Ueber die menschliche Unsterblichkeit

Textdaten
Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Ueber die menschliche Unsterblichkeit
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aus: Zerstreute Blätter (Vierte Sammlung) S. 147-184
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Erscheinungsdatum: 1792
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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[147]
III.
Ueber die
menschliche Unsterblichkeit.
––––––
Eine Vorlesung.
––––

[149] „Alle Blumen der Dichtkunst hast du gebrochen, so sagt ein französisches Epigramm zu einem französischen Dichter, nur die Unsterbliche nicht.“ Wir wissen nämlich, daß im Französischen eine Blume wirklich die Unsterbliche heißt.

Nicht eben so leicht ist es zu wissen, wo die Unsterbliche blühe, und wie sie von ihren täuschenden Schwestern sich unterscheide. Es giebt mancherlei Immortalitäten, und die vielfachen Sinne der Menschen suchen sie auf verschiednen Wegen.

Von der Unsterblichkeit des Geistes oder der Seele reden wir hier nicht; sie ist eine Blüthe der Hoffnung, ein Same der Ahndung, der in [150] unser aller Herzen liegt, und den die Phantasie, oder das moralische Urtheil, oder das innerste Gemüth der Menschen auf mancherlei Weise erzogen hat; nicht aber ist sie ein Werk des Wissens oder der noch kälteren Erfahrung.

Es giebt eine andre Unsterblichkeit des Namens und Nachruhms, die ich die historische und dichterische, oder die Kunstunsterblichkeit nennen möchte. Sie scheinet von großem Reiz. Edle, jugendliche Seelen opfern gern vor ihrem Altar; manche leidenschaftliche Menschen haben sie gar zum Einzigen Ziel ihrer Gedanken gewählt und so zu sagen, in ihr gelebet. In den Jugendzeiten der Welt nämlich, war allerdings auch der süße Traum erlaubt, mit seinem Namen, in seiner Person und Gestalt auf die Nachwelt überzugehen, und ein leibhafter Gott zu werden. Der enge Kreis der Empfindungen und Begriffe, in welchem damals die Menschen lebten, das Band einer blühenden und ewigen Sprache, das die verschiednen Stämme Einer gemeinschaftlichen Abkunft mit einander verknüpfte, der [151] Name Vaterland, der in Hellas und Rom die Gemüther an einander band, und dort die öffentlichen Spiele, ja alle Plätze des heiligen Landes, hier die Hauptstadt der Welt und was zu ihr gehörte, gleichsam zum ewigen Schauplatz und Tempel der Unsterblichkeit weihte; vor allem aber die Gaben der Musen, die damals noch unter den Menschen wandelten, und das Gefühl eines ganzen Volks zu Einer Theilnehmung am Ruhm und der Unsterblichkeit ihrer Mitgenossen stimmten: dies alles konnte die Seelen der Mächtigsten, Würdigsten, Weisesten, Schönsten, gleichsam in ein höheres Element erheben, daß sie, mit Göttern und Heroen umgeben, sich auch ihrem Namen, ihrer Gestalt nach, gleichsam leibhaftig in der Zahl derselben fühlten, und die Schale der Unsterblichkeit schon bei Leibesleben tranken. Ohne dies Gefühl wären die Künste und Gesänge Griechenlandes und Roms nie so geehrt, geliebt, gesucht worden; ohne dasselbe hätte kein Homer und Pindar, kein Flaccus und Maro gedichtet, kein Apelles gemahlt, kein Phidias und Polyklet [152] gebildet. Mit Thränen beneidete Alexander den glücklichen Achill, daß ihm die Götter zu seinem Verewiger einen Homer geschenkt hätten; und auch Tyrannen schonten des Mundes der Nachwelt, der Weisen und Dichter, damit sie durch sie nicht in der schlimmsten Gestalt andern Völkern und der Nachkommenschaft erschienen.

Exegi monumentum aere perennius
regalique situ pyramidum altius
quod nec imber edax aut aquilo impotens
possit diruere, aut innumerabilis
annorum series et fuga temporum.
Non omnis moriar; multaque pars mei
vitabit Libitinam; usque ego postera
crescam laude recens, dum Capitolium
scandet cum tacita virgine pontifex.

so singet ein römischer Dichter selbst und verheißet in mehrern Oden sich und seinen Freunden einen unsterblichen Nachruhm. a)[1] Auch haben die Götter dem, was in diesem Streben nach Unsterblichkeit [153] wirklich Ewiges war, ihren Beistand nicht versagen können: die Helden Pindars und Homers, die Mächtigen und Weisen Griechenlandes und Roms leben Eines Theils noch in Bildsäulen, Brustbildern, Aufschriften und Gedichten; Kunst und Geschichte halten vereinigt den unverwelklichen Kranz des Andenkens über ihren Häuptern. Horaz hat sein Capitolium überlebet; der Venusinische Schwan durchfliegt alle gebildete Völker.

