Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen/X. Hauptstück

IX. Hauptstück Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen (1752) von Johann Joachim Quantz
X. Hauptstück
XI. Hauptstück


[89]
Das X. Hauptstück.
Was ein Anfänger, bey seiner besondern Uebung, zu beobachten hat.


1. §.

Ich habe bereits gesaget, und wiederhole es hier noch einmal, daß ein Anfänger, der die Flöte traversiere gründlich zu erlernen gedenket, neben dieser meiner Anweisung, noch des mündlichen Unterrichts eines guten Meisters nöthig habe. Die schriftliche Anweisung zeiget wohl einen richtigen Weg, wie man eine Sache erlernen soll; sie verbessert aber die Fehler nicht, welche bey der Ausübung, absonderlich im Anfange, häufig begangen werden. Der Anfänger selbst wird deren nicht allezeit gewahr: und wenn sie nicht von dem Meister beständig angemerket werden; so werden sie bey dem Lernenden zur Gewohnheit, und endlich zur andern Natur. Es kostet alsdenn in der Folge mehr Mühe und Fleiß, sich des Bösen wieder zu entschlagen, als das Gute anzunehmen. Weis aber ein Lehrbegieriger sich bey seiner besondern Uebung nicht zu helfen; hat er das, so ihn sein Meister gelehret, entweder nicht recht begriffen, oder gar wieder vergessen; wären etwan, zum Unglücke, gar die Grundsätze seines Meisters nicht richtig: so kann er sich durch gegenwärtige Anweisung aus seinem Irthume reissen, und auf dem rechten Wege bleiben. Zu dem sind in einer jeden Wissenschaft, die nicht pur mit dem Verstande allein gefasset werden muß, sondern zu der auch die äusserlichen Sinne, und die Glieder, das ihrige beytragen müssen, einige sogenannte Handgriffe höchst nöthig.


2. §.

Ich will erstlich das nothwendigste von dem, was ich größten Theils in den vorigen Hauptstücken weitläuftig erkläret habe, hier in der Kürze wiederholen: [90] damit man solches mit desto größerer Bequemlichkeit beysammen finden, öfter überlesen, und also desto leichter ins Gedächtniß fassen könne.

3. §.

Ein Anfänger muß des linken Daumen eingedenk seyn, um die Flöte damit fest zu halten. Die Flöte muß er fest an den Mund drücken. Er muß sich hüten, daß er den kleinen Finger, sowohl beym tiefen, als beym mittelsten E und F, auf der Klappe nicht liegen lasse. Er gewöhne sich nicht, aus Nachläßigkeit, einen oder den andern Finger der rechten Hand, bey denen Tönen, welche die linke allein greift, auf den Löchern liegen zu lassen.

Die Finger muß er weder ungleich, noch gar zu hoch aufheben. Ob man es hierinne recht mache, kann man am besten bemerken, wenn man bey Ausübung der Passagien, wo beyde Hände wechselsweise zu thun haben, sich vor den Spiegel stellet. Doch dürfen die Finger auch nicht gar zu nahe über die Löcher gehalten werden: sonst werden die Töne nicht nur zu tief und unrein; sondern ihr Klang wird auch pfuschend.

Die Flöte muß nicht bald ein- bald auswärts gedrehet werden: sonst wird der Ton entweder tiefer, oder höher, als er seyn soll.

Den Kopf darf man in währendem Spielen nicht vorwärts herunter hengen; als wodurch das Mundloch gar zu sehr bedecket, und der Wind im Steigen verhindert wird.

Die Arme müssen ein wenig vom Leibe ab, und in die Höhe gehalten werden.

Ein Anfänger muß sich hüten, daß er mit dem Kopfe, Leibe, oder Armen keine unnöthigen und ängstlichen Geberden mache: als welches, ob es gleich zur Hauptsache nicht gehöret, dennoch bey den Zuhörern einen Ekel verursachen kann.

Die Töne muß er, nach der Fingerordnung, sowohl rein greifen, als auch rein anblasen.

Auf die Bewegung des Kinns und der Lippen, bey steigenden und fallenden Noten, muß er wohl Acht haben.

Er muß die Flöte in den hohen Tönen, nach gehörigem Verhalte schwach, und in den tiefen, besonders bey springenden Passagien, stark anblasen.

