Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen/IV. Hauptstück
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Von dem Ansatze,
(Embouchure.)
Die Structur der Flöte hat eine Aehnlichkeit mit der Luftröhre; und die Bildung des Tones in der Flöte, ist der Bildung des Tones in der menschlichen Luftröhre ähnlich. Die Menschenstimme wird durch das Herausstoßen der Luft aus der Lunge, und durch die Bewegung des Kopfes der Luftröhre gewirket. Die verschiedene Stellung der Theile des Mundes, als des Gaumen, des Zapfens, der Wangen, der Zähne, der Lippen, ingleichen auch der Nase, machet, daß der Ton auf verschiedene Art, entweder gut oder schlecht, hervorgebracht wird. Wenn man die Oeffnung der Luftröhre, vermittelst der dazu gehörigen Muskeln erweitert, und also die fünf Knorpel, aus welchen der Kopf der Luftröhre besteht, unterwärts zieht; wobey gedachter Kopf zugleich etwas kürzer wird: wenn man ferner dabey die Luft etwas langsam aus der Lunge heraus stößt: so entsteht daraus ein tiefer Ton; welcher desto tiefer ist, je mehr sich die Oeffnung der Luftröhre erweitern läßt. Wenn man hingegen die Oeffnung der Luftröhre durch Hülfe anderer hierzu bestimmter Muskeln zusammen zieht, und die oben gedachten fünf Knorpel des Kopfes derselben sich folglich in die Höhe geben, wodurch die Luftröhre etwas enger und länger wird; wenn man zugleich die Luft mit mehrerer Geschwindigkeit aus der Lunge heraus treibt: so entsteht daraus ein hoher Ton: und je enger diese Oeffnung wird, je höher ist der Ton. Wenn man die Zunge an den Gaumen drücket; oder wenn man die Zähne einbeißet, daß der Mund nicht genug geöffnet ist: so wird dadurch der Ton verhindert, und nehmen daher die Hauptfehler des Singens, nämlich die sogenannte Gurgel- und Nasenstimme ihren Ursprung.
Auf der der Flöte wird der Ton durch die Bewegung der Lippen, nachdem man dieselben, bey der Herausstoßung des Windes in das Mundloch [41] der Flöte, mehr oder weniger zusammen zieht, gebildet. Der Mund und seine Theile aber können ebenfalls den Ton auf vielerley Art verändern. Man hat sich also dabey ebenfalls, von allen hier möglichen Fehlern, welche weiter unten angezeiget werden sollen, zu hüten; damit man nicht auch die obengemeldeten Fehler einiger Menschenstimmen nachahme.
Ueberhaupt ist auf der Flöte der Ton (sonus) der allergefälligste, welcher mehr einem Contralt als Sopran; oder welcher denen Tönen, die man bey dem Menschen die Bruststimme nennet, ähnlich ist. Man muß sich, so viel als möglich ist, bemühen, den Ton derjenigen Flötenspieler zu erreichen, welche einen hellen, schneidenden, dicken, runden, männlichen, doch dabey angenehmen Ton, aus der Flöte zu ziehen wissen.
