Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Treibjagd auf Schlangen
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aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 11, S. 221–225
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Erscheinungsdatum: 1913
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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[221] Treibjagd auf Schlangen. – Von einer solch merkwürdigen Jagd entwirft der Oberst Marverley folgende Schilderung. „Die Residentschaft Bhartpur in Indien, die von dem Dschamnafluß durchströmt wird, erfreut sich wegen ihres Reichtums an giftigem Gewürm in Kolonialkreisen einer traurigen Berühmtheit. Die weiten, sumpfigen Ebenen, zum Teil bedeckt mit undurchdringlichem Dorngestrüpp, sind ein vorzüglicher Schlupfwinkel für Giftschlangen, aber auch für Tiger und anderes Raubzeug. Die Residentschaft, die 1903 noch 83.000 Bewohner auf dem flachen Lande zählte, hatte im Jahre 1911 nur noch 50.000 Menschen. Nicht etwa, daß diese durch die Reptilien und die wilden Tiere derart dezimiert worden wären, denn auf deren Rechnung hatte man jährlich ‚nur‘ drei- bis vierhundert Menschenleben zu setzen, sondern die Leute waren einfach in weniger gefährliche Distrikte abgewandert.

Besonders die Viehzucht hatte als notwendige Begleiterscheinung dieser Bevölkerungsabnahme einen derartigen Rückgang zu verzeichnen, daß der Resident von Bhartpur sich im Frühjahr 1911 zu energischen Maßregeln gegen die Verödung der für Herdenwirtschaft vortrefflich geeigneten Landstrecken entschließen mußte. In der Hauptsache handelte es sich darum, einmal gründlich der Schlangenplage Herr zu werden. Dies [222] wurde denn auch auf ebenso praktische wie auch verhältnismäßig einfache Weise erreicht. Auf Antrag des Residenten stellte man ihm sechs Kompanien vom 8. Schützenregiment zur Verfügung. Ebenso erklärten sich die meisten Offiziere der umliegenden Garnisonen freiwillig zur Teilnahme an dem Vernichtungskriege gegen die Reptilien bereit.

Das Frühjahr 1911 war ungewöhnlich trocken und der Pflanzenwuchs der Bhartpurebenen daher durch die Sonne völlig verdorrt, so daß es keine Schwierigkeiten machte, die Schlangen durch Niederbrennen des Dickichts aus ihren sonst unzugänglichen Schlupfwinkeln herauszuräuchern. Am 14. April 1911 hatte ich Gelegenheit, dem ersten dieser Treiben beizuwohnen. Es handelte sich um ein Gebiet von etwa 8000 Quadratmeter Größe, den reptilienreichsten, unwegsamsten Teil der Residentschaft, der zunächst von dem giftigen Getier gesäubert werden sollte.

Die Vorbereitungen waren einfach genug. Es wurde durch das Militär rings um das betreffende Landstück ein etwa 70 Meter breiter Ring durch Feuer vom Grase befreit, so daß der Brand später nicht weiter als gewünscht um sich greifen konnte. Am Jagdtage selbst herrschte ein nur mäßiger Wind, der von den Höhen des Himalaja herab in der Richtung nach Südwest wehte und dem Vorhaben durchaus günstig war. Wir Offiziere hatten uns am Rande des kahlen Schutzstreifens in Abständen von etwa 200 Metern postiert. Zwischen uns waren Unteroffiziere und Mannschaften aufgestellt, die zum Teil ebenso wie wir mit Schrotflinten bewaffnet waren. Neben jedem Offizier standen zwei Büchsenspanner mit Kugelgewehren, da man wußte, daß sich innerhalb des Triebes auch größeres Raubwild befand, mit dessen Hervorbrechen bestimmt zu rechnen war. Ich selbst hatte mir einen Platz an der rechten Längsseite des derart eingekreisten Geländes ausgesucht.

Gegen sechs Uhr morgens begann die Jagd. Durch Hornsignale, die in unserer Kette weitergegeben wurden, verständigte man uns, daß das Gras und das Gestrüpp an der Nordostseite des umzingelten Geländes angezündet worden war. Kurz darauf bemerkten wir auch schon am Horizont dichte Rauchwolken [223] und roten Feuerschein, die, vom Winde in der gewünschten Richtung vorwärts getrieben, langsam näher gerückt kamen. Bald wurde es vor uns lebendig. Allerlei Wild huschte durch das Dickicht jenseits des kahlen Streifens, vermied es aber zunächst noch, sich der Schützenlinie bis auf Schußweite zu nähern. Verabredungsgemäß sollte nur auf Raubzeug und Schlangen geschossen, alle anderen Tiere aber geschont werden. Jetzt knallten links von mir die ersten Schüsse. Immer mehr näherte sich das Feuermeer. Schon sah ich deutlich die roten Flammenzungen zum Himmel lecken.

Plötzlich zeigt mein eingeborener Diener Monsa auf einen dunklen Körper, der sich vor mir zwischen Akazienbüschen hindurchdrückt. Jetzt habe ich den Kopf deutlich vor Augen. Es ist ein Lippenbär, ein großes, starkes Exemplar. Ich reiße dem Büchsenspanner die Kugelbüchse aus der Hand. Zu spät. Schon blitzt es neben mir bei Leutnant Ranlay auf. Der Bär macht einen Satz in die Luft und bleibt dann regungslos liegen. Kopfschuß also. Ein paar Eingeborene stürzen über den verkohlten Grasstreifen und schleppen das mächtige Tier nach Ranlays Platz hin.

