Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen/VII. Hauptstück
← VI. Hauptstück | Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen (1752) von Johann Joachim Quantz VII. Hauptstück |
VIII. Hauptstück → |
Den Athem zu rechter Zeit zu nehmen, ist bey Blasinstrumenten, so wie beym Singen, eine sehr nöthige Sache. Durch dessen Misbrauch, welchen man doch bey vielen wahrnimmt, werden Melodien, welche an einander hängen sollen, öfters zerrißen; die Composition wird verstümmelt; und der Zuhörer eines Theils von seinem Vergnügen beraubet. Es ist eben so schlimm, wenn man etliche Noten, die zusammen gehören, zertrennet; als wenn man im Lesen, ehe der Sinn aus ist, oder gar zwischen einem Worte von zwo oder drey Sylben, Athem holen wollte. Das letztere geschieht zwar im Lesen nicht; das erstere aber im Blasen sehr oft.
Da aber auch nicht allemal möglich ist, alles was zusammen gehöret, in einem Athem zu spielen: weil entweder die Composition nicht immer mit gehöriger Behutsamkeit dazu eingerichtet ist; oder weil der, welcher sie ausführet, nicht Fähigkeit genug besitzt, den Athem zu sparen: so will ich hier einige Exempel anführen, aus welchen man wird abnehmen können, bey was für Noten am füglichsten Athem könne genommen werden. Hieraus ziehe man sich in der Folge allgemeine Regeln.
Die geschwindesten Noten von einerley Geltung, in einem Stücke, müssen etwas ungleich gespielet werden; wie solches im XI. Hauptstücke, und dessen 11. §. weitläuftiger abgehandelt wird, welches man hierbey nachlesen wolle. Hieraus fließet die Regel, daß man den Athem zwischen einer langen und kurzen Note nehmen müsse. Niemals darf es nach einer kurzen, vielweniger nach der letzten Note im Tacte geschehen: denn man mag dieselbe auch so kurz stoßen als man will; so wird sie doch durch das Athemholen lang. Hiervon werden die Triolen ausgenommen, wenn sie stufenweise auf- oder niederwärts gehen, und sehr geschwind gespielet werden müssen. Bey diesen erfodert es öfters die Nothwendigkeit, nach der letzten Note im Tacte Athem zu nehmen. Findet sich aber nur ein Sprung von einer Terze, u. d. g. so kann es zwischen dem Sprunge geschehen.
Wenn ein Stück mit einer Note im Aufheben des Tactes anfängt; die Anfangsnote mag nun die letzte Note im Tacte seyn, oder es mag vor derselben noch eine Pause im Niederschlage stehen: oder wenn eine Cadenz gemachet worden, und sich ein neuer Gedanke anfängt: so muß man bey Wiederholung des Hauptsatzes, oder beym Anfange des neuen Gedanken, vorher Athem holen; damit die Endigung des vorigen, und der Anfang des folgenden, von einander gesondert werden.
Hat man eine Note von einem oder mehr Tacten auszuhalten; so kann man vor der haltenden Note Athem holen, wenn auch gleich eine kurze Note vorher geht. Wenn an dieselbe lange Note noch ein Achttheil gebunden ist, und auf dieses zwey Sechzehntheile, und wieder eine gebundene Note folgen, s. Tab. V. Fig. 16; so kann man aus dem ersten Achttheile zwey Sechzehntheile, doch auf eben demselben Tone, machen, s. Tab. V. Fig. 17; und zwischen denselben den Athem nehmen. Auf gleiche Art kann man bey allen gebundenen Noten, (Ligaturen), sie mögen Viertheile, Achttheile, oder Sechzehntheile seyn, so oft es nöthig ist, verfahren. Folget aber auf diese Bindung nach der halben Note weiter keine andere mehr, s. Fig. 18; so kann man nach der, an die lange gebundenen Note, Athem holen, ohne sie in zwo Noten zu zertheilen.
