Vehmgerichte und Hexenprozesse in Deutschland/Achter Abschnitt. Zur Erklärung

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Autor: Oskar Wächter
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Titel: Achter Abschnitt
Untertitel: Zur Erklärung
aus: Vehmgerichte und Hexenprozesse in Deutschland
Seite 209–219
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Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: W. Spemann
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Erscheinungsort: Stuttgart
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[209]
Achter Abschnitt.
Zur Erklärung.


Wie ist es möglich gewesen, daß Hunderttausende unglücklicher Menschen von den Gerichten als Zauberer und Hexen verurteilt und hingerichtet wurden? Diese Frage wurde seit dem Verschwinden der Hexenprozesse vielfach aufgeworfen und sehr verschieden beantwortet. Manche waren der Ansicht, es sei lediglich die Anwendung der Folter, welche den Hexenglauben und die Geständnisse der als Hexen Verurteilten erzeugt habe.[1] Andre geben zu, daß manche der Angeklagten sich selbst für schuldig gehalten haben; allein sie seien in Selbsttäuschung befangen oder betrogen gewesen.

Nun ist allerdings unzweifelhaft, daß ein großer Teil der Verurteilungen wegen Zauberei auf Geständnisse [210] hin erfolgte, welche durch die Folter erwirkt wurden. Aber wie konnte man dazu kommen, Anklage auf Zauberei gegen Hunderttausende zu erheben, wenn bei dieser Anklage gar keine thatsächliche Grundlage vorhanden gewesen?

Im ganzen Volke war Jahrhunderte lang der Hexenglaube verbreitet, überall lebte die Überzeugung, daß es Personen gebe, die mit finstern Kräften, mit bösen Geistern, mit dem Satan in Verbindung stehen.

Auch haben manche sich freiwillig angeklagt, Zauberei getrieben zu haben; sie machten diese Geständnisse aus Gewissensnot und um von dem finstern Bann, der auf ihnen lastete, frei zu werden.

Wie kam nun diese Vorstellung von Zauberei in unser Volk und in die Christenheit?

Manche Bearbeiter der Geschichte von den Hexenprozessen suchen den Glauben der Deutschen an Zauberei aus dem Orient und von Römern und Griechen herzuleiten: von den Römern soll er den germanischen Völkern zugeflossen sein. Allerdings fand sich auch im Altertum ein ausgebildetes System des Zauberglaubens und fast alle Völker können dergleichen Sagen in Menge aufweisen. Aber es ist für Deutschland nicht nötig, auf den Orient und das [211] klassische Altertum zurückzugreifen. Die alten Germanen hatten selbst schon und von sich aus ähnliche Anschauungen. Die Grundlage war ja doch eine allen Völkern gemeinsame. Wie die uralte Tradition von Paradies und Sündenfall selbst bei heidnischen Völkern sich unter allerlei Verkleidung forterhielt, so auch die Überlieferung, daß ein Teil der von Gott erschaffenen Geisterwelt abgefallen und als Dämonenreich in Feindschaft gegen Gott und die ihm anhängenden Menschen getreten sei.

Wir begegnen fast bei allen Völkern der Vorstellung, daß untergeordnete böse Geister auf die menschlichen Verhältnisse einwirken und daß mit Hilfe jener Geister scheinbar Übernatürliches gewirkt werden kann.

Manche wollen den Hexenglauben der Deutschen unmittelbar aus der germanischen Mythologie herleiten. Mit dieser mögen wohl unsre Hexensagen einigen Zusammenhang haben. Aber dieser Zusammenhang ist doch ziemlich lose. Was etwa in einzelnen Nachklängen sich von der deutschen Mythologie im Volk erhalten hatte, trug man eben auf die Hexen über.

Doch ist es besonders eine Eigentümlichkeit der [212] deutschen Hexenverfolgungen, welche mit der germanischen Urzeit zusammenhängt, daß nämlich fast ausschließend Frauen es gewesen sind, gegen welche sich die Anklage der Zauberei richtete. Den Frauen war, wie die Bereitung der Speisen und Getränke, so auch die Kunde der heilsamen Kräuter und die Wissenschaft der Arzneien und Salben, die Fertigkeit, Wunden und Krankheiten zu heilen, überwiesen. Wie sie den Kräften und Geheimnissen der Natur nachspürten, so wurde ihnen auch die Kenntnis von allerlei Zaubermitteln zuerkannt. Das Wort Hexe soll ursprünglich eine kluge, kunstreiche Frau bedeutet haben (nach Grimm, Deutsche Mythologie, in dem Abschnitt „Hexen“). Schon die ältesten deutschen Rechtsbücher reden von Zusammenkünften der Hexen zum Kochen ihrer Zaubermittel und brachten sie in Verbindung mit den heidnischen Opfern und mit der Geisterwelt der alten Deutschen. An den uralten Gerichtstagen und Opferfesten, namentlich in der ersten Mainacht, soll ein Hauptauszug der Hexen auf die alten Malstätten stattgefunden haben, meist an den höchsten Punkten der Umgegend.

