Tragödien und Komödien des Aberglaubens/Lebende Statuen und künstliche Menschen im Volksglauben und auf der Bühne

Textdaten
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Autor: Felix Vogt
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Titel: Lebende Statuen und künstliche Menschen im Volksglauben und auf der Bühne
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 236–239
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Serie Tragödien und Komödien des Aberglaubens
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Tragödien und Komödien des Aberglaubens.

Lebende Statuen und künstliche Menschen im Volksglauben und auf der Bühne.
Von Felix Vogt.

Zu den verbreitetsten Arten des Aberglaubens gehören die belebten Statuen, denen sich als eine Unterart die künstlichen Menschen zugesellen. Dieser Aberglaube ist uralt, und schon von vielen heidnischen Götzenbildern wurde behauptet, daß sie sich bewegten und lebten. Zu dieser Täuschung haben nicht wenig die Künstler beigetragen. Sie streben auch heute noch alle danach, den Eindruck des Lebens hervorzurufen, und es ist ihnen eine Genugthuung, wenn der Beschauer eines ihrer Werke ausruft: „Die Augen dieses Bildes scheinen mich anzusehen“, oder: „Diese Statue scheint Leben zu atmen“. Für eine lebhafte Einbildungskraft, die noch obendrein mit abergläubischen Vorstellungen erfüllt ist, kann von da aus leicht der Schritt zu dem Wahne gemacht werden, daß diese Bilderwerke und namentlich die Statuen, welche die ganze äußere Körperlichkeit darstellen, in der That reden und sich bewegen und andere Lebensfunktionen ausüben können.

Weil dieser Wahn einen künstlerischen Ursprung hat, spielt er denn auch in künstlerischen Hervorbringungen eine besondere Rolle. Es liegt hier ein Fall vor, wo ein Aberglaube, der an sich ebenso thöricht ist wie jeder andere, dennoch einen glücklichen Einfluß ausgeübt hat, indem er die Schaffenskraft der Dichter und in noch höherem Grade die der Tonkünstler befruchtet hat. Man könnte daher den Satz aufstellen, daß die Tragödien und Komödien des Aberglaubens zwar als bedauerliche Verirrungen des Menschengeistes anzusehen sind, daß dagegen der Aberglaube in der Tragödie und Komödie sich oft als ein förderndes Element erwiesen hat.

Den künstlerischen Charakter des Aberglaubens, daß Statuen lebendig werden können, erkennt man recht deutlich schon in der ältesten und zugleich am meisten behandelten Geschichte dieser Art. Es ist dies der antike Mythus von Pygmalion. Diese Sage gehört nicht zum alten griechischen Bestand. Wir finden sie weder bei Homer noch in der attischen Tragödie. Ein gewisser Philostephanos von Kyrene, ein Bädeker des Altertums, fand sie etwa zweihundert Jahre vor Christi Geburt auf der Insel Cypern, und aus seinem Reisebericht nahm sie der römische Dichter Ovidius Naso in sein großes Gedicht der „Verwandlungen“ auf. Nach dieser Sage gab es in alter Zeit auf Cypern einen König Pygmalion, der mit seinem Herrscherberufe den des Bildhauers verband. Der König war aber nicht nur Bildhauer, sondern auch ein hartnäckiger Junggeselle, weil er alle Frauen und Mädchen von Cypern für leichtsinnig und verderbt hielt. Da sie ihm keine Neigung einzuflößen vermochten, schuf er für sich eine ideale weibliche Gestalt aus Elfenbein, und diese gewährte ihm eine solche Freude, daß er sich nicht mehr von ihrem Anblick trennen konnte, sie wie eine lebende Person küßte, beschenkte und mit ihr zu reden suchte. An einem Feste der Aphrodite flehte hierauf der königliche Künstler die Liebesgöttin an, ihm eine Gattin zu verleihen, welche dem von ihm gefertigten Elfenbeinbilde vollständig gleiche. Als er nun aus dem Tempel nach Hause zurückkehrte und wieder seine Statue umarmte, fühlte er, daß sich das kalte Elfenbein erwärmte und seine Härte verlor. Die Göttin hatte sein Gebet über Erwarten erfüllt, indem sie die Statue selbst belebt hatte. Der König heiratete die zur sittsam errötenden Jungfrau umgewandelte Figur, und sie gebar ihm den Paphos, welcher der gleichnamigen Stadt, die ein berühmtes Heiligtum der Aphrodite enthielt, den Namen gab.

