Ueber Lerm und Geräusch
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Kant hat eine Abhandlung über die lebendigen Kräfte geschrieben: ich aber möchte eine Nänie und Threnodie über dieselben schreiben; weil ihr so überaus häufiger Gebrauch, im Klopfen, Hämmern und Rammeln, mir mein Leben hindurch, zur täglichen Pein gereicht hat. Allerdings giebt es Leute, ja, recht viele, die hierüber lächeln; weil sie unempfindlich gegen Geräusch sind: es sind jedoch eben die, welche auch unempfindlich gegen Gründe, gegen Gedanken, gegen Dichtungen und Kunstwerke, kurz, gegen geistige Eindrücke jeder Art sind: denn es liegt an der zähen Beschaffenheit und handfesten Textur ihrer Gehirnmasse. Hingegen finde ich Klagen über die Pein, welche denkenden Menschen der Lerm verursacht, in den Biographien, oder sonstigen Berichten persönlicher Aeußerungen fast aller großen Schriftsteller, z. B. Kant’s, Göthe’s,[1] Jean Paul’s; ja, wenn solche bei irgend Einem fehlen sollten, so ist es bloß, weil der Kontext nicht darauf geführt hat. Ich lege mir die Sache so aus: wie ein großer Diamant, in Stücke zerschnitten, an Werth nur noch eben so vielen kleinen gleich kommt; oder wie ein Heer, wenn es zersprengt, d. h. in kleine Haufen aufgelöst ist, nichts mehr vermag; so vermag auch ein großer Geist nicht mehr, als ein gewöhnlicher, sobald er unterbrochen, gestört, zerstreut, abgelenkt wird; weil seine Ueberlegenheit dadurch bedingt ist, daß er alle seine Kräfte, wie ein Hohlspiegel alle seine Strahlen, auf einen Punkt und Gegenstand koncentrirt; und hieran eben verhindert ihn die lermende Unterbrechung. Darum also sind die eminenten Geister stets jeder Störung, Unterbrechung und Ablenkung, vor Allem aber der gewaltsamen durch [518] Lerm, so höchst abhold gewesen; während die übrigen dergleichen nicht sonderlich anficht. Die verständigste und geistreichste aller europäischen Nationen hat sogar die Regel never interrupt, – „du sollst niemals unterbrechen,“ – das elfte Gebot genannt. Der Lerm aber ist die impertinenteste aller Unterbrechungen, da er sogar unsere eigenen Gedanken unterbricht, ja, zerbricht. Wo jedoch nichts zu unterbrechen ist, da wird er freilich nicht sonderlich empfunden werden. – Bisweilen quält und stört ein mäßiges und stätiges Geräusch mich eine Weile, ehe ich seiner mir deutlich bewußt werde, indem ich es bloß als eine konstante Erschwerung meines Denkens, wie einen Block am Fuße, empfinde, bis ich inne werde, was es sei. –
Nunmehr aber, vom genus auf die species übergehend, habe ich, als den unverantwortlichsten und schändlichsten Lerm, das wahrhaft infernale Peitschenklatschen, in den hallenden Gassen der Städte, zu denunciren[2]. Dieser plötzliche, scharfe, hirnzerschneidende[3] und gedankenmörderische Knall muß von Jedem, der nur irgend etwas, einem Gedanken Aehnliches im Kopfe herumträgt, schmerzlich empfunden werden: jeder solcher Knall muß daher Hunderte in ihrer geistigen Thätigkeit, so niedriger Gattung sie auch immer seyn mag, stören: dem Denker aber fährt er durch seine Meditationen so schmerzlich und verderblich, wie das Richtschwerdt zwischen Kopf und Rumpf.[4] Hiezu nun aber nehme man, daß dieses vermaladeite Peitschenklatschen nicht nur unnöthig, sondern sogar unnütz ist.[5] Die durch dasselbe beabsichtigte psychische Wirkung auf die Pferde nämlich ist durch die Gewohnheit, welche der unabläßige Mißbrauch der Sache herbeigeführt hat, ganz abgestumpft und bleibt aus: sie beschleunigen ihren Schritt nicht danach; wie besonders an leeren und Kunden suchenden Fiakern, die, im langsamsten Schritte fahrend, unaufhörlich klatschen, zu ersehn ist: die leiseste Berührung mit der Peitsche wirkt mehr.