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Autor: Christoph Leonhard von Wolbach
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Titel: Ulmische Zustände
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Erscheinungsdatum: 1846
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Drucker: Ernst Nübling
Erscheinungsort: Ulm
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Die finanzielle, soziale und rechtliche Entwicklung der Stadt Ulm von der freien Reichsstadt zur Stadt unter der württembergischen Krone.
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[1]
Ulmische Zustände.




Den Bürgern der Stadt Ulm


gewidmet


von


Christoph Leonhard v. Wolbach.




Ulm, 1846.
Gedruckt bei Ernst Nübling.

[2]

[3]
Einleitung.


Nach unserer Gemeinde-Verfassung ist dem Stadtrathe die Verwaltung des Gemeinde-Vermögens, und dem Bürger-Ausschusse die Ueberwachung dieser Verwaltung zur Pflicht gemacht: da nun die zahlreichen Mitglieder der erstgedachten Körperschaft (19) größtentheils, und die ebenso zahlreichen Mitglieder der zweiten durchaus (je zur Hälfte) alle 2 Jahre wechseln; so wird ein großer Theil der Bürgerschaft, besonders derjenige, welcher an den Gemeinde-Angelegenheiten Theilnahme zeigt – und das sind heutzutage sehr Viele – nach und nach zu Stadträthen und Bürger-Deputirten gewählt.

Dasjenige Vermögen aber, welches man verwalten und beaufsichten soll, muß man doch vor Allem genau kennen, und eine genaue Kenntniß bildet sich hauptsächlich dadurch, wenn man weiß, wie dasselbe entstanden, wie es unter förderlichen oder hemmenden Umständen sich gemehrt oder gemindert hat: daher handelt der erste Abschnitt dieser Darstellung: Vom Vermögen der Stadt, von dem Grunde, von der Ab- und Zunahme desselben.

Näher liegen aber jedem Bürger sein eigenes Vermögen, und die Mittel, womit er sich und seine Familie nähren soll.

Die Regierungen haben die Gewerbthätigkeit der Bürger von jeher unter ihre besondere Aufsicht genommen und ihr durch mannigfache Anordnungen Vorschub zu leisten getrachtet: allein die Begriffe, was in diesen Beziehungen Nutzen oder Schaden bringe, haben sich im Laufe der Zeit nicht nur geändert sondern fast umgekehrt, und noch jetzt steht man nicht auf festem Boden: es sind daher im zweiten Abschnitte Betrachtungen über das Vermögen der Bürger und ihren Erwerb angestellt.

[4] Endlich wird im dritten Abschnitte die vorige und die jetzige Verfassung[WS 1] und Verwaltung erörtert: die Verfassung der Reichsstadt, welche gegen 300 Jahre bestanden hat, ist aus der Ungnade Kaiser Karls V. gegen die Stadt wegen ihrer Begünstigung der Lutherschen Reformation hervorgegangen; unsere jetzige Verfassung dagegen verdankt ihre Entstehung einem jugendlichen Fürsten voll Vertrauen, Wohlwollen und Treue zu seinem Volke, dessen Regierung Er eben angetreten hatte.

Zu einer genauem Kenntniß der vorgedachten Zustände hat den Verfasser der Gang seines öffentlichen Lebens führen müssen: denn als im Jahre 1817 der erste Bürgerausschuß hier ins Leben getreten, ist er zum Obmanne desselben, und als im Jahre 1819 auch der Stadtrath nach den Bestimmungen des Verwaltungs-Edikts eingesetzt worden, ist er zum ersten Vorstande desselben gewählt worden, welches Amt er erst vor wenigen Monaten niedergelegt hat.

Während dieser langen Zeit, in welcher die neugeschaffenen Gemeindebehörden sich erst begreifen lernen mußten, in der sie Mißtrauen und Anfechtung in Menge erfahren, selbst auch vielfach gestrebt und geirrt haben, war täglich Gelegenheit und Anforderung gegeben, den Zustand der Stadt und der Bürgerschaft nach allen Seiten zu erwägen und zur Darstellung zu bringen: hiebei wurde man häufig auf die vorigen Reichsstädtischen Zustände zurückgewiesen, weil unsere Einrichtungen, sowie unsere Sitten und Begriffe vielfach in jener Zeit wurzeln: es mußte daher in der gegenwärtigen Darstellung auch der Vergangenheit gedacht und die Gegenwart ihr gegenüber gestellt werden; durch eine solche Vergleichung wird man das Rechte oder Mangelhafte dieses oder jenes Zustandes eher begreifen und würdigen lernen, denn unter den Menschen dieser Erde, die aus Gutem und Bösem, aus Wahrheit und Irrthum wunderbar zusammengesetzt sind, ist ja doch Nichts vollkommen.

     Ulm, im Dezember 1845.

[5]
I. Vom Vermögen der Stadt.


§. 1.

Durch Reichsdeputationsschluß vom 25. Februar 1803 ist die freie Reichsstadt Ulm mediatisirt worden: das heißt: sie, die bisher Landesherr und nur dem Kaiser und Reich untergeben gewesen war, ist zum Unterthan und zwar des Churfürsten von Bayern geworden; mit dem Sie bisher gleiche landesherrliche Rechte ausgeübt hatte; jedoch wurde durch den ebengedachten Beschluß festgesetzt: „daß der neue Landesherr die ihm zur Entschädigung zugetheilte Reichsstadt hinsichtlich ihrer Verfassung und ihres Eigenthums, wie seine am meisten bevorzugten Städte zu behandeln, und sie im ruhigen Besitze aller ihrer zu kirchlichen und milden Stiftungen gehörigen Güter und Einkünfte zu belassen habe.“

Der Stadt – der Gemeinde – Ulm sollte demnach ihr bisheriges städtisches Eigenthum verbleiben und blos das Eigenthum des Staats Ulm, der zu bestehen aufgehört hatte, sollte auf den neuen Landesherrn übergehen.

Allein Staat und Stadt waren in den Reichsstädten auf das innigste mit einander verbunden und in einander verwachsen; es entstand daher zuvörderst die Frage: welches Eigenthum hatte dem Staate und welches hatte der Stadt gehört?

Waren die Häuser, die Waldungen, die Gefälle, die Dörfer etc., welche die Reichsstadt besessen, Eigenthum des Staats oder der Stadt gewesen?

Ein Privatmann kann alle Arten des ebengenannten Grundvermögens besitzen, also auch eine Gemeinde.

Die Reichsstadt Ulm hat ihr ebengedachtes Eigenthum nicht durch Eroberungen erworben, sie hat es durch Kauf- und Vertrag an sich gebracht: es wäre daher entscheideud gewesen, zu wissen, ob die genannten Besitzungen mit dem Gelde des Staats oder der Stadt, oder wohl gar mit demjenigen der einzelnen Bürger gekauft worden seyen? Es geht hier die Sage, daß, sowie die Bürger – großentheils mit ihrem eigenen Vermögen – ihr Münster gebaut, sie mit den gleichen Mitteln auch Dörfer, Höfe, Waldungen etc. erworben haben.

[6] Ein also erworbener Grundbesitz hätte als Staatsgut nicht betrachtet werden können; allein Urkunden hierüber waren nicht vorhanden und unsere Zeit, die eine solche Aufopferung unbegreiflich findet, weil sie ihrem Charakter gänzlich fremd ist, glaubt sie nicht ohne Brief und Siegel.

Nimmt man aber an: die genannten Besitzungen seyen aus den öffentlichen Kassen bezahlt worden, so floßen in dieselbe zugleich Landesherrliche und städtische Einkünfte. Das Gekaufte konnte aus diesem Grunde ebenso wohl als ein Eigenthum des Staats oder der Stadt oder als ein Beiden Gemeinschaftliches betrachtet werden. Will man hingegen nicht aus der Erwerbung, sondern aus der Benützung auf das Eigenthum schließen; so erheben sich die nämlichen Zweifel: in unserm Rathhause z. B. hielten landesherrliche Stellen, wie der Magistrat, das Herrschaftpflegamt etc. ihre Sitzungen, aber auch rein städtische Behörden, wie die Einung, das Bauamt; ja selbst die Landestellen der Reichsstadt waren zugleich städtische; der Magistrat z. B. erkannte über Leben und Tod, er nahm aber auch in das Bürgerrecht der Stadt auf, und taxirte die unentbehrlichen Lebensmittel.

Die Churfürstlich bayerische Regierung, welche die Organisation der Stadt den Landesdirektions-Räthen v. Schleich und v. Schöberl übertragen hatte, zerhieb diesen unauflöslichen Knoten dadurch, daß sie sämmtliche Dörfer, Waldungen Aecker, Wiesen, grundherrliche Gefälle etc. der Reichsstadt sowie den größten Theil ihrer Gebäude als Staatseigenthum in Anspruch nahm; dagegen aber das Defizit der Stadtkasse deckte, d. h. alle Ausgaben der Stadt, zu deren Bezahlung die ihr von der bayerischen Regierung zugewiesenen Einkünfte nicht zureichen würden, aus Staatsmitteln zu bestreiten zusicherte; welche Zusicherung auch währen der bayerischen Periode pünktlich erfüllt worden ist.

Die der Stadt zugewiesenen Ausgaben betrugen nach muthmaßlicher Vorausberechnung jährlich beiläufig      56200 fl.
die Einnahmen dagegen ungefähr 31800 fl.
somit war jährlich an Defizit zu decken 24400 fl.

Die Bürger sollten zu Bestreitung ihrer Gemeinde-Ausgaben eine Stadtsteuer nicht bezahlen, wie eine solche auch bei der reichsstädtischen Verfassung niemals erhoben worden war.

[7] An Grundbesitz wurden der Stadt nur wenige Gebäude innerhalb ihrer Mauern, sodann außerhalb derselben die Kleemeisterei, der Ziegelstadel, die beiden Blaichen und ihre Allmanden, insbesondere das sogenannte Gögglinger- und Schützenried belassen, wovon das erste als Torfgrund und gemeine Waide benützt, das zweite dagegen an die Bürger für beiläufig 10000 fl. verpachtet war. Obgleich nun diese Pachtgelder zufolge Entscheidung des Reichhofraths in Wien unter die Bürger nach Köpfen vertheilt werden mußten, so wurden sie dennoch durch die bayerische Organisation in die Stadtkasse gezogen und dadurch die Deckung des Defizit um jährliche 10000 fl. erleichtert. Die übrigen Einkünfte der Stadtkasse bestunden in den Gebühren für die Aufnahme in das Bürgerrecht und in den Beisitz, im Pflaster- und Thorsperrgeld, im Meßgeld von dem auf die Schranne gebrachten Getreide, in den Gefällen von den Wochenmärkten, der Schaafweide etc. Als Ausgaben wurden der Stadt zugewiesen: die Besoldung ihrer Beamten und Diener, die Unterhaltung ihrer öffentlichen Gebäude, der Brücken und Wasserwerke und des Stadtpflasters, die Anschaffung der Feuerspritzen und Feuergeräthschaften etc.