Vieles kömmt dabey auf das Instrument selbst an; ob solches auch wegen des Tones die gehörige Aehnlichkeit mit der Menschenstimme in sich hat. Fehlet es hieran; so ist kein Mensch vermögend, durch die Geschicklichkeit der Lippen, den Ton zu verbessern: so wenig ein guter Sänger seine von Natur schlechte Stimme schön machen kann. Einige Flöten geben einen starken und dicken; andere einen schwachen und dünnen Ton von sich. Die Stärke und Helligkeit des Tones rühret von der Beschaffenheit des Holzes, wenn es nämlich dicht oder compact, hart und schwer ist. Der dicke und männliche Ton rühret von der inwendigen Weite der Flöte, und von der proportionirlichen Dicke des Holzes her. Der dünne schwache Ton entspringt von dem Gegentheile; wenn nämlich das Holz porös und leicht, der inwendige Bau der Flöte enge, und die Flöte schwach von Holze ist. Die Reinigkeit der Octaven rühret nur allein von dem inwendigen Baue her, welcher jedoch auch zur Schönheit und Annehmlichkeit des Tones viel beyträgt. Wenn die Flöte zu sehr verjünget zugeht: so werden die hohen Töne gegen die tiefen zu hoch. Ist aber die inwendige Weite zu wenig verjünget: so werden die hohen Töne gegen die tiefen zu tief. Das Mundloch muß ebenfalls gut geschnitten seyn. Die reine Stimmung von einem Tone zum andern, kömmt auf einen festen und sichern Ansatz, und auf ein gut musikalisch Gehör an; auch daß man die Verhältniß der Töne wohl verstehe. Wer bey dieser Erkenntniß die Flöte auch zugleich gut spielet, der ist im Stande, eine gute und reingestimmte Flöte zu machen. Weil aber dieses den meisten Flötenmachern fehlet; so [42] ist es nicht nur was rares, einer guten Flöte habhaft zu werden; sondern auch dadurch, bey öfterm Spielen, ein gutes Gehör zu erlangen. Es ist demnach ein großer Vortheil für einen Flötenspieler, wenn derselbe die Einsicht selbst Flöten zu verfertigen, oder wenigstens abzustimmen, besitzt. Eine neue Flöte schwindet durch das Blasen zusammen, und verändert sich mehrentheils an ihrem inwendigen Baue; folglich muß sie wieder nachgebohret werden, um die Reinigkeit der Octaven zu erhalten. Man hat vor alten Zeiten, eine irrige Meynung gehabt, wenn man geglaubet, daß nur ein schlechter, nicht aber ein guter Spieler ein Instrument verderben, oder durch das Blasen falsch machen könne: da doch das Holz sowohl bey dem einen, als bey dem andern sich verändert; man mag stark oder schwach, die Töne rein oder falsch spielen. Ueberhaupt hat eine ausgespielte Flöte, in so fern sie an sich gut, und rein abgestimmet ist, allezeit einen Vorzug vor einer neuen. Hat nun jemand eine Flöte von allen hier erzählten guten Eigenschaften; so ist er glücklich: denn ein gutes und rein gestimmtes Instrument ist halb gespielet.
Oefters aber liegt es dem ungeachtet mehr am Spieler, als am Instrumente. Wenn viele Personen, einer nach dem andern, auf eben demselben Instrumente spielen; so wird man finden, daß ein jeder einen besondern Ton, so sich von andern unterscheidet, hervorbringt. Dieses aber rühret alsdenn nicht von dem Instrumente, sondern von dem der es spielet, her. Mancher besitzt die Gabe sowohl die Stimme als auch die Sprache anderer Menschen nachzumachen. Wenn man es aber genau untersuchet, so findet man dennoch, daß es nicht die Stimme selbst sondern nur eine Nachahmung ist. Hieraus folget, daß sowohl eine besondere Stimme, als auch ein besonderer Ton auf Instrumenten, in einem jeden Menschen von Natur liegen müsse, welche er nicht gänzlich verändern kann. Ich will nicht in Abrede seyn, daß man durch vielen Fleiß, und genaues Aufmerken, den Ton ändern, und die Aehnlichkeit mit dem Tone eines andern in etwas erlangen könne; zumal wenn es gleich vom Anfange geschieht; Doch weis ich aus eigener Erfahrung, daß wenn auch zwo Personen viele Jahre mit einander spielen, dennoch des einen sein Ton von dem andern immmer etwas unterschieden bleibt. Solches zeiget sich nicht nur bey der Flöte allein; nicht nur bey allen Instrumenten deren Ton durch den Ansatz und den Bogenstrich hervorgebracht, wird: [43] sondern auch sogar der Clavicymbal und die Laute sind davon nicht ausgeschlossen.
