Ueber eine neue Art von Strahlen (II. Mittheilung)

Textdaten
Autor: Wilhelm Conrad Röntgen
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Titel: Ueber eine neue Art von Strahlen
Untertitel: II. Mittheilung
aus: Sonderdruck aus den Sitzungsberichten der Würzburger Physik.-medic. Gesellschaft 1895
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Auflage:
Entstehungsdatum: 1896
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Stahel’sche K. Hof- und Universitätsbuch- und Kunsthandlung
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Erscheinungsort: Würzburg
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Quelle: Posner Memorial Collection, Commons
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[I]
Eine Neue Art
von
Strahlen.



II. Mittheilung.


Von
Dr. Wilhelm Konrad Röntgen
Ö. O. PROFESSOR AN DER K. UNIVERSITÄT WÜRZBURG.


WÜRZBURG.
VERLAG UND DRUCK DER STAHEL’SCHEN K. HOF- UND UNIVERSITÄTS-
BUCH- UND KUNSTHANDLUNG.
1896.
60 .
[1]
Eine Neue Art
von
Strahlen.



II. Mittheilung.


Von
Dr. Wilhelm Konrad Röntgen
Ö. O. PROFESSOR AN DER K. UNIVERSITÄT WÜRZBURG.


WÜRZBURG.
VERLAG UND DRUCK DER STAHEL’SCHEN K. HOF- UND UNIVERSITÄTS-
BUCH- UND KUNSTHANDLUNG.
1896.
[2]
Sonderdruck aus den „Sitzungsberichten der Würzburger Physikal.-medic. Gesellschaft“, Jahrgang 1895. (Würzburg, Stahel.)


Alle Rechte vorbehalten.
[3]
Ueber eine neue Art von Strahlen.
(Fortsetzung.)

Da meine Arbeit auf mehrere Wochen unterbrochen werden muss, gestatte ich mir im Folgenden einige neue Ergebnisse schon jetzt mitzutheilen.

18. Zur Zeit meiner ersten Publication war mir bekannt, dass die X-Strahlen im Stande sind, electrische Körper zu entladen, und ich vermuthe, dass es auch die X-Strahlen und nicht die von dem Aluminiumfenster seines Apparates unverändert durchgelassenen Kathodenstrahlen gewesen sind, welche die von Lenard beschriebene Wirkung auf entfernte electrische Körper ausgeübt haben. Mit der Veröffentlichung meiner Versuche habe ich aber gewartet, bis ich in der Lage war, einwurfsfreie Resultate mitzutheilen.

Solche lassen sich wohl nur dann erhalten, wenn man die Beobachtungen in einem Raum anstellt, der nicht nur vollständig gegen die von der Vacuumröhre, den Zuleitungsdrähten, dem Inductionsapparat etc. ausgehenden electrostatischen Kräfte geschützt ist, sondern der auch gegen Luft abgeschlossen ist, welche aus der Nähe des Entladungsapparates kommt.

[4] Ich liess mir zu diesem Zweck aus zusammengelötheten Zinkblechen einen Kasten anfertigen, der gross genug ist, um mich und die nöthigen Apparate aufzunehmen, und der bis auf ein durch eine Zinkthüre verschliessbare Oeffnung überall luftdicht verschlossen ist. Die der Thüre gegenüber liegende Wand ist zu einem grossen Theil mit Blei belegt; an einer dem ausserhalb des Kastens aufgestellten Entladungsapparat nahe gelegenen Stelle wurde die Zinkwand mit der darüber gelegten Bleiplatte in einer Weite von 4 cm ausgeschnitten, und die Oeffnung ist mit einem dünnen Aluminiumblech wieder luftdicht verschlossen. Durch dieses Fenster können die X-Strahlen in den Beobachtungskasten eindringen.

Ich habe nun Folgendes wahrgenommen:

a) In der Luft aufgestellte, positiv oder negativ electrisch geladene Körper werden, wenn sie mit X-Strahlen bestrahlt werden, entladen und zwar desto rascher, je intensiver die Strahlen sind. Die Intensität der Strahlen wurde nach ihrer Wirkung auf einen Fluorescenzschirm oder auf eine photographische Platte beurtheilt.

Es ist im Allgemeinen gleichgültig, ob die electrischen Körper Leiter oder Isolatoren sind. Bis jetzt habe ich auch keinen specifischen Unterschied in dem Verhalten der verschiedenen Körper bezüglich der Geschwindigkeit der Entladung gefunden; ebensowenig in dem Verhalten von positiver und negativer Electricität. Doch ist es nicht ausgeschlossen, dass geringe Unterschiede bestehen.

b) Ist ein electrisirter Leiter nicht von Luft sondern von einem festen Isolator z. B. Paraffin umgeben, so bewirkt die Bestrahlung dasselbe, wie das Bestreichen der isolirenden Hülle mit einer zur Erde abgeleiteten Flamme.

c) Ist diese isolirende Hülle von einem eng anliegenden, zur Erde abgeleiteten Leiter umschlossen, welcher wie der Isolator für X-Strahlen durchlässig sein soll, so übt die Bestrahlung auf den inneren, electrisirten Leiter keine mit meinen Hülfsmitteln nachweisbare Wirkung aus.

