Textdaten
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Autor: Johann Friedrich Jünger / Christian Friedrich Daniel Schubart
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Titel: Vermischte Kleinigkeiten.
Untertitel: Ein Fragment / Polihimnia’s Freuden / Nachricht an’s Publikum
aus: Thalia – Erster Band,
Heft 2 (1786), S. 129–136
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1786
Verlag: Georg Joachim Göschen
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[129]

IX.

Vermischte Kleinigkeiten.




Ein Fragment

aus dem noch ungedrukten dritten Theil des Wurmsaamen und Wurmfeld.


Das Leben ist ein Betrug, und nur der ist der Glüklichste, der am besten betrogen wird!

Hoffnung! du wärst die Tochter des Himmels? du wärst die Gefährtin der Leidenden? du die Trösterin der Unglüklichen – – Nein! du bist doch eine Betrügerin!

Freilich weißt du deine Gifte fein zu mischen; freilich schmecken deine Palliatife süß; freilich thut dein Geschwäz dem Ohr des Kranken so wohl – denn dafür bist du ja ein Weib! – aber bist du darum weniger Feindin unsrer Ruhe?

Da sizt er; der arme Trostlose, den starren Blik, auf den Boden geheftet; alle seine Plane künftiger Glükseligkeit vereitelt; alle die tausend und aber tausend Freuden, die ihm in der Zukunft entgegen keimten, vernichtet; einer unabsehbaren Reihe namenloser [130] Leiden preiß gegeben: Nirgends ein Ausweg! nirgends Trost oder Hülfe! –

Jezt durchschimmert ein sanftes Helldunkel seine Zelle; Er versucht es, sein mattes Haupt langsam aufzurichten, aber – Wehmuth und Kummer drüken es wieder nieder! Endlich gelingt es ihm: und er sieht – o der sanften, ihm so lange schon fremden Freude, die sein Herz durchbebt! – er sieht eine Reihe künftiger Wonnescenen vor seinem Blike aufgestellt! Bild auf Bild fliegt vor seinem Auge vorüber; immer eines frölicher als das andre. Welches glänzende üppige Farbenspiel! – denn auf die Farbenmischung verstehst du dich meisterlich! – wie scharf die Umrisse, wie täuschend die Haltung, wie lebendig und wahr alles!

Hingerissen, außer sich springt er auf: seine Pulse schlagen rascher, sein Herz klopft hoch empor, seine Brust wird enger, jede Nerve gespannter, die Muskeln seines Gesichts verziehen sich in ein heiteres Lächeln, er starrt mit gierigen Blicken hin, und eine Freudenthräne zittert in seinem Auge! –

Plözlich tritt die Wirklichkeit mit ihrem ernstern Antliz hinzu, und berührt mit dem ehernen Stabe deine Zauberlaterne: das Licht verlöscht, und mit ihm verschwinden alle die frölichen Bilder, alle die glänzenden Farben! sein Blut stokt, seine Nerven erschlaffen; das Lächeln, das sein Antliz erheiterte, die Freude, die sein Herz durchbebte, der Muth, der seine Pulse beflügelte, – [131] alles, alles verschwindet, und nur – die Thräne bleibt in seinem Auge!

So funkelt der Diamant der heraufschwimmenden Morgensonne gegenüber im Schoose des Veilchens. Eine Menge von Lichtstralen brechen sich auf dem kleinen Bezirk seiner Oberfläche, und werfen tausend prächtige Farben. –

Jezt umhüllt eine Nebelwolke die Sonne: die Lichtstralen verschwinden, und mit ihnen alle die tausend prächtigen Farben: der Diamant funkelt nicht mehr, und nur – ein armseliger Wassertropfen bleibt im Schoose des Veilchens!

Jünger.     




Polihimnia’s Freunden.


Ein in Zürch gedruktes Avertissement kündigt den Freunden der Tonkunst eine Sammlung einiger meiner in Musik gesezten Lieder an. Obgleich die menschenfreundliche Klausul im Bettlertone dabei steht: zum Besten der Schubartischen Familie! so muß ich doch – bei aller Dankgluth – dem guten Sammler sagen, daß es ziemlich inkonsequent sei, beim vollen Leben des Autors sein Gewerk zu sammeln, und – ohne den Macher drüber um Rath zu fragen – sie, wie Werke eines erklärten Mundtodten der Welt mittheilen zu wollen.

Zwar ist der Gefangene nach Justinians Donnersprache bürgerlich tod; wenn aber der Fürst den Arm lüftet, womit man schreibt: so regt sich der Odem des Lebens wieder, zukt in den Fingerspizen und scheint dem unbefugten Kompilator zu sagen:

„Laß nach – ich rege mich selber!! –“

Ich werde also meine hier verfertigte musikalische Arbeiten [132] mit Höchster Bewilligung meines erhabenen Fürsten in Höchstdesselben akademischer Buchdrukerei unter dem Titel herausgeben:

Schubarts musikalische Rhapsodien.