Wie aber, wenn dies der einzige Weg zur Unsterblichkeit, oder die einzige Art einer ewigen Fortdauer wäre, wie wäre es mit uns bestellt? mit uns, die sodann ein paar Jahrtausende zu spät gekommen wären, um mit der Jugend der Welt ihre frischen Morgenkränze zu theilen. Hinter zehn Helden und Dichtern zu seyn, ist schon ein geringerer Platz: die Namen der Menschen, wenn sie hergezählt werden müssen, werden so bald verwechselt, so blöde unterschieden; die Personen, die solche bedeuten, stehen so oft verunstaltet und verkannt da, daß in dem großen Labyrinth [154] der Zeiten, in welchem oft das Schlechteste neben dem Besten gepriesen wird, das wahre Verdienst sich zu verlieren scheinet. Die Tafel der Muse ist beschrieben, fast mehr beschrieben, als das Gedächtniß der Menschen davon fassen kann; was am Rande hinzugethan wird, können nur kleine Buchstaben seyn, oft schwer zu lesen und von zweifelhafter Bedeutung. Der Mund der Fama hat seinen Credit verlohren; das Lob der Kunst, Dichtkunst, ja selbst der Geschichte hie und da nicht minder. Die Sprachen der Völker sind zertheilt, und wer kann sich eine Stimme geben, die von den Säulen Herkules bis zum Indus reiche? Das Feld der Geschichte, auch der Verdienste und Känntnisse selbst, ist zu groß geworden; dagegen die Aufmerksamkeit der Menschen in ihrem Innern geschwächt, die Theilnahme derselben an einem einzelnen Gegenstande, Geschäft oder Lande, dergestalt verwittert, daß es dem fremden Leser schon Mühe kostet, seinen engen Horizont nur zu erweitern, sich in eine fremde Noth, in ein fremdes Verdienst, in einen [155] fremden Charakter nur einzulassen und zu finden. Ein gemeinschaftliches politisches Vaterland haben die Völker Europens gar nicht mehr; die wenigsten haben es innerhalb ihrer eignen Grenzen. Friedrich der Große, der einen Alexander und Cäsar in Manchem weit übertrift, und dem die Götter selbst in seine Gesichtszüge das Gepräge der Unsterblichkeit drückten, wird schwerlich je so allgemein- so klassischberühmt werden, als Alexander und Cäsar es sind und waren; er stehet, der Zeit nach, hinter zu vielen andern, und muß mit ihnen allen den Wettlauf nach dem Kranze des Ruhms wagen. Und wo stehet das Ziel dieses Wettlaufs? Welche Hellenodiken theilen den Kranz aus? Den Augur an der Tiber wird niemand dafür erkennen; in seinen theuren Himmel will niemand Rechtliches mehr. Ueberdem ist auch sein Kalender voll, seine Altäre sind besetzt und die Litanei der Heiligen überhaupt ist eine schlechte Pindarische Ode. Die Heroen der alten Welt, die Götter Griechenlandes und Roms sind gefallen; Jahrhunderte haben sich [156] bemüht, die Mittel der Unsterblichkeit zu vernichten, die Wege dahin zu verschwemmen, den Hügel, auf welchem sie blüht, den Menschen ungangbar zu machen und sie dafür mit dem alltäglichen Loose eines Tantalus, Ixion oder Sisyphus zu beschenken.

Facilis descensus Averni
noctes atque dies patet atri janua Ditis
sed revocare gradum, superasque evadere ad auras
hoc opus, hic labor est. Pauci quos aequus amavit
Juppiter aut ardens evexit ab aethera virtus
Dis geniti, potuere.

     *     *     *

Sollte es nicht eine andre Unsterblichkeit geben, die uns nicht geraubt werden kann, ja auf die uns eben jene der Kunst, Geschichte und Dichtkunst als ein jugendlicher Traum selbst hinweiset? [157] Es wäre sonderbar, daß was seiner Natur nach wahrhaft unsterblich ist, uns von Zeiten, Menschen und Schicksalen geraubt werden könnte; die Götter selbst können es nicht rauben.

Unsterblich nämlich, und allein unsterblich ist, was in der Natur und Bestimmung des Menschengeschlechtes, in seiner fortgehenden Thätigkeit, im unverrückten Gange desselben zu seinem Ziel, der möglichstbesten Ausarbeitung seiner Form, wesentlich liegt; was also seiner Natur nach fortdauren, auch unterdrückt immer wiederkommen, und durch die fortgesetzte, vermehrte Thätigkeit der Menschen immer mehr Umfang, Haltung und Würksamkeit erlangen muß: das rein-Wahre, Gute und Schöne. Aus diesem Samen sind Göttergestalten hervorgegangen, Heroën und Wohlthäter der Menschheit entsprossen und entsprießen noch; sie haben auch auf uns gewirkt; wir haben Beruf und Macht, in ihrem Werk fortzuwirken und dadurch den schönsten und edelsten Theil unsrer selbst, in unserm Geschlecht [158] zu verewigen. Es sei mir vergönnt, diesen Gedanken, der keine Poesie, sondern die schlichteste Wahrheit ist, mit Wenigem zu entwickeln. Ich bin gewiß, daß in jedem edlen Gemüth, das mich höret, sich auch ein Land der Unsterblichkeit aufthun werde, indem jedem sein Herz saget: hier wohnt wahre menschliche Unsterblichkeit, hier oder nirgend. Außer ihr ist Schatten und Orkus.

