Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Van Zeerpens Geheimnis
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aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 8, S. 205–208
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Erscheinungsdatum: 1913
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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(Nachdruck verboten.)

Van Zeerpens Geheimnis. – Kornelius van Zeerpen besaß zuerst in Amsterdam, der Zentrale des Diamantenmarktes, eine kleine Diamantenschleiferei, erzielte jedoch damit keinen besonderen Verdienst, trotzdem er ein ebenso gewiegter wie fleißiger Geschäftsmann war. Dann verlegte er sich im Jahre 1865 auf den Diamanteneinkauf im großen. Bereits sieben Jahre später finden wir van Zeerpen als Millionär wieder. Doch der Reichtum hatte ihn nicht stolz gemacht. Noch immer befanden sich seine Geschäftsräume in demselben unansehnlichen Häuschen der Melissonstraße, in dem er einst seine Laufbahn als selbständiger Kaufmann begonnen hatte. Noch immer wurde der vorderste Raum als Laden gebraucht, in dem noch derselbe altgediente Verkaufstisch mit der zierlichen, in das Holz fest eingelassenen Diamantenwage stand.

Bei Zeerpen wurde alles gehandelt, was nur Edelstein hieß, ob geschliffen oder ungeschliffen, gefaßt oder ungefaßt. Seine Geschäftsverbindungen reichten über die ganze Erde. Fürsten und Könige waren seine Kunden. Stets aber schloß er persönlich alle Einkäufe und Verkäufe ab. Bot man ihm Edelsteine an, so mußte man sich zu den genau bestimmten Geschäftsstunden in das kleine Haus in der Melissonstraße bemühen. Kam man auch nur wenige Minuten später, so fand man die eisenbeschlagene Tür fest verwahrt, davor einen Wächter, der nichts anderes zu tun hatte, als Tag und Nacht das Gebäude, in dem oft Millionenwerte lagerten, zu umkreisen. Jedermann hielt den ehrwürdig ausschauenden alten Herrn, der inzwischen auch in der Amsterdamer Stadtverwaltung zu [206] mehreren Ehrenämtern berufen worden war, für einen umsichtigen und weitblickenden Kopf.

Da kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel der Zusammenbruch. Am 14. Mai 1874 erschien in dem Diamantengeschäft ein Engländer und bot Zeerpen verschiedene geschliffene Steine an. Zeerpen prüfte sie gewohnheitsmäßig erst mit der Lupe, bevor er ein Angebot machte. Dann bot er für das Karat einen bestimmten Preis. Der Verkäufer war einverstanden. Nun wurden die Steine auf der auf dem Ladentisch stehenden Wage gewogen. Wie üblich hatte Zeerpen dem Engländer vorher gezeigt, daß die Wage vollkommen richtig funktionierte.

Die Steine hatten ein Gewicht von hundertdreizehn Karat. Darüber schien der Verkäufer etwas erstaunt. Er hätte die Brillanten doch vorher bereits wiegen lassen, und da wäre das Gewicht auf hundertachtzehn Karat festgestellt worden.

Zeerpen erwiderte, daß auf dieser Wage schon unzählige Diamanten gewogen worden seien, und sie habe noch immer tadellos gearbeitet. Der Herr möge nochmals selbst die Steine auf die Schale legen und das Gewicht nachprüfen. Die andere Wage müsse eben einen Fehler gehabt haben.

Der Engländer besorgte nun eigenhändig das Wiegen. Aber es blieben wieder nur hundertdreizehn Karat. Bei dem ersten Abwiegen auf der fremden Wage mußte also notwendig ein Versehen vorgekommen sein. Damit beruhigte sich der Verkäufer denn auch, Zeerpen zahlte ihm den vereinbarten Preis für die festgestellten Karat, und das Geschäft war erledigt.