[5] d) Die unter a, b, c mitgetheilten Beobachtungen deuten darauf hin, dass die von den X-Strahlen bestrahlte Luft die Eigenschaft erhalten hat, electrische Körper, mit denen sie in Berührung kommt, zu entladen.

e) Wenn sich die Sache wirklich so verhält, und wenn ausserdem die Luft diese Eigenschaft noch einige Zeit behält, nachdem sie den X-Strahlen ausgesetzt war, so muss es möglich sein, electrische Körper, welche selbst nicht von den X-Strahlen getroffen werden, dadurch zu entladen, dass man ihnen bestrahlte Luft zuführt.

In verschiedener Weise kann man sich davon überzeugen, dass diese Folgerung in der That zutrifft. Eine, wenn auch nicht die einfachste, Versuchsanordnung möchte ich mittheilen.

Ich benutzte eine 3 cm weite, 45 cm lange Messingröhre; in einigen Centimeter Entfernung von dem einen Ende ist ein Theil der Röhrenwand weggeschnitten und durch ein dünnes Aluminiumblech ersetzt; am anderen Ende ist unter luftdichtem Abschluss eine an einer Metallstange befestigte Messingkugel isolirt in die Röhre eingeführt. Zwischen der Kugel und dem verschlossenen Ende der Röhre ist ein Seitenröhrchen angelöthet, das mit einer Saugvorrichtung in Verbindung gesetzt werden kann; wenn gesaugt wird, so wird die Messingkugel umspült von Luft, die auf ihrem Wege durch die Röhre an dem Aluminiumfenster vorüber gegangen ist. Die Entfernung vom Fenster bis zur Kugel beträgt über 20 cm.

Diese Röhre stellte ich im Zinkkasten so auf, dass die X-Strahlen durch das Aluminiumfenster der Röhre, senkrecht zur Axe derselben eintreten konnten, die isolirte Kugel lag dann ausserhalb des Bereiches dieser Strahlen, im Schatten. Die Röhre und der Zinkkasten waren leitend mit einander, die Kugel mit einem Hankel’schen Electroskop verbunden.

Es zeigte sich nun, dass eine der Kugel mitgetheilte Ladung (positive oder negative) von den X-Strahlen nicht beeinflusst wurde, so lange die Luft in der Röhre in Ruhe blieb, dass [6] die Ladung aber sofort beträchtlich abnahm, wenn durch kräftiges Saugen bestrahlte Luft der Kugel zugeführt wurde. Erhielt die Kugel durch Verbindung mit Accumulatoren ein constantes Potential, und wurde fortwährend bestrahlte Luft durch die Röhre gesaugt, so entstand ein electrischer Strom, wie wenn die Kugel mit der Röhrenwand durch einen schlechten Leiter verbunden gewesen wäre.

f) Es fragt sich, in welcher Weise die Luft die ihr von den X-Strahlen mitgetheilte Eigenschaft wieder verlieren kann. Ob sie sie von selbst, d. h. ohne mit anderen Körpern in Berührung zu kommen, mit der Zeit verliert, ist noch unentschieden. Sicher dagegen ist es, dass eine kurz dauernde Berührung mit einem Körper von grosser Oberfläche, der nicht electrisch zu sein braucht, die Luft unwirksam machen kann. Schiebt man z. B. einen genügend dicken Pfropf aus Watte in die Röhre so weit ein, dass die bestrahlte Luft die Watte durchstreichen muss, bevor sie zu der electrischen Kugel gelangt, so bleibt die Ladung der Kugel auch beim Saugen unverändert.

Sitzt der Pfropf an einer Stelle, die vor dem Aluminiumfenster liegt, so erhält man dasselbe Resultat wie ohne Watte: ein Beweis, dass nicht etwa Staubtheilchen die Ursache der beobachteten Entladung sind.

Drahtgitter wirken ähnlich wie Watte; doch muss das Gitter sehr eng sein, und viele Lagen müssen über einander gelegt werden, wenn die durchgestrichene, bestrahlte Luft unwirksam sein soll. Sind diese Gitter nicht, wie bisher angenommen, zur Erde abgeleitet, sondern mit einer Electricitätsquelle von constantem Potential verbunden, so habe ich immer das beobachtet, was ich erwartet hatte; doch sind diese Versuche noch nicht abgeschlossen.

g) Befinden sich die electrischen Körper statt in Luft in trocknem Wasserstoff, so werden sie ebenfalls durch die X-Strahlen entladen. Die Entladung in Wasserstoff schien mir etwas langsamer zu verlaufen, doch ist diese Angabe noch unsicher wegen der Schwierigkeit, bei aufeinander folgenden Versuchen gleiche Intensität der X-Strahlen zu erhalten.