Die ersten Christen standen noch inmitten einer heidnischen Welt. Wenn sich dieselben daher einesteils [213] nicht immer von dem Aberglauben des Heidentums frei halten konnten, so hatten sie andernteils aus dem Alten Testamente die Überzeugung von der Verwerflichkeit aller Zauberkünste. Ja der Glaube an einen Gott mußte sie von selbst dahin führen, daß sie die Göttergestalten der Heiden entweder für nichtig, oder für den Teufeln verwandt erklärten. Letztere Auffassung war denn auch bei ihnen die gewöhnlichere; sie hielten dieselben für gefallene Engel, Dämonen oder Teufel, legten ihnen einen feinen luftigen Körper bei, „welcher es ihnen möglich mache, in einem Moment überall zu sein und alles wahrzunehmen, was in der Welt vorgehe“. Sie sahen in ihnen Feinde Gottes und der Menschen und glaubten sie darum vornehmlich bemüht, die Menschheit von der Verehrung des einen wahren Gottes abzubringen. Zu dem Zwecke benutzen dieselben ihre Macht und ihre höhere Erkenntnis dazu, die Menschen durch scheinbare Wunderwerke zu täuschen und sie dadurch zu veranlassen, Gott zu verleugnen und ihnen die Gott schuldige Verehrung zu erweisen. So vermengte sich bei den ersten Christen der Begriff der Zauberei nach und nach mit dem Begriff des Götzendienstes, und es war nur eine naturgemäße Entwicklung der Dinge, [214] wenn später die römischen Kaiser, welche zum Christentum übertraten, das eine wie das andere bei schwerer Strafe verboten.

Jemehr sich die Christen jedoch von der Zeit der Herrschaft des Heidentums entfernten, desto mehr schwand in ihrem Bewußtsein auch der Glaube an die wirkliche Existenz der heidnischen Götter. Nur einzelne Spukgestalten des klassischen und germanischen Heidentums hielt der Aberglaube des Volkes hartnäckig fest.

Namentlich lassen sich die nächtlichen Hexenversammlungen auf heidnische Vorstellungen zurückführen. Schon bei den Römern findet sich die Sage von den Nachtfahrten der Zauberweiber im Gefolge der Diana. Im christlichen Altertum erscheint an Stelle der Diana oft die Herodias, welche zur Strafe des an dem Täufer begangenen Mordes ruhelos umherziehen mußte.

Diese nächtlichen Hexenfahrten betrachtete die alte Kirche als ein auf Verblendung der Phantasie beruhendes Hirngespinst. So macht ein (später in das Corpus juris canonici aufgenommener) Kanon, welcher im zehnten Jahrhundert in kirchlicher Geltung stand (der sog. Ancyranische Kanon Episcopi), [215] den Bischöfen zur Pflicht, den Glauben an die nächtlichen Hexenfahrten zu bekämpfen: Es gebe verbrecherische Weiber, welche, durch die Vorspiegelungen und Einflüsterungen des Satans verführt, glauben, daß sie zur Nachtzeit mit der heidnischen Göttin Diana oder der Herodias und einer unzählbaren Menge von Frauen auf gewissen Tieren reiten, über vieler Herren Länder heimlich und in aller Stille hinwegeilen, der Diana und Herodias als ihrer Herrin gehorchen und in bestimmten Nächten zu ihrem Dienste sich aufbieten lassen. Dieses verkünden sie andern, und so habe eine zahllose Menge, getäuscht durch die falsche Meinung, daß diese Dinge wahr seien, vom rechten Glauben sich abgewendet und einem Blendwerk des Bösen sich hingegeben. Der Satan nämlich, wenn er sich irgend eines Weibleins bemächtige, so unterjoche er sie, indem er sie zum Abfall vom Glauben bringe, nehme dann sofort die Gestalt verschiedener Personen an, und treibe mit ihr, der Verführten, im Schlafe sein Spiel, indem er ihr bald heitere, bald traurige Dinge, bald bekannte, bald unbekannte Personen vorführe.

Überall aber wurde die Lehre von den Dämonen in der Kirche festgehalten und ausgebildet.

[216] Nach den Kirchenvätern (Origenes) hausen die Dämonen im dichteren Dunstkreise der Erde. Sie besitzen Leiber. Ihre Körperlichkeit ist aber unvergleichlich feiner, als die der Menschen, wodurch es ihnen möglich wird, in den Geist wie in den Leib des Menschen einzudringen.

Die Götter der Griechen und Römer sollen nichts anders, als Dämonen gewesen sein.

Der Teufel und seine Dämonen sind unablässig bemüht, die ihnen zugänglichen Menschen in ihre eigene Gottlosigkeit und Verdammnis zu verstricken.

