Bettzeug ab, wurde aber glücklicherweise nicht naß. Hyvernat und ich wollten unsere Leute an ihre Pflicht erinnern durch eindringliche Vorstellungen. Nathanael aber, in seinem guten Naturell, fand tausend Gründe, um die Pflichtvergessenen zu entschuldigen. Aber bei dem nächsten Bächlein machte sein Pferd es nicht besser; da hielt die gute Natur Nathanaels nicht länger; mit kräftigen Flüchen erschöpfte er sein reichhaltiges Repertoire; was aber die Hauptsache war, in kurzer Zeit brachte er die ganze Gesellschaft in Ordnung.

Wir verzagten. Man hatte uns die Entfernung von Evoglu bis Choï auf drei Stunden angegeben. Aber anstatt der drei Stunden waren wir schon beinahe sieben auf dem Wege. Gegen halb ein Uhr langten wir daselbst an. Der gänzliche Mangel der Minarett und die geringe Höhe der Häuser in Choï bewirken, daß man beinahe nichts von der Stadt merkt, bis man dicht davor steht. Man sieht nichts als eine lange Mauer und hinter derselben einen Vorhang von Bäumen. Diese Mauer, die vor ungefähr fünfzig Jahren von Mirza Abbas erbaut worden ist, macht von weitem einen guten Eindruck; eine Gegenböschung und schön ausgeführte Schießscharten geben ihr ein respektables Aussehen. Von weitem macht die Mauer etwas aus; aber in der Nähe gesehen, verschwindet der ganze Nimbus; das Ganze ist aus Stampferde ausgeführt und verfällt wegen Mangels an Unterhaltung täglich immer mehr.

Die Karawanenherberge ist ziemlich dürftig untergebracht. Die Thüre ist so niedrig, daß man sich regelmäßig den Kopf stößt; von den Fenstern sind als einzige Reste nur die Rahmen übrig geblieben. Alle diese Umstände tragen entschieden dazu bei, den Ort zu einem wenig behaglichen zu machen. Der Hof ist mit Pferden angefüllt; alles ist mit Reisenden belegt, denn morgen reist die große Karawane der schiitischen Pilger nach Kerbela, um am Grabe Husseins zu beten.

Europäer und Arzt sind für den Orientalen gleiche Begriffe, weshalb wir bei einem erkrankten Pilger zu Rate gezogen wurden. Etwas Chinin konnte ihm nicht schaden, aber der arme Teufel hatte Fieber und eine schreckliche Dysenterie, die ihn ohne Zweifel in paar Tagen hinraffen werden; obgleich er schon im Sterben lag, wollte er doch noch mit der Karawane ziehen, bis er den letzten Seufzer aushauchen wird, was wohl auf dem Wege nach Kerbela geschehen ist; doch ein Schiite kann keinen schönern Tod finden.

Choï, das ungefähr 1136 Meter hoch liegt, gilt für eine der schönsten persischen Städte. Die Straßen sind breit, regelmäßig, mit Kanälen bewässert und mit Bäumen bepflanzt. Moscheen giebt es wenige, wie überhaupt wenig Baudenkmäler, weil die Erdbeben daselbst zu häufig vorkommen.

Als Persien und die Türkei noch zwei mächtige Staaten waren, war diese Stadt einer der bedeutendsten Stapelplätze für den Handel der beiden Reiche. Heute besitzt sie als Grenzplatz zwar auch noch einige Bedeutung. Sie ist der Hauptpunkt des Weges von Erserum nach Bayasid,[3] von Wan nach Kotur und des Weges von Eriwan nach Nakhitschewan. Im Bazar geht es lebhaft zu. Die Industrie, durch welche die Einwohner von Choï berühmt sind, besteht in dem Anfertigen von kupfernen Hausgeräten, die sie in den verschiedensten Formen und mit gutem Geschmack herzustellen wissen; auch das Material scheint gut zu sein.

Die Bevölkerung Choïs beläuft sich auf 20- bis 30000 Seelen. Die Mehrzahl der Anwohner ist tartarischen Ursprunges; das türkische Element gilt daselbst für sehr fanatisch.

Da Choï in der Zollgrenze liegt, waren wir sehr erstaunt, von keinem Zollbeamten angehalten zu werden; übrigens hatten wir auch noch unsere Quittung von dem Zollamte in Dschulfa, und ohne Sorgen legten wir uns zur Ruhe.[4] Nachdem wir des Morgens um drei Uhr aufgestanden waren, warteten wir vergeblich auf unsere neuen Tscherwadare, die aber erst um sechs Uhr zu erscheinen geruhten. Das Gepäck war ziemlich rasch verladen, und wir brachen auf, wobei wir unsern Weg über den schon zu dieser Zeit belebten Marktplatz nahmen.

Als wir an dem Thore ankamen, hielt man uns im Namen des Zollamtes fest, indem man uns mitteilte, daß die Quittung von Dschulfa für die Herren von Choï keinen Wert habe. Aber man ließ uns nicht in die Stadt zurückkehren, damit etwa unser Gepäck untersucht werde, nein, unter Schreien und Gestikulieren hielt man uns einfach auf dem Platze fest. Im ganzen handelte es sich auch hier nur um ein Trinkgeld, und die ganze Sache hätte sich schnell erledigen lassen, wenn unser verwünschter Sergius, der zu dieser Stunde schon betrunken war, die Leute nicht insultiert hätte.