Die Ausgabe selbst wird periodisch. Ich gedenke nämlich alle Monate ein Heft zu sechs Bogen zu liefern, bis die Sammlung zu End’ ist. Jedem Stüke werd’ ich eine kleine Abhandlung über wichtige Gegenstände der Musik vorsezen, z. B. über die Klavierwuth, – über musikalischen Unterricht, über den Choralgesang, übers Orgelspiel, über musikalische Deklamation u. s. w. – gewiß Worte zu ihrer Zeit geredt! – Dann folgt ein gröseres Singstük – drauf Volkslieder, wovon schon so viele auglos und mit versengtem Fittig über Städten und Dörfern zappeln: – zuweilen auch Texte unter schöne Melodien groser Meister, – und endlich ein Klavierstük: alle meinen musikalischen Karakter darstellend, und dem hochgelahrten Herrn Professor Cramer in Kiel – troz seines kritischen Donnerwetterstrals zeigend – daß Schubart nicht nur klimpern, sondern auch sezen kann.

Ein Stük dieser ganz fertig liegenden Sammlung kostet 48 Kreuzer, den Gulden zu 60 Kreuzer gerechnet.

Der Ertrag – mit dem innigsten Dankgefühl gegen meinen gnädigen Fürsten sag’ ich’s – fällt ganz meiner Familie zu. –

Man fand für gut, den Pränumerationsweg einzuschlagen. Die Liebhaber zahlen für’s Stük einen Gulden. Das eilfte Exemplar bekömmt der Sammler, wie bei den Gedichten – umsonst.

Die Liebhaber wenden sich, wie dort – an die Buchdrukerei der Herzoglichen Hohen Carlsschule,

oder an meine Gattin bei Hrn. Expeditionsrath Elsässer in Stuttgart. Papier, Druk, Präzision soll gewiß so ausfallen, daß kein Klavierpult durch diese Sammlung verunstaltet werden soll.

[133] Da ich befürchten muß, daß meine Ästhetik der Tonkunst, wovon auch schon ein paar kreuzlahme Abschriften spuken, wie meine Gedichte und Melodien, ohne mein Zuthun gedrukt werden könnten: so warn’ ich hiemit das Publikum wohlmeinend davor, und versichere selbiges mit aller Dezenz, daß auch diese zu seiner Zeit so erscheinen soll, wie man vor dem ersten Publikum der Welt – dem Deutschen!! – erscheinen muß. Nur erlaube man mir Musse; dann die hundert Hände des Briareus sind längst aus der Mode gekommen.

Und hiemit gehabt euch wohl, Freunde und Lieblinge der Göttin des Sangs und Spiels!!

Schubart.     


Nachricht an’s Publikum.


So wenig ich sonst geneigt war, in meiner gegenwärtigen ganz unpoetischen Lage eine Sammlung meiner Dichtereien zu besorgen: so sehr mußten mich doch so manche zerfezte Abdrüke einiger erhaschten Gedichte von mir in verschiedenen deutschen Tagbüchern – noch mehr aber die kürzlich ohne mein Zuthun von einem mir ganz unbekannten Herausgeber besorgte Sammlung aufmerksam machen.

Nie hatt’ ich meine Gedichte so eigentlich für den Druk bestimmt. Ich dachte, sie mögen verhallen in den öden Zeiten meiner Einsamkeit, mögen vom Flügel begleitet diesen oder jenen gefühlvollen Hörer auf Augenblike unterhalten; mögen – gut deklamirt – dem oder jenem ein paar Feuerfloken in die Seele werfen! so ist mein Endzwek erreicht. Ich habe damit den Dämon Langeweile gebannt und gute Empfindungen im Herzen des Hörers gewekt und unterhalten.

Allein der Wurf meines kleinen Sandsteinchens bildete weitere Kraise, als ich je vermuthen konnte. So viel große und edle Seelen – mein Genius grüßt und segnet sie in dieser heiligen Stunde des Wiedersehens – [134] nahmen Antheil an meinem Schiksal; jeder Erguß meines Herzens, jeder Pinselstrich von der Nachtgrotte meines ehemaligen Gefängnisses, jeder der Menschheit so natürliche Aufschrei nach Freiheit – die allein die Wolke des Lebens vergüldet und die Menschen Gottähnlich macht – erwekte Aufmerksamkeit bei ihnen. Sie nahmen Kopien von einigen meiner Gedichte, und so fand ich sie auch da und dort im Druke.

Endlich erschien in der Schweiz eine nahmhafte Sammlung meiner Gedichte von einem gewiß aller Achtung würdigen Herausgeber. Fürs erste dank ich ihm für seine gute Meinung von mir und sonderlich für die treue Darstellung der Entstehungsgeschichte meiner Lieder und ihrer Irren in Deutschlands Gauen herum.