Diese Legende vom Pygmalion und der belebten Statue hat namentlich die Komponisten angezogen. Für das Drama mutete das Wunder doch dem Zuschauer zuviel guten Glauben zu, aber die Musik war aufs beste dazu geeignet, die unglaubliche Verwandlung durch stimmungsvolle Begleitung zu vermitteln. Und Künstler und Publikum gaben sich um so lieber der Einbildung hin, als diese wunderbare Geschichte den höchsten Triumph der Kunst überhaupt versinnbildlicht. Das Kunstwerk erscheint da so vollkommen, daß ihm von der Gottheit aus diesem Grunde wahres Leben verliehen wird.

Schon unter den allerersten Versuchen einer deutschen Oper finden wir daher einen „Pygmalion“ von Conradi in Hamburg im Jahre 1693. Sieben Jahre später bringt Labarre einen „Pygmalion“ in Paris zur Aufführung. Die Musik ist schlecht, aber der Stoff bleibt so anziehend, daß der berühmte Rameau im Jahre 1748 den gleichen Text nochmals komponiert. Kurz zuvor hatte der Italiener Romanesi dem antiken Stoff die satirische Wendung gegeben, die sich bis heute auf der Bühne erhalten hat. Schon bei Romanesi wird nämlich die belebte Statue, die er Agalmeris nennt, ihrem Schöpfer und Gatten bald durch ihre Gefallsucht lästig, bekehrt sich jedoch vor dem letzten Fallen des Vorhangs zu besseren Gefühlen. Sogar der berühmte Philosoph Rousseau, der in seiner Jugend versucht hatte, als Opernkomponist aufzutreten, wurde von dem Stoffe in reiferen Jahren so gefesselt, daß er fast wider Willen zum Theater zurückkehrte und im Jahre 1775 [238] auf der Bühne der Comédie Française ein Monodram mit Musikbegleitung unter dem Titel „Pygmalion“ aufführen ließ. Er kehrte darin zur antiken Einfachheit zurück, brachte aber als Philosoph den neuen Zug hinein, daß sich die belebte Statue stufenweise ihres Ichs bewußt wird. „Das bin ich!“ flüstert sie bei jeder neuen Wahrnehmung ihres Gesichts, ihres Gehörs und ihres Tastsinnes. Wenn ich nicht irre, ist Rousseau auch der erste, welcher die bei Ovid namenlose Statue „Galathée“ getauft hat. Dieser Name hat sich um so hartnäckiger erhalten, als er falsch geschrieben ist. Die Griechen kannten nur die Nereïde Galateia, um welche der eifersüchtige Polyphem den Hirten Akis erschlug, und schrieben den Namen nie mit einem th.