In Ansehung der Stärke des Tones, muß er sich überhaupt in Acht nehmen, daß er niemals ein Stück in der äussersten Stärke oder Schwäche spiele: damit er allezeit den Vortheil behalte, wenn es erfodert wird, [91] bey dem Forte noch ein Fortissimo, und bey dem Piano noch ein Pianissimo ausdrücken zu können. Dieses kann durch nichts anders, als durch die Verstärkung oder Mäßigung des Windes geschehen. Immer in einerlei Farbe zu spielen, würde endlich einen Ekel verursachen.

Die Bewegung der Brust oder Lunge muß er nicht faul gewöhnen; sondern den Wind, durch eine abwechselnde Verstärkung und Mäßigung, immer in Lebhaftigkeit zu unterhalten suchen: zumal im Allegro.

Mit dem Athemholen muß er niemals bis aufs äußerste warten; noch weniger zur unrechten Zeit Athem nehmen. Widrigenfalls würde er jeden Gesang, der an einander hängen soll, zertrennen, und unverständlich machen.

Mit dem Fuße muß er allezeit den Tact markiren, nämlich in langsamen Stücken die Achttheile, und in geschwinden die Viertheile.

Die Zunge muß immer mit den Fingern übereinkommen, und ja nicht faul oder schläfrig gewöhnet werden. Denn hiervon hängt die Lebhaftigkeit und Deutlichkeit des Vortrages ab. Deswegen muß die Zunge, mir ti am meisten geübet werden.

In den Passagien muß er nicht nur auf die Noten, sondern auch insonderheit auf die dazu gehörigen Finger denken; damit er nicht die Finger in der Zeit aufhebe, wenn er die Löcher bedecken soll. Wenn man noch nicht genug im Notenlesen und im Tacte geübet ist, fällt man leicht in diesen Fehler.

Er muß niemals ein Stück geschwinder spielen, als er im Stande ist, solches in einerley Tempo auszuführen; sondern die Noten deutlich ausdrücken, und was die Finger nicht gleich machen können, öfters wiederholen.

4. §.

Auf alle die hier angeführten Dinge muß auch der Meister, währender Lection, insbesondere fleißig Achtung geben; damit er dem Scholaren nichts übersehe, und dieser sich nicht dergleichen Fehler angewöhne. Deswegen muß sich der Meister, dem Scholaren, im Spielen, zur rechten Hand setzen, um alles desto leichter bemerken zu können.

5. §.

Für einen Anfänger ist nöthig, daß er zur Uebung des Ansatzes, der Zunge, und der Finger, erstlich ganz kleine und leichte Stücke erwähle: damit das Gedächtniß nicht mehr beschweret werde, als die Zunge, und die Finger. Solche Stücke können aus leichten Tönen, als: [92] G dur, C dur, A moll, F dur, H moll, D dur, und E moll gesetzet seyn. Hat er aber Ansatz, Zunge und Finger zu einiger Fähigkeit gebracht; so kann er alsdenn unternehmen aus schwereren Tönen zu spielen: Z. E. aus dem A dur, E dur, H dur, Cis moll, B dur, G moll, C moll, Dis dur, F moll, B moll, und As dur. Diese Töne werden zwar einem Anfänger etwas schwer zu seyn scheinen: er wird es aber doch nicht so sehr empfinden, weil ihm noch alles schwer vorkömmt; als wenn er erst nach langer Zeit, wenn er schon eine Fertigkeit im Spielen erlanget hat, aus gedachten Tönen zu spielen unternehmen wollte: indem er sich alsdenn einer neuen Schwierigkeit, die ihn vielleicht auf lange Zeit davon abhalten dürfte, unterwerfen muß.

6. §.

Um die einfache Zunge mit ti zu egalen Stößen zu gewöhnen, sind solche Stücke am leichtesten, die in einerley Art von springenden Noten bestehen, es mögen Achttheile oder Sechzehntheile, im geraden, oder im Sechsachttheil- oder Zwölfachttheiltacte, wie in Giquen vorkömmt, seyn.

7. §.

Zur Zunge mit tiri schicken sich hingegen die punctirten Noten besser, als die voll gleicher Geltung: wie die Exempel bey dem II. Abschnitte des VI. Hauptstücks bezeigen. Man muß also dergleichen Stücke, sowohl im geraden als ungeraden Tacte, auch Giquen, und Canarieen, zur Uebung vornehmen.

8. §.