Es wird ein jeder erfahren, daß man den Ansatz auf der Flöte nicht allezeit überein, und gleich gut hat; sondern daß der Ton immer einmal heller und angenehmer ist, als das anderemal. Bisweilen ändert sich der Ton in währendem Spielen, wenn die Schärfe des Randes von dem Mundloche, auf der Lippe, einen tiefern Eindruck gemachet hat; bisweilen ändert er sich nicht. Dieses rühret also von der Beschaffenheit der Lippen her. Die Witterung, gewisse Speisen und Getränke, eine innerliche Hitze, und andere Zufälle mehr, können sehr leicht die Lippen auf eine Zeitlang verderben; daß sie entweder zu hart, oder zu weich, oder auch aufgeschwollen sind. Bey diesen Umständen ist weiter nichts als die Geduld, und Vermeidung derer Dinge, so hierinne schädlich seyn können, anzurathen.
Man kann also hieraus abnehmen, daß es keine leichte Sache sey, vom Ansatze gewiße und bestimmte Regeln zu geben. Mancher bekömmt solchen durch eine natürliche Fähigkeit ganz leicht; mancher mit vieler Mühe; mancher fast gar nicht. Auf die natürliche Beschaffenheit und das Gewächs der Lippen und Zähne kömmt hierbey viel an. Wenn die Lippen sehr dick, die Zähne aber kurz und ungleich sind; so verursachet solches viel Schwierigkeit. Dem ungeachtet will ich mich bemühen davon so viel zu sagen, als möglich ist.
Wenn man die Flöte an den Mund setzet, so ziehe man erst die Backen ein, damit die Lippen glatt werden. Hierauf setze man die Oberlippe über das Mundloch, an den Rand desselben. Die Unterlippe drücke man an die obere; und ziehe die untere alsdenn von oben an dem Mundloche herunter, bis man fühlet, daß der unterste Rand des Mundloches fast mitten auf dem Rothen der Unterlippe sich befindet; und das Loch, nachdem die Flöte vorher von der Oberlippe etwas abgewendet worden, von der Unterlippe halb bedecket wird. Die Luft muß, im Blasen, halb in das Mundloch, und halb über daßelbe weggehen; damit die Schärfe des Mundloches dieselbe zerschneide: denn eben hierdurch wird der Klang verursachet. Wenn aber das Loch zu weit offen bleibt; so wird der Ton zwar stark, aber dabey unangenehm und hölzern; bedecket [44] man es hingegen mit der Unterlippe zu viel, und hält den Kopf dabey nicht in die Höhe; so wird der Ton zu schwach, und nicht hell genug. Das allzufeste Zusammendrücken der Lippen und Zähne machet den Ton zischend; durch das überflüßige Ausdehnen des Mundes und der Kehle wird er dumpfig.
Das Kinn und die Lippen müssen sich im Blasen beständig, nach dem Verhalte der steigenden und fallenden Noten, vor- oder rückwärts bewegen. Von dem zweygestrichenen D an, bis an das eingestrichene D, müßen die Lippen nach und nach zurück an die Zähne gezogen, und der Lippen Oeffnung etwas länger und weiter gemachet werden: damit man in der Tiefe einen dicken und schneidenden Ton heraus bringen könne. Von dem zweygestrichenen D bis in das dreygestrichene D, muß das Kinn und beyde Lippen, nach und nach, vorwärts von den Zähnen abgeschoben werden; doch so, daß die Unterlippe gegen der obern ein wenig vorstehe, und die Oeffnung der Lippen etwas schmaler und enger werde. Man drücke die Lippen aber nicht zu fest auf einander; damit das Zischen der Luft nicht gehöret werde.
Wer sehr dicke Lippen hat, der thut wohl, wenn er den Ansatz um ein klein wenig mehr auf der linken Seite suchet; nicht aber ganz mitten auf den Lippen: denn der Wind bekömmt alsdenn mehr Schärfe, wenn er zur linken des Mundloches in den Winkel gebracht wird; wie solches die Erfahrung besser, als man es beschreiben kann, zeiget.