Das Edelste, was wir besitzen, haben wir nicht von uns selbst; unser Verstand mit seinen Kräften, die Form, in welcher wir denken, handeln und sind, ist auf uns gleichsam herabgeerbet. Wir denken in einer Sprache, die unsre Vorfahren erfanden, in einer Gedankenweise, an der so viele Geister bildeten und formten, zu der auch in andern Sprachen die schönsten Genien des Menschengeschlechts beitrugen, und uns damit den edelsten Theil ihres Daseyns, ihr innerstes Gemüth, ihre erworbnen Gedankenschätze huldreich vermachten. Täglich genießen und gebrauchen wir tausend Erfindungen, die aus alten Zeiten, ja zum Theil von den fernsten Gegenden [159] der Erde zu uns gekommen sind, und ohne die wir ein Freudloses, dürftiges Leben führen müßten. Maximen und Sitten sind auf uns geerbt, die nicht nur das Gesetz der Natur, das dunkel in uns liegt, erhellen, sondern uns auch erwärmen und Kraft geben, uns über Bedrückniß und Gewohnheit hinaufzuschwingen, Vorurtheile abzuschütteln, und indem wir andre Gemüther von demselben Licht des Wahren, Guten und Schönen durchdrungen fühlen, uns mit ihnen in Freundschaft und Thätigkeit weit inniger zu vereinigen, als Geist- und Sinnlose Körper sich je vereinigen können. Diese Kette von Wirkungen ist zu uns gelangt; sie hat uns umfaßt und umschlungen; wider Willen müssen wir an ihr halten und im Guten oder Bösen, thätig oder hindernd auf Welt und Nachwelt fortwirken. Dies ist das unsichtbare, verborgne Medium, das Geister durch Gedanken, Herzen durch Neigungen und Triebe, die Sinne durch Eindrücke und Formen, bürgerliche Gesellschaften durch Gesetze und Anstalten, Geschlechter durch Beispiele, Lebensweise [160] und Erziehung, Liebende durch Liebe, Freunde durch harmonische Freundschaft knüpft, also daß wir in diesem bindenden Medium auf die Unsern, auf andre, auf die Nakommenschaft wirken müssen und fortwirken werden. Dies ist das Innre der wahren menschlichen Unsterblichkeit, jedes äußere Bild von ihr, ist nur ihr Name, ihre Bezeichnung.

Lassen Sie uns, um dies inne zu werden, nur an die lebendigsten Augenblicke unsres Lebens, insonderheit unsrer Kindheit und Jugend gedenken; gingen wir nicht, da wir sie genossen, stets aus uns heraus, und theilten uns mit? oder wir empfingen von andern, fühlten sie in uns, uns in ihnen. Da vergaßen wir unsre eingeschränkte sterbliche Form; wir waren im Lande ewiger Wahrheiten, einer reinen Güte, eines unsterblichen Genußes und Daseyns. So gingen in uns als Jünglinge die Gedanken derer über, die am meisten auf uns gewirkt haben; ihre Töne flossen in uns, wir sahen ihre Gestalten, verehrten ihre Schatten, und die Wirkung, die auf uns durch [161] ihr innres Wort gemacht ward, gedieh zur Form unsrer Seele. Noch denken wir mit den Gedanken jener Großen und Weisen, die dem Körper nach längst verlebt sind; nicht blos was, sondern wie sie es dachten, hat sich uns mitgetheilet; wir verarbeiten es weiter und senden es fort auf andre. Schiene gleich Manches im dunkeln Grunde unsres Gedankenmeeres todt und begraben zu liegen; zu rechter Zeit steigets doch hervor und organisirt sich zu- und mit andern Gedanken: denn in der menschlichen Seele ist nichts todt; alles lebt oder ist da, daß es zum Leben geweckt werde; und da das Reich menschlicher Seelen im innigsten Zusammenhange ist, so belebt, so erweckt Eine die andre. Noch in einem höhern Grade wirken so auf uns die Leidenschaften, Lebensweisen und Sitten der Menschen, insonderheit derer, mit denen wir täglich umgehn, die wir hassen oder lieben, verabscheuen oder verehren. Gegen jene empört sich unser Gemüth, die Eindrücke dieser gehen sanft in unsre Natur über. Wir gewöhnen uns an des andern Wort, Mine, Blick, [162] Ausdruck, so daß wir solche unvermerkt an uns nehmen und auf andre fortpflanzen. Dies ist das unsichtbare, magische Band, das sogar Geberden der Menschen verknüpft; eine ewige Mittheilung der Eigenschaften, eine Palingenesie und Metempsychose ehemals eigner, jetzt fremder, ehemals fremder, jetzt eigner Gedanken, Gemüthsneigungen und Triebe. Wir glauben allein zu seyn und sinds nie: wir sind mit uns selbst nicht allein; die Geister andrer, abgelebter Schatten, alter Dämonen, oder unsrer Erzieher, Freunde, Feinde, Bildner, Misbildner, und tausend zudringender Gesellen wirken in uns. Wir können nicht umhin, ihre Gesichte zu sehn, ihre Stimme zu hören; selbst die Krämpfe ihrer Misgestalten gehn in uns über. Wohl ihm, dem das Schicksal ein Elysium und keinen Tartarus zum Himmel seiner Gedanken, zur Region seiner Empfindungen, Grundsätze und Handlungsweisen anwies; sein Gemüth ist in einer fröhlichen Unsterblichkeit gegründet.