Sodann hatte die Krone Bayern mit der Reichsstadt Ulm eine Schuld von beiläufig 4 Millionen überkommen; hievon wurden der Stadt im Jahre 1808 in runder Summe 300000 fl. überwiesen, deren Verzinsung durch außerordentliche Umlagen auf die Bürger bewerkstelligt, das Capital selbst aber mittels einer besondern Schuldentilgungssteuer binnen 40 Jahren heimbezahlt werden sollte.

§. 2.

Durch den Staats-Vertrag vom 18. Mai 1810, ist die Stadt Ulm mit dem größten Theile ihres vormaligen Gebiets von der Krone Bayern an die Krone Württemberg abgetreten worden und letztere hat dabei die Verbindlichkeit übernommen: „die auf Verträge und andere öffentliche Urkunden gegründeten Entschädigungs-Ansprüche der Stadt zu befriedigen.“

Der württembergische Uebernahms-Commissär, der damalige Staatsrath v. Weckherlin, regelte aber den Haushalt der Stadt nach andern Grundsätzen: das städtische Defizit wurde nicht mehr aus Staats-Mitteln gedeckt: die Einkünfte der Stadtkasse sollten auf andere Weise vermehrt, und hiedurch [8] ein Gleichgewicht zwischen Einnahme und Ausgabe hergestellt werden. Zu dem Ende wurde unter Anderm das unter Bayern aufgehobene Thorsperrgeld wieder eingeführt; der Amtspflege und den beiden öffentlichen Stiftungen Ausgaben zugeschoben, welche bisher von der Stadtpflege bestritten worden waren; außerdem mußte die Kirchen- und Schulstiftung 150,000 fl. und die Hospitatstiftung 60,000 fl. städtischer Schulden übernehmen; durch diesen veränderten Haushalt sollte die Unzulänglichkeit der Stadtkasse zu Bestreitung ihrer Ausgaben auf jährliche 9000 fl. vermindert, und diese Summe als Stadtsteuer von den Bürgern jährlich erhoben werden.

Hiezu kamen damals noch weitere Umlagen zu Abzahlung einer Summe von etwa 150,000 fl. welche die Stadt hiesigen Wirthen für französische Quartiere schuldig geworden, welche Schuld zudem viele Jahre lang gar nicht verzinset worden war, nun aber in wenigen Jahren mit Hauptgut und Zinsen heimbezahlt werden sollte: zu Bestreitung aller dieser Verbindlichkeiten wurden jährlich über 20 Steuersimpla auf die Bürger umgelegt; ferner gesellte sich hiezu die Gränzsperre gegen das auf dem jenseitigen Donau-Ufer gelegene Bayern, wohin seither der meiste Verkehr der hiesigen Gewerbetreibenden gegangen war; endlich das Wegziehen der bayerischen Landesstellen, wofür Württemberg keinen Ersatz bot, weil damals Kreisbehörden daselbst gar nicht bestunden, sondern die ganze höhere Beamtenwelt in der Residenz in Centralstellen vereinigt war. Der Erfolg hievon war die größte Stockung des hiesigen Verkehrs in Handel und Gewerben, zunehmende allgemeine Verarmung, zahlreiche Gantungen – in der Reichsstadt und unter Bayern fast unbekannt – ein Herabsinken der Häuser und Güter auf die Hälfte und ein Drittel ihres frühem Werths.


§. 3.

Schon Seine Majestät der verewigte König Friedrich hatte diesen unerträglichen Zustand auf irgend eine Weise erleichtern zu wollen zugesichert; als aber vollends unter der unmittelbaren belebenden Einwirkung Sr. Majestät unsers Königs Wilhelm, des treuesten Freundes seines Volks, der Verfassungs-Vertrag und mit ihm das Edict über die Gemeinde-Verfassung zu stande gekommen waren, stellten die hiesigen – durch jugendliche Kräfte verstärkten Gemeindebehörden [9] auf’s Neue vor, daß die Bürger durch die württembergisehe Feststellung des städtischen Haushalts zu Grunde gerichtet werden, daß Bayern der Stadt zwar fast all ihr Grund-Eigenthum entzogen, dagegen aber ihr Defizit mit jährlichen 24 bis 25,000 fl. gedeckt habe, während das Fehlende jetzt aus dem Vermögen der Bürger herbeigeschafft werden müsse, daß aber Württemberg, welches die Stadt durch Vertrag überkommen, und kraft desselben versprochen habe, die auf Verträge und andere öffentliche Urkunden gegründeten Entschädigungs-Ansprüche zu befriedigen, das städtische Defizit zu decken ebenfalls rechtlich verbunden sey.

Zuerst im Jahre 1817 wurde dießfallsigen Unterhandlungen von der Regierung statt gegeben; als königlicher Bevollmächtigter erschien dabei der frühere Organisations-Commissär Staatsrath v. Weckherlin; aus der Mitte des Stadtraths wurde Bürgermeister v. Wölkern und Senator Dieterich, und aus dem Bürgerausschusse der Verfasser, als damaliger Obmann desselben, nach Stuttgart abgeordnet.

Bei dieser Unterhandlung kam folgendes zur Sprache: Bayern, welches im Jahre 1803 das ganze Gebiet der Reichsstadt erworben, habe wegen dieser Erwerbung das städtische Defizit im durchschnittlichen Betrage von jährlichen 25,286 fl. gedeckt: von diesem ganzen Gebiete habe aber Bayern, als es die Stadt Ulm mit ihrem auf dem linken Donau-Ufer gelegenen Gebietstheile an Württemberg abgetreten, den auf dem rechten Donau-Ufer liegenden Theil behalten, und auf diesen Theil treffe nach Maasgabe des Steuerfußes eine Defizitdeckung von 2087 fl.

Diesen Theil des Defizit im kapitalisirten Betrage von 67177 fl. habe die württembergische Regierung nun selbst gegen die bayerische geltend gemacht, und ihn auch neben andern Forderungen von Bayern annähernd ersetzt erhalten; es könne daher keinem Anstande unterliegen, daß dasjenige, was Württemberg für die Stadt Ulm und Namens derselben von Bayern empfangen, auch der Stadt zu Theil werde; und so wurden denn im Jahre 1817 60,000 fl. städtischer Schulden von der württembergischen Staatskasse übernommen.

Damit war aber nur der kleinste Theil des Defizit, und nur derjenige, der auf Bayern getroffen hatte, gedeckt, für den größten Theil desselben, den Württemberg zu decken hatte, war noch immer keine Entschädigung gegeben. [10] Die städtischen Behörden setzten deshalb ihre Ansprüche unausgesetzt fort; dem damaligen Finanzminister, Freiherrn v. Malchus, gebührt die Ehre, daß er denselben Gehör gegeben, und im Jahre 1820 auf’s Neue Unterhandlungen hat eröffnen lassen; von Seiten des Staats waren die Ober-Regierungsräthe v. Breitschwerd und v. Waldbaur hiezu beauftragt, und Seitens der Stadt, der damalige Abgeordnete derselben zur Stände-Versammlung, der jetzige Stadtrath Kiderlen, die Stadträthe Dieterich, Bühler und Molfenter, und der Obmann des Bürger-Ausschusses, Buchhändler Becker. Voran waren aber in schriftlichen Ausführungen folgende Ansprüche erhoben worden: der Betrag des Defizit für den württembergischen Antheil am Ulmer Gebiet mit jährlichen 22599 fl. 20 kr. für die Jahre 1810 bis 1820 – während welcher Württemberg das Defizit nicht mehr gedeckt hatte, sodann die Zinse hieraus, endlich die Deckung dieses Defizit für alle Zukunft, oder mit andern Worten die Ablösung desselben im 20fachen Betrage.

Außer diesem Guthaben nahmen aber die städtischen Behörden auch noch diejenigen 150,000 fl. und 60000 fl. in Anspruch, welche die öffentlichen Stiftungen der Stadt – ihren eigentlichen Zwecken zuwider – zu Bezahlung städtischer Schulden hatten herbeischaffen müssen.

In Folge langer Unterhandlungen kam endlich im Jahre 1821 ein Vergleich zu stande, nach welchem der Staat vom 1. Juli 1821 an – 80,000 fl. städtischer Schulden übernommen, und 130,000 fl. an ärarialischem Grundbesitz und Gefällen der Stadt zugewiesen hat; eine größere Entschädigung wurde um deswillen weggewiesen, weil man voraussetzte, im Besitze dieses neuen Vermögens, und nachdem die Einkünfte der Stadt sich auch sonst vermehrt haben, werde dieselbe ihre Ausgaben bestreiten können, ohne eine Stadtsteuer auf den Bürger umlegen zu müssen, was sich auch bisher mit wenigen Ausnahmen als richtig bewährt hat.

Auf eine Entschädigung der Stiftungen für ihre Beiträge von 210,000 fl. ist aber der Staat um deswillen nicht eingegangen, weil auch zur reichsstädtischen Zeit die Stadt, wenn sie in Bedrängniß gewesen, aus diesen Stiftungen unterstützt worden sey; nichts desto weniger hat aber die Stadt aus den vom Staate erhaltenen Gefällen einen Werth von 60,000 fl. an die Stiftungen abgetreten.

[11]
§. 4.

Im nämlichen Jahre (1821) wurden der Stadt in Folge eines zwischen den Kronen Bayern und Württemberg abgeschlossenen Ausgleichungs-Vertrags zurückgegeben: die auf der rechten Donauseite liegenden Schiffbauplätze, der Holzhandels- und der Zimmerplatz, der große Düngerplatz, die Kleemeisterei mit den dazu gehörigen Grundstücken, die Schaafweide nebst dem Pförchrechte auf der ganzen städtischen Markung rechts der Donau, mit Ausschluß der als bayerisches Staatseigenthum vorbehaltenen Plätze, die Waid-Surrogatgelder und die Fischereigerechtigkeit in der Iller und Donau innerhalb gewisser Distrikte.


§. 5.

Um dieselbe Zeit hat die Stadt ein Guthaben bei dem Wienerhofe von 150,000 fl., welches ihr bei der bayerischen Organisation belassen worden, nach der damaligen Geltung der österreichischen Staatspapiere ungefähr um die Hälfte des Nennwerths verkauft.


§. 6.

Im Jahre 1837 sind die beiden städtischen Blaichen, die obere um 36,000 fl. und die untere um 40,000 fl. an die bisherigen Pächter derselben, Heinrich und Kiderlen, verkauft worden. Dieser geringe Preis für Besitzungen, welche aus mehrern werthvollen Wohn-, Oekonomie- und Blaich-Gebäuden, aus Wasserkraft und aus beziehungsweise 58 und 104 Tagwerken Blaichgrund bestehen, erklärt sich theils daraus, daß dieselben der Stadt nur einen sehr geringen Ertrag gewährten – die obere Blaiche jährlich gegen 600 fl., die untere gegen 800 fl. – (die reichsstädtische Verwaltung hatte ein sehr mäßiges Pachtgeld in der patriarchalischen Erwartung angesetzt, je weniger der Blaicher zu zahlen habe, umso mehr werde er sich die Vervollkommnung seines Geschäfts angelegen seyn lassen) theils daraus, daß es den städtischen Behörden nicht sowohl um großen Erlös, als vielmehr im Interesse der ganzen Gemeinde um die Erhaltung und Verbesserung der Blaichanstalt zu thun war, daher beim Verkaufe die Bedingung gemacht worden ist, daß jeder Blaicher binnen [12] 3 Jahren wenigstens 10,000 fl. auf Blaicheinrichtungen zu verwenden, und die Anstalt so zu vervollkommnen habe, daß sie jederzeit mit den vorzüglichsten Blaichanstalten gleichen Schritt halten, welcher bedeutende Aufwand von den Blaichern, wenn sie bloße Pächter geblieben wären, nicht hätte verlangt werden können.