Nathanael ging zum Zollamt, kam aber nach einer Stunde zurück, ohne etwas ausgerichtet zu haben. Darauf ging ich mit ihm zum Gouverneur, während wir aber nicht versäumten, Hyvernat zur Bewachung des Gepäckes zurückzulassen. Freilich hatten wir Tags vorher den Fehler begangen, dem Gouverneur keinen Besuch zu machen. Ich entschuldigte uns, so gut es ging, und brachte nach einigen allgemeinen Redensarten unsere Sache vor. Der Gouverneur spricht französisch, hat lange in Europa gelebt und scheint sich in Choï tötlich zu langweilen; auch kennt er den Gesandten Nazar-Agha, nennt ihn seinen Freund, scheint aber sehr eifersüchtig auf ihn zu sein.

Ich trug ihm unsern Fall vor, worauf er einen Mann zum Zollamte schickte. Aber dort giebt man diesem den Bescheid, daß die Sache den Gouverneur nichts angehe, und daß wir für jedes Gepäckstück eine türkische Lire zu zahlen hätten, wenn wir unser Gepäck nicht öffnen wollten. Der Gouverneur machte ein ärgerliches Gesicht und schickte uns zum Zollamte zurück. Dort wandte ich von neuem den Brief Nazar-Aghas an, aber er versetzte den Chef des Zollamtes in noch schlechtere Laune. Er erklärt uns, daß er unser Gepäck untersuchen lasse, ob wir unsere Reisesäcke öffneten oder nicht, ihm gebühre von jedem beladenen Pferd eine Lire. Nichts war im stande, diesen einfachen Beamten von seiner Forderung abzubringen. Schließlich entschlossen wir uns, zu dem einzigen Mittel zu greifen: wir zahlten drei türkische Lire, und der Chef des Zollamtes war so gnädig, uns den Betrag für das vierte Pferd bezw. Gepäck zu erlassen. Ist dies nicht typisch?

Ich kann nichts weiter erzählen, aber ich habe meine guten Gründe, zu vermuten, daß hernach zwischen dem Gouverneur und dem Zollchef das Ganze dadurch endigte, daß sich die beiden unsere drei Lire brüderlich teilten. Jetzt entstand für uns eine andere Schwierigkeit: Dieses Kommen und Gehen hatte uns bis halb zehn Uhr des Morgens aufgehalten, und nun wollten die Tscherwadare nicht mehr an demselben Tage abreisen. wir parlamentierten, und um dies zu beendigen, trieben wir selbst unsere Lastpferde an.

Während wir noch unsere Zollangelegenheit regelten, setzte sich die Karawane nach Kerbela in Marsch. Die Chefs der Sektionen tragen Fahnen und rufen ihre Gesellschaft zusammen. Die Menge stürzt herzu, um den glücklichen Pilgern, die zu den Gräbern der heiligen Muselmänner reisen, die Hand zu küssen. Keine Unordnung und kein Schreien ist zu merken; in großem Ernste beginnt der Abmarsch.

Ich war erstaunt, eine so große Menge Weiber bei der Karawane zu finden; noch größer aber wurde mein Erstaunen, als ich vernahm, daß eine große Zahl derselben die Reise ohne ihre Ehemänner machte, indem sie sich der Sorge eines „provisorischen Ehemannes“ anvertrauten. Ich erzähle dies, ohne für die Wahrheit der Thatsache eine Garantie zu übernehmen; aber da ernsthafte Personen es mir versichert haben, fand ich es glaublich. Wir hätten somit der Eigenart der persischen Sitten eine neue hinzuzufügen –

Der Ausgangsweg von Choï ist eine breite, mit Bäumen bepflanzte Avenue, die ungefähr dreiviertel Stunden lang ist. Der Regel gemäß ist alles in Unordnung, weshalb auch die Brückchen, die mit großer Sorgfalt erbaut worden sind, einzustürzen drohen. Die Avenue endet am Kotur-Tschaï[WS 1] , den eine große Brücke überspannt, die aber auch bald zusammenbrechen wird. Niemand bedient sich ihrer, sondern alle durchwaten den Fluß. Unsere Leute erzählten uns solche Räubergeschichten, daß wir, um dieselben zu beendigen, mit großer Feierlichkeit unsere Flinten luden, was sie ein wenig zu beruhigen schien. Ein Mann aus Dilman, der uns vorbeireisen sah, stellte sich unter unsern Schutz; er behauptete, vor vierzehn Tagen ausgeplündert worden zu sein. Ungefähr eine Stunde lang marschierten wir in einer wellenförmigen Ebene, die gegen Osten keinen bestimmten Charakter hat, aber im Westen von den Bergen begrenzt wird, die die Grenze zwischen der Türkei und Persien bilden.