[163] Um hierüber mit mir Eins zu werden, bemerke man folgendes:

1. Je reiner und edler etwas in unsrer Natur ist, desto mehr gehets aus sich heraus, entsaget seinen engen Schranken, wird mittheilend, unendlich, ewig. Eine Form, die uns zusammendrückt, drückt, wenn wir sie andern auflegen, diese um so mehr zusammen, eben weil es nicht ihre Form ist; dahingegen was andern Luft und Lust macht, was ihnen freien Athem und ein Elysium giebt, in welchem freiwillige Blumen blühn, dies ist reiner unsterblicher Aether. Dahin gehören z. B. helle, wahre Gedanken, jede Erweiterung der Wissenschaft, bei welcher wir uns selbst vergessen und nur in den Gesetzen des Gegenstandes denken; Regeln der Vernunft, Sitten und Rechte, in denen Jeder, auch wider Willen, das Allgemeingeltende, Würdige anerkennt, und in ihnen gleichsam Formeln der Ewigkeit lieset. Wo Saiten dieser Art erklingen, tönen alle reine menschliche Gemüther mit; wir freuen uns ihrer, bis unvermerkt [164] sie das Saitenspiel unseres innern Sinnes werden. So haben alle Wohlthäter des Menschengeschlechts herabgewirket: so wirken Eltern, Lehrer, Gesetzgeber, Freunde auf uns, und wer sonst den Gang unsrer Gedanken, den Plan unsres Lebens zur reinsten edelsten Humanität förtert. Und o wie glücklich sind vor allen andern die Heroën und Genien der Menschheit, wenn ihnen bei ihrer Macht auch Weisheit, und bei ihrer Weisheit und Macht auch Güte zu Theil ward; welch tausend Mittel haben sie in ihrer Hand, auf die schönste und gewisseste Art unsterblich zu werden. Möge der Unterdrückte, der Hülflose, der Verwaisete ihre Namen kennen oder nicht, so lange er durch ihre Veranstaltung Schutz, Hülfe, Aufmunterung, Unterhalt, Freude genießet, so lange leben sie in ihren Anstalten selbst unsterblich. Die bessere Bildung, die der Verwahrlosete empfieng, die gute Aufnahme, die der Verlassene findet, jede Brauchbarkeit, zu der er gebildet wird, jeder Dank, jede Freude in ihm, sammt allen guten Wirkungen, die Er aufs neue [165] fortsendet, alles ist ihr Werk, ihre Veranlassung und Stiftung. Die Früchte, die sie zum reinen Ertrage der Menschen säeten, sind von unsterblicher Art, von immer wuchernden Zweigen. Dagegen das, was sich in und mit unsrer sterblichen Gestalt verzehrt, das geht hinab in den Orkus.


2. Zum Uebergange dieses Beitrages in den gesammten ewigen Schatz der Menschheit gehört nothwendig eine Ablegung unseres Ich, d. i. eine Entäußerung sein selbst und der Vorurtheile, die an diesem Selbst haften. Wollten wir, wenn wirs auch könnten, Welt und Nachwelt mit unsern Schwächen beschenken? Nein! Der Nektar der Unsterblichkeit, der Lebenssaft, durch welchen das Wahre und Gute keimet, ist ein reiner Saft; alles mit Persönlichkeit Vermischte muß in den Abgrund; in den Gefässen und Triebwerken der großen Weltmaschiene muß es so lange geläutert werden, bis der Bodensatz sinket. Die Wahrheit ruhet auf sich selbst; wenn ihr Würfel auch sechsmal umgewälzet würde, er ist und bleibt ein Würfel. [166] Dagegen die Pyramide, die auf ihre Spitze gestellt würde, entweder zertrümmern oder mit ungeheurer Mühe umhergewälzt werden müßte, bis sie ihre ruhige Grundlage fände. Leicht wird diese Selbstverläugnung, sobald man Einmal die Luft der hohen Region genossen, und in das Gebiet des Beharrlichen, des Wahren versetzt ward. Gern leget man die sterbliche Hülle der Persönlichkeit ab, wo sie Welt und Nachwelt nur an unsre Unvollkommenheit erinnern würde. Der erste Begriff eines allgemeinen Gesetzes sagt schon, daß es von Privatleidenschaft entfernt seyn müsse: so will auch jede reine Form des Guten und Schönen kein Portrait, sondern ein Ideal seyn. Wer über sich selbst der strengste Richter zu seyn vermag: nur der ist ein Sohn der Götter, seiner Natur nach und in seinen Werken unsterblich. Vielleicht habe ich einmal Gelegenheit, etwas über die Dämonen, Heroën und Genien der Alten zu sagen, deren Göttergestalten überhaupt mir wie abgezogene Begriffe und Kategorien erscheinen, unter welche sich alles Unsterbliche in Menschengedanken, [167] Werken und Charakteren gleichsam sinnlich ordnet.

