Textdaten
Autor: Die socialistische Arbeiterpartei
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Titel: Trau! schau! wem?
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Herausgeber: Gustav Kittler
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
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Drucker: Genossenschaftsbuchdruckerei Stuttgart
Erscheinungsort: Heilbronn
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Nachdruck des Flugblattes in Helmut Schmolz/Hubert Weckbach: Heilbronn. Geschichte und Leben einer Stadt. 2. Auflage. Konrad, Weißenhorn 1973, ISBN 3-87437-062-3. Nr. 78 Flugblatt des Roten Kittler, Scan auf Commons
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Trau! schau! wem?

Die Wogen der Verleumdung gehen hoch! Es giebt keine Schlechtigkeit, es giebt keine Niedertracht, die man jetzt der Socialdemokratie nicht anlöge, und warum? Wir wollen den wahren Grund dieser Socialisten-Hetze hier aufdecken.

Schon längst werden wir Socialdemokraten glühend gehaßt von den Geldprotzen, von den Regierungs- und Amtsleuten und von den Pfaffen:

Die Geldprotzen hassen uns, weil wir Ihrer Ausbeutung des arbeitenden Volkes Schranken setzen wollen, weil wir für den Arbeitsmann einen Lohn verlangen, mit dem er menschenwürdig leben kann, weil wir haben wollen, daß der Familienvater soviel verdiene, daß er nicht auch die Frau in die Fabrik schicken muß. Sie hassen uns, weil wir verlangen, daß nicht nur die kleinen Diebe, sondern auch die großen, die Gründer und Schwindler, die Millionen gestohlen, dorthin kommen, wohin sie gehören. Sie hassen uns, weil wir uns dagegen wehren, daß man durch Accisen auf Fleisch, Bier etc. die Steuern auf das arme Volk abwälze.

Die Regierungs- und Amtsleute hassen uns, weil wir dem Volke sagen, daß es zu etwas Besserem auf der Welt ist, als um Steuern zu zahlen, Soldat zu werden und das Maul zu halten, weil wir es für Unrecht erklären, daß der Sohn des Armen drei Jahre lang in die Kaserne gesteckt wird, während die Kinder der Reichen nur ein Jahr dienen müssen. Sie hassen uns, weil wir dagegen ankämpfen, daß die hohen Beamten riesige Gehälter verzehren, während die Subalternbeamten, die sich im Schweiße ihres Angesichts abplacken müssen, so wenig kriegen, daß sie ihre liebe Noth haben, sich ehrlich durchzubringen.

Die Pfaffen endlich hassen uns, weil wir Feinde des blinden Glaubens sind, und das Volk zum Selbstdenken auffordern, weil wir uns nicht begnügen mit dem billigen Hinweis auf ein besseres[WS 1] Jenseits, sondern mit dem Dichter[WS 2] sagen:

Wir wollen auf Erden glücklich sein
Und wollen nicht mehr darben
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch
Was die fleißigen Hände erwarben. –

Bisher waren alle Bemühungen dieser unserer Feinde fruchtlos. Vergebens ließen die von den Geldprotzen bezahlten Lohnschreiber unzählige Zeitungsartikel und Streitschriften gegen uns los, vergebens traten sie uns in unseren Versammlungen entgegen – die Geldprotzen zogen immer den Kürzeren. Vergebens lösten viele deutsche Regierungen die socialistischen Vereine auf, vergebens klagte man unsere Redner des Hochverraths an und ließ sie jahrelang in den Gefängnissen schmachten – für Einen Gefangenen wuchsen zehn neue Streiter aus dem Boden. Und vergeblich wurde auf den Kanzeln gegen uns lamentirt, es war Alles umsonst, es half Alles nichts, einfach deßhalb, weil auf Seiten der Socialdemokratie Recht und Wahrheit steht und gegen die ist schwer kämpfen.

Aber unsere Gegner sind unermüdlich. Die Berliner Attentate[WS 3] haben ihren Eifer frisch angefacht. Geldprotzen, Regierungsleute und Pfaffen, die sich früher unter einander selbst weidlich balgten, sie haben jetzt Frieden geschlossen, um mit vereinten Kräften die Socialdemokratie auszurotten „mit Rumpf und Stumpf“. „Die Socialdemokraten“, so lügen sie jetzt mit tausend und abertausend Stimmen in die Welt, „die Socialdemokraten sind an den Attentaten schuld, die Attentäter sind Socialdemokraten.“

Wie aber steht die Socialdemokratie in Wahrheit zu den Attentaten? Wir verabscheuen sie so sehr, als es die eifrigsten Anhänger des Kaisers nur können. Und das ist wahrlich keine leere Redensart, das ist unsere innerste Ueberzeugung. Können wir denn anders? Sind denn wir Socialdemokraten keine Menschen? Und welchen fühlenden Menschen empört es nicht; wen erfüllt es nicht mit Entrüstung, wenn er liest, wie dieser Nobiling[WS 4] aus sicherem Versteck das Gewehr anlegt auf einen Greis, der ihm nicht das Geringste zu Leide gethan, der sich überhaupt gegen Niemand irgend einer Provocation schuldig gemacht. Als fühlende Menschen verdammen wir die Attentate und noch viel mehr als Socialisten, denn wir wissen aus der Geschichte, daß Attentate immer zum Nachtheil derjenigen Parteien ausschlugen, denen man die Attentäter in die Schuhe schieben konnte.