Der Pfad führte am Fuße eines Systems von Hügeln hin, die beinahe alle aus Salzstein zusammengesetzt sind. Zu unserem großen Erstaunen fanden wir an der Südseite des höchsten Hügels eine Quelle mit süßem Wasser. Wir machten dort Halt, um etwas zu essen, während die Lastpferde ihre Reise fortsetzten. Plötzlich bemerkte Nathanael von weitem zwei Reiter, und voll Ungeduld eilte er auf dieselben los, uns die Sorge für das Pferd mit dem Mundvorrat überlassend. Sergius bestieg dieses Pferd und wollte an derselben Stelle einen kleinen schlammigen Fluß durchreiten, wo Nathanael durchgegangen war; aber sein ohnehin ziemlich schwer beladenes Pferd sank bis an die Brust in den Schlamm ein. Auf diese Weise geriet auch unser ganzes Bettwerk in denselben. Jetzt mußten wir auch in den stinkenden Dreck hinein, um das Pferd von neuem zu beladen; erst eine Stunde später konnten wir am Fuße der Hügel unser Gepäck wieder ordnen.

Der als gefährlich geschilderte Aufstieg zu den Hügeln führt zu dem Kamm, der die Wasserscheide bildet zwischen dem Aras und dem geschlossenen Becken von Urmia. Von Räubern keine Spur.

Armenischer Typus.

Am Ende der Wasserscheide dachen sich die Hügel in langen Wellen bis zu der Ebene von Salmas ab; ein Sturm verhinderte uns, die Landschaft genauer zu betrachten. Plötzlich war Nathanael verschwunden. Ein muselmännischer Hirt, den wir trafen, konnte uns keine Auskunft über ihn geben. Übrigens war dieser Schäfer sehr grob und weigerte sich sogar, uns ein wenig Milch zu verkaufen.

Beim Einbruch der Nacht betraten wir endlich die Ebene von Salmas. Die lehmige Erde war durch das Unwetter ganz aufgeweicht; eine Menge Bächlein liefen nach allen Richtungen, so daß wir bei jedem Schritt Gefahr liefen, in irgend ein Schlammloch zu versinken. Glücklicherweise konnten wir uns in der Dunkelheit auf die scharfen Sinne unserer abgehetzten Tiere verlassen. Plötzlich wandte sich der Führer mit großem Schrecken zu uns und schrie: „Räuber, Räuber!“ Bevor wir noch Zeit hatten, unsere Waffen zu ergreifen, empfing uns ein kräftiges Gewehrfeuer, dem sofort die freudigen Rufe folgten: „Seid willkommen!“ Wir atmeten erleichtert auf. Anstatt der gefürchteten Räuber begrüßten uns die Leute von Khosrawa, die Nathanael von unserer Ankunft in Kenntnis gesetzt hatte, und die uns entgegengekommen waren. So waren wir denn aus aller Gefahr heraus und wurden festlich empfangen von den Missionaren.

22. September.

Khosrawa, eines der Dörfer mit chaldäischer Bevölkerung, die sich inmitten der armenischen Bevölkerung und der Türken des Gebietes von Salmas hier und da finden, liegt in dem Thale des Tscharra-Tschaï. Der Boden wird mit einer hellen Thonerde vermischt, die in tiefen Löchern vorbereitet, durch die Bewässerung außerordentlich fruchtbar gemacht wird.

Ungefähr eine Stunde westlich von Khosrawa findet sich die kleine Stadt Salmas, im Volksmunde gewöhnlich die alte Stadt genannt. Sie war ehemals der bedeutendste Punkt der ganzen Gegend, die auch von ihr den Namen erhalten hat.

Zur Zeit der größten Ausdehnung des Königreiches Armenien waren die Gegenden, die heute zu Aderbeidschan gehören, Teile dieses Königreiches, und der Kanton Salmas gehörte zum Fürstentum Persarmenien, wovon Salmas die Hauptstadt war. Ihr Alter reicht wahrscheinlich in das dritte Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Sie war eine der ersten Städte, die sich zum christlichen Glauben bekannten, und auch heute noch finden sich in dem Gebiete von Salmas verhältnismäßig die meisten Christen in ganz Persien.[5] Die Armenier des Kantons sind meistens Schismatiker, während die Chaldäer fast alle Katholiken sind.

Diese teilten früher den Glauben der schismatischen Nestorianer; aber im achtzehnten Jahrhundert kehrten sie durch die Bemühungen eines jungen Chaldäers aus Diarbekr wieder zur katholischen Kirche zurück. Dieser hatte sich bei den Dominikanern in seinem Vaterlande bekehrt. Er war Färber und überstieg die Berge von Kurdistan, um sich in Khosrawa Arbeit zu suchen. Obgleich er selbst ungebildet war, wurde er doch bald durch seinen Eifer und die Heiligkeit seines Wandels der Apostel der dortigen Einwohner. Seine Belehrungen und noch mehr sein gutes Beispiel bewirkten deren Bekehrung. Zu diesen Neubekehrten gesellte sich bald ein Witwer, der mehr Bildung besaß. Dieser sollte der geistliche Vater der neuen Gemeinde werden. Deshalb wurde er zu dem Patriarchen von Mosul geschickt, damit dieser ihm die heiligen Weihen spende. Nachdem er zurückgekehrt war, diente sein Haus den Katholiken zur Kapelle. Die Unduldsamkeit der Nestorianer, in deren Mitte sie lebten, zwang die Katholiken, die Sache geheim zu halten; dieses gelang ihnen auch vollständig, und in den nächsten zwanzig Jahren konnte sich die neue Gemeinde befestigen und auch noch weiter ausbreiten, ohne daß die Andersgläubigen etwas davon erfuhren. Endlich entdeckte der nestorianische Bischof Mar Isaias das Geheimnis und wurde von diesem Wechsel so betroffen, daß ihm selbst die Augen aufgingen; er ging nach Akhaltsikhe, schwor seinen Irrtum ab, legte in die Hände der Missionäre das Glaubensbekenntnis ab und kehrte dann nach Khosrawa zurück, um den Rest seiner früheren Glaubensgenossen noch zu bekehren.[6]

Die Mission von Khosrawa wurde durch die Lazaristen im Jahre 1844 gegründet. Von ihrem Ursprung wird bei der Erwähnung der Mission von Urmia noch erzählt werden.