Wenn ein Anfänger nun, sowohl in den Fingern, als auch im Notenlesen zu einiger Fertigkeit gelanget ist, so kann er hierauf die Doppelzunge mit did’ll desto mehr treiben: um solche, nach den schon gegebenen Regeln, durch einige schwerere und längere Passagien, zu mehrerer Vollkommenheit zu bringen. Hierzu muß er sich anfangs leichte Passagien, so mehr stufenweise als springend gesetzet sind, aus Solo und Concerten aussuchen, und selbige erst langsam, hernach aber immer etwas geschwinder spielen; um die Zunge und Finger mit einander zu vereinigen.

9. §.

Um aber zu verhüten, daß die Zunge, ihrer natürlichen Neigung nach, nicht vor den Fingern voraus gehe, muß die Note, worzu bey der Doppelzunge das di kömmt, allezeit ein wenig angehalten, und markiret werden. s. VI. Hauptstück, III. Abschnitt, 5. und 15. §. Man markire [93] also, im gemeinen geraden Tacte: die erste von vier Sechzehntheilen; bey Triolen: die erste Note von dreyen; bey Zwey und dreyßigtheilen: die erste von achten; im Allabreve: die erste von vier Achttheilen; im Tripeltacte, die Noten mögen Achttheile oder Sechzehntheile seyn: die erste im Niederschlage. Dieses ist nicht nur das Mittel die Zunge in Ordnung zu erhalten: sondern es dienet auch dazu, daß man sich nicht angewöhne zu eilen; welches im Spielen ein großer Fehler ist: und wodurch öfters verursachet wird, daß die Hauptnoten des Gesanges, nicht wie sie sollen, in die gehörige Zeit der dazu gesetzeten Grundnote treffen: welches, wie leicht zu erachten, eine sehr üble Wirkung thun muß.

10. §.

Damit die Zunge und die Finger zu rechter Fertigkeit gelangen mögen, muß ein Anfänger, eine geraume Zeit, nichts anders als solche Stücke spielen, die in lauter schweren, springenden und rollenden Passagien bestehen; sowohl aus Moll- als aus Durtönen. Die Triller muß er durch alle Töne täglich üben, um sie jedem Finger geläufig zu machen. Wofern er diese beyden Stücke unterläßt, wird er niemals in den Stand kommen, ein Adagio reinlich und nett zu spielen. Denn zu den kleinen Manieren wird eine größere Geschwindigkeit erfodert, als zu den Passagien selbst.

11. §.

Es ist keinem Anfänger zu rathen, sich vor der Zeit mit galanten Stücken, oder gar mit dem Adagio einzulassen. Die wenigsten Liebhaber der Musik erkennen dieses; sondern die meisten haben eine Begierde da anzufangen, wo andere aufhören, nämlich mit Concerten und Solo, worinn das Adagio mit vielen Manieren, welche sie doch noch nicht begreifen, ausgezieret wird. Sie halten wohl denjenigen Meister, welcher hierinne freygebiger ist als ein anderer, für den besten. Sie gehen aber hierdurch eher hinter sich, als vor sich; und müssen öfters, wenn sie sich schon viele Jahre gemartert haben, wieder von vorn, nämlich die ersten Gründe zu erlernen, anfangen. Hätten sie anfänglich die gehörige Geduld, welche zu dieser Wissenschaft erfodert wird; so würden sie in ein paar Jahren weiter kommen, als sonst in vielen.

12. §.

Es ist deswegen auch übel gethan, wenn ein Anfänger, ehe er sich noch eine Sicherheit im Tacte und im Notenlesen zuwege gebracht hat, sich öffentlich will hören lassen. Denn, durch die Furcht, welche aus der [94] Ungewißheit entsteht, wird er sich viele Fehler angewöhnen, wovon er sich nicht so leicht wieder befreyen kann.

13. §.