Ich will eine Richtschnur geben, wie viel man bey einer jeden Octave, das Kinn und die Lippen zurück zu ziehen, oder vorwärts zu schieben hat. Man betrachte das abgezeichnete Mundloch (Embouchure) s. Tab. II. Fig. 2. welches zugleich die gehörige Größe, so es auf der Flöte haben muß, darstellet. In demselben wird man vier Querlinien erblicken. Die zweyte Linie von unten zeiget die Mitte, und wie weit das Mundloch, zu dem zweygestrichenen D, mit der Lippe bedecket werden müsse. Die unterste Linie weiset, wie weit man beyde Lippen auf dem Mundloche zurück ziehen müsse, wenn man das eingestrichene D angeben will. Die dritte Linie zeiget, wie weit man die Lippen zu dem dreygestrichenen D vorwärts zu schieben habe. Und die vierte Linie, wo der Zwischenraum nur halb so viel beträgt, lehret, wie weit man die Lippen [45] zu dem dreygestrichenen G noch weiter vorwärts schieben müsse, als es sonst zum dreygestrichenen D nöthig ist. Die Oeffnung des Mundloches bleibt alsdenn nicht größer, als hier der Raum zwischen der vierten Linie und dem Cirkel ausweiset. Weil die Bewegung der Lippen durch eine Octave keine größere Weite einnimmt, als der Raum zwischen den hier befindlichen Linien ausmachet: so ist auch nicht möglich, die dazwischen vorkommenden sechs Töne, mit eigenen Linien zu bezeichnen. Man muß solche vielmehr durch die Beurtheilungskraft, und das Gehör zu treffen bemühet seyn.
Wenn man nun anfangen will sich den Ansatz zu machen, und obengedachtermaßen die Flöte so an die Lippen gesetzet hat, daß das Mundloch bis an die zweyte Linie, das ist halb, bedecket ist: so blase man auf solche Art, ohne die Finger auf die Löcher zu setzen, so lange in demselben Ansatze, bis die Unterlippe so zu sagen müde wird; und der unterste Rand des Mundloches einen Eindruck auf derselben gemachet hat. Diesen Eindruck von der Schärfe des Randes verändere man weder seitwärts, noch in gerader Linie: damit man das Gefühl bekomme, denselben Ort gleich wieder zu finden; um den Ton, ohne viel Mühe, bald angeben zu können. Auf diese Art wird sich das zweygestrichene D hören laßen. Man spiele hierauf, in der ersten Octave, die Töne nach einander unterwärts, bis in das eingestrichene D, und ziehe die Lippen nebst dem Kinn, bey jedem Tone, nach oben angezeigtem Verhalt, zurück, bis an die unterste Linie. Alsdenn kehre man es um, und spiele dieselben Töne wieder nach einander aufwärts, bis an das vorige zweygestrichene D; und schiebe die Lippen nebst dem Kinn eben so vorwärts, wie man solche vorher zurück gezogen hatte. Mit dieser Uebung unterhalte man sich so lange, bis man diese Töne alle, nacheinander, sicher heraus bringen kann.
Von da an spiele man die folgenden hohen Töne, bis in das dreygestrichene D; und schiebe dabey das Kinn und die Lippen vorwärts, von den Zähnen ab, bis an die dritte Linie; in eben dem Verhalt, wie in der tiefen Octave, bis an die zweyte Linie, geschehen. Ferner schiebe man das Kinn und die Lippen von der dritten Linie noch weiter vorwärts, bis an die vierte Linie: so werden die dreygestrichenen Töne, bis an das G, ganz gemächlich zur Ansprache gebracht werden können. Doch [46] kann dieses letztere nicht eher verlanget werden, als bis man die ersten zwo Octaven, schon mit einer Leichtigkeit, heraus zu bringen fähig ist.