Von Conradi bis auf Rousseau zählen wir sechs bekannte Opern „Pygmalion“, nach ihm deren neun und den Schluß bilden die französische „Galatée“ (man erlaube uns, das schmarotzende h zu entfernen) von Massé und die deutsche „schöne Galatea“ von Franz von Suppé. Beide erfreuen sich noch heute einer robusten Gesundheit, obwohl die französische Galatée schon sechsundvierzig und die deutsche dreiunddreißig Jahre zählt. Die französischen und die deutschen Textdichter haben die Satire des alten Italieners vervollständigt. Ihre Galatée führt sich so schlimm auf, daß Pygmalion die Götter anfleht, sie wieder zum toten Bilde erstarren zu lassen, und diese dem enttäuschten Künstler den Wunsch gewähren. So wurde aus dem Stoffe, den noch Rousseau mit tiefem Ernst behandelt hatte, eine leichtgeschürzte Operette, und da Suppé in seiner Musik lustiger und ausgelassener ist als Massé, der wenigstens für den Pygmalion eine ernste Barytonarie geschrieben, so verdient die deutsche Galatea den Vorzug vor der französischen, deren scheinbare Ehrbarkeit an Langweile grenzt. Die antike Sage ist in diesen modernen Possen ebenso mißhandelt worden wie Orpheus und Helena in den bekannten Stücken Offenbachs, aber es ist doch noch etwas Poesie übrig geblieben, denn die Belebung der schönen Statue auf den heißen Wunsch des Künstlers wird selbst bei Suppé nicht ganz ins Lächerliche gezogen. Man könnte sich kaum denken, daß seine Galatea anders als durch eine bildschöne Sängerin dargestellt wird, welche für den antiken Faltenwurf gewachsen ist. Die Rolle ist ja auch eigens für die Geistinger geschrieben worden, welche diese Forderung vollständig erfüllte. So hat sich selbst in diesen Possen, die nur geschrieben zu sein scheinen, um über einige Eigenschaften des weiblichen Charakters billige Witze zu machen, der Aberglaube der alten Kyprioten, welche ihren Ahnherrn Paphos von einer belebten Statue abstammen ließen, als fruchtbar erwiesen. Und wer weiß? wenn es sich ein neuerer Komponist einfallen ließe, aus Pygmalion wieder den Helden eines ernsten Musikdramas zu machen, so würde er vielleicht damit durchdringen – hat doch die grausame Parodie des „Orpheus in der Unterwelt“ nicht einmal in Paris den ernsten „Orpheus“ zu töten vermocht, denn im vorletzten Winter rettete das Meisterwerk Glucks nicht nur künstlerisch, sondern auch materiell die Direktion der Komischen Oper durch sechzig gut besuchte Vorstellungen.

Das christliche Gegenstück zu der heidnischen Galatea bildet der Steinerne Gast, der eine Erfindung des erzkatholischen Spaniens ist und dem Molière eine halbe und Mozart eine ganze Unsterblichkeit erworben hat. Es ist kein Zweifel, daß der fromme Mönch Tellez, genannt Tirso de Molina, der im Jahre 1610 als der erste in seinem Stücke „El burlador de Sevilla, ó el convidado de piedra“ den Spötter von Sevilla und den Steinernen Gast einander gegenüberstellte, selbst an die Möglichkeit glaubte, daß ein kaltes Marmorbild belebt werden könne, um einen frechen Sünder, wie es sein Don Juan Tenorio war, zu bestrafen. Er und seine Zuschauer hatten es darum durchaus nicht nötig wie wir, wenn wir den schaurigen Klängen von Mozarts zweitem Finale lauschen, den „Mann von Stein“ als ein Symbol des schlechten Gewissens zu betrachten. Es ist nicht mehr zu ergründen, ob Tellez eine schon vorhandene Sage benutzte oder die höchst drastische Bestrafung seines Bösewichts selbst erfand. Das erstere ist wahrscheinlicher, aber sehr alt kann die Sage kaum sein, denn sie setzt einen Gebrauch voraus, der schon eine stark fortgeschrittene Kultur verrät, den Gebrauch nämlich, auf dem Grabe eines hervorragenden Mannes sein Standbild in ganzer Figur und natürlicher Größe zu errichten. Es ist dabei jedoch zu bemerken, daß die auf deutschen Bühnen übliche Reiterstatue weder von Tirso de Molina, noch von Molière, noch von Daponte und Mozart vorgesehen ist. Sie fällt dem ungeschickten deutschen Uebersetzer von Mozarts Text zur Last, der „O statua, gentilissima del gran Commendatore“ also übertrug: „Herr Gouverneur zu Pferde, ich neige mich zur Erde.“ Solcher Statuenschmuck auf Gräbern ist sogar in unseren heutigen Großstädten nicht allzu häufig und wäre im spanischen Mittelalter unerhört gewesen. Die Sage setzt also bereits den künstlerischen Aufschwung der Renaissance voraus. Don Juan ladet in verwegenem Spotte das Standbild des von ihm ermordeten Gouverneurs zum Abendessen ein. Der Gouverneur nimmt die Einladung an, erscheint in Don Juans Wohnung, fordert ihn umsonst zur Reue auf und zwingt ihn darauf, ihm in die Hölle zu folgen. Heutzutage interessiert uns freilich an der Don Juan-Sage vor allem der Charakter dieses Helden, den man nicht mit Unrecht den Faust der Südländer genannt hat; aber im siebzehnten Jahrhundert machte vor allem seine originelle Bestrafung Eindruck. Mit ungewöhnlicher Schnelligkeit fand der „Burlador de Sevilla“ in und außerhalb Spaniens Verbreitung. Zehn Jahre nach seinem Erscheinen besaß Italien bereits eine eigene Bearbeitung. Im Jahre 1657 brachten die italienischen Schauspieler ihren Convitato di pietra nach Paris, und zwei Jahre darauf ließ ein gewisser Villiers eine französische Bearbeitung als „Le festin de pierre ou le fils criminel“ aufführen. Dieser Mann hatte mit einer solchen Hast gearbeitet, daß er sogar im Titel einen Uebersetzungsfehler stehen ließ. Er machte aus dem italienischen Gast (convitato) ein Gastmahl (festin) und versteinerte auf diese Weise die ganze bunte Gesellschaft, die Don Juan bei seinem Nachtessen um sich schart. Der offenbare Unsinn des „steinernen Gastmahls“ verhinderte jedoch den Erfolg nicht, und der Titel bürgerte sich dermaßen ein, daß Molière, als er im Jahre 1665 für seine eigene Bühne einen „Don Juan“ schrieb, um dem der italienischen Komödie Konkurrenz zu machen, den Fehler absichtlich beibehielt. Schon Molière ist es aber mit dem Steinernen Gaste nicht mehr recht ernst, denn er verdirbt uns absichtlich den schreckhaften Eindruck der Höllenfahrt, indem er den Diener Sganarelle am Schlusse nach dem Verschwinden seines Herrn um seinen rückständigen Lohn jammern läßt. „Mes gages, mes gages!“ ruft er als echte Bedientenseele aus und reißt uns damit aus unseren Illusionen.