Nachdem sich nun ein Anfänger eine geraume Zeit, auf die oben beschriebene Art, mit der Zunge, den Fingern, und im Tacte geübet hat; so nehme er solche Stücke vor, die mehr singend sind, als die obengedachten, und wo sich sowohl Vorschläge als Triller anbringen lassen: damit er einen Gesang cantabel und nourissant, das ist mit unterhaltener Melodie, spielen lerne. Hierzu sind die französischen, oder die in diesem Geschmacke gesetzeten Stücke viel vortheilhafter, als die italiänischen. Denn die Stücke im französischen Geschmacke sind meistentheils charakterisiret, auch mit Vorschlägen und Trillern so gesetzet, daß fast nichts mehr, als was der Componist geschrieben hat, angebracht werden kann. Bey der Musik nach italiänischem Geschmacke aber, wird vieles der Willkühr und Fähigkeit dessen der spielet, überlassen. In diesem Betrachte ist auch die französische Musik, wie sie in ihrem simpeln Gesange mit Manieren geschrieben ist, wenn man nur die Passagien ausnimmt, sklavischer und schwerer auszuführen, als nach itziger Schreibart die italiänische. Jedoch da zur Ausführung der französischen, weder die Wissenschaft des Generalbasses, noch eine Einsicht in die Composition erfodert wird; da im Gegentheil dieselbe zur italiänischen höchst nöthig ist: und zwar wegen gewisser Gänge, welche in der letztern mit Fleiß sehr simpel und trocken gesetzet werden, um dem Ausführer die Freyheit zu lassen, sie nach seiner Einsicht und Gefallen mehr als einmal verändern zu können, um die Zuhörer immer durch neue Erfindungen zu überraschen: so ist auch dieser Ursachen wegen, einem Anfänger nicht zu rathen, sich vor der Zeit, ehe er noch einige Begriffe von der Harmonie erlanget hat, mit Solo nach dem italiänischen Geschmacke einzulassen; wofern er sich nicht selbst an seinem Wachsthume hinderlich seyn will.

14. §.

Er nehme also, nach der im vorigen §. gegebenen Anweisung, wohl ausgearbeitete, und von gründlichen Meistern verfertigte Duetten und Trio, worinne Fugen vorkommen, zur Uebung vor, und halte sich eine geraume Zeit dabey auf. Es wird ihm zum Notenlesen, zu Haltung des Tactes, und zum Pausiren sehr dienlich seyn. Vorzüglich will ich Telemanns, im französischen Geschmacke gesetzte Trio, deren er viele schon vor dreyßig und mehrern Jahren verfertiget hat, wofern man ihrer, weil [95] sie nicht in Kupfer gestochen sind, habhaft werden kann, zu dieser Uebung vorschlagen. Es scheint zwar die sogenannte gearbeitete Musik, und besonders die Fugen, itziger Zeit, sowohl bey den meisten Tonkünstlern, als Liebhabern, gleichsam als eine Pedanterey in die Acht erkläret zu seyn: vielleicht weil nur wenige den Werth und den Nutzen derselben einsehen. Ein Lehrbegieriger aber muß sich durch Vorurtheile nicht davon abschrecken lassen; er kann vielmehr versichert seyn, daß ihm diese Bemühung zu seinem größten Vortheile gereichen werde. Denn kein vernünftiger Musikus wird läugnen, daß die gute sogenannte gearbeitete Musik eines von den Hauptmitteln sey, welches sowohl zur Einsicht in die Harmonie, als zur Wissenschaft, einen natürlichen und an sich guten Gesang gut vorzutragen, und noch schöner zu machen, den Weg bahne. Man lernet auch hierdurch beym ersten Anblicke treffen, oder wie man saget, vom Blatte (à livre ouvert) spielen: wozu ein anderer, durch bloße einfache melodiöse Stücke, so das Gedächtniß leicht fassen kann, nicht so bald gelangen, sondern lange Zeit ein Sklave des Auswendiglernens verbleiben wird. Ein Flötenist hat zumal weniger Gelegenheit vom Blatte spielen zu lernen, als ein anderer Instrumentist: denn die Flöte wird, wie bekannt, mehr zum Solo, und zu concertirenden, als zu Ripienstimmen gebrauchet. Es ist ihm also zu rathen, wofern er die Gelegenheit darzu haben kann, auch bey öffentlichen Musiken die Ripienstimmen mit zu spielen.

15. §.

Bey Ausübung der Duetten, Trio, u. d. gl. wird einem Anfänger sehr nützlich seyn, wenn er wechselweise bald die erste, bald die zweyte Stimme spielet. Durch die zweyte Stimme lernet er nicht nur, wegen der Imitationen, dem Vortrag seines Meisters am besten nachzuahmen; sondern er gewöhnet sich auch nicht an das Auswendiglernen, welches am Notenlesen hinderlich ist. Er muß das Gehör beständig, auf die so mit ihm spielen, besonders auf die Grundstimme richten: wodurch er die Harmonie, den Tact, und das Reinspielen der Töne desto leichter wird erlernen können. Wofern er aber dieses verabsäumet, bleibt sein Spielen allezeit mangelhaft.

