Vehmgerichte und Hexenprozesse in Deutschland/Erster Abschnitt. Das Hexenwesen

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Autor: Oskar Wächter
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Titel: Erster Abschnitt
Untertitel: Das Hexenwesen
aus: Vehmgerichte und Hexenprozesse in Deutschland
Seite 107–115
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: W. Spemann
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Erscheinungsort: Stuttgart
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[105]
Zweite Abteilung.
Die Hexenprozesse.
[107]
Erster Abschnitt.
Das Hexenwesen.


Gegen Ende des 15. Jahrhunderts und in den folgenden zwei Jahrhunderten sehen wir in fast allen deutschen Ländern zahllose Scheiterhaufen errichtet, auf welchen die beklagenswertesten Opfer der Justiz als Hexen und Zauberer verbrannt wurden.

Welche Verbrechen hatten sie verübt? sie waren beschuldigt, durch übernatürliche Mittel Menschen und Vieh, Saaten und Weinberge geschädigt, Krankheiten und Landplagen erzeugt zu haben. Das hätten sie vermocht durch einen Bund mit dem Teufel.

Sie alle wurden verurteilt auf ihr Geständnis hin. Alle diese Angeklagten aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands und in drei Jahrhunderten [108] gestanden das Gleiche, ihre Bekenntnisse waren der Ausdruck eines durch alle Schichten der bürgerlichen Gesellschaft verbreiteten Volksglaubens.

Und was haben sie eingestanden? Sie hätten sich dem Teufel ergeben und mit seiner Hilfe all die Greuel verübt, welche die öffentliche Meinung den Zauberern und Hexen zur Last legte. Zu solchem Geständnis mochten wohl vorzugsweise trübgestimmte Personen geneigt sein, die in ihrer Verdüsterung zu dem Wahn gekommen waren, sie würden von einem bösen Geiste beherrscht. Sie bekannten von sich alle die abenteuerlichen und schauerlichen Dinge, welche sie in ihren Kreisen hatten erzählen hören und welche bei Tag und bei Nacht ihre Gedanken und Träume erfüllten.

Vor ein einsames, einfältiges, trauerndes oder von Not bedrängtes – oder auch vor ein fürwitziges oder in Leidenschaft aufgeregtes Weib tritt plötzlich der Versucher. Er erscheint als schmucker Kavalier, als Junker, Jäger, Reiter oder auch als ehrsamer Bürgersmann und stellt sich unter eigentümlich-bedeutsamem Namen vor. Diese Namen sind an verschiedenen Orten verschieden; er nennt sich: Volland, Federlin, Federhans, Klaus, Hölderlein, [109] Peterlein, Kreutle; im Münsterlande: Frerichs, Rodderbusch, Jürgen.

In den Akten der Hexenprozesse kommen noch andre Namen vor: Junker Hans, Schönhans, Grauhans, Grünhans, Hans vom Busch, Heinrich, Grauheinrich, Hinze, Kunz, Künzchen, Teutchen, Nickel, Großnickel, Merten, Hemmerlin, Junker Storf, Junker Hahn, Göckelhahn, Schubbert, Jüngling, Schöne, Wolgemut, Wegetritt, Blümchenblau, Lindenzweig, Lindenlaub, Grünlaub, Eichenlaub, Grünewald, Zumwaldfliehen, Birnbaum, Birnbäumchen, Rautenstrauch, Buchsbaum, Stutzebusch, Stutzfeder, Weißfeder, Straußfeder, Federbusch, Flederwisch, Kehrwisch, Straußwedel, Grünwadel, Springinsfeld, Allerleiwollust, Reicheher, Leidenot, Hintenhervor, Machleid, Unglück, Schwarzburg, Dreifuß, Kuhfuß, Kuhhörnchen, Dickbauch etc. Er tröstet das Weib, verspricht ihr in ihren Bedrängnissen beizustehen, verheißt ihr vergnügtes Leben und großen Reichtum, mitunter auch droht und schreckt er. Er gibt ihr Geld, das sich aber meist übernacht in Scherben oder Dung oder dürres Laub verwandelt.