§. 7.

Die Urbarmachung des Gögglinger Rieds wurde im Jahre 1839, hauptsächlich durch die unverdrossenen Bemühungen, des hiesigen Oberamtmanns, Regierungsraths v. Haas, und durch das Vertrauen, welches derselbe durch aufrichtiges Wohlwollen überall zu gewinnen weiß, zustande gebracht; was seit Menschengedenken versucht, jedesmal aber durch die Einsprüche der benachbarten Gemeinden, Grimmelfingen, Söflingen etc. vereitelt worden war, welche aus diesem Riede mannigfache Waiderechte anzusprechen hatten.

Dieser Grundbesitz der Stadt ist nun größtentheils verpachtet, und gewährt schon jetzt einen jährlichen Ertrag von beiläufig 3000 fl. der sich aber in der Folge voraussichtlich erhöhen wird; während der nämliche Platz – als Waide benützt – nur das geringste Waidgeld eingetragen, und wegen seiner großen Entfernung den städtischen Viehheerden wenig Nutzen gewährt hat.


§. 8.

In der neuesten Zeit hat die Stadt beiläufig 109 Morgen ihres Grund-Vermögens zum Festungsbau abtreten müssen, und hiefür in runder Summe 52,000 fl. vom deutschen Bunde bezahlt erhalten.


§. 9.

Der Ertrag der Gemeinderechte ist aber seit dem Bestehen der jetzigen Gemeinde-Verfassung hauptsächlich in folgenden Posten geändert worden.

1) Die Bürgeraufnahme-Gebühr hat zur reichsstädtischen Zeit 60 fl. für den Mann, 30 fl. für die Frau und 15 fl. für das Kind betragen; diese Gebühr ist auf die Vorstellungen der städtischen Behörden im Jahre 1823 auf beziehungsweise 100 fl., [13] 50 fl. und 25 fl. und im Jahre 1829 auf 120 fl., 60 fl. und 30 fl. erhöht worden: und eine verhältnißmäßig gleiche Erhöhung hat für die Aufnahme in den Beisitz statt gefunden; sie beträgt jetzt 60 fl. für den Mann, 30 fl. für die Frau, und 15 fl. für das Kind; während sie zur Zeit der Reichsstadt nur halb so groß gewesen ist.

2) Seit unfürdenklicher Zeit besaßen mehrere hiesige Bürger Marktbuden, welche sie an den Jahresmessen aufstellten und an die fremden Marktverkäufer vermietheten; weil aber eine solche Vermiethung in Württemberg zu den Gemeinderechten gehört; so hat die Stadt im Jahre 1829 dieselbe ebenfalls in Anspruch genommen, den bisherigen Vermiethern aber theils für ihre Buden, theils als Entschädigung 17,890 fl. bezahlt.

3) Durch die Württembergische Organisation ist der Stadt das Thorsperrgeld als Einnahmsquelle zugewiesen worden, nachdem aber die K. Württembergische Regierung die Thorsperrgelder zu Beförderung des Verkehrs aufgehoben hat, ist der Stadt im Jahre 1838 eine dießfallsige Entschädigung von 15,000 fl. aus Staatsmitteln bezahlt worden.


§. 10.

Auf vorstehende Weise haben sich die Einnahmen der Stadt nach und nach vergrößert; ebenso sind aber auch ihre Ausgaben gewachsen; namentlich verursachen die Baukosten an den städtischen Gebäuden bei der stets zunehmenden Theuerung der Baustoffe und der Arbeitslöhne, das Straßenpflaster, die Beleuchtung und die Reinigung der Straßen, sowie die Polizeianstalt überhaupt jetzt einen weit größern Aufwand als früher; die Einnahmen der Stadtkasse belaufen sich dermalen jährlich auf 60 bis 70,000 fl., und ebenso groß sind ihre Ausgaben. Die Herstellung dieses Gleichgewichts und daß somit den Bürgern bei den gewöhnlichen Bedürfnissen eine Stadtsteuer nicht auferlegt werden dürfe, ist ein Grundsatz ihrer Verfassung, eine Folge ihres frühern Reichsstädtischen Besitzes, und von den Kronen Bayern und Württemberg durch Deckung·des Defizit der Stadtkasse anerkannt.

[14]
§. 11.

Das Vermögen der Stadt und ihrer hauptsächlichen Einkünfte bestehen nun nach der letztgestellten Stadtpflege-Rechnung von 1843/44 in Folgendem:

I. Gebäude:
Das Rathhaus mit Nebengebäuden erträgt an jährlicher Miethe   266 fl.
Die untere Stube einschließlich des dinglichen Wirtschaftsrechts 955 fl. kr.
Das vormalige Zollhaus am Donauthor 146 fl. kr.
Der Anbau am Bäcker Gebhardschen Hause 44 fl. kr.
Das Schlachthaus 26 fl. 30 kr.
Der Werkhof mit Nebengebäuden 75 fl. kr.
Das Kornhaus und die Kornmesserwohnung 160 fl. kr.
Die Laden der Vorkäufler mit der Berechtigung zu Erhebung des Käuflergelds 1053 fl. kr.
Die Kramladen 257 fl. kr.
Das Haus A. 178 97 fl. kr.
Der Gänsthurm mit Nebenhaus 50 fl. kr.
Das Schauspielhaus trägt als solches nichts, aber wegen Vermiethung sonstiger Gelasse in demselben 70 fl. 30 kr.
Die Kleemeisterei 35 fl. kr.
Der Ziegelstadel, einschließlich des Steinbruchs und der Lehmgrube 1600 fl. kr.
Der Sedelhof an Geld 350 fl. kr.
Die Brunnenstuben an Wasserzinsen 807 fl. 13 kr.
Die Behälter an den Stadtmauern 18 fl. 30 kr.

Außerdem besitzt die Stadt an Gebäuden, den Goschenkeller, das Eichgebäude, die Hauptwache und die Wachstuben an den Thoren, die Thorthürme, die Wohnungen der Pflaster- und Dammgeldeinnehmer, das Leichen und Todtengräberhaus und die Wohnung des Torfhüters im Gögglinger Ried.

II. Grundvermögen:
Gärten, Aecker und Wiesen, theils auf 3 Generationen, theils auf Lebensdauer, theils auf gewisse Jahre verpachtet – die eigentlichen Allmanden – sodann Plätze in der Stadt etc. ertragen an jährlichen Pachtgeldern   10717 fl. kr.
Holzlager-Plätze 411 fl. 33 kr.

[15]

  Der Torfgrund (Erlös aus dem Torfe).   706 fl. 30 kr.
Obst-Erlös von den Straßenbäumen, die auf städtischem Grund und Boden stehen 562 fl. 40 kr.
Thonstichplatz verpachtet zu 10 fl. kr.

Zum Grund-Vermögen gehören ferner: die sämmtlichen öffentlichen Plätze, Straßen und Gassen der Stadt, die Anlagen und Spaziergänge außerhalb derselben, die Nachbarschafts- und Feldwege, die öden Gründe innerhalb der Markung, die Stadtgräben, der Blaugrund, der Begräbnißplatz etc.

III. Gefälle:
1) an Geld:
Erdzinse und Fischwasserzinse   428 fl. 48 kr.
Zehntsurrogatgelder u. Ab- u. Auffahrten   24 fl. kr.
2) an Getreide:
60 Scheffel Roggen.
209 " Veesen.
25 " Gerste.
80 " Haber.
5 Simri Kern.
IV. Aktivkapitalien, einschließlich der Dampfschifffahrts-Aktien beiläufig 165000 fl., sie ertragen an Zinsen 5632 fl. kr.

Zu diesen Capitalvermögen kommt nun hinzu der Erlös aus den zu den Festungswerken verkauften Gütern, wogegen diese Güter am Grundvermögen abgehen.

V. Gemeinheitsrechte:
1)  Bürger-Aufnahmsgelder   7189 fl. kr.
2)  Beisitz-Aufnahmsgelder 1183 fl. 30 kr.
3)  Bürgersteuern 4600 fl. kr.
4)  Beisitzsteuern 363 fl. kr.
5)  Wohnsteuer 1561 fl. kr.
6)  Miethzins für die Buden, Wach- und Standgeld an den Jahresmessen 5858 fl. 52 kr.
7)  Wochenmarktstandgeld mit dem Obstmeßgeld 644 fl. kr.
8)  Meßgeld am Fruchtmarkt 4816 fl. 43 kr.
9)  Anlandgeld an der Ziegellände einschließlich des Wirthschaftsrechts 2470 fl. kr.
10)  Anlandgeld an der Gänslände 922 fl. 56 kr.
11)  Waggeld von Heu und Stroh 489 fl. 34 kr.

[16]

  12)  Wag- und Lagergeld von der Halle unterm Rathhause   566 fl. 16 kr.
13)  Stadtpflastergeld 6864 fl. kr.
14)  Die beiden Wirthschaftsgerechtigkeiten in der Friedrichsau 135 fl. kr.
15)  Schaafweide und Pförch 2003 fl. 10 kr.
16)  Waidsurrogatgelder 34 fl. 36 kr.
17)  Polizeistrafen 776 fl. 15 kr.
18)  Freie Pürsch 26 fl. kr.


§. 12.

Die hauptsächlichen Ausgaben der Stadt sind aber nach dem letzten muthmaßlichen Voranschlage fürs Jahr 1845/46 folgende:

  1)  Steuren   1135 fl.
2)  Steuersatzkosten 300 fl.
3)  Beitrag zur Sonntagsschule 600 fl.
4)  Baukosten an den Gebäuden der Stadt 6625 fl.
5)  Versicherung gegen Feuersgefahr 400 fl.
6)  Zimmerheizung und Reinigung 500 fl.
7)  Brennholz und Wellen 1500 fl.
8)  Bau- und Werkholz 2700 fl.
9)  Brunnenwerk, Dollen und Kanäle 5135 fl.
10)  Feuerlösch-Anstalten und Feuerlösch-Geräthschaften 1800 fl.
11)  Straßenflaster 6000 fl.
12)  Straßenbeleuchtung und Straßenreinigung 5800 fl.
13)  Fuhrlöhne für Eis und Kies 1200 fl.
14)  Wege außerhalb der Stadt 1315 fl.
15)  Taggelder und Taglöhne 3600 fl.
16)  Culturkosten und Grabenöffnung 600 fl.
17)  Baumpflanzung 250 fl.
18)  Garnisonskosten 1500 fl.
19)  Jahrmarktskosten 1600 fl.
20)  Besoldungen und Pensionen 12600 fl.
21)  Löhnung und Bekleidung der im Polizeidienst Angestellten 11513 fl.
22)  Bücher- und Druckkosten 750 fl.
23)  Schreibmaterialien und Schreib-Verdienst 950 fl.