16. §.

Es wird einem Anfänger ein großer Vortheil zuwachsen, wenn er sich, in den Passagien die Arten der Transpositionen, in welchen ein Tact mit dem andern eine Aehnlichkeit hat, wohl bekannt machet. Denn hierdurch kann man öfters eine Fortsetzung derselben, von etlichen Tacten, voraus [96] aus wissen, ohne jede Note besonders anzusehen: welches bey einer großen Geschwindigkeit nicht allezeit möglich ist.

17. §.

Hat sich nun ein Anfänger eine geraume Zeit mit Passagien, und gearbeiteten Stücken geübet; die Zunge und die Finger geläufig, und das, was ich bisher gelehret habe, sich so bekannt gemacht, daß es ihm gleichsam zur andern Natur geworden: so kan er alsdenn einige im italiänischen Geschmacke gesetzete Solo und Concerten vornehmen; doch solche, in denen das Adagio nicht gar zu langsam geht, und die Allegro mit kurzen und leichten Passagien gesetzet sind. Er suche den simpeln Gesang im Adagio, mit Vorschlägen, Trillern, und kleinen Manieren, so wie in den beyden vorigen Hauptstücken gelehret worden, auszuzieren; und fahre damit so lange fort, bis ihm der Gebrauch davon geläufig wird, und er im Stande ist einen simpeln Gesang, ohne vielen willkührlichen Zusatz, proper und gefällig zu spielen. Scheint ihm aber diese Art der Auszierung, bey manchem Adagio, das etwan sehr platt und trocken gesetzet ist, nicht zulänglich zu seyn; so will ich ihm auf das XIII. und XIV. Hauptstück, von den willkührlichen Veränderungen, und von der Art das Adagio zu spielen, verwiesen haben, woraus er sich mehrern Rath wird erholen können.

18. §.

Hierbey wird er zu desto größerer Vollkommenheit gelangen, wenn er nebst der Flöte, wo nicht die Setzkunst, doch zum wenigsten die Wissenschaft des Generalbasses erlernet. Hat er Gelegenheit die Singkunst entweder vor, oder wenigstens gleich mit der Flöte zu erlernen: so will ich ihm dieses besonders anrathen. Er wird dadurch desto leichter einen guten Vortrag im Spielen erlangen; und bey vernünftiger Auszierung eines Adagio, wird ihm die Einsicht in die Singkunst besonders großen Vortheil geben. Er wird also nicht ein purer Flötenspieler allein bleiben; sondern dadurch sich auch den Weg bahnen, mit der Zeit ein Musikus, in eigentlichem Verstande, zu werden.

19. §.

Damit aber ein Anfänger auch von dem Unterschiede des Geschmackes in der Musik einen allgemeinen Begriff erlangen möge, ist nicht genug, daß er nur Stücke, so für die Flöte gesetzet sind, in Uebung bringe: er muß sich vielmehr auch verschiedener Nationen und Provinzen ihre charakterisirten Stücke bekannt machen; und jedes davon in seiner Art [97] spielen lernen. Dieses wird ihm mit der Zeit mehr Vortheil schaffen, als er gleich im Anfange einzusehen vermögend ist. Die Verschiedenheit der charakterisirten Stücke findet sich bey der französischen und deutschen Musik mehr, als bey der italiänischen, und einigen andern. Die italiänische Musik ist weniger als alle andere, die französische aber fast gar zu viel eingeschränket: woraus vielleicht fließet, daß in der französischen Musik das Neue mit dem Alten öfters eine Aehnlichkeit zu haben scheinet. Doch ist die französische Art im Spielen nicht zu verachten: sondern einem Anfänger vielmehr anzurathen, ihre Propretät und Deutlichkeit, mit der italiänischen Dunkelheit im Spielen, welche mehrentheils durch den Bogenstrich, und den überflüßigen Zusatz von Manieren, worinne die italiänischen Instrumentisten zu viel, die Franzosen überhaupt aber zu wenig thun, verursachet wird, zu vermischen. Sein Geschmack wird dadurch allgemeiner werden. Der allgemeine gute Geschmack aber ist nicht bey einer einzelnen Nation, wie zwar jede sich desselben schmeichelt, anzutreffen: man muß ihn vielmehr durch die Vermischung, und durch eine vernünftige Wahl guter Gedanken, und guter Arten zu spielen, von verschiedenen Nationen zusammen tragen, und bilden. Jede Nation hat in ihrer musikalischen Denkart sowohl etwas angenehmes, und gefalliges, als auch etwas widerwärtiges. Wer nun das Beste zu wählen weiß; den wird das Gemeine, Niedrige und Schlechte nicht irre machen. Im XVIII. Hauptstücke werde ich hiervon weitläuftiger handeln.

