Ueber die Einführung des Chores auf unserer Bühne (A.)

Textdaten
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Autor: A.
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Titel: Ueber die Einführung des Chores auf unserer Bühne
Untertitel: II.
aus: Wünschelruthe - Ein Zeitblatt. Nr. 8, S. 30–31; Nr. 9, 33-36
Herausgeber: Heinrich Straube und Johann Peter von Hornthal
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1818
Verlag: Vandenhoeck und Ruprecht
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Erscheinungsort: Göttingen
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Erste Teil Ueber die Einführung des Chores auf unserer Bühne (Kreuser) von Johann Kreuser
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[30]
Ueber die Einführung des Chores auf unserer Bühne.
II.
Von A.




Die Einführung des Chors in unserm Schauspiel kann schon deßwegen nicht als mit dem Princip desselben streitend angesehn werden, weil wir in der Geschichte der neuern dramatischen Dichtkunst, selbst in ihren frühern Perioden, so häufige Versuche, also ein offenbares Hinneigen dazu, oder doch zu etwas sehr ähnlichem wahrnehmen. Wie er aber am ersten jenem Princip entsprechen mag, müssen wir betrachten, wenn wir über die beste Art seiner Erscheinung urtheilen wollen.

Bei den Griechen, denen die Natur selbst das Göttliche war, mußte auch das Schauspiel, das wie alle Kunst das Ideal der Natur aussprechen soll, von der Anbetung der Gottheit ausgehen, und reihte sich so natürlich an die Lobgesänge die sie feierten, den ursprünglichen Chor. Aber so wie in der Natur selbst ein doppelartiges Wirken Statt findet, indem ihre niedern, bloß körperlichen Kräfte die höheren, geistigen oft wie in einem Zerrspiegel nachbilden, und zugleich mit ihnen gleich zu laufen und im Streit zu stehen scheinen, sich mannichfach mit ihnen vereinigend und durchkreuzend; so stellte sich dieses Doppelleben auch in der griechischen Mythologie wie in der aller alten Völker dar, und eben so in der Art ihrer Gottesverehrung, von wo es auf die Bühne überging. In seiner Kindheit konnte das Volk es ertragen, diese zweifache Erscheinung des Lebens auf das engste verbunden, wie sie es auch in der Natur zu seyn scheint, seinen unschuldigen Blicken darstellen zu lassen; so wie es sich mehr verfeinerte, mußte sie sich immer strenger scheiden, weil sie dem forschendern Blick in einer Zusammenstellung wie ein Spott auf die erhabne Gottheit ausgesehen hätte. So verfolgte und erfaßte die Tragödie nur Eine Seite des Lebens, seine andre Hauptseite der Komödie und dem Satyrspiele überlassend; – dieß ging so weit daß selbst der Frevel in der Tragödie erhaben erscheint, und daß vieles, was sonst dem Volke heilig war, in der Komödie als komisch dargestellt werden durfte. Und da uns nun kein Leben ganz nahe tritt und zu eigen wird, das nicht von Allen Seiten dem unsrigen entgegenkommt, besonders wo der Geist zum Erhabenen hinaufgestimmt werden soll, so war ein Vermittler nöthig; als solcher blieb der Chor, und wie ein Priester stand er in der Tragödie zwischen dem Prinzip der Kunst, also der Gottheit, und dem Volke.

