Textdaten
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Autor: Friedrich Gerstäcker
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Titel: Verheirathete Bäume
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 767–768
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[767] Verheirathete Bäume. Es ist das wohl eine merkwürdige Ueberschrift, entspricht aber vollkommen der Sache und der Leser würde die Bezeichnung durchaus gerechtfertigt finden, wenn er selber im Stande gewesen wäre jene wunderlichen Baumgruppirungen zu beobachten, die ich auf meiner letzten Reise in Venezuela in der Nähe des Apure und in den Llanos fand. Die Vegetation in den Llanos, nördlich vom Apure und zwischen Caracas und diesem ganz tüchtigen Strom, besteht hauptsächlich – und nur solche Strecken abgerechnet, wo der kleine verkrüppelte Chaparro mit seinen rauhen, aber hellgrünen harten Blättern in den Vordergrund tritt – aus einer Palmenart, die dort palma sombrero oder Hutpalme genannt wird und fächerartige Blätter trägt. Von diesen fächerartigen Palmen giebt es überhaupt drei verschiedene Hauptarten, von welchen jede ihren besonderen District zu haben scheint. Die vorgenannte ist die kleinste, und wächst überall in den trockenen Llanos – wenn sie sich auch dort die tiefsten, also feuchtesten Stellen sucht. Um Bolivar oder Angostura, herum kommt die größer und eleganter geformte Morichepalme vor, und südöstlich von dort, in den dichten Wäldern des Innern und in der Nähe der jetzt dort entdeckten Goldminen steht die hochstämmige und prächtige Caratapalme. Alle diese aber tragen die fächerartigen Blätter, nur in etwas verschiedener Form, und alle werden zum Decken der Hütten benutzt, da sie, fest ineinandergreifend und mit ihren rinnenartigen Falten, selbst den strömenden Regengüssen der Tropen Trotz bieten.

Alle diese Palmenarten findet man theils zerstreut, in einzelnen Exemplaren, was besonders in der Ebene eigenthümlich aussieht, theils auch in kleinen und oft dichten Wäldern zusammengedrängt, mit selten einem Laubholzbaum dazwischen. Ist die Panne noch jung, so hat sie einen kurzen, etwas ruppig aussehenden Stamm da die herumstehenden Blätter abfallen, aber ein etwa fußlanges Stück vom Stiel, das eine bräunliche Färbung annimmt, zurücklassen. Der Wipfel ist dabei nicht groß und ziemlich rund, der Stamm fest und gerade emporstehend, und ohne die zierliche Biegung der Cocospalme, auch holzig und ohne jenes den Palmen sonst eigene leichte Mark. Wird der Baum älter und höher, so nimmt der Stamm nicht an Dicke zu, sondern steigt nur empor: die Patine selber wird dadurch schlanker und verliert ihr früher etwas plumpes Aussehen. Jetzt fallen auch die alten braunen Blattstiele ab, sie bekommt eine ziemlich glatte und silbergraue Rinde und verschönt sich merklich.

Auf dem ganzen Marsch nun, von da, wo ich unterhalb San Juan del Morro, einer höchst merkwürdigen Felsenpartie mit einem durch ein Erdbeben auseinandergerissenen Gebirge, die Llanos zum ersten Mal betrat, und weit noch über die Steppenstadt Calabozo hinaus, bis ziemlich in der Nähe des am Tortuga liegenden Städtchens Camahuan, fand ich nichts außerordentliches in diesen Palmen. Sie standen einzeln oder in Gruppen, bald junger, üppiger Nachwuchs, bald ihre schlanken grauen Stämme in der Brise schaukelnd, und wenn sie mir auf meinem heißen und sonngebrannten Ritt auch keinen Schatten gewährten, freute sich doch das Auge an der zierlichen Form derselben. Noch anderthalb Tagereisen vom Apure entfernt erreichte ich mit meinem Führer, einem einarmigen Mestizen, den trockensten District dieser ganzen Gegend. Sogar die Hütten, die wir, in weiten Zwischenräumen, unterwegs antrafen, waren verlassen und standen öde und leer, und wenn wir an solchen Plätzen nach einem Brunnen suchten – denn die Revolution hatte ebenfalls viel dazu beigetragen das Land zu entvölkern – so trafen wir wohl den Brunnen selber, aber ohne einen Tropfen Wasser, ja selbst ohne die geringste Feuchtigkeit. Die Vegetation sah dabei verkümmert genug aus; war doch die trockene Jahreszeit diesmal sehr früh eingetreten und noch kein erfrischender Schauer in der ganzen Zeit gefallen, um den gedörrten und auseinander gerissenen Boden nur in etwas zu erfrischen. Selbst die Blätter der Palmen, die schon angefangen hatten eine kleine schwarze Frucht zu reifen, nahmen ein bräunliches Ansehen an.