[17]
II. Vom Vermögen der Bürger und ihren Erwerbs-Quellen.


§. 13.

Die Reichsstadt Ulm hat in ihren – die Handwerke und Gewerbe betreffenden – Anordnungen hauptsächlich an zwei Grundsätzen festgehalten; der eine war: es soll Keiner ein Handwerk selbstständig treiben dürfen, der es nicht eine gewisse Reihe von Jahren hindurch erlernt und geübt und durch ein Meisterstück seine Tüchtigkeit darin nachgewiesen hätte; man erwartete, daß der Arbeiter durch längere Lehre und Uebung Geschick und Erfahrung erlangen, und daß die Aussicht auf die zu bestehende Meisterprobe ihm Antrieb seyn werde, die Lehr- und Wanderjahre nützlich anzuwenden, endlich, daß das Bestehen dieser Probe ihm sein Fortkommen verbürgen werde. Der zweite Grundsatz bestand darin: Jeder soll sein Handwerk nur innerhalb bestimmter Schranken zu treiben befugt seyn; in Folge hievon durfte er nur eine gewisse Zahl von Gesellen beschäftigen, nur Arbeiten verfertigen, welche in die scharfe Umgränzung seines Handwerks fielen, nicht mehrere Handwerke zugleich treiben: die Absicht hiebei war, daß möglich Viele neben einander sollten bestehen, und der durch Talent oder Geld weniger Begünstigte, was überall die Mehrzahl ist, mit dem Ausgezeichneten und Reichen sollte fortkommen können.

Der Vermehrung der Gewerbegenossen wurde dadurch Schranken gesetzt, daß der Meister nicht Mehrere zugleich in die Lehre nehmen, und nach dem Austreten des einen Lehrlings erst nach Umfluß einiger Zeit einen folgenden lehren durfte; Auswärtige wurden durch die schweren Bedingungen der Aufnahme ins Bürger- und Meisterrecht, durch Sizjahre etc. bald ganz, bald längere Zeit ferne gehalten.

Die Folge hievon war, daß das Handwerk, wie man sich ausdrückte, einen goldenen Boden hatte; daß es nicht sowohl Reiche, als einen wohlhabenden Mittelstand gab; Verarmung, wenn sie nicht durch Unglück oder liederliche Lebensweise verursacht worden, kam nicht leicht vor; sie trat als nothwendige [18] Erscheinung – wie das Erlöschen des Lebenslichts im Greisenalter ohne vorausgegangene Krankheit – erst dann ein, wenn den Arbeiter seine Kräfte verließen, für welchen Fall aber durch Stiftungen vorgesehen war, die den Altersschwachen mit dem Nothwendigsten versorgten; Gantungen waren äußerst selten; Auswanderungen, um in einem fremden Welttheile sein Heil zu versuchen, unbekannt, weil man in der Heimath sich fortbringen konnte.

Aus diesem gesicherten Zustande ist dann aber auch eine gewisse Ehrenhaftigkeit der Gesinnung und des Charakters hervorgegangen: wer seines Fortkommens auf ehrliche Weise gewiß ist, wird nicht leicht zu betrügerischen Mitteln seine Zuflucht nehmen; wer sein Geschäft mit Erfolg treibt, wird es darin weiter bringen, als der von Nahrungssorgen Niedergedrückte; das Gelingen erhöht und stärkt die Kraft auf eine wunderbare Weise; wer an die Genüsse und Zerstreuungen des Reichen nicht gewöhnt ist, wird sich auch mit einem kleinern Verdienste begnügen und bei seiner Arbeit bleiben.

Von diesem mittlern unter Alle vertheilten Wohlstande trifft man in unserer Stadt noch viele Spuren, besonders unter denjenigen Gewerben, welche, wie z. B die Schifferinnung, ihre alten Einrichtungen haben beibehalten können, und jene ehrenhafte bürgerliche Gesinnung ist hier noch keineswegs ausgestorben.


§. 14.

Der Geist der neuern Zeit hat aber alle Schranken, welche der freien Entwicklung der Kräfte im Wege stehen, zu entfernen getrachtet.

Warum sollte der Lehrling drei Jahre in der Lehre ausharren, wenn er in Einem das Nöthige sich aneignen, warum vier Jahre wandern, wenn er in zweien sich ausbilden kann? warum ein Meisterstück machen, bei dessen Beurtheilung ohnehin Gunst oder Neid oder Schlendrian leicht den Ausschlag geben, wenn er sich tüchtig fühlt? hat er sein Geschäft selbstständig zu treiben angefangen, ehe die Kraft dazu vorhanden ist, so mag er zu Grunde gehen, es ist dieß nur seine Schuld; ebenso mögen diejenigen, die sich dem Unbewährten anvertraut, die Folgen davon tragen, sie können über Niemanden deshalb klagen.

Warum sollte ferner derjenige, der durch Talent oder Reichthum über Andere hervorragt, nicht den vollesten Gebrauch [19] davon machen dürfen. Ueberdieß: welche Zahl von Handwerkern in einer Gemeinde wäre die angemessene, nicht zu klein und nicht zu groß; nimmt nicht selbst das Verlangen nach dieser oder jener Arbeit in Folge der launenhaften Mode, der vermehrten oder verminderten Bevölkerung, und in Folge von Wohlstand oder Verarmung bald zu bald ab? Die Gestattung des unbeschränkten Gewerbebetriebs und der ungehinderten Vermehrung der Gewerbegenossen brach sich aber vorzüglich dadurch Bahn, weil man hiedurch zugleich die beste und die wohlfeilste Arbeit zu bekommen hoffte; je Mehrere auf dem Felde des bürgerlichen Erwerbs mit einander kämpfen, um so höher werden sie ihre Kräfte anstrengen müssen, und dadurch zu größerer Tüchtigkeit gelangen: je Mehrere verkaufen und arbeiten, um so niedriger werden sie die Preise stellen müssen, um ihre Waare und ihre Arbeit an den Mann zu bringen. Was früher durch Vorsorge, Ueberwachung, Beaufsichtigung zu erreichen gesucht worden, das wollte man durch Concurrenz erlangen.


§. 15.

Die württembergische Gesetzgebung hat eine Art von Mittelstraße hierin eingeschlagen; sie hat zwar alle Beschränkungen in der Zahl der Lehrlinge und Gesellen, in der Ausdehnung des Gewerbebetriebs entfernt; aber sie hat die Zünftigkeit bei gewissen Gewerben dennoch beibehalten, vermöge welcher Lehrzeit, Wanderjahre, Meisterstück und Volljährigkeit zum selbstständigen Betriebe erforderlich sind, wie ja auch eine ähnliche Zünftigkeit bei den gelehrten Gewerben, (den s. g. Brod-Wissenschaften) statt findet; bei den übrigen Handwerken aber hat sie der Unzünftigkeit, jedoch nur versuchsweise, statt gegeben; sie hat sodann dem Handwerker und Gewerbetreibenden zu Beförderung des Fortkommens, den Handel mit Gegenständen ihres Gewerbs und den gleichzeitigen Betrieb mehrerer Gewerbe gestattet; ferner hat sie, damit Jeder soviel möglich an dem für ihn geeignetsten Orte sich häuslich niederlassen und sein Geschäft treiben könne, den Gemeinden die Zwangspflicht auferlegt, alle diejenige in ihre Genossenschaft aufzunehmen, welche ein bestimmtes Vermögen, einen selbstständigen Nahrungszweig und ein s. g. gutes Prädikat nachweisen können, selbst wenn das Gewerbe, das sie zu treiben gedenken, in der neuen Heimath voran schon übersetzt [20] wäre; diese Niederlassungsfreiheit ist endlich bei den unzünftigen Gewerben noch dadurch erweitert worden, daß zu ihrem Betriebe nicht einmal das Heimathrecht im Orte der Niederlassung erfordert wird, sondern schon ein Heimathrecht in irgend einer vaterländischen Gemeinde genügt.

Durch diese Bestimmungen ist augenscheinlich eine sehr große Concurrenz hervorgerufen worden, deren Folgen nun in den nachstehenden §§. näher betrachtet werden sollen.


§. 16.

Die freieste Concurrenz hat von jeher auf den Märkten statt gefunden, oder vielmehr: Die Märkte sind eben Ausdruck und Darstellung der Concurrenz.

Die größte und ausgedehnteste findet auf den Weltmärkten statt; auf ihnen ermittelt sich, was die Erzeugnisse der Landwirthschaft, wie Zucker, Kaffee, Getraide, Baumwolle und Wolle etc. nach der Witterung der vorangegangenen Jahre, im Kriege oder Frieden, und bei sonstigen günstigen oder ungünstigen Umständen, ebenso was die Erzeugnisse des Gewerbfleißes, die Gewebe aus Baumwolle, Wolle, Leder und Eisenarbeiten, Leinewaaren etc. jeweilen kosten und kosten können.

Nach den Preisen der Colonialwaaren auf den Märkten in London oder Amsterdam, und nach den Preisen der Erzeugnisse des Gewerbfleißes auf der Leipziger- oder Frankfurtermesse richten sich die Preise dieser Waaren in ganz Deutschland, und es kommt zu denselben beim Absatze an die Verbrauchenden nur noch hinzu, was der Kaufmann, der die Waare aus erster Hand bezogen hat, und was der Händler, der sie im Kleinen wieder verkauft, für ihre Mühe, Gefahr und Auslagen darauf legen. Auch dieses Darauflegen ist überall ziemlich gleich; seye nun dieser gleiche Preis durch Uebereinkunft oder durch die Nöthigung entstanden, um des eigenen Absatzes willen möglichst wohlfeil zu verkaufen; und so kosten denn Zucker und Kaffee, Tücher aus Wolle und Baumwolle von gleicher Güte und Beschaffenheit in allen Läden derselben Stadt und Gegend ungefähr das Nämliche; ja diese Läden selbst bilden gewissermaaßen wieder einen Markt. Die Erzeugnisse des Gewerbfleißes sind aber insbesondere durch die ungeheure Concurrenz der Kräfte der gesammten industriellen [21] Welt auf die niedrigsten Preise heruntergegangen, was nur dadurch möglich geworden, daß die größten Kapitalien und die vollkommensten Maschinen zu Verfertigung der Waare, und die vollendetsten Transportmittel zu ihrer Versendung angewendet worden sind.

Der Fabrikant, der sich nicht im Besitze dieser Vortheile befindet, kann mit jenen Bevorzugten nicht mehr gleiche Preise halten; er setzt anfänglich seine Arbeiter auf einen immer kümmerlichern Lohn herunter, wodurch ihr Zustand da und dort trostloser geworden, als derjenige des Leibeigenen und des Sklaven, und wenn auch diese Hilfe nicht mehr ausreicht, schließt er sein Geschäft: das darauf verwendete Kapital ist aber dann größtentheils verloren und die Arbeiter sind brodlos.