20. §.

Ein Anfänger muß deswegen auch suchen, so viel gute Musiken, welche einen allgemeinen Beyfall finden, anzuhören, als er nur immer kann. Hierdurch wird er sich den Weg zum guten Geschmacke in der Musik, sehr erleichtern. Er muß suchen nicht allein von einem jeden guten Instrumentisten, sondern auch von guten Sängern zu profitiren. Er muß sich deswegen erstlich die Töne wohl ins Gedächtniß fassen; und wenn er z. E. jemanden auf der Flöte spielen höret, muß er sogleich den Hauptton, woraus gespielet wird, bemerken; um die folgenden desto leichter beurtheilen zu können. Um zu wissen ob er den Ton errathen habe, kann er zuweilen auf die Finger des Spielenden sehen. Es wird ihm dieses Errathen jeder Töne noch leichter werden, wenn er sich zuweilen, von seinem Meister, ganz kleine und kurze Passagien vorspielen läßt; um solche, ohne auf desselben Finger zu sehen, nachzumachen: und hiermit muß er so lange fortfahren, bis er im Stande ist, alles was er höret gleich nachzuspielen. [98] Auf diese Art wird er also das Gute, so er von einem und dem andern höret, nachahmen, und sich zu Nutze machen können. Noch leichter wird ihm dieses werden, wenn er zugleich von dem Claviere und der Violine etwas versteht: weil doch selten eine Musik ohne die gedachten Instrumente aufgeführet wird.

21. §.

Von guten musikalischen Stücken sammle sich ein Anfänger so viel, als er nur immer haben kann, und nehme sie zu seiner täglichen Uebung vor: so wird sich auch dadurch sein Geschmack, nach und nach, auf eine gute Art bilden; und er wird das Böse vom Guten unterscheiden lernen. Wie jedes Stück, wenn es gut seyn soll, beschaffen seyn müsse, davon wird man im XVIII. Hauptstücke dieser Anweisung die nöthigsten Nachrichten finden. Ein Anfänger thut wohl, wenn er lauter Stücke zu seiner Uebung erwählet, die dem Instrumente gemäß, und von solchen Meistern verfertiget worden sind, deren Verdienste man an mehr als einem Orte kennet. Er darf sich nicht daran kehren, ob ein Stück ganz neu, oder schon etwas alt ist. Es sey ihm genug, wenn es nur gut ist. Denn nicht alles, was neu ist, ist deswegen auch zugleich schön. Er hüte sich vornehmlich vor[WS 1] den Stücken der selbst gewachsenen Componisten, welche die Setzkunst weder durch mündliche, noch durch schriftliche Anweisung erlernet haben: denn darinne kann weder ein Zusammenhang der Melodie, noch richtige Harmonie anzutreffen seyn. Die meisten laufen auf einen Mischmasch von entlehnten und zusammen gestickten Gedanken hinaus. Viele von diesen selbst gewachsenen Componisten machen nur die Oberstimme selbst, die übrigen lassen sie sich von andern dazu setzen. Es ist demnach leicht zu erachten, daß weder eine ordentliche Verbindung der Gedanken, noch eine ordentliche Modulation beobachtet worden sey; und daß folglich die übrigen Stimmen, an vielen Orten, haben hinein gezwungen werden müssen. Auch den Stücken der neuangehenden Componisten ist in diesem Punkte nicht allzuviel zu trauen. Hat aber einer die Setzkunst ordentlich, und zwar von einem solchen, der die Fähigkeit hat andere zu unterweisen, erlernet, und versteht vierstimmig rein zu setzen, so kann man zu seinen Arbeiten ein besseres Vertrauen fassen.

22. §.