Hier aber traten einzelne Bäume mit hellgrünem Laub auf, die ich [768] bis dahin noch nicht gesehen, oder wenigstens nicht beachtet hatte; mir kam es nur sonderbar vor, daß ich drei oder vier von ihnen sah, die mit ihrem Stamm eine der Palmen umschlossen und zwar so, daß es fast schien, als ob der Samen der Palme vielleicht in die Auszweigung des niedrigen Stammes hineingeweht sei und dort Wurzel geschlagen habe. Aber immer häufiger wurden diese Doppelbäume, Palme und Laubholz zusammen, und einzelne Exemplare überzeugten mich bald, daß ich es hier eigentlich gar nicht mit einem Baume, sondern mit einer zum Baume werdenden Schlingpflanze zu thun hatte.

Ich frug meinen Führer nach dem Namen, den er aber natürlich nicht wußte, denn was bekümmern sich diese Burschen um die Benennung einer Pflanze – der Baum heißt palo und das Uebrige yerba, Kraut, damit sind sie fertig. Von da an aber achtete ich fast auf nichts weiter mehr, als auf diese immer zahlreicher vorkommenden Paare und konnte zuletzt nicht mehr in Zweifel bleiben, wie sie entstanden, denn ich traf sie von den ersten bis zu den letzten Stadien an.

In die noch jungen Palmen mit den rauhen Blattüberresten – nicht in den Baum von der Palme aus – wurde der Samen eingeweht. Ich bemerkte verschiedene junge Palmen, an denen die Schößlinge aus den Blatthülsen wie aus einem natürlichen Blumentopf herausschauten. An anderen wieder, wo diese endlich vertrockneten Reste abfielen, sah ich, wie die Schlingpflanze in der grauen Rinde Wurzel geschlagen und sich um den Stamm klammerte, während sich diese Wurzelfasern oder Arme mehr breiteten und schon hier und da wie ein breites, dickes Band um die Palme lagen.

Noch deutlicher zeigte sich diese Entwickelung in anderen, an denen sich die Schmarotzerpflanze nur an der einen Seite so ausgedehnt hatte, daß sie dort wie eine feste Schale lag, während sie den Stamm selber mit ihren Armen fest umschloß. Wo sie ihn, mehr und mehr anwachsend und sich ausdehnend, schon fest genug in ihre Fesseln gezogen und in der That als Baum mit auszweigenden Aesten auftrat, konnte man noch immer an einzelnen nicht ganz geschlossenen Theilen den durchgehenden grauen Stamm der Palme deutlich unterscheiden, und erst im reiferen Alter – wie viel Jahre dazu gehören, kann ich allerdings nicht sagen – umzog der eigentliche Baumstamm Alles, und nur erst zehn oder zwölf Fuß über der Erde stieg die Palme scheinbar aus dem Holz heraus und stand mit ihrer grünen Krone mitten zwischen den dichtbelaubten und breitästigen Zweigen.

So viele solcher Paare ich antraf – viele Hundert von ihnen auf einer Strecke von kaum mehr als sechs oder acht Leguas – nicht ein einziges Exemplar fand ich, an welchem die Palme durch die enggeschlossene Umarmung des Baumes geschädigt oder gar abgestorben wäre. Im Gegentheil sahen gerade die Wipfel dieser. „verheiratheten“ Palmen viel frischer und grüner aus, als die einzeln und verlassen stehenden. Eine besonders war in der That merkwürdig, und wenn ich sie abgezeichnet hätte, würde mir doch kein Mensch geglaubt haben, daß die Natur eine so wunderliche Form hervorbringen könne. Es war eine wirkliche Gruppe, wo der erst zum Theil und ziemlich unten in der Nähe des Bodens wie etwa sechs Fuß darüber ausgebildete oder auswachsende Stamm die Palme mit starken, armähnlichen Wurzeln wie ein in Leidenschaft glühender Mensch umschloß; der erst beginnende buschige Wipfel neigte sich dabei der Palme zu, während diese – und Beide konnten recht gut so gleichmäßig durch den Wind gebogen sein – ihre Krone etwas von ihm abbog, als ob sie sich seiner Liebkosung entziehen wollte. Mit einiger Phantasie nur boten sie in der That ein lebendes und in seiner Art gewiß einziges Bild.

An dem Abend erreichten wir das Städtchen Camahuan, aber an der anderen Seite desselben erinnere ich mich jetzt nicht noch mehr von diesen gepaarten Bäumen gesehen zu haben. Die Palmen selber reichten bis nahe zu dem Waldstreifen, der die Ufer des Apure einfaßt, aber sie standen wieder so einzeln, wie ich sie weiter oben im Norden gefunden hatte.

Fr. Gerstäcker.