Ihr Luftkörper macht es den Dämonen möglich, in die ihnen infolge ihrer Gottlosigkeit zugänglichen Menschen sowohl im wachenden als im schlafenden Zustand einzudringen und ihre Anschläge in die Gedanken der Menschen einzumischen.

Die Kirche lehrte aber auch, daß dem Teufel über den Christen keine Gewalt zustehe. Eines der ältesten kirchlichen Bücher, der „Hirte“ des Hermas, sagt: „Den Teufel fürchte nicht; denn durch die Furcht des Herrn wirst du über den Teufel Herr sein; er fürchtet dich, daher fürchte ihn nicht: so wird er vor dir fliehen. Wenn ihr euch zu dem Herrn bekehrt von ganzem Herzen, so werdet ihr die [217] Gewalt haben, die Werke des Teufels niederzuwerfen.“

Augustin ruft den Gläubigen zu: „Je größer die Gewalt über die irdische Welt ist, die wir den Dämonen verliehen sehen, um so fester laßt uns an dem Erlöser halten, durch den wir uns aus dieser Tiefe nach Oben erheben sollen.“

Die Christen, so lehrte die Kirche, sind gegen die Anläufe des Satans und der Dämonen durch Gebet und Glauben gesichert. Vor ihnen müssen dieselben weichen; aber gerade darum ist die Bosheit des Dämonenreiches vor allem gegen den Christen und gegen die Kirche gerichtet, die sie fortwährend in allerlei Weise zu schädigen und zu verderben suchen.

Außerdem aber sind sie Feinde des Menschengeschlechts überhaupt, weshalb sie den einzelnen Menschen unablässig auflauern und sie auf allen nur erdenkbaren Wegen zu schädigen und zu verderben suchen.

Um ihre heillosen Anschläge zur Ausführung zu bringen, teilen sie ihre geheimen Künste namentlich gottlosen Weibern gerne mit.

Der Begriff der Zauberei gestaltete sich nach [218] dem Bildungsgrade und der Anschauung der Völker verschieden. In Zeiten der Unwissenheit und des Aberglaubens werden Erscheinungen der Zauberei beigemessen, die eine aufgeklärtere Zeit auf den Fortschritt in Erkenntnis und Beherrschung der Naturkräfte zurückführt.

Während die ältere Lehre den Zauberern auch die Macht zuschrieb, allerlei den Menschen sonst unmögliche Malefizien auszuüben, ja selbst Hagel und böse Wetter zu machen, mit ihrem Blick andre zu schädigen u. dgl., so erklärt die spätere Lehre, namentlich nach der Reformation, diese Anschauung als eine diabolische Verblendung.

Der Reformator Joh. Brenz sagt in einer Predigt (1564): daß die Unholde Hagel, Ungewitter und andre böse Dinge zu machen, zu erregen und aufzubringen gar keine Gewalt haben, sondern daß sie vom Teufel damit aufgezogen und verspottet werden, der ihnen weismacht, sie hätten solches gethan. Denn in dem Augenblicke, wo der Teufel weiß, daß ein solches Wetter kommen wird, gibt er der Hexe ein, daß sie ein solches herbeibeschwören müsse, um sie in ihrem Glauben zu stärken.

Eine besondre, – häufig nicht für strafbar erachtete – [219] Art der Zauberei bildete die Anwendung des Segensprechens und der Sympathie.

Das abergläubische Segensprechen war – namentlich gegen Ende des 16. Jahrhunderts – in Deutschland allgemein verbreitet und im Volksglauben festgewurzelt; es bestand in sinnlosen Reimen, darin der Name Gottes oder der Dreieinigkeit verflochten war. Bei Krankheiten von Menschen oder Vieh holte man vor allem eine Person, die durch Segensprechen heilen könne; die Hebamme soll durch einen solchen Spruch leichte Geburt bewirken u. dgl.

Auch hatten Leute großen Zulauf, von welchen die Sage ging, sie könnten durch Beschwören Pferde oder anderes Vieh, welches abhanden gekommen, wieder herbeischaffen oder den Zauber lösen, dem man das Erkranken des Viehes beimaß.

So finden wir in allen Zeiten bald mehr bald minder hervortretend die Vorstellung verbreitet, daß es zauberische Beziehungen von Menschen zu finstern Geistern gebe.

Kirche und Staat meinten, die Zauberei mit Strafen verfolgen zu müssen, und die öffentliche Meinung des Mittelalters forderte geradezu die Hexenprozesse.



  1. So namentlich C. G. v. Wächter, in seinem Werke: Beiträge zur Deutschen Geschichte, insbesondere zur Geschichte des Deutschen Strafrechts (Tüb. 1845), welchem im übrigen die gegenwärtige Darstellung sich meist anschließt.