[75]
Um lange Passagien zu spielen, ist nöthig, daß man einen guten Vorrath von Athem langsam in sich ziehe. Man muß zu dem Ende den Hals und die Brust weit ausdehnen; die Achseln in die Höhe ziehen; den Athem in der Brust, so viel als möglich ist, aufzuhalten suchen; und ihn alsdenn ganz sparsam in die Flöte blasen. Findet man sich aber dennoch genöthiget, zwischen geschwinden Noten Athem zu holen: so muß man die Note, nach welcher es geschehen soll, sehr kurz machen; den Athem in der Geschwindigkeit nur bis an die Gurgel ziehen; und die folgenden zwo oder drey Noten etwas übereilen: damit der Tact nicht aufgehalten werde, und auch keine Note verlohren gehe. Glaubet man aber im Voraus, nicht im Stande zu seyn, die Passagie in einem Athem auszuspielen; so thut man wohl, wenn man es nicht aufs äußerste ankommen läßt, sondern bey Zeiten mit Vortheil Athem holet. Denn ie öfter man in der Geschwindigkeit Athem nimmt; ie unbequemer wird derselbe, und ie weniger hilft er.
Aus folgenden Exempeln, von der 19. Figur an, bis zu Ende der V. Tabelle, wird man deutlich sehen können, bey was für Noten man am füglichsten Athem holen könne. Es sind allezeit diejenigen, über welchen ein Strich steht. Doch versteht sich von selbst, daß man nicht allezeit, so oft dergleichen Noten vorkommen, sondern nur alsdenn, wenn es die Noth erfodert, Athem holen müsse.
Ob dieses nun gleich bey dem ersten, zweyten, dritten, und letzten Viertheile eines jeden Tactes geschehen kann; so ist es doch allezeit besser bey dem ersten Viertheile, und zwar nach dessen ersten Note: Es wäre denn, daß die ersten vier Noten stufenweise giengen, die folgenden aber sprängen. Denn bey weiten Intervallen schicket sich das Athemholen am besten.
Man mache sich die Exempel von der 16. Figur der V. Tabelle an, bis zu Ende derselben, recht bekannt; so wird man daraus den Athem am rechten Orte nehmen lernen; und dadurch, sich bey allen vorkommenden Passagien helfen zu können, mit der Zeit fähig werden.
Wenn es der Raum erlaubete, verdienete diese Materie vom Athemholen wohl, mit noch mehrern Exempeln erläutert zu werden: weil so wohl [76] Sänger, als Blasinstrumentisten hierinne so häufige Fehler begehen. Allein wer wollte alle Falle bestimmen, wo man öfters mit einem Athem nicht so lange aushalten kann, als es wohl seyn sollte. Die Ursachen davon sind so verschieden, daß es nicht allemal möglich ist zu sagen, ob der Componist, oder der Ausführer, oder der Ort wo man singt oder spielet, oder die Furcht, welche eine Beklemmung der Brust verursachet, Schuld daran seyn, daß man nicht allemal den Athem zu rechter Zeit nehmen kann. So viel ist gewiß, daß man, wenn man vor sich allein singt oder spielet, zum wenigsten, wo nicht zweymal, doch noch einmal so viel in einem Athem heraus bringen kann, als wenn man in Gegenwart vieler Zuhörer singen oder spielen muß. Im letztern Falle ist es nun nöthig, daß man sich aller möglichen Kunstgriffe zu bedienen wisse, welche nur immer die Einsicht in die Ausführungskunst hier darreichet. Man bemühe sich also, vollkommen einsehen und begreifen zu lernen, was einen musikalischen Sinn ausmache, und folglich zusammen hängen müsse. Man hüte sich eben so sorgfältig, das was zusammen gehöret, zu zertrennen; als man sich in Acht nehmen muß, das was mehr als einen Sinn in sich begreift, und folglich von einander abzusondern ist, kettenweis zusammen zu hengen: denn hierauf kömmt ein großer Theil des wahren Ausdrucks in der Ausführung, an. Diejenigen Sänger und Blasinstrumentisten, welche nicht fähig sind, den Sinn des Componisten einzusehen, (derer giebt es aber eine große Menge,) sind immer der Gefahr ausgesetzet, hier Fehler zu begehen, und ihre Schwäche zu verrathen. Ueberhaupt aber haben die Seyteninstrumentisten, in diesem Stücke, einen großen Vortheil vor jenen voraus; wofern sie sich nur nach der oben erfoderten Einsicht bestreben, und sich durch die schlechten Beyspiele dererjenigen, die alles, ohne Unterschied, auf eine leyernde Art zusammen hengen, nicht verführen lassen wollen.
← VI. Hauptstück | Nach oben | VIII. Hauptstück → |
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext. |