Von da an ist der Steinerne Gast nicht mehr zur Ruhe gekommen. Zehn Jahre nach Molières Stück wandelte er über die englische und im Jahre 1700 zum erstenmal über die deutsche Bühne. Ein Ballett von Gluck und fünf Opern gingen dem „Don Juan“ Mozarts voraus, der nun schon hundertundelf Jahre lang alt und jung erfreut und wohl noch lange erfreuen wird. Selbst in Paris, wo man lange Zeit des Molièreschen Stückes wegen zum Werke Mozarts kein rechtes Zutrauen faßte, ist sein Ansehen so groß, daß die beiden Opernbühnen, die Große und die Komische Oper, im letzten Winter den „Don Juan“ fast gleichzeitig wieder aufnahmen und beide ihre Rechnung dabei fanden.

Daß die belebte Statue des Gouverneurs auch heute noch zur Don Juan-Sage gehört und nicht mehr von ihr getrennt werden darf, so sehr auch alle Theatergänger davon überzeugt sind, daß Stein Stein bleiben muß und nicht Fleisch werden kann, geht daraus hervor, daß der ältere Dumas, als er im Jahre 1836 einen Don Juan ohne Steinernen Gast auf die Pariser Bühne brachte, damit Schiffbruch litt. Er versicherte umsonst, daß auch sein Don Juan de Maraña, der am Schlusse seine Frevelthaten bereut und von seinem guten Engel, der die Gestalt einer Nonne angenommen, in den Himmel geführt wird, auf einer alten spanischen Sage beruhe, die ebenso berechtigt sei wie die von Don Juan Tenorio; man fand seine Schwester Martha außerordentlich fad neben dem steinernen Gouverneur und nahm es seinem Don Juan übel, daß er nicht Charakter genug hatte, bis ans Ende ein verstockter Bösewicht zu bleiben. Ganz anders ging denn auch der bedeutende spanische Dichter Zorilla vor, als er acht Jahre nach Dumas den alten Nationalstoff seiner Heimat in einem Versdrama erneuerte. Ihm war es an der einen Statue nicht einmal genug. Er läßt auch die Dona Ines (die Donna Anna der Oper) und ihren Verlobten [239] durch Don Juans Schuld zu Grunde gehn, und ihre Statuen beleben sich ebenfalls im letzten Akt, um den Frevler in die Hölle zu stürzen. Damit traf er sehr genau den Geschmack des spanischen Publikums. Sein „Don Juan“ ist eines der beliebtesten Stücke geblieben und wird in den meisten Theatern Spaniens des erbaulichen Schlusses wegen regelmäßig am Allerseelentage gespielt.