Ganz anders ist es mit dem neuern Schauspiel. Sein Zweck und Wesen ist, das Leben von allen Seiten, in allen seinen Beziehungen zugleich aufzufassen und darzustellen; denn Gott steht über ihnen allen. Da nun nach neuern Begriffen das größere oder geringere Eingreifen der höheren Geisterwelt in das Wesen der Erde die Rücksicht ist, in welcher das Leben fast in jeder seiner Beziehungen zweiseitig erscheint, so kann man sagen, daß unser Schauspiel auf Parodie im weitesten und höchsten Sinne des Worts gegründet ist, auf den ewigen Gegensatz zwischen Gut und Böse, Hoch und Niedrig, Tragisch und Komisch, Idee und Erscheinung, Himmlisch und Irdisch. In diesem Gegensatze, (dessen Hauptrichtung gewiß in keinem ächten neuern Schauspiele fehlt, wenn auch eine einzelne Art desselben vernachlässigt seyn sollte, wie in den meisten deutschen Schauspielen die Parodie des Tragischen und Komischen), hebt sich die Welt der Dichtung über die gemeine Wirklichkeit dadurch hinaus, daß die höhere Seite des Lebens, hier untrennbar mit der niedern in eins verschlungen, dort von ihr frei wird und scharf geschieden über ihr steht. Und wie der Mensch so die Poesie des Lebens in freiem Schaffen erhoben da stehen sieht, wird er zu ihr hinaufgezogen und lernt auf die Gegenseite herrschend herabschauen. So wird ihm die gedichtete Welt, wo er in der Mitte zwischen Himmel und Erde schwebt, wieder zur Wirklichkeit; aber doch erscheint ihm der Himmel nur in der Beziehung zur Erde, und er könnte die Idee nicht fassen, wenn er sie nicht mit der Erscheinung vergliche. Soll nun, von diesem doppelten Leben bedingt und es wieder erklärend, doch von ihm geschieden, ein drittes ihm entgegengestellt werden, so muß von jenem, als einer zweiten Natur, wieder die Idee aufgesucht werden. Und so würde der Chor bei uns Darstellung des Ideals für eine ideale Welt, die Poesie der Poesie; und wie ein zusammenhängendes Traumleben neben den Handlungen des Tages, ginge er neben dem Schauspiel her, in steter Beziehung seiner Erscheinungen unter einander und zu denen des Schauspiels, diese aber nicht unmittelbar, sondern symbolisch, in der Sprache des Traumes andeutend.

[31] Hier wird leicht eingeworfen werden, ein solcher Chor könne die Dichtung des Schauspiels deßwegen unmöglich steigern, weil die höchste Poesie, als eine Vermittlung zwischen Idee und Erscheinung der Natur uns zwischen beide in die Mitte stellend, indem sie uns jene in dieser ahnen läßt, schon im Schauspiel erstrebt werden müsse. Aber keineswegs soll die Poesie des Chores absolut die höchste seyn; sie wird es, als außer dem Kreise unserer Natur liegend, nicht anders für uns seyn, als wenn wir aus uns heraus auf den Standpunkt der im Schauspiel Handelnden treten; und dieß soll ja das Schauspiel bewirken. Zwar ist dort, wie bei uns, Eine Idee, die des Göttlichen, immer die höchste, und immer über jeder Aeußerung des Lebens; aber die Natur spricht sich dort anders aus als bei uns, also auch deren Ideal und das Höchste der Poesie; und mancher Ton, der fremd und schneidend in unser Leben klingen würde, kann in dieser geistig gesteigerten Welt zu heiliger Musik werden. Und so kann im Chor vieles, was im Schauspiel nur als Idee geahnet werden darf, wieder als Erscheinung austreten. Die höchste Idee selbst darf zwar nie mit uns aus Einer Linie stehend gedacht werden, aber näher und unverhüllter kann sie zum Gemüthe sprechen; denn das Sinnliche ist nicht weggeworfen, aber vergeistigt. Was, in das Schauspiel eingreifend, nur als Objekt erscheint und nur existirt weil es erscheint, kann im Chor wieder Subjektivität erhalten; Geister der Abgeschiedenen z. B., durch die das Schicksal, d. h. die Idee des Göttlichen spricht, können dort unmittelbar zu den Zuschauern reden, also ihnen als fühlend und wollend erscheinen, wie im Schauspiele den dort Handelnden.