Die Gebäulichkeiten der Lazaristen liegen um den Platz des Dorfes herum, nahe bei der chaldäischen Kirche. Wie jede orientalische Wohnung, deren Leben sich mehr auf die Thätigkeit im Innern erstreckt, bieten auch diese Gebäulichkeiten von außen nur den traurigen Anblick einer großen Mauer aus Stampferde. Sobald man den Vorhof überschritten hat, bemerkt man als ersten Gegenstand den Diwan, Khan oder Empfangssalon (wörtlich: Gerichtsplatz; das Wort wurde früher für den Gerichtssaal der hohen Beamten gebraucht, ist jetzt aber im gewöhnlichen Leben sehr gebräuchlich). Vom Diwan aus gelangt man auf einen großen Hof, wo die Zimmer münden; dieser Hof dient den Seminaristen im Winter als Spielplatz, auch findet sich dort die allein liegende Klosterkapelle.

Im Hintergrunde des Hofes, mit der Front dem Eingange zu, liegt das Hauptgebäude der Mission, ein großes Gebäude in rechteckiger Form, bestehend aus einem Erdgeschoß und einem Stockwerk. Das Gebäude ist solid aus ungebrannten Ziegelsteinen erbaut, die zur größeren Sicherheit mit gebrannten Ziegelsteinen bekleidet sind. Alles ist einfach; die Zimmer sind gekälkt und die Möbel sehr bescheiden. Aber da die Mission alt ist, findet sich daselbst das Notwendige, und alles erscheint prächtig.

Hinter dem Hause breitet sich ein großer Küchengarten aus mit einem Spazierplatz, der durch kletternde Reben und Hopfen geschützt ist. Das Ganze macht einen gemütlichen und gastfreundlichen Eindruck.

Das Hauptwerk der Mission ist das Seminar. Fünfzehn bis zwanzig junge Leute vollenden dort ihre Studien, die sie in der Mission zu Urmia begonnen haben; diejenigen, welche geistlich werden wollen, machen auch daselbst ihre theologischen Studien.

Diese letzte Thätigkeit, die von der Gründung der Mission an betrieben wurde, ist sehr wichtig für die Zukunft der Mission, aber auch zugleich schwierig und undankbar. Den jungen Leuten fehlt meist die Ausdauer und sie lassen sich oft vor dem Ende ihrer Studien entmutigen. Seit der Gründung hat die Mission kaum zwanzig Priester geliefert. Dazu sind die Auslagen für den Haushalt der Mission sehr bedeutend, weil diese ihre Schüler ernähren und auch bekleiden muß.

Zur Seite des Seminars befindet sich auch eine Schule für die Knaben von Mosrawa; diese steht unter der Oberaufsicht der Missionare und wird von einigen Seminaristen und einigen Lehrern geleitet, die aus dem Dorfe herstammen.

Dem Anschein nach sind die Lazaristen Herr in Khosrawa; sie haben die Zivilisation dahin gebracht, und opfern sich mit dem größten Vergnügen für die Einwohner; der Einfluß der Lazaristen ist demnach nur ein gerechter Lohn für ihre Bemühungen.

Die Zahl der Missionare beträgt gewöhnlich vier oder fünf; sie werden durch drei chaldäische Priester unterstützt, die hauptsächlich die Pfarrseelsorge übernehmen.

Die Gebäulichkeiten der barmherzigen Schwestern münden auch auf den Platz der Kirche. Die Schwestern haben ein Waisenhaus, eine Kleinkinderbewahranstalt und eine Schule, wo alles unentgeltlich geschieht, und wo sie sich in ihrer gewohnten Weise aufopfern. Ihre Zahl beträgt sieben.

Wir besuchten sie gerade zu der Zeit, wo sie mit Brotbacken beschäftigt waren.

Der Backofen verdient eine eingehende Beschreibung, denn dieser oder der Tandur, wie er in der Sprache der Einheimischen genannt wird, ist der Mittelpunkt des gesamten häuslichen Lebens im Oriente. Er dient als Backofen, als Küchenherd und als Ofen.

Wenn ein Haus mehrere Zimmer hat, wird der Tandur in dem vornehmsten errichtet, ungefähr in der Mitte des Zimmers, seitwärts vom Eingang. Der Tandur ist eine Amphora aus gebranntem Thon, mit Seitenwänden in der Dicke von ungefähr drei Fingern, die ganz in den Fußboden eingelassen ist.

Durchschnitt eines Tandurs.

