Versuch einer Theorie der electrischen und optischen Erscheinungen in bewegten Körpern/Definitionen

Einleitung Versuch einer Theorie der electrischen und optischen Erscheinungen in bewegten Körpern (1895)
von Hendrik Antoon Lorentz
Abschnitt I
[9]
EINIGE DEFINITIONEN UND MATHEMATISCHE BEZEICHNUNGEN.




§ 4. a. Wir wollen sagen, dass einer Rotation in einer Ebene eine bestimmte Richtung der Normale entspreche, und zwar soll das die Richtung nach derjenigen Seite sein, auf der sich ein Beobachter befinden muss, damit für ihn die Rotation in einer der Uhrzeigerbewegung entgegengesetzten Richtung verlaufe.

b. Die zu einander senkrechten Coordinatenaxen , , wählen wir so, dass die Richtung von einer Drehung um einen rechten Winkel von nach entspricht.

c. Einen Raum, eine Fläche und eine Linie bezeichnen wir durchgängig mit den Buchstaben , und , unendlich kleine Theile mit , und .

Die Normale zu einer Fläche wird mit angedeutet und immer nach einer bestimmten Seite, der „positiven“, gezogen. Bei einer Linie wird eine bestimmte Richtung „positiv“ genannt, und zwar beachten wir, wenn es sich um die Randlinie einer Fläche handelt, folgende Regel: Ist ein fester Punkt von , ganz nahe an , und durchläuft ein zweiter Punkt den nächstliegenden Theil von in der positiven Richtung, so soll die Rotation von der Richtung der Normale zu entsprechen.

Bei einer geschlossenen Fläche soll die Aussenseite die positive sein.

d. Vectoren bezeichnen wir in der Regel mit deutschen Buchstaben; dieselben dienen mitunter auch dazu, lediglich die Grösse anzugeben. Unter verstehen wir die Componente des Vectors nach der Richtung ; unter also die Componenten nach den Axenrichtungen.

[10] Für einen Vector mit den Componenten schreiben wir gelegentlich auch .

e. Ist eine scalare Grösse, so verstehen wir unter den Differentialquotienten nach der Zeit . Das Zeichen bedeutet einen Vector mit den Componenten: , oder u. s. w.

f. Den Ausdruck

nennen wir das „Integral des Vectors über die Fläche “, und die Grösse

das „Linienintegral für die Linie .“

g. Ist ein Vector in jedem Punkte des Raumes gegeben, so hat überall

einen bestimmten, von der Wahl des Coordinatensystems unabhängigen Werth. Wir nennen diese Grösse die Divergenz des Vectors und bezeichnen sie mit

.

Für jeden durch eine Fläche begrenzten Raum gilt die Beziehung

wenn, wie bereits gesagt, die Normale nach aussen gezogen wird.

h. Die Grössen

lassen sich als die Componenten eines Vectors auffassen, der, unabhängig von dem gewählten Coordinatensystem, durch die Vertheilung von bestimmt ist. Wir nennen diesen neuen Vector die Rotation von und bezeichnen denselben mit

[11] und seine Componenten gelegentlich mit

Ist die Randlinie einer Fläche , so hat man

(1)

Weiter findet man leicht

und für die Componenten des Vectors

u. s. w.

Das Zeichen hat hier, wie in allen unseren Formeln, die Bedeutung

i. Sind und scalare Grössen, so legen wir den Ausdrücken

die bekannten Bedeutungen bei.

j. Unter verstehen wir das sogenannte „Vectorproduct“, einen Vector nämlich, dessen Grösse durch den Inhalt des über und beschriebenen Parallelogramms gegeben wird, und dessen Richtung senkrecht auf der durch und gelegten Ebene steht, und zwar so, dass sie einer Rotation um weniger ab 180° entspricht, durch welche die Richtung von in die Richtung von übergeführt wird.

Für die Componenten lässt sich schreiben ; die Componenten nach den Axenrichtungen sind

und es ist

k. Der Vortheil der oben eingeführten Bezeichnungen besteht hauptsächlich darin, dass sich jetzt drei Gleichungen wie

in die eine Formel

zusammenfassen lassen. Jedoch werden wir bei der Untersuchung [12] specieller Bewegungszustände oft die drei einzelnen Gleichungen benutzen. Haben diese dieselbe Gestalt, sodass sie durch cyclische Vertauschung der Buchstaben in einander übergehen, so können wir uns darauf beschränken, nur die erste Gleichung niederzuschreiben und die beiden anderen durch ein „u. s. w.“ anzudeuten.

l. Wir werden häufig Körper mit molecularem Gefüge zu betrachten haben. Es kommen dann Functionen vor, deren Werth in den einzelnen Melecülen und in den Zwischenräumen rasch wechselt, und zwar oft in höchst unregelmässiger Weise, da ja die Molecüle selbst nicht immer regelmässig angeordnet und orientirt sind. In diesen Fällen empfiehlt es sich, mit Mittelwerthen zu rechnen, welche wir folgendermaassen definiren:

Man beschreibe um eine Punkt als Mittelpunkt eine Kugel vom Inhalt und berechne für dieselbe, wenn die zu betrachtende Grösse ist, das Integral . Wir nennen dann

(2)

wofür wir schreiben wollen, den „Mittelwerth von im Punkte “.

Gibt man, wo immer auch liegen möge, der Kugel stets dieselbe Grösse, so kann offenbar nur noch von und den Coordinaten des Punktes abhängen. Es ist klar, dass auch noch „rasche“ Veränderungen von Punkt zu Punkt zeigen wird, so lange die Kugel nur wenige Molecüle umfasst, dass aber bei fortwährender Vergrösserung derselben jene Veränderungen immer mehr zurücktreten werden. Man denke sich nun ein für alle Mal einen bestimmen Radius gewählt, der gerade so gross ist, dass — mit Rücksicht auf den bei den Beobachtungen erreichbaren Genauigkeitsgrad — von den raschen Veränderungen in abgesehen werden darf. Es bleiben dann nur noch die langsameren Veränderungen von Punkt zu Punkt, die unseren Sinnen zugänglich sind, übrig, und diese gehen in allen wirklich untersuchten Fällen sogar so langsam vor sich, dass sie in Räumen, die erheblich grösser sind als die Kugel , noch kaum hervortreten. In diesen Fällen wird [13] auch dann noch durch den Ausdruck (2) gegeben, wenn man diesen nicht auf die genannte Kugel, sondern auf einen beliebig gestalteten grösseren Raum anwendet.

Natürlich ist, sobald selbst keine raschen Veränderungen zeigt, überall .

Weiter findet man leicht

m. Unter dem Mittelwerth eines Vectors verstehen wir einen Vector - er möge heissen -, dessen Componenten die Mittelwerthe von sind. Demnach haben wir


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