3. Da aber jedes Ding nur auf Eine Weise das Beste seiner Art seyn kann: mithin nach ewigen Gesetzen die Formen der Dinge wiederkommen müssen, und kein Inneres ohne ein Aeusseres, kein Gedanke und Wille ohne Bezeichnung seyn kann; so sieht man, daß im Garten der Unsterblichkeit auch die Kunst des Ewigwahren, Guten und Schönen unentbehrlich ihre Stelle finde. Zwischen allen Abwegen ist nur Eine Straße die gerade und wahre; und wenn nach vielen Jugendübungen das Meisterwerk erscheinet, so dörfen wir nicht zweifeln, daß es den Charakter des Beharrlichen und Daurenden an sich trage. Geweihete Augen erkennen ihn darinn, und wenn der Neid eine Wolke, die Barbarei einen dichten Nebel darüber würfe; die Wolke fällt, der Nebel schwindet, und das Licht des ewigen Werks stralet Jahrhunderte weiter. Unglaublich ists, wie wenig eigenthümliche Formen im Reich der Gedanken und Menschenwirkungen erscheinen, [168] wenn man die Geschichte prüfend hinab verfolgt. Weit weniger Regenten beherrschen die Welt der Wissenschften, der Künste, der Erfindungen, Gesetze, Maximen, als Monarchen Länder beherrschen; mancher derselben regierte Jahrhunderte lang in einem süßen Irrthum fort. Zuletzt aber fand sich doch das verscharrete Gold wieder auf; nach dem langen Winter begann die ewige Kraft der Natur einen neuen schönern Frühling. In der Geschichte aller Zeiten und Völker ist das Schönste und Beste jeder Art mit einem Siegel der Unvergänglichkeit, mit dem Gepräge und Charakter des Immerwiederkehrenden bezeichnet; ein glücklich getroffenes Maximum oder Minimum seiner Art, eine aufgelöste Formel, die einzig so aufzulösen war.

Irre ich nicht, so muß, wenn wir gesund sind, diese Betrachtung uns einen neuen Geschmack am Leben, eine neue Hochschätzung des Ranges, auf welchem wir stehen und den Wunsch einflößen, in ihm sowohl Ewigkeit zu geniessen, als für das Fortdaurende in der Menschheit in [169] der besten Art zu wirken. Theilnehmen müssen wir; wir stehn im Strom der Zeit, wo eine Welle die andre treibet; nützlich oder schädlich müssen wir also auf die Zukunft wirken, wie die Vergangenheit auf uns wirkte; der Kampfpreis des Lebens ist, daß wir auch in Nacht und Nebel das Ziel treffen, wo der Kranz hängt, daß wir die Saite treffen, wo wohlklingende Consonanzen ins Unendliche hinauf- und hinuntertönen. Wären diese gleich dem gemeinen Ohr unhörbar; sie sind dennoch da, sie tönen weiter und erwecken neue harmonische Mitlaute. Nicht durch Schriften wirken wir allein auf die Zukunft; vielmehr können wirs durch Anstalten, Reden, Thaten, durch Beispiel und Lebensweise. Dadurch drücken wir unser Bild lebendig in andre ab; diese nehmens an und pflanzen es weiter. So erhob sich der Baum der Humanität über die Völker; unzählige Hände trugen zu seiner Wartung und Pflege bei: wir geniessen seine Früchte und müssen zu seiner weitern Cultur mithelfen. Wie weit diese reiche, umfaßt unser Blick nicht; aber unsre [170] Hand sei emsig, unser kurzes Leben werde durch Theilnehmung und Theilgebung verlängert und ewig. Mich dünkt, in diesem hohen und richtigen Gefühl werde man leicht des Namens vergessen, mit dem unsre Person bei Leibesleben genannt ward; nicht unser Bild wollen wir unsern Mitgenossen und der Nachwelt vermachen, sondern unsern Geist, unser Herz, die besten Bestrebungen unsres Daseyns, die edelste Form, die wir von andern in uns, auf andre aus uns brachten.

[171]
Nachschrift.


Um dem Verdacht der Declamation zu entgehen, der bei Schriften dieser Art alle bleibende Wirkung hindert, will ich in ruhigerm Tone die Grundsätze hinzufügen, auf welche sich die veste Wahrheit vom Fortwirken der Menschen in die Zukunft gründet. Man vergesse das Wort Unsterblichkeit, und am wenigsten denke man dabei an eine eitle Fortdauer im Namen. „Fortwirkung auf menschliche Seelen im Kreise der Menschheit,“ das ist die Frage.