Wir finden den Chor in keinem neuern Schauspiele genau so wie ich ihn hier angegeben habe; häufig treffen wir aber auf Spuren die zu beweisen scheinen, daß er uns wenigstens so nicht fremd seyn könne. Von den dramatischen Werken der Franzosen und Italiäner, die mehr der antiken als modernen Kunstidee folgten, kann hier weniger die Rede seyn. Ich wage es nicht zu entscheiden, weßwegen der Chor in Spanien weniger als irgend sonst Eingang fand, da ich doch glaube, daß er im spanischen Schauspiel, wenn er sich gleich von Anfang mit ihm ausgebildet hätte, große Wirkung hätte thun müssen. Versuche wie die des Antonio de Silva (Primeras tragedias españolas, Madrid 1577. 12) haben etwas von einer romantisirten Nachbildung des Antiken. Am vielfältigsten ist der Chor auf dem altenglischen Theater erschienen. Die ersten rohen Versuche in der dramatischen Kunst können wohl nirgends leicht einen Chor haben, wo sie sich nicht aus ihm herausbildeten. Dann aber sehen wir ihn in mancherlei Gestalten austreten, welches allerdings ein Bedürfniß nach etwas, wobei man sich nur über die rechte Art nicht klar ist, zu beweisen scheint. Hier finden wir ihn am schönsten in dem merkwürdigen Schauspiel Ieronimo oder the spanish tragedy[1] in Unterredungen zwischen dem Geiste des zu rächenden Andrea und der Rache, die Schicksalsidee großartig versinnlichend; daß sich dieser Chor nicht wohl zum musikalischen Vortrag eignete, mag der Hauptgrund seyn, weßwegen er nicht die Grundlage zu einem wenigstens eine Zeitlang bleibenden Chore wurde. So glaube ich wenigstens, wenn der Chor nicht ein Zusatz von dem neuern Bearbeiter des älteren ungedruckten Stücks ist; sonst erklärt sich dieser Umstand von selbst aus der Zeitgenossenschaft mit Shakspeare. Nicht selten war ein Chor, der bloß Theile der Handlung des Stücks, welche nicht vorgestellt wurden, in den Zwischenakten erzählte; diesen hat Shakspeare in seinem Perikles beibehalten, wo er ihn von dem alten Dichter Gower, der die Geschichte, woraus das Schauspiel genommen ist, erneuert hatte, in schöner Einfachheit sprechen läßt. In derselben Art tritt die Ate im Lokrine auf, doch natürlich mit einem hinzugefügten Bezug auf die Schicksalsidee[2]. Daneben finden wir unter andern einen sonderbaren Chor von singenden Barden, nur ohne hinlänglich bestimmte Bedeutung, in dem Stücke Fuimus Troes, the true Trojans; – und mancherlei Modifikationen eines vielleicht von dem antiken ausgegangenen Chores, meistens ohne Eingreifen in die Handlung, wie schon in Ferrex and Porrex, Trancred and Gismunda u.a.m. auch bei Ben. Jonson. Daraus mußte ein endlich ganz unbedeutender Chor entstehen, der aus keinen bestimmten Gestalten bestand, so als bloßer Chorus keinen eigentlichen Charakter mehr hatte, und auf diese Weise nur zur Ausfüllung der Zwischenakte blieb, bis er sich auch von hier in den Prolog und Epilog zurückzog, denen er im Grunde schon lange gleich geworden war. Shakspeare brancht einen solchen Chor wohl noch, wie scherzend oder um der herrschenden Gewohnheit etwas zu Gefallen zu thun, zwischen einzelnen Akten, z. B. im Romeo zwischen dem ersten und zweiten Akt. Sonst war Shakspeares unergründlicher Geist wohl eine Hauptursache weßwegen der Chor ganz von der englischen Bühne verschwand; ihm mußte es gelingen die schärfsten Gegensätze, die allerumfassendste Parodie in die fortlaufende Handlung des Schauspieles zu legen, so daß überall die Bedeutung des Chores nach unserer Ansicht schon vollendet in den Charakteren der Handelnden selbst liegt, und doch das Reinmenschliche immer im Geiste des Ganzen [32] bleibt. Der Keim hierzu lag allerdings schon in den ältern englischen Schauspielen, und wir zweifeln, daß ein deutscher Shakspeare dieses gewollt haben würde. Nun aber ging Shakspeare auf der andern Seite so weit, daß er im Macbeth, wo er einen ganz neuen Chor, auf das gewaltigste in die Handlung des Stücks eingreifend, und die demselben zum Grunde liegende Idee auf das vollkommenste aussprechend, aufstellte, in diesem Chor selbst wieder die Parodie der Erscheinung mit der Idee so scharf ausdrückte wie es irgend geschehen konnte; zwar so daß dieser Chor nicht leicht hätte ein stehender werden können, aber mit einer so durchgreifenden Herrlichkeit, daß es danach wohl kein Dichter wieder wagen mochte, einen auch in der Erscheinung über den Handelnden erhabenen Chor auftreten zu lassen.

