Verführung durch die Geister

Textdaten
Autor: Maria Lazar
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Titel: Verführung durch die Geister
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aus: Der Wiener Tag, 16. Juli 1933, Seite 21
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Erscheinungsdatum: 1933
Verlag: Tag Verlag AG
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Erscheinungsort: Wien
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Quelle: ÖNB-ANNO
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Als die schöne, beinahe noch ganz neue Danielskirche der spiritistischen Mission in Kopenhagen eines Vormittags mit Blumen geschmückt wurde, während der Organist sich in Begräbnispsalmen übte, erschienen plötzlich zwei Kriminalbeamte, die das Leichenbegängnis für Nachmittag verboten. Die Leiche selbst wurde abtransportiert und in das Institut für gerichtliche Medizin gebracht, der Vorsteher der Gemeinde, „Pastor Nielsen“, wie er sich nannte, und seine Mitarbeiterin, das berühmteste Medium Dänemarks, Frau Emilie Nielsen, wurden verhaftet. Was war geschehen?

Eigentlich nichts so besonders Auffälliges. Die alte Dame, die gestorben war, hatte sich seit zwei Jahren mit spiritistischen Problemen und ihren Vertretern abgegeben und in dieser nicht sehr langen Zeit ein Vermögen von 150.000 Kronen verbraucht. Viel Geld, das ist nicht zu leugnen. Die Hälfte davon ging, wie einwandfrei erwiesen wurde, gesetzlich und rechtlich auf den Bau der Danielskirche auf. Das war keine gewöhnliche Kirche. Als sie vor ungefähr einem Jahr fix und fertig dastand, redeten zu ihrer Einweihung drei Geister: Bruder Ariel, Schwester Klara und der Geist Daniel selbst. So was kann man sich schon 75.000 Kronen kosten lassen. Andere Leute geben ihr Geld für viel weniger wesentliche Genüsse aus. Und die anderen 75.000 Kronen sind eben auch fort, worüber sich der erbberechtigte Neffe allerdings sehr ärgert. Aber deshalb kann man doch noch keine Anzeige erstatten. Doch, man kann es.

In Dänemark, wo man nämlich noch in einer so guten, alten Zeit lebt, daß nur die Mörder morden, nur die Räuber plündern, nur die Verbrecher Bomben werfen (falls überhaupt jemand eine wirft), ist man einem merkwürdigen Unfug auf die Spur gekommen: der Verführung durch den Geist oder vielmehr der Verführung durch die Geister, die in spiritistischen Seancen ein solches Unwesen treiben, daß sie ihre Opfer vom Jenseits aus manchmal sogar bis ins Jenseits ziehen wollen, nicht ohne Interesse an ihren irdischen Gütern.

Ob die arme alte Dame, die die Gönnerin der Danielskirche und ihrer Gemeinde gewesen war, auch als ein solches Opfer zu bezeichnen ist, steht nicht fest, ist sogar sehr unwahrscheinlich. Die Kopenhagener Polizei würde aber nicht so mißtrauisch[WS 1] an den natürlichen Ursachen ihres Todes zweifeln (sie erlitt unterwegs auf der Straße einen Schlaganfall), wenn sich nicht vor wenigen Wochen erst ein anderer Fall ereignet hätte, so absurd, so tragikomisch, daß man sich über die Weltgeschichte der Gegenwart nicht weiter wundern darf, wenn man bedenkt, wieviel hemmungslosen Glauben, wieviel hoffnungslose Verzweiflung ein einzelnes Menschenschicksal zu vergeben hat.

Auch damals war es eine alte, sehr einsame Dame. Da sie ihre Angehörigen und mit ihnen alles, was ihr lieb war, verloren hatte, war es kein Wunder, daß sie gern und willig jene Verbindung mit dem Jenseits suchte, die der Spiritismus ihr auch verschaffte. Mittelsperson war dabei ein Schneider, nicht vielleicht Mitglied einer so angesehenen Institution wie der „Spiritistischen Mission Dänemarks“, der die beiden Nielsens angehören, und die vierhundert Mitglieder zählt, sondern mehr ein Outsider. Aber immerhin, er hatte seine Verbindung mit den Abgeschiedenen und diese Abgeschiedenen vermochten die alte Dame zu bewegen, daß sie ihn zum Erben einsetzte. Dann aber wünschten sie so dringend, die alte Dame recht bald wieder zu sehen, daß sie ihr durch einige Seancen den nicht mißzuverstehenden Rat erteilten, sie mögen ein bißchen was dazu tun, um sich mit ihnen zu vereinigen. Ein paar Schlafpulver zuviel, zum Beispiel … Nun, Gott sei Dank, sie nahm die Pulver nicht. Denn daß Geister mit einer so überaus irdischen Substanz wie Pulver manövrieren sollen, das glaubte sie, bei aller Leichtgläubigkeit denn doch nicht ganz. Sie wurde mißtraurisch[WS 2]. Die Sache kam auf. Es gab Skandal. Mordversuch.

Nur aus diesem ersten Fall ist das Aufsehen zu verstehen, das der zweite Fall erregte. Die Rolle, die bei verblühten Näherinnen und mannstollen Köchinnen der Heiratsschwindler spielt, spielt bei älteren sehr einsamen und sehr wohlhabenden Damen also hin und wieder auch der schwindelhafte Spiritist. Beide Sorten von Gaunern fangen ihre Opfer im Netz der eigenen Wünsche.

Wenn es sich nun auch erweisen sollte, daß der „Pastor“ und sein Medium völlig unschuldig an dem Tod ihrer Gönnerin waren (er hat ihr allerdings den Kopf massiert, und wozu massiert man einer alten Dame den Kopf höchst eigenhändig, wenn man Geister zur Verfügung hat?), wenn sie also wirklich völlig unschuldig waren, wo blieb das Geld, das wahnsinnig viele Geld? Es ist gar nicht auszudenken, daß zwei Menschen und eine Kirche so viel Geld verbrauchen. Beide beteuern, in den Seancen sei niemals von Geld die Rede gewesen. Nun ist es aber überhaupt das Merkwürdige und auch dem Vorurteilsfreien stets Unverständliche an allen Seancen, daß die Geister, die erscheinen, so gut wie immer triviales und alltägliches Zeug reden und keine Spur vom Hauch des Himmels an sich haben. Sehr verwundert es daher die gläubige Seele nicht, wenn auch einmal von Testamenten die Rede ist. Wer aber will der gläubigen Seele vorschreiben, wie weit sie in ihrem Vertrauen gehen darf oder nicht?

Denn hier wird der besondere Fall, hier werden die besonderen Fälle zum allgemeinen Problem. Möglich, daß derartige Spiritisten sich zu ihren Opfern verhalten wie die Heiratsschwindler zu den ihren. Wird man sie deshalb aber auch fassen können? Denn der Heiratsschwindler betrügt eine Frau um eine sichere, faßbare eheliche Zukunft, der raffinierte Spiritist hingegen betrügt die Einsame um unsichere und unfaßbare Werte, die allein in ihrem Glauben begründet liegen. Vielleicht ist sein Trost auch Geld wert. Das Problem wird interessant. Darf man die Menschen ungestraft täuschen, zum Narren halten, an Teufel und Dämonen glauben lassen, solange das nur ihre Denkkraft, ihre Vernunft, ihre Widerstandsfähigkeit kostet? Und darf man es nur dann nicht, wenn es an ihren Geldbeutel geht.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: mßitrauisch
  2. Vorlage: mißtraurisch