[7] Die Art und Weise der Füllung der Apparate mit Wasserstoff dürfte die Möglichkeit ausschliessen, dass die anfänglich auf der Oberfläche der Körper vorhandene verdichtete Luftschicht bei der Entladung eine wesentliche Rolle gespielt hätte.

h) In stark evacuirten Räumen findet die Entladung eines direct von den X-Strahlen getroffenen Körpers viel langsamer – in einem Fall z. B. ca. 70mal langsamer – statt, als in denselben Gefässen, welche mit Luft oder Wasserstoff von Atmosphärendruck gefüllt sind.

i) Versuche über das Verhalten einer Mischung von Chlor und Wasserstoff unter dem Einfluss der X-Strahlen sind in Angriff genommen.

j) Schliesslich möchte ich noch erwähnen, dass die Resultate von Untersuchungen über die entladende Wirkung der X-Strahlen, bei welchen der Einfluss des umgebenden Gases unberücksichtigt blieb, vielfach mit Vorsicht aufzunehmen sind.

19. In manchen Fällen ist es vortheilhaft, zwischen den die X-Strahlen liefernden Entladungsapparat und den Ruhmkorff einen Tesla’schen Apparat (Condensator und Transformator) einzuschalten. Diese Anordnung hat folgende Vorzüge: erstens werden die Entladungsapparate weniger leicht durchschlagen und weniger warm; zweitens hält sich das Vacuum, wenigstens bei meinen selbstangefertigten Apparaten, längere Zeit, und drittens liefern manche Apparate intensivere X-Strahlen. Bei Apparaten, die zu wenig oder zu stark evacuirt waren, um mit dem Ruhmkorff allein gut zu functioniren, leistete die Anwendung des Tesla’schen Transformators gute Dienste.

Es liegt die Frage nahe – und ich gestatte mir deshalb sie zu erwähnen, ohne zu ihrer Beantwortung vorläufig etwas beitragen zu können – ob auch durch eine continuirliche Entladung mit constant bleibendem Entladungspotential X-Strahlen erzeugt werden können; oder ob nicht vielmehr Schwankungen dieses Potentials zum Entstehen derselben durchaus erforderlich sind.

[8] 20. In § 13 meiner ersten Veröffentlichung ist mitgetheilt, dass die X-Strahlen nicht blos in Glas sondern auch in Aluminium entstehen können. Bei der Fortsetzung der Untersuchung nach dieser Richtung hin hat sich kein fester Körper ergeben, welcher nicht im Stande wäre, unter dem Einfluss der Kathodenstrahlen X-Strahlen zu erzeugen. Es ist mir auch kein Grund bekannt geworden, weshalb sich flüssige und gasförmige Körper nicht ebenso verhalten würden.

Quantitative Unterschiede in dem Verhalten der verschiedenen Körper haben sich dagegen ergeben. Lässt man z. B. die Kathodenstrahlen auf eine Platte fallen, deren eine Hälfte aus einem 0,3 mm dicken Platinblech, deren andere Hälfte aus einem 1 mm dicken Aluminiumblech besteht, so beobachtet man an dem mit der Lochcamera aufgenommenen photographischen Bild dieser Doppelplatte, dass das Platinblech auf der von den Kathodenstrahlen getroffenen (Vorder-)Seite viel mehr X-Strahlen aussendet, als das Aluminiumblech auf der gleichen Seite. Von der Hinterseite dagegen gehen vom Platin so gut wie gar keine, vom Aluminium aber relativ viel X-Strahlen aus. Letztere Strahlen sind in den vorderen Schichten des Aluminiums erzeugt und durch die Platte hindurch gegangen.

Man kann sich von dieser Beobachtung leicht eine Erklärung verschaffen, doch dürfte es sich empfehlen, vorher noch weitere Eigenschaften der X-Strahlen zu erfahren.

Zu erwähnen ist aber, dass der gefundenen Thatsache auch eine praktische Bedeutung zukommt. Zur Erzeugung von möglichst intensiven X-Strahlen eignet sich nach meinen bisherigen Erfahrungen Platin am besten. Ich gebrauche seit einigen Wochen mit gutem Erfolg einen Entladungsapparat, bei dem ein Hohlspiegel aus Aluminium als Kathode, ein unter 45° gegen die Spiegelaxe geneigtes, im Krümmungscentrum aufgestelltes Platinblech als Anode fungirt.

21. Die X-Strahlen gehen bei diesem Apparat von der Anode aus. Wie ich aus Versuchen mit verschieden geformten Apparaten schliessen muss, ist es mit Rücksicht auf die Intensität der X-Strahlen gleichgültig, ob die Stelle, wo diese Strahlen erzeugt werden, die Anode ist oder nicht.

[9] Speciell zu den Versuchen mit den Wechselströmen des Tesla’schen Transformators wird ein Entladungsapparat angefertigt, bei dem beide Electroden Aluminiumhohlspiegel sind, deren Axen mit einander einen rechten Winkel bilden; im gemeinschaftlichen Krümmungscentrum ist eine die Kathodenstrahlen auffangende Platinplatte angebracht. Ueber die Brauchbarkeit dieses Apparates soll später berichtet werden.

Abgeschlossen: 9. März 1896.


Würzburg. Physikal. Institut d. Universität.



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