Häufig sind es auch arme, verführte und von ihrem Liebhaber verlassne Mädchen, die sich dem [110] Teufel überlassen und von ihm hexen lernen, um sich an ihrem untreuen Liebhaber oder ihrer Nebenbuhlerin zu rächen.

In Verdruß oder Zorn, namentlich in ehelichen Zwistigkeiten, läuft eine Frau von Hause weg – unterwegs stellt sie der böse Feind; spricht ihr zu, und sie – ergibt sich ihm und verübt danach allerlei Schaden an ihrem Mann und der Nachbarschaft.

Was nun die eine freiwillig bekannt hatte, das wurde im Verlauf der Hexenverfolgungen tausend andern als ein auf ihnen lastender Verdacht vorgehalten und von ihnen – auf der Folter eingestanden.

In einem zu Freiburg i. B. verhandelten Prozeß vom Jahr 1546 gibt die Inquisitin, Anna Schweizer, genannt Besenmacherin, an: sie sei an einen armen Taglöhner verheiratet gewesen, welcher sie mit einer Tochter bei seinem frühen Tode in der bittersten Armut zurückgelassen. Eines Abends seien sie beisammengesessen „und hätten nichts gehabt und Hunger gelitten“, da sei auf einmal ein Mann mit einem schwarzen Rocke, einem schwarzen Filzhute und hohen Schuhen eingetreten. Er habe freundlich mit ihnen geredet, „und als sie ihm ihre Angst und Not angezeigt“, habe er gesagt: „ihnen würde geholfen, [111] so sie sich ihm ergeben; er sei der Hämmerlin und wolle ihnen alle Frohnfasten einen Gulden bringen. Aber Gott und allen Heiligen müßten sie abschwören.“ Das hätten sie dann auch aus Armut gethan. –

In dem badischen Städtchen Bräunlingen wurde Verena Hornung zum Tode verurteilt, nachdem sie (am 7. Mai 1632) auf der Folter ausgesagt: „Als sie einst wegen Mangel an Nahrung sehr betrübt gewesen, sei der böse Geist in Gestalt eines Mannes und in schwarzen Kleidern zu ihr gekommen; habe sie getröstet und gefragt, was ihr Anliegen und wie ihr zu helfen sei, er wolle ihr Geld geben. Darauf habe er mit ihr gegessen und getrunken und ihr das Geld gegeben; als sie aber damit wieder heimgekommen, seien alsbald Hafenscherben daraus geworden. Dieser böse Geist habe sich Hölderlin genannt und sei nachmals öfter, Tags und Nachts, zu ihr gekommen. Da sie sich demselben ganz ergeben, so habe er sie, obgleich sie sich sehr widersetzt, durch Schläge endlich gezwungen, Gott und alle Heiligen zu verleugnen. Zum Zeichen des Bundes mit ihm habe er Haar von ihrem Kopfe genommen u. s. w.

Mit glatten Worten bethört der böse Feind die [112] Arme, verführt sie, das Bündnis mit ihm einzugehen, sich ihm hinzugeben – er drückt ihr mit seiner Kralle das Teufelszeichen (Stigma) auf und verschwindet. Nun gehen der Verblendeten die Augen auf, aber – sie kann nicht mehr zurück. Der Teufel nötigt sie, ihm sich zu verschreiben, Gott abzusagen und zu lästern. Nun muß sie dem Teufel dienen. Er unterweist sie, Menschen und Vieh Krankheit und Unfruchtbarkeit anzuhängen, die Christen an Leib und Seele, an Hab und Gut zu verderben, Gewitter und Wind zu machen, und gibt ihr ein Pulver, womit sie fremde Felder unfruchtbar machen kann u. s. w. Als Mittel dient auch die Hexensalbe und allerlei Zauberformeln. Schon ein Apfel, ein Trank Bier von der Hexe dargeboten, ja schon ein Hauch, ein böser Blick kann zur Behexung genügen.

Die Hexe („Unholdin“) ist bestrebt, unter den Menschen Haß und Zwietracht anzurichten, insbesondre Ehegatten einander zu entfremden, ihnen Abneigung gegen einander beizubringen, das eheliche Zusammensein zu verhindern.

Die Hexe kocht ihre Hexensalbe im Schädel eines Hingerichteten und verwendet dazu die Herzen kleiner Kinder und dergleichen.