Die Herstellung eines Tandurs ist eine ziemlich schwierige Sache; zunächst wird die Amphora außerhalb des Hauses fertig gestellt Dazu darf nur sehr sorgfältig geknetete Erde verwandt werden. Die gewöhnliche Höhe ist ein Meter oder etwas mehr, der Durchmesser ist je nach den einzelnen Fällen verschieden. Zunächst wird der Boden der Amphora fertig gestellt. Die Seitenwände werden nach und nach gebildet, jedesmal ungefähr eine Höhe von der Breite einer Hand, sobald die untere Schicht hinreichend fest geworden ist. Ist auf diese Weise die Amphora entstanden und gehörig getrocknet, so höhlt man in dem Fußboden ein Loch aus, dessen Durchmesser den der Amphora um ein Meter ungefähr überragt. Auf den Boden dieses Loches legt man eine Steinplatte, worauf man unter Anwendung der größten Vorsicht die Amphora setzt. Eine Öffnung in der Seitenwand an dem untern Ende derselben steht durch eine schräge Luftröhre mit dem Fußboden in Verbindung und mündet nahe bei der Thüre. Diese hat den Zweck, dem Feuer frische Luft zuzuführen. All der freie Zwischenraum um den Tandur herum wird mit Asche angefüllt, über welche hernach eine Art Mörtel gestrichen wird, so daß das Ganze in derselben Höhe mit dem Fußboden liegt.

Steht nun der Tandur an seiner Stelle, so wird in demselben ein Feuer angezündet und derselbe ganz mit Brennmaterial gefüllt. Dieses Feuer wird mehrere Tage lang unterhalten und genügt, um den Tandur hart zu brennen.

Es ist noch zu bemerken, daß das Zimmer selbst auch den Namen Tandur bekommt. Im Winter versammelt sich hier die ganze Familie; wenn das Feuer etwas niedergebrannt ist, kauert die ganze Gesellschaft um den Tandur herum. Die Bevorzugten haben das Recht, ihre Beine in den Backofen hinabhängen zu lassen. Die andern bedecken sie wenigstens mit einer Decke, die den Zweck hat, die Wärme des Tandurs festzuhalten.

Diese Art der Heizung, die das Zimmer selbst kalt läßt und die untern Extremitäten des Körpers zu sehr erhitzt, wird mit recht als ungesund bezeichnet. Aber da sie allgemein ist, wird wohl so bald noch nicht an einen andern Heizungsmodus gedacht werden können. Um die kältern Luftzüge zu verhindern, bringt man die Thüre nicht in derselben Richtung mit dem Tandur an, sondern in irgend einer Ecke des Zimmers.

Es muß jetzt noch von dem Brennmaterial gesprochen werden. In ganz Armenien und Persien giebt es wenig Holz; man ersetzt es durch die berühmten Brennkuchen.

Eine Hauptbeschäftigung der Frauen auf dem Lande besteht darin, sorgfältig den Viehdünger zu sammeln. Dieser Dünger wird künstlich mit der Hand geknetet und mit den kleinen Strohhalmen, den Überbleibseln beim Dreschen, vermischt. Der auf diese Weise entstandene Kuchen wird dann getrocknet, wobei er die Eindrücke der Finger, die daran gearbeitet haben, gewöhnlich behält. Die trockenen Kuchen werden in große Haufen zusammengesetzt; ist dies geschehen, so wird die Außenfläche des Haufens mit derselben Masse überzogen, wahrscheinlich um das Eindringen von Regen zu verhindern. So hat man den Brennstoff für den ganzen Winter fertig.[7]

Mehr als eine Europäerin, ja auch mehr als ein Europäer würde sich bedanken, von dem Brot zu essen, das in einem Ofen gebacken wurde, der mit solchem Material geheizt worden ist. Aber man beruhige sich! Diese Kuchen sind ein ganz vortreffliches Brennmaterial. Nach einem raschen Aufflackern, während dessen ein delikater Geruch vielleicht etwas lästig werden kann, bleibt eine glühende Masse zurück, die langsam, ohne Flamme brennt und eine große Hitze entwickelt, ohne jedoch eine Spur von Duft zurückzulassen.

Das Brot, das in diesen Backöfen hergestellt wird, heißt in der chaldäischen Sprache „Lawasch“. Es ist übrigens das Nationalbrot der Perser. Meist hat es die Form dünner Kuchen. Um es zu bereiten, breitet die Bäckerin – jede Hausfrau ist Bäckerin – den Teig mit einer Rolle aus. Dann bearbeitet sie den Teig abwechselnd mit ihren Armen. Jedesmal dehnt sich der Kuchen aus, und wenn er die gewünschte Form erreicht hat, kommt er auf ein Brett, das mit einem Griff versehen ist. Dieses Brett ist rund und entspricht der Form des Backofens. Mit diesem Brett klatscht eine andere Frau, die zum Backen bestimmt ist, kräftig den Kuchen gegen die heiße Wand des Tandurs. Das Backen geschieht schnell, ist aber gewöhnlich nicht ganz vollendet.

Dieses frische, knusperige Brot schmeckt ausgezeichnet und hält sich mehrere Tage. Bei der Mahlzeit feuchten die Perser dasselbe stark an, um es geschmeidiger zu machen; diese Kuchen erfüllen dann alle möglichen Dienste: zusammengerollt dienen sie als Löffel und um Sauce zu nehmen, ausgebreitet werden sie als Teller gebraucht, sogar die Stelle von Servietten müssen sie vertreten. Aber das so angefeuchtete Brot verliert von seinem Geschmack und wird schwer.