1. Wenn Ein Gesetz in der Oekonomie der Naturwesen offenbar ist, so ist es Reihe, Fortdauer der Geschlechter und Arten. Ein Individuum macht dem andern Platz; es bringt den Samen seiner Zerstörung mit sich, und eben die Gesetze, die sein Wachsthum, seine Blüthe, seine Fortpflanzung befördern, befördern auch seine Auflösung. Es gehet von hinnen, und lebt [172] nur in andern seiner Art fort, denen es sich mit seiner ganzen Erscheinung gleichsam aufopferte und hingab. Diese Regel der Natur, die in Pflanzen und Thieren sichtbar ist, gründet eine Verewigung der Arten, zu welcher denn auch alle Triebe der einzelnen Wesen, ihre Begierde nach Nahrung, Wachsthum, und sowohl die Geschlechter- als mütterliche Liebe beitragen.

Der Mensch, als Thier und Pflanze, ist diesem Gesetz unterthan; er ists aber auch, als ein kurzer Inbegrif und Abbild der Natur, in der eigensten Einrichtung seiner Gattung. Sein Verstand und seine Vernunft bedörfen zu Aeußerung ihrer Form sowohl der Vergangenheit als der Zukunft: die Erscheinungen Jener bewahrt sein Gedächtniß auf, die Einbildungskraft stellet sie dar, der Verstand bildet aus ihnen Erfahrungen, die er auch auf die Zukunft anwendet. Seine Seele ist also nicht aufs Jetzt eingeschränkt; sie muß, ihrer Art nach, vom Vergangenen für die Zukunft leben, und eben der ist der verständigste, oder gleichsam der eigentlichste Mensch, [173] der die Vergangenheit aufs Jetzt, und da dieses in jedem Augenblick vorüber ist, aufs fortgesetzte Jetzt, die Zukunft, richtig anwendet. In jeder seiner Wirkungen also ist der Mensch eine fliessende Größe. Darauf beruhen die Gesetze seiner Erziehung; seine Bildung und Misbildung, sein Glück und Unglück, der Nutze oder Schade, den er stiftet, fließen daher; und was der einzelne Mensch ist, ist auch sein Geschlecht: denn jedes Glied desselben griff vorwärts in die Kette der Wirkungen vor ihm und ließ menschliche Wirkungen nach. Der menschliche Verstand ist, wenn ich das Gleichniß brauchen darf, ein Januskopf mit drei Gesichtern: man kann zuviel in die Vergangenheit, zuviel in die Zukunft sehen, und darüber das Jetzt versäumen; wie dem aber auch sei, keines dieser Verhältnisse lässet sich vom andern trennen und scheiden. Die regsten Neigungen und Triebe unsres Geschlechts zielen auf diese Fortwirkung, das Streben nach Selbsterhaltung, Gesundheit, Macht, Vergnügen, Ruhm und Glück, die Liebe sein selbst, so wie die Geschlechter- Eltern- Vaterlandes- und Menschenliebe.

[174] Sofort läßt sich aus dieser Verbindung dreier Regionen in unsrer Seele des Glück der Sterblichen erläutern, die, mit treflichen Seelenkräften ausgerüstet, auf vorzügliche Puncte solcher Verbindung trafen, und ihr Jetzt sowohl als ihre Vorzeit auf die Nachkommenschaft vor andern wohl anzuwenden wußten. Sie traten zu einer Zeit auf, da gnugsame Versuche, die Präliminarien ihres Geschäftes schon da waren; diese gebrauchten sie aufs beste, und so dorften sie um die Zukunft unbesorgt seyn, die ihnen früher oder später mit Bewunderung, Liebe und Nacheiferung freiwillig folgte. Es wäre zu erweisen, daß bei Homer, Sophokles, Plato, Aristoteles, Archimedes, bei Raphael, Bako, Galiläi, Newton u. a. dies der Fall gewesen; Herschel und mehrere, die zu unsrer Zeit in mancherlei Dingen Epoche machen und machen werden, zeigen, daß es auch noch bei uns derselbe Fall seyn könne. Und allemal waren es die unbefangensten Gemüther, die die größeste Epoche machten. Treue Haushälter der Vorwelt nutzten sie diese auch in [175] ihren Schwächen und Fehlern; so trafen sie den Punct der Vollkommenheit, und die Zukunft that ihnen ihre Pforten auf, ohne daß sie solche, wie es andre nutzlos versuchten, mit Gewalt sprengen dorften.

2. Wie also des Menschen eigenstes Vermögen mehr oder minder ein umfassender Geist ist, der mit Hülfe der Vorzeit aus seinem Jetzt auf die Zukunft wirket: so sind die Mittel, die er in Händen hat, oder die er, eben dieser seiner Natur nach, sich selbst erschaffet, offenbare Werkzeuge und Symbole dieser thätigen Fortwirkung. Ich rechne hiezu vorzüglich Sprache, Schrift, Wissenschaft, Kunst, und die Kunst der Künste, Gesetzgebung und Staatseinrichtung; sie sind die großen und kleinen Schiffe, mittelst welcher er den Ocean der Zeiten durchsegelt.