Nachdem der Engländer gegangen war, erschien ein Zeerpen bisher noch unbekannter Agent einer Brüsseler Diamantenschleiferei und ließ sich ungeschliffene Steine vorlegen. Da ihm Ware und Preis zusagten, kaufte er für eine hohe Summe Diamanten in allen Größen, die er ebenfalls nach Gewicht bezahlte. Der Agent packte die Diamanten sorgfältig ein, verabschiedete sich und begab sich sofort auf die nächste Polizeiwache, wo er in dem Zimmer des Reviervorstandes außer dem Engländer, der bei Zeerpen soeben Steine verkauft hatte, noch einige andere Herren antraf. Auf dem Tisch standen drei neue Diamantenwagen. Man prüfte nun das Gewicht [207] der von dem Agenten erstandenen ungeschliffenen Steine mehrmals auf jeder der Wagen nach, wobei sich herausstellte, daß sie elf Karat weniger wogen als vorher auf van Zeerpens Wage. Der Agent hatte demnach elf Karat zuviel bezahlt, und zwar gerade für große Steine, so daß es sich um eine ganz beträchtliche Summe handelte.

Bald darauf betraten drei Herren in Zivil den Zeerpenschen Laden. Einer von ihnen legitimierte sich als Polizeikommissär und wies einen gerichtlichen Befehl zur Haussuchung vor. Der Diamantenhändler erblaßte und sank halb ohnmächtig in den nächsten Stuhl. Er wußte, daß er seine Rolle ausgespielt hatte.

Am Abend desselben Tages brachten dann die Amsterdamer Zeitungen die überraschende Kunde, daß Kornelius van Zeerpen plötzlich wegen jahrelanger Betrügereien verhaftet worden sei. Man war endlich dahintergekommen, wie Zeerpen es möglich gemacht hatte, trotz aller Preisschwankungen auf dem Diamantenmarkt stets glänzende Geschäftsabschlüsse zu erzielen.

Die Wage in dem Verkaufsraum, die in den Ladentisch fest eingelassen war, besaß kleine Schalen aus poliertem Stahl. An den Stellen, wo diese Schalen über dem Ladentisch schwebten, hatte Zeerpen das Holz der Tischplatte auf der Unterseite bis auf kaum zwei Millimeter weggehobelt und darunter zwei starke Stabmagneten mit einem besonderen Mechanismus so angebracht, daß er ganz nach Wunsch einen oder den anderen der Magneten der betreffenden Schale nähern konnte, wodurch diese dann, da die Wirkung des Magneten durch die dünne Holzschicht nicht wesentlich abgeschwächt wurde, etwas tiefer hinabsank. Das Einstellen der Magneten besorgte Zeerpen mit den Füßen. In der Rückwand des Ladentisches befanden sich nämlich eine Anzahl kleiner, verschließbarer Schubladen. Diese hatten erstens den Zweck, den ganzen so raffiniert ausgeklügelten Mechanismus zu verbergen, zwei von ihnen, die dicht über dem Boden lagen, dienten aber auch, indem man sie ein Stück herauszog, als Hebel und näherten auf einen Druck mit dem Fuße je nach Belieben einen der Magneten den Wagschalen.

[208] Mit Hilfe dieser Einrichtung war es van Zeerpen neun Jahre lang geglückt, seine Kunden regelmäßig beim Abwiegen der Steine zu betrügen. Verkaufte er Diamanten, so vermehrte er durch den Magneten deren Gewicht, kaufte er dagegen, so ließ er den Magneten unter der Schale mit den Gewichten wirken und verminderte dadurch die Schwere der Steine – ebenfalls zu seinem Vorteil. Erst der Engländer, der mehrfach Steine bei van Zeerpen verkauft hatte, schöpfte Verdacht und teilte seine Beobachtungen der Amsterdamer Polizei mit, die dann am 14. Mai 1874 dem Diamantenhändler jene Falle stellen ließ.

Zeerpen wurde zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Da aus seinen Geschäftsbüchern genau hervorging, mit wem er in den letzten Jahren Geschäfte abgeschlossen hatte, wurden von all diesen Betrogenen gegen ihn Zivilprozesse auf Wiedererstattung der im einzelnen erschwindelten Summen angestrengt. Durch diese Prozesse verlor er sein gesamtes Vermögen. Als sich ihm am 25. Oktober 1878 die Tore der Buitenzorger Anstalt für Strafgefangene wieder öffneten, war er ein völlig gebrochener Mann, der der Armenpflege seines Heimatdorfes Plangeldern bis zu seinem Lebensende zur Last fiel.
W. K.