Textdaten
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Autor: Wilhelm Hertz
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Titel: Umbrische Nächte
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aus: Gedichte, S. 8–16.
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Hoffmann und Campe
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Erscheinungsort: Hamburg
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Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[8]
Umbrische Nächte.
Tandem venit amor, qualem
texisse pudore,     
Quam nudasse alicui, sit mihi
fama minor.     
Tibull.
I.

Du hattest unter Kuß und Kosen
     Der Stirne Lorbeer mir entlaubt,
Und kränzest nun mit wilden Rosen
     Bachantisch lächelnd mir das Haupt.

5
Erst ward im Träumen und im Sehnen

     Mein Aug’ so trüb, mein Herz so krank,
Da war es, daß mir unter Thränen
     Die Harfe dumpfen Klangs entsank.

Und als, die Schwüre zu erwidern,

10
     Dem Kuß sich bot dein Angesicht,

Da schwoll mein Herz von tausend Liedern,
     Allein die Harfe rührt’ ich nicht.

[9]

Doch diese Nacht, die Nacht der Wonnen,
     Will ich im Jubelklang vergehn!

15
Heut’ soll die Gluth von tausend Sonnen

     Aus meinen gold’nen Saiten weh’n.

Drum reich’ die Becher, reich’ die Kränze!
     Mir führt die trunk’ne Hand Properz.
So klingt’s und blüht’s in keinem Lenze,

20
     Wie in des sel’gen Dichters Herz.

[10]
II.

Wenn Mitternacht den Dom der Sterne
     Betritt mit schweigendem Gebet;
Wenn aus des Aethers kühler Ferne
     Ein leiser Schöpferodem weht;

25
Wenn sich der Erde Busen wieder

     In bräutlichem Entzücken wiegt,
Und an des Schläfers nackte Glieder
     Sich Cynthia verstohlen schmiegt, –

Dann rühret mir ein Himmelssegen

30
     Mit Zeugungswonnen Geist und Leib,

Dann pocht mein Herz mit Götterschlägen
     An ein erbebend irdisch Weib.

Dann fühl’ ich Weihegluthen thauen
     Ambrosisch um mein duftend Haar,

35
Dann wird mir im prophet’schen Schauen

     Der Schöpfung Räthsel offenbar.

[11]

So weht aus fremder Welt herüber
     Ein halb verlorner Sphärenlaut.
Der Geist der Liebe geht vorüber:

40
     O neig’ dein Haupt, du Dichterbraut!

[12]
III.

An deinem süßen Herzen
     Ruh’ ich in stiller Stund’,
Es feuchtet meine Schläfen
     Dein athemwarmer Mund.

45
Mich wiegt ein Himmels-Garten;

     Da blühen wunderbar
Zwei weiße Rosenbüsche
     Mit Knospen purpurklar.

Im traumessel’gen Schweigen

50
     Die Rosenwogen wall’n,

Mir aber ist, als hör’ ich
     Viel tausend Nachtigall’n.

Nun wollen Lieder brechen
     Aus stürmendem Herzensgrund –

55
Du aber legst die Finger

     Mir mahnend auf den Mund.

[13]
IV.

Komm, laß mit Myrthen dir umlauben
     Der Wangen rothgeküßtes Licht!
Und frage nicht nach meinem Glauben,

60
     Du kleiner Träumer, frage nicht!


Ob ich zum Himmelsbürger tauge,
     Lehrt dieses Busens Heiligthum;
Es predigt mir dein dunkles Auge
     Ein heitres Evangelium.

65
Und seit du meine Augenlider

     Mit nektarfeuchtem Kuß geweiht,
Schau’ ich die schöne Gottheit wieder
     In aller ihrer Herrlichkeit.

Ihr Tempel ist der ew’ge Aether,

70
     Dein Marmorleib ist ihr Altar,

Dort bringe ich, ein trunk’ner Beter,
     Der Liebe Flammenopfer dar.

[14]
V.

Blick’ ich in dein braunes Auge,
     In die dunkle Märchenwelt,

75
Wird von seltsam süßem Grauen

     Mir oft leis das Herz geschwellt.
Ward dir nie die schaur’ge Kunde
     Von den stillen Geisterseen?
Wo den lustgelockten Wandrer

80
     Niederzieh’n die Wasserfeen.


Blick’ ich in Dein braunes Auge,
     Lockt’s mich wie ein Zaubersee,
Todessehnsucht zieht mich nieder,
     Und mir wird so geisterweh.

85
Schweigend senk’ ich dann die Stirne

     Ahnungsvoll in Furcht und Schmerz, –
Und Du küssest ängstlich fragend
     Mit das traumbewegte Herz.

[15]
VI.

Ich bin erwacht von wilden Träumen,

90
     Du aber schlummerst sanft und mild.

Schon will ein Grau die Wolken säumen,
     Doch schweigend liegt noch das Gefild.

Da ruht dein Leib! – In sanfte Wellen
     Ist aufgelöst der Glieder Pracht,

95
Die freien Locken überquellen

     Des Busens Glanz mit Wolkennacht.

Noch schmieget sich an deine Wangen
     Ein lächelndes Erröthen an;
Denn wo ein Glück vorbeigegangen,

100
     Da zeichnen Rosen seine Bahn.


Vom Himmel naht ein leises Rauschen,
     Der Frühling wandelt durch die Welt;
Dein süßes Herz laß mich belauschen,
     Das hat ein schön’rer Lenz geschwellt!

105
     Schon drängt er seine Blüthenfülle

Auf dein erglühend Angesicht,
     Und deiner Augen zarte Hülle
Durchbricht sein morgenhelles Licht. –

[16]

Blick’ auf, mein Lieb! die Wolken prangen,

110
     Horch auf! die jungen Stürme weh’n;

Dein blühend Herz halt’ ich umfangen, –
     O laß mich deine Augen seh’n!

Du schlägst sie auf und senkst sie wieder,
     Der Morgen röthet das Gefild. –

115
So drückte an die heißen Glieder

     Pygmalion sein Marmorbild!