Von der Sprache ist unnoth zu reden, da sie als das Werkzeug der Fortpflanzung menschlicher Gedanken, Neigungen und Thaten allgemein anerkannt wird: durch sie erben sich die Schätze [176] der Vorwelt auf späte Geschlechter hinab; durch sie sind die Wirkungen der Seele des Stammvaters einer Nation noch mit dem letzten seiner Nachkommen verbunden. Durch eine gemeinschaftliche Sprache nehmen mehr oder minder alle Glieder eines Volks an einander Antheil, Zeiten gießen ihren Geist auf Zeiten, Völker auf Völker in immer neuen Mischungen hinab, und sowohl durch Vermehrung als Verwandelung der Sprachen strebet das Menschengeschlecht weiter. Freilich ist die Zeit längst vorüber, da alle Welt nur Eine Zunge und Sprache war, mithin sich Alles Allem mittheilen konnte im Reiche der Menschen; sie wird auch nie wiederkommen auf Erden. Indessen sind sowohl durch herrschende als durch gelehrte Sprachen bereits so viele Völker mit einander verknüpfet, auch haben verschiedene Sprachen sich einander selbst so stark mitgetheilet und an einander gebildet, daß auch hier ein großer Fortgang der Dinge unverkennbar bleibet. Schwerlich werden die Griechische, Römische und Französische [177] Sprache als allgemeine Mittel der Bildung je ausgerottet und verdränget werden; die Englische Sprache eifert ihnen nach, und die Deutsche wird sich einst an sie fügen.

Es ist ein hoher Platz in der Geschichte der Menschheit, der Sprache nach für alle gebildete Nationen unsers Erdballs zu schreiben, auf dem Vorgebürge der guten Hoffnung, wie in Siberien, in beyden Indien wie in Europa gelesen zu werden; (wäre es auch nur um widerlegt zu seyn, wie gegen Pauw’s Bemerkungen von beiden Indien aus ist geschrieben worden.) Es ist ein schöner Platz in der Geschichte, gerade auf ein Zeitalter zu treffen, da die Sprache einer Nation zu dem Grade der Bildung gekommen ist, in welchem sie wahrscheinlich fortdauert; in diesem Garten blühen sodann unsterbliche Menschengedanken. Aber auch ohne diesen Vortheil theilen sich ächte Erfindungen, Geistesformen von der schönsten Art, wahre Erläuterungen und Förderungen der Wissenschaft auf mancherlei Wegen mit; wie mit dem [178] Blumenstaube entfernter Zonen, fährt Zephyr mit Gedanken der Menschen weit umher, daß man oft, wo man sie am wenigsten suchte, ihre Blüthen und Früchte findet. Und dann, ists nicht schon Würde und Werth genug, auch nur auf seine eigne Nation in einigen Geschlechtern fortzuwirken? Vielleicht durch die dreissigste und hundertste Hand gehen die Früchte deiner Bemühungen aus einer veralteten in eine neuere oder fremde Mundart über. Dein Name ist längst vergessen; dein Eigenthumsrecht war vielleicht schon mit dem ersten Viertheiljahre dahin, indem behende, rüstige Sprecher es sogleich zu dem Ihrigen machten; aber was ist Eigenthumsrecht und Name bei einem Gut, das der Menschheit zugehört? Je reiner du denkest, desto mehr wirst du dich selbst des Unrechts der Vergessenheit freuen, und dich in ihm geehrt finden.

Die Schrift und die Buchdruckerei gehören zum Fortpflanzungsmittel der Sprache; die Vorsehung hat durch sie bereits Wunderdinge gewirkt, [179] und wird mit beschleunigter Kraft in den nächsten Jahrhunderten gewiß Wunderdinge befördern. Ein Sprachrohr für menschliche Seelen, wirkt sie auf einmal an hundert Orten und Enden jetzt und zukünftig.