Gewöhnlich ist das Brot sehr schwach gesalzen, wiewohl das Salz in der dortigen Gegend sehr häufig vorkommt. Die Schwestern graben das ihrige aus dem Berge, den wir zwischen Choï und Mosrawa gesehen hatten. Es ist dunkel, grün von Farbe und sehr fest und wird in rohem Zustande gebraucht. Zunächst werden die Salzblöcke in einem ausgehöhlten Stein mit großen hölzernen Hämmern klein geschlagen, worauf die kleineren Stücke gemahlen werden.

Die Mühle, die zu diesem Zwecke gebraucht wird, ist im ganzen Orient, ja bis nach Indien hin auf dieselbe Weise eingerichtet. Ein Stein A ist in dem Boden befestigt und trägt eine senkrechte Achse C. Der eigentliche Mühlstein B ist in seiner Mitte durch ein kreisrundes Loch durchbohrt, das einen Durchmesser von acht bis zehn Centimetern hat. Zwei sich gegenüberstehende Frauen drehen den Mühlstein mittels eines hölzernen Griffes D, der ungefähr in zwei Dritteln des Halbmessers nach dem Umfange zu schief angebracht ist.

Orientalische Mahlmühle.

Da die kreisförmige Öffnung in dem Mühlstein ziemlich groß ist, so geht die Umdrehung desselben etwas excentrisch vor sich, wodurch die Reibung vergrößert und ein sehr feines Salz erzielt wird.

Für Hyvernat besaß Khosrawa noch einen anderen interessanten Gegenstand, nämlich den Kirchhof. Dieser ist verhältnismäßig alt, und seine Grabinschriften in chaldäischer Sprache sind für Sprachforscher von großem Interesse. Die Gräber sind gewöhnlich sehr einfach. Die Mehrzahl haben nur einfache Steine, die wenig bearbeitet sind; einige Grabsteine haben in rohen Umrissen die Gestalt eines Widders.[8] Außer an den Jahrgedächtnissen für die Verstorbenen sind die Gräber ziemlich vernachlässigt.

Khosrawa ist der Sitz eines chaldäischen Erzbischofs, dessen Jurisdiktion sich über eine dünngesäete Bevölkerung erstreckt. Der Erzbischof Augustin Bar-Schino ist ein Einheimischer und hat seine Studien in der Propaganda in Rom gemacht. Heute ist er ein steinalter Mann. Wir fanden ihn auf einem hölzernen Bette in dem Vorhofe seiner Wohnung liegend, die ein kleines Haus aus Stampferde ist, das dazu ein ärmliches Aussehen hat. Die Unterhaltung mit ihm war kurz, da sie ihn sichtlich viele Anstrengungen kostete.

Wir machten außerdem die Bekanntschaft zweier armenischer Mechitaristenpatres, die in Savura wohnen und mit der Seelsorge ihrer in der Gegend zerstreuten Landsleute betraut sind. Ihre Arbeit bei den gregorianischen Armeniern verspricht gute Früchte zu tragen.[9]

P. Serapion Varonian, ermordet am 4. Januar 1891.

23. September.

Heute (Sonntags) kam in dem Augenblicke, wo wir uns zum Mittagessen hinsetzen wollten, der russische Konsul von Wan hier an. Die Patres hielten ihn zum Mittagessen im Kloster. Von hier wird Konsul Kolubakin drei Tage nach Urmia reisen und dann nach Wan zurückkehren.

Wir hatten zwar unsern Familien feierlich versprochen, uns keiner Gefahr dadurch auszusetzen, daß wir durch das unsichere Kurdistan reisten. Es fehlte nur ein Vorwand, um dieses Versprechen nicht zu halten, und dieser Vorwand schien in der Person des russischen Konsuls gefunden. Warum sollten wir in seiner Gesellschaft keinen Abstecher nach Wan machen und hernach unsere Reise durch Persien wieder aufnehmen? Ohne zu zaudern, baten wir ihn um die Erlaubnis, uns ihm nach Urmia anschließen zu dürfen. Morgen mittag werden wir unsere Rundreise antreten.

24. September.

Wir hatten unsere Rechnung ohne die orientalische Langsamkeit gemacht. Ungeachtet aller Anstrengungen der Patres war es unmöglich, die Reise heute anzutreten. Wir werden also in der Nacht abreisen und die achtzehn Stunden bis Urmia, so rasch es möglich ist, zurücklegen. Von dieser Stadt aus wollen wir durch die Gegend von Giaver und Albag Wan erreichen; von Wan wollen wir über Kotur nach Khosrawa zurückkehren, um dann weiter in Persien einzudringen.

Nathanael, der seine Familie seit zweiundzwanzig Jahren nicht mehr gesehen hatte, wünschte während dieses Ausfluges in Khosrawa zu bleiben; an seiner Stelle schickte er seinen Vetter Kascha Isaak mit, einen jungen chaldäischen Priester, der in der Propaganda seine Studien gemacht hatte und ein angenehmer Reisegefährte war.