Nur bedaur’ ich theils die zahllosen Drukfehler, womit diese Sammlung verunstaltet ist – noch mehr aber die Unvollständigkeit derselben und die eingeschlichnen Stüke, die nicht einmal die meinigen sind. Wer wird mir z. B. zutrauen, daß ich je eine Fabel unsers unsterblichen Fabeldichters Lichtwehr – die unter der Rubrik der Emriz in der Schweizer Sammlung steht und bei Lichtwehr unter der Aufschrift der Hänfling vorkommt – für mein Gemächt ausgeben könnte? – Andrer Inkonvenienzen zu geschweigen – Genug, daß Se. Herzogliche Durchlaucht, mein gnädigster Herr mir nunmehr die großmüthige Erlaubniß zu ertheilen geruhten, eine

vollständige Ausgabe meiner Gedichte

in Höchstdero Akademischen Buchdrukerei selbst besorgen zu dürfen.

Diese Ausgabe soll mit aller mir möglichen Genauigkeit veranstaltet werden. Ich werde die schon bekannten Gedichte so kritisch gefeilt liefern, als ich Stätigkeit habe, die Feile zu führen und endlich verschiedene neue Gedichte hinzuthun, die wenigstens darthun sollen, welch einen würdigen, hohen Begriff ich mir von einem Publikum bilde, wie das deutsche ist – und mit welch schüchterner Demuth – doch ohne jemals das Gefühl eignen Werths zu verlieren – ich in’s Heiligthum [135] trete, wo Deutschlands Richter sitzen. – Im Arcopagus, den ich mir hier denke, hat eben nicht immer der Schreiber von Profeßion Siz und Stimme; – der Naturmensch, mit Saitengold vom Himmel bespannt, der stattliche Bürger, der einfältige Landmann, das schuldlose Mädchen – und über alles, der gesalbte Christ müssen das Sanhedrin bilden, das über Gedichte, die der Religion, der Tugend und unschuldigen Freude geweiht sind, urtheilen soll.

Solchen Richtern zu gefallen – welche Belohnung für die wenigen Schweißtropfen, die die Harfe feuchten!! –

Diese Gedichte werden in zween mäßigen Bänden in Oktav erscheinen[1]. Ich habe den Weg der Subskription gewählt, um – ach! man erlaube mir nach so viel Demüthigung den Stolz, – meine Bekannten und Freunde einmal in einer Lichtgruppe vor einem kleinen Produkte meines Geistes zu sehen. Da ich mich öfters in den Tagen meiner Freiheit Aufträgen dieser Art mit Freuden unterzog; so kann ich um so mehr von meinen durch ganz Deutschland gesäeten Freunden gleiche Gefälligkeit erwarten. Meine Lage erlaubt es mir nicht, mich durch Briefe an die edlen Menschen alle zu wenden, die ich in den meisten Städten Deutschlands – theils persönlich, theils durch Ruf und Schriften kenne. Ich will also einmal kühn seyn und starkmüthig hoffen, meine Freunde und Bekannte werden bloß durch diese Nachricht und durch ihr eignes Herz bewogen, meinen Gedichten Liebhaber zu verschaffen suchen und die Namen der Herren Subskribenten an

die Buchdrukerei der Herzoglichen Hohen Carlsschule

wo möglich, Postfrei einzusenden. Auch an meine Gattin, bei Hrn. Expeditionsrath Elsässer in Stuttgart wohnhaft, können sich die Liebhaber meiner Gedichte wenden und die promteste Einsendung der Exemplare erwarten.

[136] Man zahlt für die beeden Bände Zwei Gulden und versichert die Liebhaber, daß Papier, Druk, Vignetten der akademischen Buchdrukerei Ehre machen sollen.

Da dies nach beinahe Neun Jahren wieder der erste öffentliche Auftritt ist; so erlaube man mirs, hiemit gegen alle Schriften aufs feierlichste zu protestiren, die seit diesem unter meinem Namen herausgekommen sind.

Ich hab’ in meinem Leben manches für momentanen Gebrauch diktirt und hingesudelt, das gewiß den gesezten Zwek erreichte. Aber – hintreten fürs Volk und nach dem Eichenkranz emporschauen, der dort droben an den Rippen des Waldfelsen für die Unsterblichen hängt; das konnte mir nie mit Sudeleien in Sinn kommen, die bloß darzu bestimmt waren, da und dort Dämm’rung in die dikste Nacht der Unwissenheit zu bringen. Nach diesem Geständnisse dauern mich Eirichs und Cramers gute Hauklingen, daß sie selbige gegen ein Dunstbild gebrauchen wollten.

Durch pfiff die Klinge, das Wolkenbild dähnte sich und zerrann beim ersten Morgenstral in – Wassertropfen.“ –

Wer wird z. B. das hirnlose Buch Originalien, wo einige Gedankentrümmer von mir in einer Mistpfüze eignen Unsinns schwimmen, auf meine Rechnung sezen? –

Schreklich ist’s gefangen zu sein; aber fast noch schreklicher, von außen Buben johlen zu hören, die die Mauren unsers Kerkers mit Koth bewerfen.

Ihnen verzeihs der Allbarmherzige!

Schubart.     


Anmerkungen:
  1. Nebst dem Brustbild des Verfassers.