Man kann vielleicht überhaupt annehmen, daß die Deutschen ein geringeres Hinneigen, als wir bei den Engländern, wenigstens zu Shakspeares Zeit finden, zu einem Elemente der Parodie haben, vermöge dessen irgend eine Idee der Natur sich zugleich mit ihrer Erscheinung in einem und demselben Gegenstande zeigt. Und auf dieses gründet sich vorzüglich die ungeheure, zugleich niederbeugende und erhebende Ironie Shakspeares. Nicht als ob diese Neigung dem deutschen Volke geradezu fremd wäre; aber die Gegensätze verschiedner Seiten in Einem menschlichen Gemüth erscheinen bei uns weniger scharf, oder nehmen leichter Einen Charakter an, und werden so unter einander befreundeter und milder. Anders äußert sich dieß bei dem Gegensatze zwischen Gut und Böse, wo wir mehr eine reine Begeisterung lieben und uns an ihr freuen, wenn wir sie auch für einseitig erkennen, anders bei dem zwischen Tragisch und Komisch, wo die Parodie des Pathos und Schmerzes, die im Pathos und Schmerze selbst liegt, bei uns mehr in den ernstern und wehmüthigern Ton einstimmt. Für die dramatische Poesie mußte jene Neigung besonders günstig seyn, weil die Tiefe des menschlichen Gemüths hier durch sie am deutlichsten und ergreifendsten dargestellt wurde; weit weniger für die bildende Kunst, die bei einer körperlicheren Belebung der Gedanken eine größere Vereinzelung derselben fordert, so daß das Hohe ganz und rein in seiner Höhe auftritt, weil jene Mischung, wo sie nicht durch die Zeit gesondert werden kann, dem Blick verzerrt erscheinen würde, und erst der Geist mühsam die Wahrheit heraussuchen müßte. Auch muß man die den Deutschen eigne Parodie zunächst in ihren Bildwerken suchen, und da erscheint sie uns am vollendetsten bei Albrecht Dürer, nicht dem größten unter allen deutschen, aber dem deutschesten unter allen großen Malern, anders und zum Theil, wenigstens späterhin, schwächer bei den rheinischen und burgundischen Künstlern. Unter den Dichtern aber ist gewiß die reinste deutsche Parodie bei Jean Paul zu suchen. Es ist hier nicht der Ort zu einer weitern Ausführung dieses Umstandes, nur insofern er Einfluß auf die Einführung des Chors bei uns haben kann, mußte er angeführt werden.