Ein Anfänger muß sich besonders befleißigen, daß er alles was er spielet, es mögen geschwinde Paßagien im Allegro, oder Manieren im Adagio, oder noch andere Noten seyn, deutlich, und rund spielen lerne. [99] Hierunter wird verstanden: daß man nicht über die Noten weg stolpere; und etwan anstatt eines Fingers, deren zweene oder drey zugleich aufhebe oder niederlege; und also etliche Noten verschlucke: sondern daß jede Note durch das ganze Stück, nach ihrer wahren Geltung, und nach dem rechten Zeitmaaße gespielet werde. Kurz, er muß sich bemühen einen guten Vortrag, wovon in den folgenden Hauptstücken weitläufiger gehandelt werden wird, zu erlangen. Dieser gute Vortrag ist das Nöthigste, aber auch das Schwerste im Spielen. Fehlet es hieran, so bleibt das Spielen, es mag auch so künstlich und verwundernswürdig scheinen, als es immer will, doch allezeit mangelhaft; und der Spieler erlanget niemals den Beyfall der Kenner. Deswegen muß ein Anfänger sein Spielen mit einer beständigen Aufmerksamkeit verknüpfen, und Acht haben, ob er auch jede Note so höre, wie er sie mir den Augen sieht, und wie ihre Geltung und Ausdruck erfodert. Das Singen der Seele, oder die innerliche Empfindung, giebt hierbey einen großen Vortheil. Ein Anfänger muß demnach suchen, nach und nach diese Empfindung bey sich zu erwecken. Denn sofern er von dem was er spielet nicht selbst gerühret wird; so hat er nicht allein von seiner Bemühung keinen Nutzen zu hoffen; sondern er wird auch niemals iemand andern durch sein Spielen bewegen: welches doch eigentlich der Entzweck seyn soll. Nun kann zwar dieses von keinem Anfänger in einer Vollkommenheit gefodert werden; weil derselbe noch zu viel auf die Finger, die Zunge, und den Ansatz zu denken hat: auch mehr Zeit als ein paar Jahre dazu gehören. Dem ungeachtet muß doch ein Anfänger sich bey Zeiten bemühen daran zu gedenken; um in keine Kaltsinnigkeit zu verfallen. Er muß sich bey seinen Uebungen immer vorstellen, er habe solche Zuhörer vor sich, diesem Glück befördern können.

23. §.

Die Zeit, wie lange ein Anfänger täglich zu spielen nöthig hat, ist eigentlich nicht zu bestimmen. Einer begreift eine Sache leichter, als ein anderer. Es muß sich also hierinne ein jeder nach seiner Fähigkeit, und nach seinem Naturelle richten. Doch ist zu glauben, daß man auch hierinne entweder zu viel, oder zu wenig thun könne. Wollte einer, um bald zu seinem Zwecke zu gelangen, den ganzen Tag spielen: so könnte es nicht nur seiner Gesundheit nachtheilig seyn; sondern er würde auch, vor der Zeit, sowohl die Nerven als die Sinne abnutzen. Wollte er es aber bey einer Stunde des Tages bewenden lassen: so möchte der Nutzen sehr spät erfolgen. Ich halte dafür, daß es weder zu viel, noch zu wenig sey, wenn [100] ein Anfänger zwo Stunden Vormittags, und eben so viele Nachmittags, zu seiner Uebung aussetzete: aber auch unter währender Uebung, immer ein wenig ausruhete. Wer es aber endlich dahin gebracht hat, daß er alle vorkommende Passagien, ohne Mühe, reinlich und deutlich heraus bringen kann: für den ist zu seinen besondern Uebungen eine Stunde des Tages zulänglich; um den Ansatz, die Zunge, und die Finger in gehöriger Ordnung zu erhalten. Denn durch das überflüßige Spielen, zumal wenn man schon gewiße Jahre erreichet hat, entkräftet man den Leib; man nutzet die Sinne ab; und verliehret die Lust und Begierde eine Sache mit rechtem Eifer auszuführen. Durch das allzulange anhaltende Schlagen der Triller, werden die Nerven der Finger steif: so wie ein Messer scharticht wird, wenn man es immerfort schleift, ohne zuweilen damit zu schneiden. Wer sich nun in allem diesem zu mäßigen weis, der genießet den Vortheil, die Flöte einige Jahre länger, als sonst, zu spielen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: für
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