Sergius beurlaubten wir auch während der Zeit des Ausfluges, da wir mit ihm nach unserer Rückkehr abrechnen wollten.

Als Führer bei unserm Ausflug empfahlen uns die Patres einen sehr ehrenwerten Räuber a. D., Gegu mit dem Beinamen Schaudi (Räuber der Nacht). Sie erzählten uns wunderbare Sachen von ihm, und ich werde mich bemühen, im Laufe der Schilderung eine kleine Biographie dieses Ehrenmannes zu geben.

25. September.

Wir brachen um zwei Uhr des Morgens auf; ein Missionar, Massol mit Namen, in Begleitung eines Gläubigen der Mission, Juhannah von Patavur gab uns das Geleite. Juhannah ist im Lande bekannt; durch seine große Gewandtheit im Schießen hat er es so weit gebracht, daß ihn die Kurden fürchten, denen er mehrfach stark zu Leibe gerückt ist. Ihm allein verdankt es sein Dorf, daß es von den lästigen Besuchen dieser unverbesserlichen Räuber verschont bleibt.

Die Reise beim Mondenschein ist angenehm und hat etwas Phantastisches an sich, dem jedoch auch ein gewisser Zauber nicht fehlt. Auf der Höhe der Schwefelquellen von Issisu (zu deutsch: Warmes Wasser) nahmen wir Abschied von Massol und setzten unsern Weg über Giavilen fort, indem wir den Ausläufer des Karabagh (zu deutsch: schwarzer Weinstock) überschritten. Von dieser Höhe hatten wir zuerst eine Aussicht auf den See von Urmia. Aber die Sonnenstrahlen reflektierten mit einer solchen Stärke auf dem Salzwasser, daß die ganze Landschaft dadurch einen harten, unangenehmen Anblick gewährte.

Der Priester in Giavilen empfing uns sehr liebenswürdig. Er ist ebenfalls ein chaldäischer, katholischer Geistlicher. Nach dem in der chaldäischen Kirche noch bestehenden Gebrauche ist er verheiratet. Da dies das erste Mal war, daß wir in das Innere eines solchen Pfarrhauses Eingang fanden, kam uns die Sache anfangs etwas eigentümlich vor. Während wir bei dem ausgezeichneten Manne speisten, kam der türkische Vize-Konsul von Urmia gerade an, ein Herr Reynard.[10]

Der Vize-Konsul behauptete, Kerim auf dem Wege begegnet zu sein; anfänglich glaubten wir es nicht, aber Gegu, der ein guter Freund Kerims ist, bestätigte die Aussage, indem er hinzufügte, daß er mit einem Mitgliede der Bande Kerims gesprochen habe. Kerim hielt uns für Russen, und ehe er wußte, daß wir unter der Führung Gegus standen, wollte er uns angreifen; aber Gegu schilderte uns als arme französische Derwische (Mönche), – meskin grengui baba derwisch – worauf der großmütige Räuberhauptmann uns in Ruhe zu lassen beschloß. Es stand also fest, daß Kerim keine sagenhafte Persönlichkeit war.

Für die Reise zwischen Giavilen und Urmia ist die Karte von Kiepert sehr mangelhaft. In dem Augenblick, da wir uns dem Kuskalaburni näherten, wo eine passende Stelle war, um manches in der Kiepertschen Karte zu verbessern, wurden wir von einem schrecklichen Staub- und Sandsturm überfallen, der uns viel Schmerzen bereitete. Manchmal wollten sogar die Pferde nicht mehr vorangehen, und ein ängstliches Gefühl des Erstickens ließ uns die Minuten länger erscheinen als sonst die Stunden. Mit vieler Mühe erreichten wir Saatlui bei einbrechender Nacht. Nach der großen Anstrengung, die uns das Unwetter verursacht hatte, konnte von einer Weiterreise nach Urmia an demselben Tage keine Rede mehr sein.

26. September.

Von Saatlui nach Urmia braucht man zu Pferde vier Stunden; der Weg führt durch eine gut angebaute Gegend, der nur eine tüchtige Regierung fehlt, die dem Lande zu großem Reichtum verhelfen könnte. Wir überschritten den Naslu-Tschaï dicht neben der Brücke, die ein herrliches Muster der persischen Baukunst ist.

Die Telegraphenstangen zwischen Urmia und Tebris befinden sich nach persischer Manier genau in der Mitte des Weges. Während wir die Pferde eine Strecke im Galopp laufen ließen, verwickelte sich mein Pferd mit den Beinen in die Telegraphendrähte, die ohne Zweifel bei dem Unwetter Tags vorher zerrissen waren, und jetzt auf der Erde umherlagen; wie weder mein Pferd noch ich eine Verletzung davontrugen, konnte ich nicht begreifen. Die Drähte sind übrigens schlecht gespannt und hängen an manchen Stellen kaum anderthalb Meter über dem Boden. Tags vorher war dem russischen Konsul durch einen solch unglückseligen Draht beinahe der Kopf abgerissen worden.

Da das Haus der Lazaristen an der anderen Seite der Stadt am Wall lag, umritten wir, um dorthin zu kommen, die verfallenen Mauern dieser ehemals so berühmten, festen Stadt.

Die Missionare empfingen uns mit derselben Gastfreundlichkeit und Zuvorkommenheit wie die in Khosrawa.