[33] Man kann also das Zusammenwirken der in einem Schauspiele Handelnden ein Individuum von Handlung nennen, Wesen und Inhalt des Chores soll ihm bei uns als ein zweites Individuum parodisch entgegengestellt werden. So wie nun das altenglische Schauspiel im einzelnen Menschen die parodischen Gegensätze mit höherer Schärfe zusammenstellte, [34] so sprach in ihm auch der Chor sie weniger aus, als sie schon in den Charakteren der Handelnden selbst lagen. Dabei ist es schwerlich zu denken, daß ein so unausgebildetes Theater, wie das ältere deutsche war, die für uns passende Idee des Chors einigermaßen andeuten könne; und so sehen wir zuerst einen Chor, obgleich auch sehr unvollkommen, in der Opitzischen Periode, und zwar weniger wichtig in den rohen Versuchen Joh. Klai’s, wo er dem griechischen nachgebildet seyn sollte, aber, obgleich nicht ohne lyrische Kraft, fast ganz charakterlos ist; – merkwürdiger hingegen bei Andreas Gryphius, der ihn dem Holländer van Vondel nachbildete. Hier ist der Chor ernst, wie es die angegebne Richtung des deutschen Geistes, verbunden mit einer Ahndung der von uns aufgestellten Idee des Chors mit sich bringt, aber ohne tiefere Bedeutung, da jede Abtheilung des Chors für sich dasteht, ohne Beziehung zu den übrigen, auch sich selten hinlänglich erhebend, weil er meistens entweder aus Hofleuten, begleitenden Jungfrauen und andern auf gewöhnliche Art betrachtenden und theilnehmenden Menschen besteht, oder, wenn dem Dichter etwas Höheres vorschwebte, Alles durch eine unselige Anwendung allegorischer Figuren, völlig ohne Individualität, verdorben wurde, die den Zuschauer auf diese Art ganz kalt lassen und in gar kein Verhältniß zu ihm zu bringen sind. Auch war die Verhütung eines solchen Mißstandes unvermeidlich zu einer Zeit wo die Deutschen oft absichtlich das Deutsche in einer erzwungenen Aneignung des Fremden suchten. Es ist erfreulich zu sehen, wie in einzelnen Augenblicken dann den wackern Dichter auch im Chore die Poesie wärmer durchdringt, und er eine über dem Stücke schwebende Idee lebendig und religiös darin ausspricht, obgleich wir zum Beweise dafür eher eine einzelne Strophe als eine ganze Abtheilung des Chors anführen könnten. Lohenstein übertrieb die Aufstellung allegorischer Gestalten, wie alle Fehler seines Meisters im Drama, bis zum Unerträglichen. – In neuern Zeiten ist besonders Schillers Versuch merkwürdig, den griechischen Chor modificirt auf das deutsche Theater zu bringen. Es ist genug darüber gesprochen; wir erwähnen nur, daß es der Hauptfehler dieses Chors ist, daß er eigentlich weder der griechische noch ein anderer war, und daß er, indem er nach der Absicht des Dichters durch seine Stellung der Handlung des Schauspiels gegenüber dem Zuschauer eine idealische Erhebung zu derselben leichter machen sollte, durch seine Stellung in der Handlung des Schauspiels selbst diese Wirkung wieder zerstörte. Daher konnte diese Art des Chors keinen allgemeinen Eingang finden, so wenig als alle bloßen Nachbildungen des griechischen, wie z. B. in Collins Polyxena u. s. w. – Weniger gehört hierher der bloß forterzählende Chor im ersten Theile von Tiecks Oktavian, weil das Stück wohl nie zum Aufführen bestimmt war, und man dem Chor auch etwas den Notbehelf für die undramatischeren Stellen der Erzählung ansieht, so daß er eigentlich nur dadurch eine tiefere poetische Bedeutung erhält, daß er von der Romanze und dem Schlaf, als der über den Personen des Schauspiels schwebenden Poesie, gesprochen wird, und gerade die wunderbarsten Theile der Geschichte enthält. Wir finden die Idee, von der wir bei diesem Aufsatz ausgingen, nirgends hervorspringender, als in den geistlichen Gesängen in Göthes Faust: nur paßt die Art ihrer Ausführung in denselben nicht zu einem stehenden Chor, weil eine bloße scheinbar zufällige höhere Einwirkung auf die Handlung durch eine natürliche, unmittelbar einen andern Zweck habende Sache, durch ganze Stücke wiederholt, etwas ermüdend Einförmiges erhalten müsste.

Das Einzelne was aus unserer Ansicht des Chores für seine innere und äußere Einrichtung hervorgeht, glauben wir zum Theil in dem bisher Gesagten angedeutet zu haben, zum Theil muß es auch dem Dichter überlassen bleiben, der es versuchen würde unsere Gedanken hiervon ins Leben treten zu lassen; doch müssen wir noch einiges davon näher berühren, um nicht in dem Verdachte zu stehen als schwärmten wir ganz ins Blaue, und begnügten uns mit einer neblichten allgemeinen Vorstellung, unbekümmert ob sie sich realisiren lasse oder nicht.