[113] Wer sich dem Teufel ergeben hat, muß am Hexensabbat teilnehmen. Dieser wird vorzugsweise in den christlichen Festzeiten, Ostern, Pfingsten, Johannis, Weihnachten, auch im Monat Mai (Walpurgisnacht) gefeiert, auf benachbarten Bergen oder in Schlössern oder auf Haiden oder im Rathskeller, oder an Kreuzwegen, auf Kirchhöfen oder andern gelegnen Plätzen abgehalten. Im nördlichen Deutschland ist namentlich der Blocksberg Ziel der nächtlichen Ausfahrt.

Zum nächtlichen Hexensabbat reiten die Hexen auf Besen oder auf Ofengabeln, welche mit der Hexensalbe bestrichen werden. Der Weg geht durch den Schornstein oder das Kammerfenster mit dem Ruf „Wohl aus und an, stoß nirgend an!“ oder dergleichen. Bei der großen Versammlung wird dem Teufel gehuldigt und finden Mahlzeiten statt, doch ohne Salz und Brot; häufig werden kleine Kinder verzehrt. Nach dem Essen beginnt der Tanz und diesem folgt das unzüchtige Gelage mit den teuflischen Gesellen. Bei den Versammlungen kommt eine satanische Nachäffung der christlichen Sakramente vor; die Taufe wird mit Blut oder mit Schwefel und Salz vollzogen. Oft finden sich bei dem Teufelsbund Verschreibungen [114] mit Blut, oft auch die einfache Huldigung.

Die Schilderungen einer aufgeregten Phantasie übten einen unwiderstehlichen Reiz durch schauerliche und zugleich die Lüsternheit fesselnde Gebilde. Bei dem fortwährenden Gerede darüber war man mit der ganzen Terminologie des Hexenwesens vertraut, und darin „fast mehr heimisch, als im Katechismus“.

Jene Zeit erblickte den Teufel überall und in tausend Gestalten: hinter jedem dunkeln Blatte eines Strauches oder Baumes, hinter jedem verwitterten Stein oder alten Gemäuer, in jedem körperlichen Schmerze und jeder Versuchung witterte man seine Kraft und Wirksamkeit.

Der Volksglaube schon des 13. Jahrhunderts sieht den Teufel bald in Tiergestalt (als Kröte, Affe, Hund, Katze, als Drache etc.) bald in Menschengestalt und zwar ebenso als Weib, wie als Mann, den Leuten erscheinen. Wir begegnen in allen Kreisen des Volkes der Überzeugung, daß der Teufel mit seinen Dämonen überall in die Angelegenheiten der Menschen eingreift und überall die Hand im Spiel hat.

An vielen Orten erzählte man sich von Zauberern und Zauberinnen, die von dem Teufel, dem sie [115] sich ergeben, die Macht empfangen hätten, sich in Wölfe zu verwandeln und in dieser Gestalt einzeln oder in Scharen umherstreiften, Menschen und Tiere anfielen – als „Werwölfe“. Im Eindruck und auf Vorhalt solcher Sagen gaben denn auch häufig die Angeklagten auf der Folter zu Protokoll, daß sie hätten „wulfen“, in Wolfsgestalt Schaden stiften gekonnt.

Überblickt man die zahllosen Erzählungen von Hexen und Zauberern, so ist auffallend, daß trotz der großen satanischen Kunst und aller Vorspiegelungen, durch die sie berückt wurden, all diese Weiber in Elend und tiefer Armut stecken bleiben; auch die vermeinten Genüsse und Freuden bei den nächtlichen Zauberfahrten und andrem Verkehr mit dem Teufel geben ihnen keine wahre Befriedigung. Ein zweites charakteristisches Merkmal ist, daß der Teufelskult als durchgehende Parodie der christlichen Religion sich ausprägt und seinen Mittelpunkt darin findet, daß Hexe und Zauberer ihre Taufe und den christlichen Glauben abschwören. In diesen beiden Merkmalen, namentlich auch in dem des Betrogenwerdens durch den Teufel, liegt das tiefe Volksbewußtsein von der Nichtigkeit aber auch Verwerflichkeit des ganzen Zauberwesens.