Bey denen im vorigen § gemeldeten Tönen darf der Wind keinesweges verstärket oder verdoppelt werden: wie Mr. Vaucanson, in seinem mechanischen Flötenspieler, irrig lehret; indem er vorgiebt, daß man die Octaven, auf der Flöte traversiere, nicht anders als auf solche Art, heraus bringen könne. Sie müßen vielmehr durch das Zusammenpressen der Luft in dem Mundloche der Flöte, welches aus dem Vorwärtsschieben des Kinns und der Lippen entsteht, gewirket werden: und ist jenes also eine ganz falsche und schädliche Meynung. Das Gegentheil erhellet auch daraus, weil man in der Höhe mit dem Athem länger aushalten kann, als in der Tiefe; und also unmöglich mehr Wind drauf gehen kann. Ich gebe zu, daß die Art des Herrn Vaucanson, bey einer Flöte, so durch eine Maschine gespielet wird, nöthig sey: weil hier die Bewegungen der Lippen eingeschränket sind. Ich weis aber auch aus der Erfahrung, daß bey solchen mechanischen Flötenspielern, die Regel, daß die tiefen Töne stark, und die hohen hingegen schwach gespielet werden müssen, nicht beobachtet wird. Sollten nun die Octaven durch die Stärke und Verdoppelung des Windes herausgebracht werden; so würde folgen, daß die hohen Töne stärker, als die tiefen angeblasen werden müßten: welches aber wider die Eigenschaft der Flöte ist, und die hohen Töne überaus rauh und unangenehm machet. Man muß sich also dadurch auf keinen Irrweg verführen laßen.
Es ist wahr; es giebt viele Flötenspieler, so wider diese Regeln handeln. Dieses fließt aus dem schlechten Ansatze, den sie haben: daß sie nämlich das Mundloch nicht bis an die Hälfte mit der Lippe bedecken; sondern daßelbe zu weit offen laßen: wodurch sie des Vortheils beraubet werden, in den tiefen Tönen die Lippen zurück zu ziehen, und in den hohen Tönen dieselben genugsam vorwärts zu schieben. Weil also das Mundloch zu weit offen ist: so müssen sie die hohen Töne, aus Noth, durch stärkeres Blasen heraus zwingen. Sie wißen auch nichts von der nöthigen Bewegung des Kinns und der Lippen; sondern lassen dieselben beständig unbeweglich stehen: da doch das Reinspielen der Flöte von dieser Bewegung großen Theils abhängt. Durch mehrere oder wenigere Oeffnung des Mundloches, kann man die Flöte, einen Viertheil, einen [47] halben, oder auch wohl einen ganzen Ton tiefer und höher spielen: und in der Flöte muß der innerliche Bau so beschaffen seyn, daß die Octaven etwas über sich schweben; damit man, wenn man selbige nach dem Gehöre rein spielen will, verbunden sey, die tiefen Töne stärker, die höhern aber schwächer anzublasen; um die über sich schwebenden Octaven, zu ihrer vollkommenen Reinigkeit zu bringen: welches aber auf keine andere Art, als durch die Bewegung des Kinns und der Lippen geschehen kann. Wird das Mundloch mit der Unterlippe so viel bedecket, als zu den hohen Tonen nöthig ist: so kann man die tiefen weder stark noch rein spielen. Zieht man aber die Lippe so weit zurück, als es die tiefen Tone erfordern; und spielet ohne Bewegung des Kinns und der Lippen in den hohen Tönen: so fällt man in den oben schon angezeigten Fehler, nämlich den Ton pfuschend, dumpfig, und überhaupt für dieses Instrument zu stark, und zu unangenehm zu machen.
Weil diese Regeln von den wenigsten Flötenspielern gehörig beobachtet werden; so sind viele der Meynung, es liege am Instrumente selbst: welches doch nicht ist. Es ist zwar wahr, daß die Flöte, in einigen chromatischen Tonarten, gewisse Unvollkommenheiten an sich hat. Besitzt der Spieler aber einen guten Ansatz, ein gutes musikalisches Gehör, eine richtige Fingerordnung, und eine hinlängliche Erkenntniß des Verhalts der Töne: so kann diesem Fehler leicht abgeholfen werden.