Wissenschaften und Künste sind Formen des menschlichen Geistes, auf denen, je wahrer und nützlicher sie sind, desto vester das Siegel der Unsterblichkeit haftet. Laß es seyn, daß Künste verlohren gegangen sind; vielleicht konnte man sie entbehren; wenn aber auch nicht, so strebe der menschliche Geist, sie wieder zu erfinden und die seinigen vor einem gleichen Untergange dauerhaft zu sichern. Er thut dieses durch die Kunst aller Künste, die Gesetzgebung und Staatskunst: denn ist der Mensch ein politisches Geschöpf ζωον πολιτικον wie er es gewiß ist, weil außer diesem Zustande oder im Verderb desselben er das Schätzenswürdigste und Beste seiner Natur verlieret: so strebe er, es ganz zu seyn, und auf Aeonen hinab zu erreichen, was in seinen Kräften stehet. [180] Eine böse Politik vereinzelt, schwächt, unterdrückt, quält und tödtet Menschen, dem Vieh gleich: sie hat Welttheile verheert, Völker ausgerottet oder zu Sklaven gemacht, Denkmale zerstört, Künste untergehen lassen, Wissenschaften verachtet, und die Fortwirkung des menschlichen Geistes tausendfach gehindert. Unter einer guten Gesetzgebung und Staatseinrichtung, die wie Alles auch auf andre, ihr ähnliche Staaten wirkt und sich mit ihnen vereint, blühet Sicherheit und Friede; Künste gedeihen, Wissenschaften sprießen empor, Vernunft und Sitten läutern einander, und sowohl der menschliche Geist als das menschliche Herz senden in kleinen und grossen Kreisen, in niedern und höheren Ständen, die schönste Beute ihres Lebens, Erfahrung, Klugheit, Sittlichkeit, Vernunft, Kunst und Wissenschaft weiter. Unläugbar ists, daß Europa durch seine vereinte Macht, durch Erfindungen, Anstalten, Aemsigkeit und Klugheit sich Mittel erworben hat, auf alle Völker der Erde, so wie auf die fernste Nachwelt [181] mächtig zu wirken; welch eine Zukunft schlöße sich auf, wenn diese ungeheure Macht und Klugheit einst Weisheit und Güte würde!

3. Ohngeachtet aller einander entgegen strebenden Kräfte unsers Geschlechts scheint eine allgemeinere, vollere, sanftere Fortwirkung desselben auf die Nachwelt in der Ordnung der Dinge, und im Lauf seines Daseyns zu liegen. Alles, was Raum und Zeit bindet, ist Gesetzen unterthan; wie? und die leidenschaftliche freye Willkühr der Menschen, ihr Aberwitz, ihre Rasereien sollten jeder beschränkenden Ordnung der Natur unbändig seyn, und unbändig bleiben? Erröthen sollte unser Geschlecht, wenn es so etwas auch nur im Traum behaupten wollte. Geburt, Tod, Heirathen, Fieber, selbst die Witterung hat ihren Calcul gefunden; und die schädlichen Thorheiten der Menschen sollten ihn nach einer dreitausendjährigen Erfahrung nicht finden? Nicht blos den Calcul werden sie finden, sondern auch Regel und Riegel. Ohnstreitig tobt [182] jene wilde Persönlichkeit, die sich einst durch Uebermuth und sinnlose Zerstörungen unsterblich machte, nicht mehr mit der Freiheit, wenigstens nicht mit der Billigung auf der Erde umher, mit welcher sie ehedem verehrt ward, (es wäre denn in entfernten Ländern und Winkeln;) mancherlei Ursachen tragen dazu bei, jeder zu frechen persönlichen Anmaassung Einhalt zu thun und mit Aufopferung derselben lieber die Ruhe des Ganzen zu sichern. Immer mehr verliert sich alles in grösseren Massen; es wirkt durch Leidenschaftlosere, oft sogar nur durch mechanische Mittel, und muß sich also der kälteren Vernunft eher fügen. Revolutionen, wie die von Attila, Dsengiskan, oder von unsern Deutschen Vorfahren bewirkt ward, haben wir in Europa kaum mehr zu besorgen; und was von Europa aus die Welt drückt, ist meistens der kalte Geiz, die niedrige Habsucht. Eine Geißel Gottes fürs Menschengeschlecht zu seyn, nach diesem einst rühmlichen Hunnen-Ruhm wird niemand mehr gelüsten; selbst Barbaren hüten [183] sich, ihre zerstörende Natur zu rauhe zu zeigen. Die Werkzeuge ihrer Macht sind Eines Theils gelähmt, oder andern Sinnes geworden; kurz, was die helle Vernunft anfing, warum sollte dies das Gesetz und eine vestgestellte Ordnung Aller mit Allen nicht einst vollführen? Wer hieran zweifelt, müßte es als erstes Naturgesetz annehmen, daß das Menschengeschlecht, unter das Schlechtere verkauft, zum Beßeren nie gelangen könne, und daß seine klärsten, sichersten Grundsätze ewig und immer täuschende Scheinworte bleiben müßten. Ist dies aber nicht, hat der allweite Raum sich zu Sternen und Sonnen aufgeklärt, und was Chaos war nach Naturgesetzen in daurende Bahnen geregelt; so lasset uns beym jungen Menschen-Chaos auf unsrer Erde an dieser wünschenswerthen Entwicklung auch nicht zweifeln, vielmehr dazu alles was wir können guten Muthes beitragen. Licht ist das stilleste, aber wirksamste Element der Natur; durch seinen schnellen Stral, durch seine ungestört fortgesetzte, gräuschlose Wirkung belebet und reinigt es die [184] Natur, erweckt und färbt die schlummernde Blumen, macht andre Farben ersterben; es ist der stille Träger fortwährender Schöpfungskräfte. So sei auch unsre Thätigkeit für die Nachwelt, und der ganze Lohn derselben, daß durch sie, wie durch verschlungene Lichtstralen, eine neue schöne Schöpfung lebe.


  1. a) Horat. L. II. 20. III. 30. IV. 8. 9.