Immer häufiger knallen die Schüsse. An dem Klang erkenne ich, daß es meist Schrotflinten sind. Schon werde ich ungeduldig. Das Jagdfieber hat mich gepackt. Ein paar wilde Hunde kommen dahergerannt. Einer nach dem anderen überschlägt sich schwer getroffen. Den letzten streckt meine Kugel nieder. Und dann windet es sich über den schwarzen, verbrannten Boden auf mich zu. Deutlich sind die dicken Köpfe von Brillenschlangen zu erkennen. Ein Unteroffizier links von mir schießt. Die Schrote wühlen die Erde auf. Das vorderste Reptil krümmt sich zusammen, macht kehrt. Ich reiße meine Doppelbüchse an die Backe. Der Körper der Brillenschlange schnellt hoch, windet sich wild hin und her. Auch die beiden anderen werden schnell abgetan. Die Schrotbüchse wirkt hier vorzüglich. Kleinere Baumschlangen fahren aus dem Gestrüpp heraus. Die mit Stöcken bewaffneten Eingeborenen schlagen sie tot. Einen Schuß wären sie nicht wert. Noch vier mächtige Kettenvipern kommen auf meine Rechnung.

[224] Jetzt wird die Hitze unerträglich. Das Feuer ist keine 100 Meter mehr von uns entfernt. Wir müssen weichen. Ich postiere mich 30 Meter zurück auf einer vom Sturm umgeknickten Dattelpalme, so daß ich den kahlen Ring noch immer überschauen kann. Das Brandmeer zieht mit Knistern und Brausen langsam an uns vorüber. Viermal komme ich noch zum Schuß. Drei weitere Kettenvipern und eine mächtige Brillenschlange krummen sich in letzten Zuckungen auf der schwarzen Erde.

Die Hitze, die einem fast den Atem benahm, läßt endlich nach. Ich suche meinen alten Platz wieder auf. Unsere Arbeit ist jedoch getan. Da vor uns in den noch immer glimmenden Büschen, wo hie und da noch einzelne Flammen hochschießen, ist alles Lebende vernichtet. Die Eingeborenen beginnen schon, unsere Beute zusammenzutragen. Was davon noch lebt, wird mit Knütteln vollends totgeschlagen. Mein Diener Monsa gerät mit dem des Leutnants Ranlay in einen heftigen Streit um die zuletzt von mir geschossene Brillenschlange. Ich hatte aber das bessere Recht auf sie, und so kommt sie zu meinem Haufen, der sieben zerfetzte Schlangenleiber aufweist.

Nach einer weiteren halben Stunde ertönt das Signal, daß die Jagd beendet ist. Auf dem Sammelplatz herrscht ein Leben und Treiben wie bei einem Volksfest. Die Eingeborenen tanzen wie die Besessenen um die Körper ihrer gefürchteten Feinde herum. Und immer neue Beute wird herbeigeschleppt. Als alles beieinander ist, wird die Strecke genau durchgezählt. 262 Giftschlangen, 2 Lippenbären, 1 Tiger, 16 Wölfe und wilde Hunde sind’s. Ein Tiger ist, wenn auch schwer angeschossen, durchgebrochen und entkommen. Leider hat sich auch ein ernster Unfall ereignet. Einer der Unteroffiziere hat einen bösen Kugelschuß durch die linke Schulter erhalten.

Am Nachmittag war die Erde so weit abgekühlt, daß wir das niedergebrannte Gebiet nach vielleicht noch vorhandenen Reptilien absuchen lassen konnten. Hierbei wurden noch 42 halbverkohlte Schlangen gefunden. Im ganzen hatte diese eine Treibjagd also ein Ergebnis von 304 Giftschlangen aufzuweisen, eine Zahl, die unsere Erwartungen bei weitem übertraf.

[225] Zu meinem Bedauern war es mir aus dienstlichen Gründen nicht möglich, auch noch den fünf weiteren Treiben, die im Laufe der nächsten Tage abgehalten wurden, beizuwohnen. Auch bei diesen handelte es sich stets um Gegenden, die wegen ihrer Unzugänglichkeit seit langem geradezu als Schlangenbrutstätten bekannt waren. Von Kameraden erfuhr ich dann, daß die sechs Jagdtage insgesamt 921 Giftschlangen, 3 Tigern, 4 Bären und einigen vierzig Wölfen und wilden Hunden das Leben gekostet hatten.

Als ich dann ein Vierteljahr später bei Gelegenheit eines militärischen Übungsmarsches jenes Gebiet, auf dem die erste Treibjagd stattfand, besichtigte, war von den Verwüstungen, die das Feuer in der Vegetation angerichtet hatte, nirgends mehr eine Spur zu erblicken. Glückliches Indien, dessen Klima wie durch einen Zauberspruch im Verlauf weniger Wochen eine üppige Grasdecke emporschießen läßt, und wo Bäume und Sträucher trotz der schwersten Brandwunden überall neue Triebe und Schößlinge ansetzen – glückliche Residentschaft Bhartpur, die dank dieser energischen Maßnahmen für alle Zeit den Namen ‚Schlangenparadies‘ verloren haben dürfte, und auf deren Graslichtungen jetzt der Hindu ungefährdet seine Hütte aufschlagen, seine Herde weiden lassen kann!“
W. K.