In diesem Falle befindet sich dermalen häufig der deutsche Gewerbefleiß; um diesem Elende und dieser Verarmung zu steuren, gedenken die deutschen Regierungen die fremde, durch äussere Umstände bevorzugte Waare beim Eingange in ihr Land mit Zöllen zu belegen, wenn gleich hiedurch der Preis der Waare ein höherer wird; hiemit ist aber auch anerkannt; daß es eine Ueberconcurrenz gebe; und daß nicht die größte Wohlfeilheit im Interesse des Landes liege, sondern die Blüthe und der Schutz der inländischen Industrie, wenn sie durch die fremde bedroht ist. Nur bleibt es der Vorsorge der deutschen Regierungen vorbehalten, zugleich Maasregeln zu treffen, daß von der Wohlthat dieser Schutzzölle – nicht blos die Fabrikanten, sondern auch die Arbeiter ihren Antheil erhalten.


§. 17.

Wenn nun aber der Markt nach dem voranstehenden den niedrigsten Preis der Waare ermittelt, wie kommt es, daß die Brodfrüchte, die doch auch auf dem Markte verkauft werden, seit mehrern Jahren selbst in den eigentlichen Getreideländern im höchsten Preise stehen, während die Fruchterndten in den letzten Jahren wenigstens mittelmäßig gewesen sind?

Diese Thatsache hat ohne Zweifel ihren Grund in der starken Nachfrage nach dieser Waare; soviel auch immer zu Markt kommt, es wird in der Regel Alles schnell verkauft; [22] und dieser starke Einkauf hat wieder seinen Grund im Handel mit den Brodfrüchten, und im immer größern Verbrauche derselben innerhalb der Erzeugungs-Länder selbst.

Der Handel mit Getreide ist jedoch von gedoppelter Art, entweder ist es derjenige, der den Ueberfluß des einen Landes dem andern zuführt, das daran Mangel leidet, oder es ist der Wucher, der Aufkauf zum Wiederverkaufe auf dem nämlichen oder einem andern nahe gelegenen Markte in gewinnsüchtiger Absicht.

Dieser Wucher, weil er das unentbehrlichste Bedürfniß vertheuert, ist von jeher Gegenstand des Hasses und der Verachtung der bürgerlichen Gesellschaft gewesen, und überall suchen die Marktordnungen demselben durch Beschränkungen im Einkaufe und Wiederverkaufe – jedoch gewöhnlich ohne vielen Erfolg – zu steuren.

Der Getreidehandel dagegen ist ein wahrhaft wohlthätiger, so lange er den Ueberfluß des Fruchtlandes anderwärts zu verkaufen weiß, er wird aber ein höchst verderblicher, wenn mittels desselben nicht blos der Ueberfluß, sondern der eigene Bedarf aus dem Lande geführt wird.

Die Regierungen scheinen keine genaue Kenntniß von den Vorräthen und dem Bedarfe ihrer Länder, und von der Ausfuhr aus denselben zu haben; aber es ist aus den gegenwärtigen sehr hohen Preisen der Brodfrüchte zu vermuthen, daß auch bei uns die Ausfuhr den eigenen Bedarf angreife, und diese Vermuthung wird vorzüglich noch dadurch bestärkt, weil der Verbrauch im eigenen Lande, bei fortwährender Zunahme der Bevölkerung und der gewerblichen Unternehmungen von Jahr zu Jahr größer wird, während der Boden, der das Getreide hervorbringt sich nicht ausdehnt; wird auch demselben durch zweckmäßigere Bebauung, durch Cultur von öden Strecken und durch Entfernung der Bodenlasten etc. von Jahr zu Jahr mehr abgewonnen, so kann dieser Mehrertrag doch mit dem ungeheuren Zuwachse der Bevölkerung nicht gleichen Schritt halten.

Dieses Mißverhältniß zwischen Menschenmenge und Bodenfläche trit in allen Ländern ein, in welchen in Folge der Niederlassungs- und Gewerbefreiheit die Zahl der Menschen und der [23] Gewerbe unverhältnißmäßig anwächst; nur bei außerordentlich fruchtbaren Jahren, die aber immer zu den seltenen gehören, gleicht sich dasselbe wieder aus, und somit werden wir in der Regel hohe Fruchtpreise behalten.


§. 18.

Für diesen gewöhnlichen Zustand, oder gar für Fehljahre, giebt es keine andere Hülfe, als entweder Verbot der Ausfuhr, oder Auswanderung oder Einfuhr fremden Getreides.

1) Das Verbot der Ausfuhr, wo es kürzlich ergangen, ist daher überall mit dem größten Danke begrüßt worden; nicht nur der Arme, sondern selbst der nur gewöhnlich Bemittelte, kann den gegenwärtigen Preis des Brodes, mit welchem überdieß der Preis aller andern Lebensbedürfnisse steigt, nicht mehr verdienen; sogar ein großer Theil der Landleute wird darunter leiden, weil der Ertrag ihrer Felder nicht bis zur nächsten Erndte reicht, sie daher selbst wieder kaufen müssen; nur der große Gutsbesitzer wird dadurch reicher; und so ist diese Theuerung ein wahres Landesunglück, das an dem Wohlstande des größten Theils des Volks zehrt, und das die Kluft zwischen Reichthum und Armuth nur noch mehr vergrößert, die, wenn die Weisheit der Regierungen sie nicht möglichst auszufüllen trachtet, die Grundfesten der bürgerlichen Gesellschaft fürchterlich erschüttern wird.

2) Zur Auswanderung in Masse hat aber das württembergische Unterland von jeher seine Zuflucht nehmen müssen, eben weil es sich bei unbeschränkter Theilbarkeit des Bodens unendlich vermehren kann, und somit nach und nach auf den Einzelnen nur noch der kleinste Bodenbesitz trifft, während im Oberlande mit seinen gebundenen Gütern ein unverhältnißmäßiger Zuwachs der Bevölkerung und eine massenhafte Auswanderung nicht statt findet.

3) Die Einfuhr fremden Getreides, selbst aus weiten Entfernungen, ist aber jetzt zum Glücke der Menschheit durch Eisenbahnen und Dampfschiffe außerordentlich erleichert, ja mitunter erst möglich geworden.

Die Bodenfläche unserer Erde ist weit genug, um eine hundertmal größere Menschenmenge – als die vorhandene – zu nähren, und die Natur ist unerschöpflich reich in ihren Hervorbringungen, [24] zudem ist der Mißwachs nie ein allgemeiner – über die ganze Erde verbreiteter, er trifft jeweilig nur das eine oder andere Land. Die Eisenbahnen haben aber die Erzeugnisse des Bodens, die im rohen Naturzustande nur denjenigen zu Theil werden, die zunächst auf diesem Boden wohnen, zu deren Ernährung aber auch zureichen, zum Gemeingute der ganzen Menschheit gemacht, sowie die Buchdruckerkunst die Schätze des Geistes über die ganze civilisirte Welt ausgebreitet hat.

Es ist daher kaum zu begreifen, wie das württembergische Volk sich am hartnäckigsten gegen den Bau der Eisenbahnen sträuben mochte; als ob wir ein Eiland im stillen Weltmeere bewohnten, in sich abgeschlossen, sich selbst genügend, und nicht vielmehr ein Land, das bei seiner Betriebsamkeit und seiner Menschenmenge des erleichtertsten Verkehrs mit andern Ländern vor Allem bedarf. Durch dieses einzig große Verkehrsmittel wird aber auch unsere Auswanderung, deren wir doch nie werden entbehren können, eine viel leichtere und gesichertere werden; ja wer weiß, ob nicht Württemberg, wenn es einst mittels der Eisenbahnen den Meeren näher gerückt ist, gleich andern Uferstaaten für seine Ueberzahl von Menschen ebenfalls Colonieen in fernen Welttheilen gründet.

Unsere Regierung verdient daher gewiß den aufrichtigsten Dank, daß sie der heftigsten Widersprüche ungeachtet, am Bau der Eisenbahnen beharrlich festgehalten und die Ausführung dieses großen Werks in der höchsten Instanz einem Manne übertragen hat, dessen Beachtung der Interessen des Volks und dessen Willenskraft allgemein anerkannt sind.


§. 19.

Nach alle dem steht nun, um auf den eigentlichen Gegenstand dieser Betrachtung zurückzukommen, so viel fest; daß die Concurrenz, oder mit andern Worten der Markt den eigentlichen Werth der Waaren bestimme; eben so fest steht aber auf der einen Seite; daß, wenn eine Ueberconcurrenz, eine Ueberführung des Markts, den Werth der Waare auf Preise herabdrückt, bei welchen der Verkäufer nicht mehr bestehen kann, zu seiner Erhaltung Maasregeln des Schutzes erforderlich [25] seyen, und auf der andern Seite: daß, wenn der Markt nicht genügende Zufuhr – besonders an den ersten Lebensbedürfnissen erhält, und diese hiedurch so sehr im Preise steigen, daß der größte Theil des Volks denselben nicht mehr verdienen kann, Maasregeln zum Schutze des Käufers getroffen werden müssen.

Anderwärts sind diese Grundsätze auch längst anerkannt und ausgeübt; Frankreich und England erfreuen sich der größten Handels- oder Marktfreiheit, allein sie setzen derselben Schranken, sobald sie ihrem Volke verderblich wird: blos der Deutsche, gelehrt und – unbekümmert um die Wirklichkeit – am Begriffe festhaltend, kommt immer sehr schwer daran, eine Ausnahme von demselben gelten zu lassen.


§. 20.

Allein bei weitem nicht alle Dinge, deren wir bedürfen, können auf dem Markte gekauft werden; unsere Kleidung muß dem Leibe angepaßt, unsere Wohnung nach unsern Bedürfnissen etc. gebaut werden: wir können daher die Arbeit des Schneiders, des Maurers, des Schreiners etc. nicht schon fertig kaufen, wir müssen sie erst bestellen. Zwischen der Marktwaare und der bestellten Waare findet aber ein großer Unterschied statt; die erste liegt nach ihrer ganzen Beschaffenheit, nach ihrem Preise vor unsern Augen; bei der bestellten Arbeit hingegen müssen wir erst erwarten, wie sie ausfallen und was sie kosten werde; sie zurückzuweisen, wenn sie uns nicht entspricht, ihren Preis herabzusetzen, wenn er uns übermäßig dünkt, ist immer mißlich und führt gewöhnlich zu Streitigkeiten.

Bei der bestellten Arbeit erscheint daher hauptsächlich eine Maasregel oder ein Schutz erforderlich, daß der Bestellende nicht übervortheilt werde.