[6] Die Sache stellt demnach sich eben dar als[7] ein frecher Hohn des mit den Armen arbeitenden Theiles der Gesellschaft gegen den mit dem Kopfe arbeitenden. Daß eine solche Infamie in Städten geduldet wird ist eine grobe Barbarei und eine Ungerechtigkeit; um so mehr, als es gar leicht zu beseitigen wäre, durch polizeiliche Verordnung eines Knotens am Ende jeder Peitschenschnur. Es kann nicht schaden, daß man die [519] Proletarier auf die Kopfarbeit der über ihnen stehenden Klassen aufmerksam mache: denn sie haben vor aller Kopfarbeit eine unbändige Angst. Daß nun aber ein Kerl, der mit ledigen Postpferden, oder auf einem[8] Karrengaul, die engen Gassen einer[9] Stadt durchreitend,[10] mit einer klafterlangen Peitsche aus Leibeskräften unaufhörlich klatscht, nicht verdiene, sogleich abzusitzen, um fünf aufrichtig gemeinte Stockprügel zu empfangen, Das werden mir alle Philanthropen der Welt, nebst den legislativen, sämmtliche Leibesstrafen, aus guten Gründen, abschaffenden Versammlungen, nicht einreden.[11] Soll denn, bei der so allgemeinen Zärtlichkeit für den Leib und alle seine Befriedigungen, der denkende Geist das Einzige seyn, was nie die geringste Berücksichtigung, noch Schutz, geschweige Respekt erfährt?[12] – Wir wollen hoffen, daß die intelligenteren und feiner fühlenden Nationen auch hierin den Anfang machen und dann, auf dem Wege des Beispiels, die Deutschen ebenfalls dahin werden gebracht werden.[13] Von diesen sagt inzwischen Thomas Hood (up the Rhine) for a musical people, they are the most noisy I ever met with[WS 2] (für eine musikalische Nation, sind sie die lermendeste, welche mir je vorgekommen).[14]
Was nun endlich die Litteratur des in diesem Kapitel abgehandelten Gegenstandes betrifft; so habe ich nur ein Werk, aber ein schönes, zu empfehlen, nämlich eine poetische Epistel in Terzerimen, von dem berühmten Maler Bronzino, betitelt de romori, a Messer Luca Martini:[WS 3] hier wird nämlich die Pein, die man von dem mannigfaltigen Lerm einer italiänischen Stadt auszustehn hat, in tragikomischer Weise, ausführlich und sehr launig geschildert. Man findet diese Epistel S. 258. des zweiten Bandes der Opere burlesche del Berni, Aretino ed altri, angeblich erschienen in Utrecht, 1771.
Anmerkungen
BearbeitenH = Handexemplar. Schopenhauer hat nach dem Erscheinen der Parerga im Jahre 1851 für eine Neuauflage an dem Text weitergearbeitet und zahlreiche Zusätze in sein mit Papier durchschossenes Handexemplar eingetragen. Sie sind nach Paul Deussens historisch-kritischer Ausgabe Arthur Schopenhauers Sämtliche Werke Bd. 5, Piper Verlag, München 1913 wiedergegeben.
- ↑ H: Lichtenberg’s,
- ↑ H: welches dem Leben alle Ruhe und alle Sinnigkeit benimmt. Nichts giebt mir vom Stumpfsinn und der Gedankenlosigkeit der Menschen einen so deutlichen Begriff, wie das Erlaubtseyn des Peitschenklatschens
- ↑ H: hirnlähmende, alle Besinnung zerschneidende
- ↑ H: Kein Ton durchschneidet so scharf das Gehirn, wie dieses vermaledeite Peitschenklatschen: man fühlt geradezu die Spitze der Peitschenschnur im Gehirn, und es wirkt auf dieses wie die Berührung auf die mimosa pudica; auch eben so nachhaltig. Bei allem Respekt vor der hochheiligen Nützlichkeit sehe ich doch nicht ein, daß ein Kerl, der eine Fuhr Sand oder Mist von der Stelle schafft, dadurch das Privilegium erlangen soll, jeden etwan aufsteigenden Gedanken, in successive zehn Tausend Köpfen (eine halbe Stunde Stadtweg) im Keime zu ersticken. Hammerschläge, Hundegebell und Kindergeschrei sind entsetzlich: aber der rechte Gedankenmörder ist allein der Peitschenknall. Jeden guten, sinnigen Augenblick, den etwan hier und da irgend Einer hat, zu zermalmen, ist seine Bestimmung. Nur wenn, um Zugthiere anzutreiben, kein andres Mittel vorhanden wäre, als dieser abscheulichste aller Klänge, würde er zu entschuldigen seyn.