So wie die Poesie als die höhere Seite des Lebens mannichfach in die gewöhnliche Erscheinung desselben spricht, so kann der Chor in verschiedenen Gestalten der Handlung des Schauspiels entgegenstehen, die am Ende jedoch auf Ein Höchstes, auf eine geistig gesteigerte Natur hinauslaufen. Diese Gestalten sind modificirt nach dem Grundprinzip des Stücks, in welchem seine poetische Idee enthalten ist, so wie ihre Aeußerungen nach der Ausführung jenes Princips, oder dem Gange des Stücks. Das Prinzip nun kann so beschaffen seyn, daß der menschliche Wille gar keine Gewalt über dasselbe hat und es rein über ihm steht, wie wenn es Schicksal im höchsten Sinne des Worts, oder Vorsehung ist. Dann würde der Chor nach meiner Meinung am besten aus Wesen bestehen, die ebenfalls außer dem Kreise liegen welchen der Menschengeist zu überschauen vermag; aus Geistern, deren Art wieder nach der Erscheinungsart des Princips verschieden wäre. So würden z. B., wenn die Rache das Mittel ist welches das Schicksal zur Ausgleichung nach ewigem Recht ergriffen, die Geister der Erschlagnen, die gerächt werden sollen, seinen Willen im Chor verkünden können. In ähnlichen Fällen dürften auch allegorische Gestalten auftreten, aber nur wenn eine große Entfernung des Chors vom Zuschauer nötig würde und auch dann mit der höchsten Individualität [35] die sich dabei denken läßt. – In gewissem Sinne ist das Schicksal immer Princip einer Tragödie, in diesem Sinne kann aber auch jede Gestalt des Chores, die uns in irgend einem Falle passend vorkommt, das Eingreifen des Schicksals in der Menschen Satzungen aussprechen. Neigt sich die Schicksalsidee (worunter ich hier immer die der christlichen Vorsehung mit begreife, ja vorzugsweise andeuten möchte) mehr zu einer Verherrlichung der Erscheinung der Religion auf Erden, so würden die, welche derselben unmittelbar oder mittelbar näher stehen als das übrige Menschengeschlecht, den Chor ausmachen, nach Zeit und Ort verschieden, Priester, Mönche, Pilger, geistliche Ordensritter, Kreuzritter u. s. w. – Ein ähnliches dürfte eintreten, wenn die Liebe das Wesen des Schauspiels ist, da sie gesteigert so schnell aus ihren reingöttlichen Grund, und so auf die Religion zurückkommen muß. Wo nun ein andrer Glaube an etwas Uebersinnliches – es ist hier gleichviel ob gegründet oder nicht – jenem an die ewige Wahrheit zur Seite steht oder gar an seine Stelle tritt, und so zur Stimme aus einer andern Welt wird, da wird der Chor aus denen bestehn, die dieser Glaube für inniger verbunden mit seinem höchsten Ziele hält; dieß können Astrologen, Zauberer und Andre seyn. Wo aber die Religion, der Urquell und ewige Hintergrund alles Geistigen und Heiligen auf der Welt, noch mehr zurücktritt, da nun das vorzugsweise erscheint was wir im engern Sinne Poesie nennen, und frei auf allen Blüthen des Lebens umherschwärmt, da würden Dichter im Chore singen, die sich an innerer Erhebung zu den Personen des Schauspiels verhielten wie sich der Dichter desselhen zu den Zuschauern verhalten will.