Diesen Schutz suchte man in der Vermehrung der Zahl der Handwerker mittels der Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit: durch die Concurrenz der Mehrzahl wollte man die Beschaffenheit und die Preise auch der bestellten Arbeit auf ihren rechten Stand bringen, sowie die Marktpreise durch freie Zufuhr ihre angemessene Höhe erhalten. Bei der großen Bevölkerung Württembergs läßt sich jedoch schon [26] zum Voraus ein Mangel an Arbeitern und ein daraus hervorgehender Monopolpreis nicht erwarten: vielmehr hat die Ueberzahl seiner Bewohner längst jeden Erwerbszweig ergriffen, der nur irgend einen Verdienst abwirft: es haben sich daher nicht nur in den Städten, sondern selbst in den Dörfern Handwerker und Gewerbtreibende jeder Art angesiedelt, was in mäßig bevölkerten Ländern nirgend der Fall ist: ausserdem sind aber noch die Fabriken hinzugekommen, welche Arbeiten der verschiedensten Art, die sonst nur der Handwerker gemacht hat, liefern, und zwar wohlfeiler als dieß dem Handarbeiter möglich wäre.

Durch all dieses sind natürlich auch die Preise der bestellten Handarbeit auf das Niedrigste herabgegangen, und die Ueberzahl der Handwerker, hauptsächlich aus den kleinern Städten und den Dörfern wendet sich – durch die Uebersiedelungs- und Gewerbefreiheit begünstigt – den größern Städten zu, wo bei wachsender Bevölkerung und vermehrten Bedürfnissen eher ein Fortkommen erwartet wird; und so gehört denn auch Ulm, als der Sitz höherer Landesstellen, als Garnisonsstadt, als Handelsplatz, und in neuerer Zeit wegen seiner Befestigung zu denjenigen Städten, in welche von allen Seiten her übersiedelt wird. Auf diese Weise ist in den größern Städten, zu der voranbestandenen starken Concurrenz der ältern Meister unter sich und zu der Concurrenz durch die Fabriken, noch eine neue durch die Einwandernden hinzugekommen; aber die Preise der Handarbeit sind – ungeachtet dieser Concurrenz – nicht gefallen, sondern sie sind vielmehr gestiegen. Diese in allen größern Städten vorkommende Erscheinung ist aber daraus zu erklären, weil sich die Preise der Handarbeit zuvörderst nach denjenigen der unentbehrlichen Lebensbedürfnisse richten, welche in allen größern Städten am höchsten stehen; und welche Preise der Handwerker nur dadurch verdienen kann, daß er auch die Preise seiner Arbeit erhöht.

Ueberdieß wachsen die Ausgaben des Handwerkers mit dem Luxus der größern Städte, der alle Stände durchdringt, und bald roh und geschmacklos, bald zierlich und veredelt zur Erscheinung kommt: allein auch der Aufwand auf den Luxus kann wieder nur durch die Erhöhung der Preise der Handarbeit bestritten werden; der Landmeister, sobald er in die Stadt übersiedelt, geht von den Landpreisen auf die Stadtpreise über: in den Städten sind nur diejenigen Erzeugnisse des Gewerbfleißes [27] wohlfeil, und sogar wohlfeiler als auf dem Lande, welche auf den Märkten und in den offenen Läden gekauft werden können; diese Waaren sind aber in der Regel mit den niedrigsten Arbeitsslöhnen und bei den einfachsten Lebensbedürfnissen in Fabriken und auf dem Lande zu Stande gebracht worden.

Man eifert freilich gegen den Luxus, aber es ist zu bedenken, daß wenn wir uns auf das Nothwendige beschränken wollten, ein sehr großer Theil der Menschen ohne Arbeit und Verdienst wäre; er ist, wie manches andere Schädliche, ein nothwendiges Uebel unserer Zeit.


§. 21.

Um nun dem unverhältnißmäßigen Steigen der Preise wenigstens bei denjenigen Waaren entgegen zu treten, welche durchaus nicht entbehrt werden können, also auch für den Armen käuflich seyn müssen, hat man die ersten Lebensbedürfnisse, wie Brod, Fleisch, Bier, Milch taxirt, die Taxen aber, damit den Verkäufern kein Unrecht geschehe, auf Marktpreise gegründet, wie die Taxe des Brods auf den Marktpreis der Brodfrüchte, die Taxe des Fleischs, des Biers und der Milch auf die Marktpreise von Vieh, Hopfen, Gerste und Butter.

Diese Taxen sind aber in neuerer Zeit hauptsächlich auf das Andringen der Verkäufer dieser Lebensmittel und wohl auch aus Vorliebe für Handelsfreiheit großentheils aufgegeben worden; hiezu scheint jedoch der rechte Zeitpunkt noch nicht gekommen zu seyn; denn mit der Entwicklung der Industrie erhält das Trachten nach Geld und Gewinn eine solche Gewalt, daß sie jede andere Rücksicht der Billigkeit etc. aufhebt. Das Aufgeben der Taxen läßt sich wohl erst dann rechtfertigen, wenn auch die taxirten Lebensbedürfnisse der freien Concurrenz anheimfallen, was vielleicht durch die außerordentliche Schnelligkeit und Wohlfeilheit der Versendung auf den Eisenbahnen möglich werden wird.


§. 22.

Wollte denn aber durch die Niederlassungs- und Gewerbefreiheit blos die Ermäßigung der Preise der Waaren erzielt werden, oder hatte sie vielleicht noch einen andern und höhern Zweck? Ohne Zweifel und dieser war: möglichst Vielen [28] selbstständiges Fortkommen und einen eigenen Heerd zu verschaffen.

Dahin geht eigentlich das Bestreben jedes tüchtigen Menschen; er will nicht als der Taglöhner eines Andern, er will für sich selbst arbeiten; er will die Früchte seiner Arbeit selbst genießen, nicht ein Anderer soll sie erndten.

Dieses Bemühen, eine eigene Familie zu gründen, und ihr wo möglich einigen Wohlstand zu bereiten, ist der wichtigste Antrieb zu redlichem Fleiße, zum Muthe und zur Ausdauer in den Unternehmungen, sowie das Mislingen dieser Bestrebungen die Quelle des bittersten Kummers und der meisten Vergehungen.

Die Emporkommenden sind es aber eben, sagt man, welche den Verdienst der zuvor Bestehenden an sich ziehen; der zunehmende Erwerb des Einen ist die Ursache der Verarmung des Andern. Diese Behauptung – in solcher Allgemeinheit – ist jedoch gewiß nicht wahr: der Aeltere hat immer einen großen Vorsprung vor dem Neuen; überdieß hat die vermehrte Bevölkerung auch vermehrte Bedürfnisse, und die Ausdehnung der Grenzen unsers Verkehrs fordert eine weit größere Menge von Arbeit und Waaren: allein eben so gewiß ist es doch und durch die Erfahrung bestätigt, daß Gewerbe und Handwerke, besonders solche, welche auf den örtlichen Absatz beschränkt sind, durch diese Uebersiedlungs- und Gewerbefreiheit in einzelnen Fällen schon so sehr übersetzt worden sind, daß das ehrliche Fortkommen eines mehr oder minder großen Theils derselben gar nicht mehr möglich ist.

Es darf daher mit Zuversicht auf die Zurücknahme der gesetzlichen Bestimmung gehofft werden, daß gegen ein Gesuch um bürgerliche Aufnahme der Grund nicht geltend gemacht werden dürfe, das Gewerbe des Bittstellers sey schon voran übersetzt: schützt man den Gewerbfleiß vor fremder Ueberconcurrenz, so darf er wohl auch Schutz vor der einheimischen erwarten: mögen auch die Gemeinde-Obrigkeiten allzu geneigt gewesen seyn, die Einwendung der Uebersetztheit gegen Bürgeraufnahmsgesuche vorzubringen, wodurch ohne Zweifel jene gesetzliche Bestimmung entstanden ist; so gibt es doch untrügliche Merkmale für diese Thatsache; so daß, wenn die Regierungsbehörden hierüber Nachforschungen anstellen wollen, sie leicht erforschen können, ob jene Einwendung in der Wirklichkeit begründet, oder ob sie eine blos vorgespiegelte sey.

[29]
§. 23.

Ziehen wir nun am Schlusse dieses Abschnitts unsere Betrachtungen über das Vermögen und den Erwerb der hiesigen Bürger zusammen, so läßt sich nicht verkennen, daß Häuser und Grundstücke in neuerer Zeit beträchtlich im Preise gestiegen sind; ebenso hat der Verkehr der Gewerbetreibenden, hauptsächlich derjenigen, welche die ersten Lebensbedürfnisse verkaufen, seit dem Festungsbau bedeutend zugenommen; was aber der Gewerbsmann verdient, behält er in der Regel nicht in der Tasche, er verwendet es wieder zu Ausdehnung und Vervollkommnung seines Geschäfts, und für andere Bedürfnisse, die mit der Vermehrung seiner Einnahmen steigen, und so wird denn hier viel gebaut, viel gekauft, viel aufgewendet.

Einen großen Theil der Einnahme verschlingt aber der hohe Preis der Lebensmittel und der Arbeit, und von dem im Ganzen großen Verdienste, weil er sich unter sehr Viele vertheilt, kommt manchem Einzelnen nur wenig zu statten; endlich wächst aber auch die Zahl der Besitzlosen immer mehr an, die Nichts haben, als was sie täglich verdienen, und bei Krankheit und Arbeitslosigkeist den Armenanstalten anheimfallen.


§. 24.

Die äussern Verhältnisse haben aber immer auch eine innerliche Folge, sie wirken auf die Gesinnung und den Charakter: jene Frau sagte: wenn sie kein Geld in der Tasche habe, getraue sie sich nicht zu sagen: es sey schön Wetter. Mangel und Noth, wie oft haben sie nicht schon zu Lug und Trug verleitet; und Eigennutz und Anmaßung, wie sind sie gewaltig geworden.

Vorherrschend ist aber noch immer unter den Bürgern Lebenslust und gemüthliches freies Wesen, Aufrichtigkeit der Gesinnung und Ehrenhaftigkeit des Charakters.

Die Stadt ist nicht so groß, daß die Einzelnen sich nicht kennen, nicht Theil an einander nehmen, daß sie in Noth und Gefahr sich nicht mit Rath und That beistehen sollten; und sie ist nicht so klein, daß ihr nicht vielfache geistige Anregungen geboten wären, daß sie stille stehen und an abgeschmackten und verbrauchten Begriffen und Lebensweisen festhalten könnte.

[30]
§. 25.

Gedenken wir hier auch noch der großen, aber besonders verhüllten Zukunft, welcher die Stadt entgegengeht durch die Eisenbahnen, welche auf sie zugeführt, und durch die Befestigungen, welche sie umgeben werden.

Als die Richtung jener Bahnen noch unentschieden war, hat der Stadtrath nicht aufgehört, vorzustellen, wie der uralte Handelsverkehr[korrigiert] durch Württemberg vom Rhein an die Donau, nicht blos für Ulm, sondern für das ganze Vaterland verloren gienge, wenn die bisherige Handelsstrase nicht zur Eisenbahn vervollkommnet würde: wie hätte ein württembergischer Staatsmann es zugeben können, daß die Eisenbahnen nicht innerhalb des eigenen Landes bis zu dem Strome fortgesetzt würden, der den Verkehr mit Bayern, Oesterreich und dem Orient vermittelt.