Es wird mit Blut kein fester Grund gelegt.

Kein sicheres Leben schafft uns Anderer Tod. Und was für ein Interesse sollen denn wir Socialdemokraten daran haben, wenn ein jüngerer und deshalb thatkräftiger Mann an die Stelle des jetzigen Kaisers tritt? Unsere Sache hat unter der Regierung Kaiser Wilhelms[WS 5] so große Fortschritte gemacht, daß wir nur von Herzen wünschen, daß Alles noch recht lange im alten Gleise bleibe. So steht die Socialdemokratie zu den Attentaten und wie steht sie zu den Attentätern?

Hödel[WS 6] – wenn man den überhaupt Attentäter nennen darf – Hödel wurde einige Monate vor seiner Schießerei unter den Linden unter Sang und Klang aus der socialistischen Arbeiterpartei ausgestoßen, er ging dann zu den Nationalliberalen über und schrieb gegen die Socialdemokratie Artikel, die von den Leipziger nationalliberalen Blättern mit Freuden aufgenommen wurden. Schließlich nahm er Dienste bei dem Hofprediger Stöcker in Berlin und colportirte dessen Schriften, in welchen die Socialdemokratie heftig bekämpft wird. Und für diesen Menschen sollen wir verantwortlich sein?!

Noch hundert Male weniger hat die Socialdemokratie mit Nobiling zu schaffen. Dieser Nobiling war ein Aristokrat vom reinsten Wasser. Unter uns Socialisten war er vollständig unbekannt, sehr befreundet aber war er mit den erbittertsten Gegnern unserer Sache: Der Professor Roscher[WS 7] in Leipzig hat ihn empfohlen und unter dem Professor Böhmert[WS 8] in Dresden arbeitete er. Er war kein Mitglied unserer Partei, er las kein socialdemokratisches Blatt und er schrieb für keines nur eine Zeile. Wohl aber schrieb er für den „Capitalist“, ein Börsenblatt, das früher in Stuttgart herausgegeben wurde, wohl aber spielte er an der Berliner Börse, war also ein Börsenjobber. Und der soll Socialdemokrat sein? Die das in den Blättern schreiben, sie glauben es selber nicht, aber das Volk halten sie für dumm genug, um ihm einen solchen Bären aufbinden zu können.

Nicht wegen der Attentate werden wir Socialisten jetzt verfolgt; unsere Gegner wissen wohl, daß wir daran so unschuldig sind wie ein neugeborenes Kind. Die Attentate sind nur ein nichtsnutziger Vorwand, der wahre Grund Socialistenhetze ruht darin, daß wir Socialisten das arme Volk befreien wollen von dem Druck der Geldprotzen, der Regierung und der Pfaffen. Das ist unser Verbrechen. Weil wir entschlossene und unbestechliche Advokaten des armen Volkes sind, suchen die Feinde des armen Volkes uns auszurotten, damit sie mit dem Volke ungestört machen können, was sie wollen.

Arbeiter, Kleinmeister, Kleinbauern und Subalternbeamte! wenn Ihr Euch beirren lasset durch die zahllosen, gehässigen Verleumdungen, die man jetzt gegen uns ausstreut, wenn Ihr Euch von uns abwendet und unsere Gegner triumphiren lasset, dann schadet Ihr Euch selbst am allermeisten, denn Ihr seid dann um Eure besten Freunde betrogen! Darum

trau! schau! wem?

     Heilbronn, den 10. Juni 1878.

Die socialistische Arbeiterpartei.
Druck der Genossenschaftsbuchdruckerei in Stuttgart.   Verantwortlicher Herausgeber: Gustav Kittler in Heilbronn.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: besserer
  2. Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermährchen (1844)
  3. Nur drei Wochen nach dem missglückten Attentat Max Hödels auf den deutschen Kaiser Wilhelm I. vom 11. Mai 1878 wurde am 2. Juni von Karl Eduard Nobiling ein weiteres Attentat auf den Kaiser verübt, bei dem dieser durch zwei Schrotschüsse schwer verwundet wurde.
  4. Karl Eduard Nobiling (1848–1878)
  5. Wilhelm I. (1797–1888)
  6. Max Hödel (1857–1878)
  7. Wilhelm Roscher (1817–1894)
  8. Viktor Böhmert (1829–1918)