Kurdischer Dolch.

  1. Der persische Zabtieh ist eine Art Gendarm von sehr erbärmlichem Aussehen. Seine Hauptsache ist, den stets rückständigen Sold durch Trinkgelder zu ersetzen, wobei er, wenn es ihm nicht gefährlich scheint, sogar Erpressungen nicht meidet.
  2. Indes kann man aus der Zahl der Tiere doch noch nicht auf den Grad des Widerstandes schließen, den der Boden dem Beackern entgegensetzt, wie wir dies in Europa gewöhnt sind. In Persien ist die Pflugschar nur ein hölzernes Brett, das zu der Vertikallinie in einem Winkel von ungefähr 40 Grad steht und mit der Achse des Pfluges einen Winkel von ungefähr 30 Grad bildet. Eine solche Pflugschar erfordert selbst in leichtem Boden mehr Anstrengung als die bei uns gebräuchlichen.
  3. Es ist zu bemerken, daß Rußland, um Persien besser isolieren zu können, sich in dem Frieden von St. Stefano den Besitz von Bayasid und seines Thales hat zusprechen lassen; so bleibt also zwischen der Türkei und dem nördlichen Persien kein anderer Weg als der von Erserum, Wan, Kotur, Choï. Dabei zählte Rußland sicher auf die räuberischen Kurden, um den Weg für den Handel unmöglich zu machen. Hätte die Berliner Konferenz der Türkei dieses Gebiet zugesprochen, so würde England alles aufgeboten haben, um diesen Verbindungsweg frei zu erhalten.
  4. Es ist interessant zu beobachten, wie die Orientalen den Reisenden rupfen, sobald sie merken, daß er mit ihren Verhältnissen unbekannt ist. Unsere Zabtiehs hatten uns zwei Tage begleitet; zwanzig Piaster für jeden wäre ein gutes Trinkgeld gewesen. In seiner Großmut will Nathanael uns veranlassen, jedem eine türkische Lire zu geben. Durch seine Schilderungen gerührt, wollen wir jedem eine halbe Lire geben; aber die Zabtiehs verweigern die Annahme und verlangen mehr, da sie offenbar unsere Unkenntnis benutzen wollten. Später wußten die Zabtiehs, denen wir auch nur einen Piaster über die Summe hinaus gaben, indem wir zugleich unsere Großmut zeigten, gar nicht, wie sie uns danken sollten.
  5. Das Land von Salmas wurde 1828 von den Russen besetzt. Diese Besetzung hat tiefe Erinnerungen in dem Lande gelassen. Die Greise, die man nach ihrem Alter fragt, antworten gewöhnlich, daß sie so viel Jahre „vor den Russen“ oder „nach den Russen“ geboren sind. Paskiewitsch versetzte der Wohlhabenheit des Landes einen schweren Schlag, indem er mehrere Tausende armenischer Familien nach Rußland schleppte.
  6. Boré, Correspondance II. 256.
  7. Der Leser findet die Abbildung eines solchen Haufens bei der Illustration: Unser Palais von Khatibliba.
  8. Dieser Gebrauch, einen Widder auf das Grab zu setzen, rührt von einem alten Aberglauben her, den die Priester im Andenken an die Opfer des Alten Testamentes duldeten, der aber nichts weiter ist als ein Rest des Heidentums und der alten Liebesmahle. Die Eltern schlachten, nachdem der Tote begraben ist, auf dem Grabe einen Widder, der in der Familie verzehrt wird, wobei sie aber nicht versäumen, dem Priester, der den Toten zur letzten Ruhe begleitet hat, einen Teil davon zu schicken.“ (Texier, Arménie I. 63.) Gegenwärtig ist der Gebrauch unter den Katholiken in der Gegend von Urmia und Khosrawa aber verschwunden.
  9. Die Mechitaristenpatres hatten einen großen Teil der schismatischen Armenier von Malhasa zur katholischen Kirche zurückgeführt, als kurz nachher (4. Januar 1891) der Pater Varonian durch den Dolch eines schismatischen Armenier, den er beherbergte, fiel. Was den Elenden zu dem Meuchelmord trieb, ist unbekannt geblieben. Aber da der Mörder seinem Opfer noch ein Ohr abschnitt, so muß man durch diese Verstümmelung doch ein vorher geplantes Werk erkennen. Man wird nicht fehl gehen, wenn man dasselbe den gregorianischen Armeniern zuschreibt, deren Fanatismus bekannt ist. Übrigens scheint man an der Ermordung in dem Lande Gefalle zu finden. Kürzlich ermordete ein Lehrer, der von der amerikanischen Mission zurückgeschickt wurde, die Frau eines amerikanischen Missionars.
  10. Dieser beschäftigte sich früher mit dem Besorgen der Köcker von Nußbäumen, die des Maserholzes wegen in der Kunsttischlerei hoch geschätzt wurden und die ehemals in Kurdistan häufig vorkamen, weshalb auch diese Leute ein gutes Geschäft machten; heute ist die Zahl sehr gesunken. Diese Leute führen übrigens ein abenteuerliches Leben, ähnlich wie die Trapper in Amerika, und werden gewöhnlich Loupeurs genannt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Kisil-Tschaï, korrigiert laut Berichtigung.