Die Lage Ulms an der Donau, und daß in ihm die befahrensten Straßen aus Süd und Nord, aus Ost und West zusammenlaufen, ist die Ursache gewesen, daß seine Befestigung zum Schutze für das ganze südliche Deutschland beschlossen worden; und so ist die auf die Festung gerichtete Bahn eine deutsche im höchsten[korrigiert] Sinne des Worts. Wäre Ulm noch Reichsstadt und Reichsfestung; sie hätte ohne Zweifel eine Eisenbahn durch ihr Gebiet – mitunter auf Kosten des deutschen Reichs – bauen müssen: stände die Stadt noch unter bayerischem Scepter, so wäre die Bahn zu ihr wohl schon vollendet; dadurch daß sie unter württembergische Hoheit gekommen, hat sich ihre geographische Lage und ihre Bedeutung für ganz Deutschland nicht verändert.

Mit diesen Eisenbahnen wird nun auch die Dampfschifffahrt auf der obern Donau von Ulm aus in Verbindung gesetzt werden: die hiesige Dampfschifffahrtsgesellschaft, an deren Spitze der von Allen hochgeachtete Regierungspräsident Freiherr von Holzschuher steht, hat dieses schwierige Unternehmen bisher in jeder Weise gefördert.

Endlich die Befestigung der Stadt, was wird sie uns bringen?

Dieser riesenhafte Bau, durch welchen natürliche Berge abgegraben und an einer andern Stelle zu künstlichen aufgeschüttet werden, diese ungeheuren Kasernen, Gewölbe, Mauren, Thürme etc., sie werden zum Schutze der Bürger und ihres Eigenthums dienen, und viele Auswärtige werden darin ebenfalls Zuflucht [31] suchen u. finden; aber es ist vorauszusehen, daß die Festung auch den Feind herbeiziehen und die Umgebung derselben der Zerstörung und mannigfachen sonstigen Leiden Preis gegeben seyn werde.

Bitten wir daher vor Allem Gott, den Herrn, daß dem Vaterlande der Friede erhalten bleibe.


III. Von der vorigen und der jetzigen Verfassung und Verwaltung.


§. 26.

Nach dem Staatsrechte der Reichsstadt Ulm gab es drei politische Stände: 1) das Patriziat oder die Geschlechter; 2) die zünftige Bürgerschaft, wozu alle Bürger gehörten, denn Jeder, auch die wissenschaftlich Gebildeten, wie z. B. Geistliche, Aerzte etc. mußten sich einer Zunft der Gewerbetreibenden anschließen; 3) die Unterthanen, die im Gebiete des Staats angesiedelt und großentheils leibeigen waren.

Laut dem Schwörbriefe von 1397 – der Verfassungsurkunde des Staats – war der Reichsstädtische Magistrat (die höchste Landesstelle, welche die gesetzgebende richterliche und vollziehende Gewalt in sich vereinigte,) aus 72 Mitgliedern zusammengesetzt, wovon 25 aus den Geschlechtern und 47 aus der zünftigen Bürgerschaft hervorgegangen seyn mußten; diese bürgerlichen Rathsherren wurden von den Zünften gewählt; die Unterthanen hatten lediglich keine Stimme und keinen Antheil bei der Gesetzgebung und der Verwaltung des Staats.

Als aber die Reichsstadt zur Unterstützung der Reformation Dr. Luthers dem Schmalkaldischen Bunde beitrat, was in dem Uebergewichte der bürgerlichen Rathsherren gegen die patrizischen – 47 gegen 25 – seinen Grund gehabt haben soll, hat Kaiser Karl V. im Jahre 1548 den Reichsstädtischen Magistrat aufgelöst und an dessen Stelle einen neuen von nur 31 Mitgliedern eingesetzt, welche Zahl [32] aber im Jahre 1556 auf 41 vermehrt worden ist, wovon 24 aus den Geschlechtern und blos 17 aus der zünftigen Bürgerschaft genommen wurden; zudem sind diese letztern nicht mehr wie zuvor von den Zünften – von Ihresgleichen, – sondern sie sind von den patrizischen Rathsherrn gewählt worden. Auf diese Weise gieng nicht nur das Uebergewicht, welches die bürgerlichen Rathsherren bisher durch ihre Zahl über die patrizischen gehabt hatten, verloren, und auf die letztern über, sondern die bürgerlichen Rathsherrn geriethen auch in eine Art abhängiger Stellung von den patrizischen, weil sie ihnen ihre Wahl zu danken hatten.

Zudem bekleidete das Patriziat auch die höchsten Aemter des Staats, die Rathsältern, die Bürgermeister, die Obervögte auf dem Lande wurden ausschließlich aus dem Patriziate gewählt und in den übrigen bedeutenden Aemtern bildete dasselbe die Mehrzahl.

Dieser Aristokratie stund endlich keine aus dem Bürgerstande hervorgegangene Körperschaft gegenüber, deren Gutachten oder Genehmigung sie in wichtigen Dingen einzuholen gehabt hätte; wie dieß in manchen andern Reichsstädten der Fall gewesen; somit war die hiesige Aristokratie beinahe unumschränkt; sie stund blos unter Kaiser und Reich.

Solche Vorzüge der Geburt, durch bürgerliche Macht weder beschränkt noch berathen, waren der hauptsächlichste Grund fortwährender Streitigkeiten zwischen dem Magistrate und der Bürgerschaft; sie steigerten sich fast bis zum Aufruhr, als die französische Revolution ausbrach und sich nach allen Seiten hin ausbreitete; in den 1790 Jahren bildete sich ein permanenter Bürgerausschuß mit einem eigenen Syndikus, der die Beschwerden der Bürgerschaft bei dem Reichshofrathe in Wien fortwährend verfolgte, und es ist diesen unheilvollen Zerwürfnissen nur durch die Mediatisirung der Stadt ein Ende gemacht worden.


§. 27.

Das Reichsstädtische Steuerwesen ist in manchen Beziehungen kaum aus dem Kindesalter der Finanzwissenschaft herausgekommen. [33] Die Grundlage für die Besteurung der Häuser und Güter bildete der Kaufs- oder Uebergabspreis derselben, und von diesem Preise wurden – in der Stadt ganz, auf dem Lande zur Hälfte – die Schulden abgezogen, welche auf Häusern und Gütern gerichtlich versichert waren; nur der übrig bleibende Werth fiel in die Steuer, welche vom Hundert 15 kr., somit auf die gewöhnlichen 3 Steuern jährlich 45 kr. betragen hat: wer demnach seinen Grundbesitz wohlfeil übernommen hatte, wer viel darauf schuldig geblieben war, ging fast steuerfrei aus.

Die Gewerbesteuer war der Gewissenhaftigkeit der Bürger anheimgestellt; sie hatten von Zeit zu Zeit vor dem Steueramte mit einem Eide zu bekräftigen, wie groß das Capital sey, mit dem sie ihr Gewerbe treiben; nach dieser eidlichen Angabe wurde die Gewerbesteuer berechnet, und zwar auf das Hundert 30 kr., somit auf jährliche 3 Steuern, zu 1 fl. 30 kr. So lange aufopfernde Liebe zum Vaterlande, und fromme Scheu vor göttlicher Bestrafung des Meineids die Gemüther erfüllte, mochte diese Selbstbesteuerung genügen, nicht aber wenn Selbstsucht und Unglauben in die bürgerliche Gesellschaft eindrangen.

So viel ist gewiß, daß nach und nach immer weniger an Steuern eingieng, die Ausgaben dagegen sich vermehrten.

Eine der bedeutendsten war die Verzinsung der Staatsschuld von beiläufig 4 Millionen; da die Meinung verbreitet ist, als ob diese Schuld durch unordentliche Verwaltung entstanden sey, so bedarf es dießfalls einer geschichtlichen Berichtigung.


§. 28.

Nach der Wormser Matrikel vom Jahre 1521 hatte der ganze schwäbische Kreis auf Eine Reichssteuer – einen s. g. Römermonat – 13391 fl. 20 kr. zu zahlen, und an dieser Steuer wurden der Reichsstadt Ulm mit ihrem Gebiete 900 fl. zugeschieden, als Ablösungssumme für 25 Mann zu Pferd und 50 Mann zu Fuß, welche sie zur Reichsarmee zu stellen gehabt hätte.

Die Reichsstadt hat aber zu dieser Quote ihre Zustimmung niemals gegeben; und als nun vollends während des dreißigjährigen und der darauf folgenden französischen Kriege, der genannte Steuerbetreff von 900 fl. nicht nur Einmal, sondern Hundert und mehrere Male in einem Jahre eingezahlt werden [34] mußte, hat sie bei allen Reichs- und Kreistagen die Unverhältnißmäßigkeit dieser Besteuerung angefochten; sie hat vorgestellt, daß 5 geistliche und 5 weltliche Fürsten miteinander auf eine Reichssteuer nicht mehr als 940 fl., daß 18 Reichsabteien nur 900 fl., daß 20 Reichsgraf- und Herrschaften noch weniger, und daß 13 Reichsstädte zusammen nur 2 fl. mehr als 900 fl. zahlen; daß sie mit dieser Matrikel angelegt sey, als ob sie beinahe der 15te Theil des ganzen schwäbischen Kreises wäre, während sie doch mit sammt ihrem Gebiete nicht den 41sten Theil desselben ausmache.

Sowie ihre Besteuerung im Vergleiche mit andern Mitständen viel zu hoch sey; so sey sie es auch in Rücksicht auf ihre Größe und ihre Einkünfte.

Die Stadt selbst habe nach ihrer Wiedererbauung blos 6400 Schritte im Umfange bekommen, und enthalte nur 1528 bürgerliche Wohnhäuser, die meistens sehr eng und klein seyen; und die Landschaft bestehe in 3 Städtlein von 444 Häusern, in 55 Dörfern, 22 Weilern und 45 einzelnen Höfen, in welchen zusammen nur etwas über 3000 Häuser sich befinden; und das Commerz der Stadt, von welchem ihr sonst an Zöllen, Accis, Umgeld etc., die bedeutendste Einnahme zugeflossen, sey durch Kriege, durch Eröffnung neuer Handelswege und vermehrte Concurrenz außerordentlich herabgekommen; so sey ihr Barchet-, Golschen-, Pelz- und Sammthandel ganz zu Grund gegangen; der Leinwandhandel zu 2/3 (früher habe man jährlich über 60000 Leinwandstücke auf ihren damaligen 5 Blaichen abgeblaicht jetzt kaum noch 20000:) ehedem seyen 2 bis 300 Weinfuhren aus den hiesigen Markt gekommen, jetzt kaum noch 20 bis 30. Außerdem habe aber die Reichsstadt während der genannten Kriege für die Verbesserung und Erweiterung ihrer Festungswerke, für ihr Zeughaus, an Contributionen u. drgl. viele Millionen aufwenden müssen, und ihre Schuld betrage nun gegen 3 Millionen, welche je heimzuzahlen sie gar keine Möglichkeit sehe. Auf diese Vorstellungen wurde zwar im Jahre 1633 die ulmische Reichssteuer-Matrikel von 900 fl. auf 600 fl. und im Jahre 1707 auf 352 fl. herabgesetzt, allein von ihrer Schuld wurde der Reichsstadt Nichts abgenommen.


