Vom Christinenpförtchen
Am Krayenkamp liegt der katholische Platz, der also heißt, seitdem 1719 die dortige katholische Kapelle des kaiserlichen Gesandten vom Pöbel zerstört wurde, nachdem schon früher auf derselben Stelle ein Volkstumult gegen das Pabstthum stattgefunden hatte, wovon gleich mehr. Im Hintergrunde [329] dieses Platzes führt ein schmaler Weg, vormals durch eine Pforte verschließbar, in den Bäckergang. Dieser Weg heißt das Christinenpförtchen, und damit hängt es also zusammen.
Im Jahre 1667 lebte hieselbst (wie früher schon) die Königin Christine von Schweden, nachdem sie zum katholischen Glauben übergetreten war. Sie wohnte an jener Stelle am Krayenkamp in einem großen Hause, das sie von ihrem Agenten Texeira gekauft hatte. Sie betrieb von hier aus ihre Staats-Angelegenheiten, daneben beschäftigte sie sich mit den Wissenschaften und Künsten, weshalb sie auch gern gelehrte Männer bei sich sah. Uebrigens ritt und fuhr sie täglich spatzieren und veranstaltete oftmals Feste und Lustbarkeiten (wozu sie auch den Rath, die Oberalten und angesehene Bürger einzuladen pflegte), z. B. am 14. Februar ein Convivium nebst Ballet, in welchem sie selbst eine Rolle übernommen hatte.
Am 15. Juli gab die Königin abermals ein großes Banquet in ihrer Wohnung, zu Ehren der Krönung des neuen Pabstes Clemens IX. Es waren alle heimischen und fremden Standespersonen[1] geladen und soll bei Tafel ein herrliches Wohlleben gewesen sein. Dem Hause gegenüber (wo damals noch keine Gebäude standen) am St. Michaelis Kirchhofe hatte sie einen Springbrunnen errichten lassen, welcher unablässig aus neun Röhren zum gemeinen Besten einen feinen rothen und weißen Wein von sich gab, den der Pöbel mit Jubel und Frohlocken „waidlich trank und wie Wasser zu sich nahm.“ Als es dunkelte, wurde das Haus prächtig erleuchtet mit 60 Wachsfackeln die auf vergoldeten Armleuchtern[2] in der Mauer steckten. Oben am Giebel glänzte in einem großen Transparentbilde die dreifache päbstliche Krone mit den beiden Schlüsseln. Einige reden auch von einer Darstellung der Ketzerei zu Füßen der katholischen Kirche, davon aber die [330] meisten Erzähler nichts wissen. Darunter strahlte nun eine aus 600 Lampen gebildete Lateinische Inschrift, die lautete Deutsch: es lebe Pabst Clemens IX.
Das ließ sich nun zwar ganz trefflich ansehen, aber Einige nahmen doch ein Aergerniß daran, daß in unsrer lutherischen Stadt der Pabst also sollte gefeiert werden. Wie’s dann gekommen, daß solch Aergerniß sich auch dem Pöbel mitgetheilt, der bis dahin keinen Anstoß darin gefunden, weiß man nicht; aber gewiß ist’s, daß selbiger anfing, sich ganz tumultuarisch zu gebehrden und bedenkliche Drohungen auszustoßen gegen den Pabst in Rom, gegen die Königin Christina, deren Wein er sich doch wohl schmecken ließ, und gegen das erleuchtete Haus. Freilich trug wohl grade der Wein zur Erhitzung der Gemüther bei, „maaßen der gemeine Mann, und sonderlich der Englische, Holländische und Dänische Matrose, sich dabei so toll und voll soff, daß bald hie, bald dort einer dalag wie todt.“ Aus dem Schreien und Toben wurden Thätlichkeiten, und Steine flogen gegen das Haus und in die Fenster. Die königliche Dienerschaft versuchte umsonst, das Volk zu beruhigen, und mußte, hart angegriffen, aber unter Festhaltung eines der Rädelsführer, ins Haus zurückflüchten, das nur mit Mühe verrammelt werden konnte.
Sobald die Königin diese Vorgänge erfuhr, ließ sie die Inschrift und das Transparentbild auslöschen, und hoffte dadurch den Aufruhr zu stillen. Aber der Steinhagel ließ nicht nach, das wüste Gebrüll und die ganze Haltung des Pöbels, der nun einen Sieg errungen zu haben glaubte, wurde immer bedrohlicher. Mehrere Herren, die vom Fenster aus das Volk anreden wollten, wurden übel heimgeschickt. Einer der Diener schoß ein blind geladenes Pistol ab, wodurch die Wuth des Haufens sich noch mehr steigerte. Zwar verbot die Königin ihren Leuten das fernere Schießen, dennoch glaubten einige [331] ihre Herrin nicht besser vertheidigen zu können, und feuerten ihre Musketen auf die Tumultuanten, von welchen einer getödtet, mehrere verwundet wurden. Nun stieg die Gefahr aufs höchste, mit Brechstangen rannten die Rasenden gegen die Hausthüre, andere brachten Pechfackeln und Strohbündel, man schrie: zündet an, schlagt Alle todt! Die beherzte Königin mußte jetzt den Bitten ihrer Gäste nachgeben und flüchten; sie warf ein Regentuch über und entkam, mit ihren Damen von wenigen Cavalieren begleitet, durch das Hinterpförtchen in den Bäckergang, von wo sie zu Fuß des Schwedischen Residenten Moller’s Haus am Speersort erreichte, in welchem sie übernachtete.
Mittlerweile hatten die übrigen Herren sich eben angeschickt, der Königin Haus und Habe bestens gegen die Trunkenbolde zu vertheidigen, die schon die Hausthüre eingerannt hatten, als die Lärmtrommeln glücklich einige Bürger-Compagnien zusammen brachten, welche im Verein mit den Garnisonstruppen unter dem Stadt-Commandanten, Obersten von Koppey, den gefährlichen Tumult glücklich bemeisterten, und die Ruhe herstellten, welche auch in Folge kräftiger Maaßregeln des Raths nicht ferner gestört wurde. Am folgenden Morgen führten einige Senats-Mitglieder die Königin auf das Feierlichste und Ehrenvollste in ihr Haus zurück. Die Entschuldigungen dieser Herren erwiederte sie mit lebhaften Dankbezeugungen, und händigte ihnen 2000 Thaler ein für die Verwundeten und für die Angehörigen der Erschossenen.
Von dieser Flucht der Königin Christina hat der enge Weg, der vom katholischen Platz in den Bäckergang führt (den damals wohl zum ersten und letzten Male einer Königin Fuß betreten hat), den Namen Christinenpförtchen empfangen und behalten.
Anmerkungen
[387] Geschichtlich. Außer den Hamb. Geschichtswerken ist benutzt: von Heß, Topogr. I. 464; und Grauert, Christina und ihr Hof, II. 213–215.