So wie das Grundprinzip eines Stückes ganz durch dasselbe durchgehen muß, so wird auch der Chor in einem Stücke durchgehends aus denselben Gestalten bestehen, und ebenso muß eine feste innere Verbindung zwischen allen Abtheilungen seiner Gesänge seyn, die, wie ich schon oben bemerkt habe, die Bedeutung und den Gang des Stücks symbolisch wiederholen sollen, oder so wie sich die Begebenheiten im Traume gebildet haben würden. Wie dieses nun am wirksamsten geschehen könne, darin darf man dem Dichter nicht vorgreifen; wir können indeß hier den Unterschied andeuten, daß die Handlung entweder durch eine zweite, sie aus einem höhern Gesichtspunkte abbildende Handlung, oder durch eine ähnliche Erzählung, oder durch andre zusammenhängende Gesänge, welche sie den Sinnen als poetisch erhoben darstellen, vergeistigt wiedererscheinen könne. Die erste Art möchte sehr schwer mit Würde und Interesse auszuführen seyn ; wenn die Gestalten des Chores und ihre Handlungen dabei in keiner äußern Verbindung mit denen des Schauspiels ständen, so würden sie dem Zuschauer leicht kalt und abschreckend vorkommen, im entgegengesetzten Falle aber ihm leicht mit den im Stück Handelnden auf derselben Stufe zu stehen scheinen, und so ihm zu nahe, die wahre Bedeutung des Chores verlieren. Die symbolische Wiederholung der Handlung in einer Erzählung würde wohl am häufigsten den rechten Standpunkt des Chores herbeiführen können; hier besonders fände der Dichter den reichsten Stoff in der Volksdichtung von den ältesten Heldensagen an bis auf so manche herrliche Romanze, in den wundervollen freundlichen Mährchen wie selbst in den einfachsten Liedern der Liebe. Jede dieser Dichtungen hat ja die Eigenschaft daß sie den ewigen epischen Hintergrund der Geschichte, der ja auch der aller Schauspiele seyn soll, ausspricht oder doch auf das vollkommenste ahnen läßt. So erscheint die Volkspoesie im höchsten Grade als zweite Welt in der wirklichen; und so wie der Dichter im Chore ihrem Inhalt folgen könnte, so könnte er auch aus der Darstellungsweise in ihnen Vieles dafür lernen; die springenden und doch einem poetischen Gemüthe so natürlichen Uebergänge in den Liedern und Romanzen würde er schicklich zum Verknüpfen der durch die Akte geschiednen Abtheilungen des Chores modificiren, die Anschauung der Natur und ihr Einfluß auf die Darstellung des Wunderbaren ist in den Mährchen und Sagen gerade wie der Chor sie haben soll. Daran würde sich manche große Erinnerung, manche andre herrliche innere Verbindung des Chores mit dem Schauspiele knüpfen; fahrende Singer die Thaten Siegfrieds zur Zeit der Schwabenkaiser singend, wo der Ton so freudig aus mancher liederreichen Brust wiederklang, würden bei dem Deutschen ein freundliches Herz finden. – Musik müßte immer vom Vortrage des Chores unzertrennlich seyn, da sie schon ihrer Natur nach ein höheres inneres Leben ausspricht, den Chor so eine Stufe hinaufrückt, und den Zuschauer dadurch mehr von ihm trennt, wenn er sich nicht lebendig unter die Handelnden versetzt. Ihre Art kann hier nicht bestimmt werden; mit unserer Opermusik dürfte sie freilich wohl keine Aehnlichkeit haben.

Aus diese Weise nun kann der Chor ohne weitere äußere Vereinigung der Handlung zur Seite und gegenüber stehen; sehr gut kann er aber auch außerdem mit ihr geradezu verbunden erscheinen, nur immer so wie die Poesie auch in das Leben spricht, über ihm erhoben und eine zweite Welt in der wirklichen ahnen lassend. Dahin rechne ich die Art wie die Dichter in Augenblicken der höheren Begeisterung mit der Welt in ein Verhältniß treten, die Wirkungen gesungener Lieder, die des größern religiösen Enthusiasmus, und die Erscheinungen der Geister. Ja letztere würden meistens erst dadurch, daß sie auch den Personen des Schauspiels [36] erschienen und so auf sie wirkten, vor den Augen der Zuschauer seyn was sie sollen. Von einzelnen Fällen der ersten Arten dieses Eingreifens finden wir aber schöne Beispiele in den Liedern des Troubadours in Werners Söhnen des Thales, und noch weit mehr in den schon angeführten geistlichen Gesängen in Göthes Faust.

Aeußere Einrichtungen für das Erscheinen des Chores auf der Bühne möchten sich erst dann genauer bestimmen lassen, wenn ein Dichter den Charakter desselben näher angegeben hätte. So könnte er vielleicht z. B. seine Gesänge zwischen den Akten vor einem zweiten, von dem gewöhnlichen zurückstehenden Vorhange singen, um so zugleich von den Handelnden und den Zuschauern gehörig geschieden zu seyn. – Möchte bald ein Dichter das lebendig den Sinnen und Gemüthern zuführen, was ich hier trocken in Begriffen anzugeben versucht habe, und was, wenn es dabei bleibt, so überzeugt ich bin daß es zum Guten gereichen könnte, wie eine augenblickliche Vorstellung unbemerkt wieder verfliegen möge!


  1. S. Dodsley’s Collection of old plays T. III.
  2. S. Tiecks altenglisches Theater, 2ter Bd.