- ↑ H: Aber ganz im Gegentheil: dieses vermaledeite Peitschenklatschen ist nicht nur unnöthig, sondern sogar unnütz.
- ↑ H: Angenommen aber, daß es unumgänglich nöthig wäre, die Pferde durch den Schall beständig an die Gegenwart der Peitsche zu erinnern, so würde dazu ein hundert Mal schwächerer Schall ausreichen; da bekanntlich die Thiere sogar auf die leisesten, ja auf kaum merkliche Zeichen, hörbare wie sichtbare, achten; wovon abgerichtete Hunde und Kanarienvögel staunenerregende Beispiele liefern.
- ↑ H: reiner Muthwillen ja, als
- ↑ H: losen
- ↑ H: volkreichen
- ↑ H: oder gar neben den Thieren hergehend,
- ↑ H: Aber etwas noch Stärkeres, als Jenes, kann man oft genug sehn, nämlich so einen Fuhrknecht, der allein und ohne Pferde, durch die Straßen gehend, unaufhörlich klatscht: so sehr ist diesen Menschen der Peitschenklatsch zur Gewohnheit geworden, in Folge unverantwortlicher Nachsicht.
- ↑ H: Fuhrknechte, Sackträger, Eckensteher u. dgl. sind die Lastthiere der menschlichen Gesellschaft; sie sollen durchaus human, mit Gerechtigkeit, Billigkeit, Nachsicht und Vorsorge behandelt werden: aber ihnen darf nicht gestattet seyn, durch muthwilligen Lerm dem höhern Bestreben des Menschengeschlechts hinderlich zu werden. Ich möchte wissen, wie viele große und schöne Gedanken diese Peitschen schon aus der Welt geknallt haben. (Die Spitze der Peitsche dringt ins Gehirn.) Hätte ich zu befehlen, so sollte in den Köpfen der Fuhrknechte ein unzerreißbarer nexus idearum zwischen Peitschenklatschen und Prügelkriegen erzeugt werden.
- ↑ H: Nach einer „Bekanntmachung des Münchener Thierschutzvereins“ vom Dezember 1858 ist in Nürnberg das überflüssige Peitschen und Knallen strengstens verboten.
- ↑ H: Daß sie dies sind liegt eben nicht daran, daß sie mehr als Andere zum Lermen geneigt wären, sondern an der aus Stumpfheit entspringenden Unempfindlichkeit Derer, die es anzuhören haben, als welche dadurch in keinem Denken oder Lesen gestört werden, weil sie eben nicht denken, sondern bloß rauchen, als welches ihr Surrogat für Gedanken ist. Die allgemeine Toleranz gegen unnöthigen Lerm, z. B. gegen das so höchst ungezogene und gemeine Thürenwerfen ist geradezu ein Zeichen der allgemeinen Stumpfheit und Gedankenleere der Köpfe. Von der Gedankenlosigkeit des Menschengeschlechts giebt nichts mir einen so großen Begriff, wie die ungehinderte Licenz des Peitschenklatschens. In Deutschland ist es, als ob es ordentlich darauf angelegt wäre, daß, vor Lerm, niemand zur Besinnung kommen solle: z. B. das zwecklose Trommeln.
Anmerkungen (Wikisource)
Bearbeiten- ↑ Siehe auch: Ueber die Sinne
- ↑ Band 2, 1852: Google
- ↑ Eine Fassung im alten Italienisch: Google. Volltext in modernerem Italienisch: Bibliotheca Italiana