§. 29.

Unter den vorerwähnten Umständen ist das Defizit in den Kassen immer größer geworden, man berechnete dasselbe auf [35] jährliche 60 bis 70 tausend Gulden; welche die Stadt übrigens meistens nur ihren Bürgern schuldig geworden ist, die ihre Kapitalien am liebsten bei den öffentlichen Kassen anlegten, wo sie der pünktlichsten Verzinsung und Heimzahlung gewiß waren. Ein gewandter Finanzmann hätte ohne Zweifel durch verhältnißmäßigere Benützung der directen Steuerquellen und durch indirecte Auflagen das Fehlende decken können; allein der Magistrat, der seine Bürger durch erhöhte oder neue Steuren zu belästigen fürchtete, nahm zum Verkaufe entbehrlicher Vermögenstheile seine Zuflucht; als aber die Reihe auch an das städtische Geschütz kommen sollte, wurde diesem Vorhaben von Kaiser Joseph Einhalt gethan, und der Stadt aufgegeben, vor Allem ihren Vermögens- und Schuldenstand dem Reichsoberhaupte vorzulegen.


§. 30.

Der kaiserliche Minister, Freiherr von Ried, durchgieng hierauf im Jahre 1773 mit einer magistratischen Deputation die Verfassung und Verwaltung der Reichsstadt nach allen ihren Theilen, wobei folgendes auf allerhöchste Genehmigung festgesetzt worden ist:

Errichtung einer Schuldentilgungskasse zunächst durch den Verkauf der Herrschaft Wain (der auch bald darauf für 500,000 fl. zu Stande gekommen) und sonstiger Besitzungen und Rechte; Vereinfachung der Aemter in der Stadt und auf dem Lande, und Entlassung der hiedurch entbehrlich gewordenen Diener mit Ruhegehalt; Bestimmung fester Besoldungen für die Magistratspersonen und Beamte mit Beseitigung aller Nebeneinkünfte; vor Allem Berücksichtigung der Tüchtigkeit bei Besetzung der Aemter, und Erwählung der Rathsconsulenten zu Mitgliedern des Magistrats; Anlegung eines verhältnißmäßigern Steuerfußes, Aufhebung aller Steuerbefreiungen, und pünktliche Eintreibung der Steuern; Einforderung[korrigiert] von Rissen und Ueberschlägen vor dem Angriffe jedes bedeutenden Bauwesens, Beschränkung der Nachlässe an Bürger-Aufnahmsgebühren und Strafgeldern, Verpachtung des Ziegelstadels und städtischer Gefälle, wie des Thorsperrgelds, ausdrückliche Genehmigung des Magistrats zu allen Kapitalaufnahmen und Abzahlungen bei den öffentlichen Kassen, Errichtung einer besondern Behörde zu Prüfung sämmtlicher Rechnungen, Einführung einer kürzern Rechnungsform, und rechtzeitige Stellungen der Rechnungen u. s. w.

[36] Alle diese Vorschläge wurden von Kaiser Joseph genehmigt; allein das Befohlene ist doch nur theilweise ausgeführt worden; ein Zustand, wie er sich durch hundertjährige Gewohnheit gebildet hatte, ist schwer zu ändern; in der Hauptsache blieb es beim Alten, bis die Stadt in Folge der Auflösung des deutschen Reichs unter bayerische Hoheit gelangte.


§. 31.

Welche Anerkennung haben aber seit jener reichsstädtischen Zeit die Rechte des Volks gefunden, und wie hat sich unterdessen die Kunst des Regierens vervollkommnet.

Unsere Verfassung ist nicht, wie die Reichsstädtische auferlegt und anbefohlen, sondern sie ist vom Herrn des Landes den Abgeordneten desselben zur Berathung vorgelegt, und von ihnen erst nach der reiflichsten Prüfung angenommen worden.

Kraft ihrer Bestimmungen ist das Volk in seinen Vertretern zur Theilnahme an der Gesetzgebung und an sonstgen allgemeinen Anordnungen berufen, und ohne seine Zustimmung kann keine neue Abgabe erhoben werden.

Jedem ohne Rücksicht auf Geburt, stehen auch die höchsten Aemter des Staats offen, dagegen werden wissenschaftliche und praktische Ausbildung und Befähigung als unerläßliche Bedingungen für den Eintritt in den Staatsdienst gefordert. Die Abgaben sind allerdings größer geworden, allein nur durch einen größern Aufwand konnten verbesserte Einrichtungen im Gerichtswesen und in der Verwaltung zu Stande gebracht werden, und wie viele nützliche Institute sind in unserer Zeit mit bedeutendem Aufwande ins Leben gerufen worden, welche früher gar nicht bekannt waren.

Die größere Last der Abgaben ist aber durch gleichere Vertheilung und Aufhebung früherer Steuerbefreiungen um Vieles erleichtert; (unter der Reichs-Verfassung hat es gegen 200 Jahre von 1521 bis 1707 gedauert, ehe die Stadt einen angemessenern Reichssteuerfuß erlangen konnte) endlich erschweren die Ordnung und Uebersichlichkeit im Haushalte des Staats nicht nur Veruntreuungen, sondern sie lassen auch alsbald erkennen, wo zu ändern und nachzuhelfen sey.

[37] Man erwarte jedoch nicht, daß keine falsche Maaßregel ergriffen, keine Gewalt, kein Unrecht, keine Begünstigung vorkomme.

Die frühern einfachen Zustände wurden eher durch einen Naturlaut, eine Naturmahnung begriffen; die verwickeltern Verhältnisse unserer Tage werden mehr durch den Verstand geordnet, der, wenn er einmal in Irrthum gerathen, um seiner Consequenz willen sich nicht leicht aus demselben loswindet; überdieß lassen alle Gesetze und Anordnungen bei der Anwendung einen Spielraum übrig, innerhalb dessen Mangel an Einsicht, böser Wille, Begünstigung u. s. w. genug schaden können.


§. 32.

Endlich unsere Gemeindeverfassung, wie ist sie in hohem Grade volksthümlich geworden: den bürgerlichen Obrigkeiten ist die selbstständige Verwaltung des Gemeindevermögens anvertraut, (die Grundsätze dieser Verwaltung, welche Kaiser Joseph der Reichsstadt vorgezeichnet hat, sind fast wörtlich in unser Verwaltungs-Edict übergegangen) den Gemeindebehörden steht die Aufnahme in ihre Genossenschaft, eine Polizeigewalt und ein Richteramt zu; den Bürger-Ausschüssen ist die Einsicht und Prüfung der Gemeinde-Rechnungen zur besondern Pflicht gemacht, und sämmtlichen Bürgern ist das Recht gegeben, ihre unmittelbare Obrigkeit selbst zu wählen.

Wie hätte sich der ulmische freie Reichsbürger erhoben gefühlt, wenn er ein solches Wahlrecht hätte üben dürfen.

Woher kommt nun aber die Gleichgültigkeit und Theilnahmlosigkeit bei unsern Gemeinde-Wahlen? Zuvörderst wohl daher, weil sie allzuoft – in jedem Jahre mehrere Male – vorkommen, und dadurch alltäglich werden; vorzüglich aber auch daher, weil sie in der That schwer sind.

Bei jeder Wahl zu einem Staats-Amte treten Bewerber auf: hiedurch ist ein Anhaltspunkt gegeben, nicht bei den Gemeindewahlen, bei welchen eine Bewerbung bisher nicht üblich gewesen. Bedenke man vollends die Zahl der Wählbaren: nehmen wir an, daß unsere Stadt 2000 Bürger habe, und daß auch nur 300 bis 400 davon durch Bildung, Kenntnisse, äußere Lage etc. sich zu Stadträthen eignen, welchem von diesen mehrern Hunderten soll man seine Stimme geben, für die einzige, oder etliche Stellen, welche gerade zu besetzen sind?

[38] Diese Verlegenheit hat zu öffentlichen Wahlvorschlägen geführt; sie kamen anfänglich von vielen Seiten und giengen auf Mehrere.

Eine solche Weise vorzuschlagen war gewiß zweckmäßig; sie gab für die Wahl aus einer nicht leicht zu übersehenden und nicht näher bekannten Menge doch eine Richtung und ließ immer noch eine Auswahl offen.

Als aber später für die zu besetzende Stelle jeweilen nur Ein Bürger benannt, und dieser Eine durch eine Menge von Unterschriften, trotz der Versicherungen des Gegentheils, gewissermaaßen aufgedrungen werden wollte, kam das Vorschlagen in Mißachtung und wurde der Stimmgebung wahrhaft schädlich; von mehrern hundert Bürgern nur einen Einzigen als geeignet zu empfehlen, erschien als Partheisache; und so kam es, daß ein großer Theil der Bürger gar nicht mehr zum Abstimmen zu bringen war; er betrachtete solche Vorschläge, die gewöhnlich von Erfolg waren, als Eingriff in die Wahlfreiheit.

Es wäre daher gewiß wünschenswerth, wenn jene frühere Weise vorzuschlagen wieder in Uebung käme.

Aber wen soll man wählen?

Die Ansicht wird immer allgemeiner: Keinen, auf Lebensdauer! d. h. mit andern Worten: die Wahl soll durchaus offen bleiben, damit, wenn der Gewählte unserm Vertrauen und unsern Absichten nicht mehr entspräche, wir nicht an ihn gebunden seyen. Diese Vorsicht hat ihren guten Grund.

Die Nichtlebenslänglichkeit ist aber noch keine Eigenschaft, die zu irgend einer Verrichtung tüchtig machen würde; man richtete daher sein Augenmerk auf solche Bürger, von welchen man voraussehen durfte, daß sie verständig, rechtschaffen, unabhängig und für das Wohl der Gemeinde wahrhaft besorgt seyen. Allein neben diesen allgemeinen Eigenschaften sollten doch auch diejenigen Verrichtungen berücksichtigt werden, welche dem Gewählten in Folge seines neuen Amts zufallen. Der Stadtrath hat ein Richteramt, eine große Verwaltung, ein bedeutendes Rechnungswesen; die Behandlung der Pfandgeschäfte und die Führung der Vertragsprotokolle gehen ganz auf seine Gefahr und Verantwortung; die Kenntniß der Gesetze überhaupt, das Nachlesen der Akten etc. sind in sehr vielen Fällen unerläßlich.

[39] Es ist daher gewiß wohlgethan, wenn neben Männern von im Allgemeinen guten Eigenschaften, auch Männer vom Fache in den Stadtrath gewählt werden.

Eben dadurch haben die Behörden des Staats häufig ein Uebergewicht über diejenigen der Gemeinden, weil jene mit Männern besetzt sind, die ihren Beruf nicht nur eigentlich erlernt haben, sondern die ihn auch ihr ganzes Leben hindurch unausgesetzt ausüben, und sich auf diese Weise darin vervollkommnen.

Der Verfasser kann daher die gegenwärtige Betrachtung wohl mit keinem bessern Wunsche schließen, als daß seine Mitbürger bei der Wahl ihrer Gemeindeobrigkeit immer die rechten Männer treffen mögen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Verfassuug