Es ist oben gesaget worden, daß die Octaven auf der Flöte nicht durch die Stärke und Verdoppelung des Windes; sondern durch das Vorwärtsschieben des Kinns und der Lippen hervorgebracht werden müssen. Die Flöte hat auch hierinne mit der Menschenstimme einige Aehnlichkeit. Die Stimme besteht aus zweyerley Arten, aus der Bruststimme, und aus dem Falset, oder Fistel. Durch die letztere Art, bey welcher der Kopf der Luftröhre noch mehr zusammen gedrücket wird, kann man, ohne sich Gewalt anzuthun, in der Höhe einige Töne mehr, als mit der Bruststimme möglich ist, herausbringen. Die Italiäner, und einige andere Nationen vereinigen dieses Falset mit der Bruststimme, und bedienen sich dessen, bey dem Singen, mit großem Vortheile; Bey den Franzosen aber ist es nicht üblich: weswegen sich dieser ihr Singen, in den hohen Tönen, öfters in ein unangenehmes Schreyen verwandelt: und eben die Wirkung thut, als wenn man auf der Flöte das Mundloch [48] nicht genugsam bedecket, und die hohen Töne durch stärkeres Blasen herauszwingen will. Die Bruststimme ist die natürliche; deren man sich auch im Reden bedienet[1]. Das Falset aber ist gekünstelt, und wird nur im Singen gebrauchet. Es nimmt allda seinen Anfang, wo die Bruststimme ihr Ende hat: Obwohl der Kopf der Luftröhre, auch bey der Bruststimme, wenn man in die Höhe geht, bey jedem Grade etwas enger und länger wird: so wird er doch bey dem Falset, um ein merkliches mehr zusammengezogen, und dabey so in die Höhe gehalten. Die Luft wird zwar nicht stärker, doch etwas geschwinder aus der Lunge herausgetrieben. Der Ton aber wird etwas weniges schwächer, als bey der natürlichen Stimme.
Wie nun bey den Falsettönen die Oeffnung der Luftröhre enge wird: so wird auf der Flöte durch das Vorwärtsschieben der Lippen und des Kinns, das Mundloch enger: so daß dadurch, wenn man einen tiefen Ton vorher angegeben hat, die hohe Octave alsdenn, ohne mit der Zunge anzustoßen, anspricht. Man könnte die tiefe Octave der Flöte mit der Bruststimme; die hohe aber mit dem Falset vergleichen. Ueberhaupt kömmt also die Flöte auch hierinne mit der Menschenstimme überein, daß, so wie bey dieser, die Oeffnung der Luftröhre, wenn man die Töne auf- oder unterwärts singt, nach Proportion der Intervalle entweder zusammen gedrücket, oder auseinander gedehnet werden muß: also auch bey jener, bey steigenden Tönen, durch das Vorwärtsschieben und Zusammendrücken der Lippen und des Kinns, die Oeffnung des Mundloches enger; bey fallenden Tönen aber, durch das Zurück- und Auseinanderziehen der Lippen, weiter gemacht wird. Denn ohne diese Bewegung werden die hohen Töne zu stark, die tiefen zu schwach, und die Octaven unrein.
Will man eine Uebung machen, um die Octaven auf der Flöte rein angeben zu lernen: so setze man die Flöte an den Mund, daß das [49] Mundloch von der Lippe bis an die zweyte Linie bedecket wird; und ziehe hernach die Lippen und das Kinn bis an die unterste Linie zurück, und stoße das eingestrichene D an. Man blase mit einerley Stärke; und indem man den 1. Finger zu dem zweygestrichenen D aufmachen will, schiebe man die Lippen und das Kinn zugleich vorwärts bis an die zweyte Linie: so wird man finden, daß das zweygestrichene D von sich selbst anspricht. Dieses wiederhole man so oft, bis man fühlen lernet, wie weit man die Lippen und das Kinn vorwärts schieben müße. Bey der D-Octave läßt es sich am leichtesten ausüben: weil die Oeffnung des ersten Fingers es in etwas erleichtert. Man versuche es daher um einen Ton höher, nämlich von dem eingestrichenen E zum zweygestrichenen. Hier müssen die Lippen nebst dem Kinn etwas weniger als bis an die unterste Linie gezogen, und zu der Octave etwas über die zweyte Linie vorwärts geschoben werden. Nach diesem Verhalte, der im 11. §. gelehret worden, verfahre man mit allen Tönen, so noch eine Octave über sich haben. Das Exempel Tab. II. Fig. 3. kann hierbey zum Muster dienen, und durch die Versetzung in allen Tonarten gebrauchet werden.
Das dreygestrichene E ist eigentlich der höchste brauchbare Ton, welchen man zu allen Zeiten angeben kann. Bey den übrigen noch höhern kömmt es auf einen besonders guten Ansatz an. Wer dünne und schmahle Lippen hat, dem wird die Höhe desto leichter. Mit dicken Lippen hingegen, hat man in der Tiefe einen Vortheil. Weis man aber nur, die gehörige Weite der Fortschiebung der Lippen auf dem Mundloche, welche die gegebenen Regeln mit den Linien zeigen, sicher zu finden; so wird es nicht mehr schwer fallen, alle Töne, sowohl in der Höhe als Tiefe, anzugeben.
Es versteht sich also von sich selbst, daß die Lippen, bey Tönen, die stufenweise auf- oder absteigen, sich nur nach und nach bewegen; bey springenden Noten aber, sich, nachdem es die Sprünge mit sich bringen, mehr oder weniger bewegen müßen: damit sie jederzeit, den jedem Tone auf dem Mundloche bestimmten Ort, sicher treffen mögen. Besonders merke man, daß die Töne in der tiefen Octave allezeit stärker, als die in der hohen gespielet werden müßen. Dieses ist bey springenden Paßagien absonderlich wohl zu beobachten.
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Um die Octaven anzugeben, ist also keine Verstärkung des Windes nöthig. Will man aber einen Ton, es sey in der Höhe oder Tiefe, stärker oder schwächer angeben; so merke man, daß die Verstärkung des Windes, und das Zurückziehen der Lippen, von dem Orte, den sie bey jedem Tone auf dem Mundloche einzunehmen haben, den Ton höher; die Mäßigung des Windes, und das Vorschieben der Lippen hingegen, den Ton tiefer mache. Will man demnach eine lange Note schwach angeben, und sie darauf in der Stärke des Tones wachsen lassen: so muß man anfangs die Lippen um so viel zurück ziehen, oder die Flöte auswärts drehen, daß der Ton, mit den andern Instrumenten, in einerley Stimmung bleibt. In währendem stärker Blasen, schiebe man die Lippen vorwärts, oder drehe die Flöte einwärts: widrigenfalls würde der Ton anfänglich zu tief, und zuletzt zu hoch werden. Will man aber eben denselben Ton wieder schwach endigen: so muß man auch die Lippen, in gehörigem Verhalte wieder zurück ziehen; oder die Flöte auswärts drehen.
Die Flöte hat den Naturfehler, daß einige mit Kreuzen bezeichnete Töne, nicht ganz rein, sondern daß etliche davon ein wenig zu tief, etliche ein wenig zu hoch sind. Denn bey Abstimmung der Flöte hat man darauf zu sehen, daß hauptsächlich die natürlichen Töne nach ihrer Verhältniß rein gestimmet werden. Man muß also, so viel als möglich ist, suchen, durch Hülfe des Ansatzes, und nach dem Gehöre, die mangelhaften rein zu spielen. Es ist zwar schon im vorigen Hauptstücke etwas davon erwähnet worden: damit man aber wiße, auf welche man am meisten Achtung zu geben habe; so will ich solche hier namhaft machen.
Das ein- und zweygestrichene E mit dem Kreuze; das ein- und zweygestrichene außerordentliche Fis; ingleichen das zweygestrichene Gis und As, sind zu hoch. Deswegen muß man den Wind mäßigen, und die Flöte einwärts drehen.
Das ein- und zweigestrichene ordentliche Fis, ist zu tief; muß also durch das Auswärtsdrehen, oder die Verstärkung des Windes erhöhet werden.
Das zweygestrichene D und C mit dem Erniedrigungszeichen sind zu tief. Hierbey muß man die Flöte um ein merkliches auswärts drehen.
Zu dem tiefen F, welches der schwächste Ton auf der Flöte, und auf den meisten Flöten wegen eines unvermeidlichen Mangels ihrer innerlichen [51] Structur zu hoch ist, muß man die Flöte einwärts drehen, und die Oberlippe ein wenig vorwärts schieben.
Wenn man in einem Stücke wechselsweise sachte und stark spielet; so muß man zu dem erstern die Flöte so viel auswärts, und zu dem letztern um so viel einwärts drehen, als das Schwachblasen erniedriget, und das Starkblasen erhöhet.
Wenn man nun diese Erinnerungen alle wohl in Acht nimmt; so wird man niemals weder zu hoch noch zu tief spielen; sondern die Flöte wird allezeit rein seyn; welches aber außer dem nicht geschehen kann. Und so fern man sich die großen Terzen, so etwas über sich schweben müssen, im Gehöre recht bekannt machet; so kann man sehr leicht hinter diese Vortheile kommen.
Mit Bewegung der Brust kann man dem Tone in der Flöte auch viel helfen. Sie muß aber nicht mit einer Heftigkeit, nämlich zitternd; sondern mit Gelaßenheit geschehen. Thäte man das Gegentheil, so würde der Ton zu rauschend werden. Eine proportionirliche Oeffnung der Zähne und des Mundes, und Ausdehnung der Kehle, verursachen einen dicken, runden, und männlichen Ton. Das Hin- und wiederziehen der Lippen machet den Ton zugleich schwebend und annehmlich. Man hüte sich, in der zweyten Octave, die Oberlippe der untern vorzuschieben.
Endlich ist noch zu merken, daß, wenn man die Flöte mäßigen, und etwas schwächer spielen will, wie es im Adagio erfodert wird, man das Mundloch ein wenig mehr, als oben gelehret worden, mit der Lippe bedecken müße. Weil aber die Flöte hierdurch etwas tiefer wird: so ist eben nöthig daß man, an dem in dem Kopfstücke befindlichen Propfe, eine Schraube habe; vermittelst welcher man denselben, um die Flöte so viel zu erhöhen, als das schwächer Spielen, und die mehrere Bedeckung des Loches austrägt, aus seiner ordentlichen Lage, um einen guten Meßerrücken breit, tiefer in die Flöte hinein drücken könne: s. den 10. 11. 12. §. des I. Hauptstücks. Hierdurch wird die Flöte um so viel verkürzet, und folglich höher: und man kann auf solche Art, mit den übrigen Instrumenten, allezeit in einerley Stimmung bleiben.
Anmerkungen
- ↑ Aus diesem Grunde haben erfahrne Componisten zu einer Regel festgesetzet, daß man nicht ohne Noth, oder andere besondere Umstände, in Arien, noch weniger aber im Recitativ, dem Sänger außer der Bruststimme Worte auszusprechen gebe: besonders wenn die Selbstlauter u oder i darinne vorkommen. Denn die Stellung des Mundes, bey Aussprechung dieser beyden Selbstlauter, kann bey den meisten Sängern, mit der Stellung der Luftröhre bey dem Gebrauche des Falsets, sich nicht anders, als mit gewisser Unbequemlichkeit, vergleichen.
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