Der Steinerne Gast hat sich auch in unserem skeptischen Jahrhundert noch lebenskräftig genug erwiesen, um eine Tochter zu erzeugen, die auf französischen und deutschen Provinzbühnen noch hie und da zu finden ist. Wir meinen die Marmorbraut in Herolds „Zampa“, der im Jahre 1831 in Paris entstand und sich rasch auf allen Opernbühnen einbürgerte. Es ist möglich, daß der Textdichter des „Zampa“ in Sicilien, wohin er seine Handlung verlegte, eine Sage von einer die Untreue rächenden weiblichen Statue aufgefunden hat, aber ohne das Beispiel des Don Juan würde sich Herold wohl kaum erkühnt haben, diesen Stoff zu ergreifen. Die „fromme Alice“, welche der Seeräuber und Herzensbrecher Zampa hat sitzen lassen, öffnet zwar nicht den Mund zum Singen oder Sprechen wie der Gouverneur im „Don Juan“, aber wirkt andere Wunder. Da ihr der Ungetreue zum Hohn einen Trauring an den marmornen Finger steckt, schließt sie die Hand, und mit keiner Gewalt kann der Räuber ihn zurücknehmen. Später errettet sie durch ihr Erscheinen die unglückliche Camilla vor der Umarmung des Räubers und zieht diesen mit sich in die Versenkung. Obschon weder Zampa ein so vollständiger Charakter ist wie Don Juan, noch seine Marmorbraut so entscheidend eingreift und so verständlich ist wie die Statue des Gouverneurs, hat der Stoff doch dem Komponisten ausgezeichnete Dienste geleistet. Besonders gut gelang dem französischen Tonsetzer die Scene, wo dem Zampa nach dem Wunder der geschlossenen Marmorhand das übermütige Trinklied in der Kehle stecken bleibt, zu dem er seine Genossen fortreißen will, damit sie den peinlichen Vorfall vergessen. In der Schlußscene dagegen hat Herold nichts gefunden, um uns über den ziemlich lächerlichen Eindruck hinwegzuhelfen, daß die marmorne Alice als eifersüchtige Liebhaberin unter der Thür des Schlafgemachs erscheint, in welches Zampa seine letzte Eroberung zu schleppen sucht. Hier ist seinem Textdichter und ihm selbst sowohl der Glaube des alten Tirso de Molina, wie die Phantasie Mozarts abhanden gekommen.

Nahe verwandt mit den lebenden Statuen sind die künstlichen Menschen, die zuerst in den abergläubischen Vorstellungen der Völker spukten und später künstlerische Verwendung fanden. Sie unterscheiden sich von den lebenden Statuen dadurch, daß sie von vornherein zur Täuschung geschaffen werden. Als ältestes Vorbild kann die antike Pandora gelten, wie sie in den Dichtungen des griechischen Dichters Hesiodos auftritt. Pandora ist zwar kein menschliches, sondern ein göttliches Kunstprodukt, aber nach Hesiod haben sich bei ihrer Hervorbringung die Olympier mit höchst menschlicher Bosheit benommen. Zeus wollte nämlich den Prometheus dafür strafen, daß er den Menschen das Feuer verschafft hatte. Daher ließ er von den Göttern ein weibliches Wesen zusammensetzen, dem Aphrodite Schönheit, Pallas Verstand und Kunstfertigkeit und Hermes die Fähigkeit zu lügen und zu betrügen verleihen mußten. Sie sandte er dem Bruder des Prometheus, dem leichtsinnigen Epimetheus, zu, der trotz der Warnung des Bruders vor den Geschenken des Zeus die Pandora und die verschlossene Truhe, die sie mitbrachte, zu sich nahm. Insgeheim öffnete diese hierauf die Truhe, aus der alle Übel herausdrangen und sich unter den Menschen verbreiteten. Diese böse Pandora machte jedoch unter den Griechen nicht viel Glück, weil sie ihren optimistischen Anschauungen wenig entsprach. Sophokles scheint sich in einem verloren gegangenen Satyrdrama über den Gegenstand lustig gemacht zu haben, und diese komische Färbung kehrt immer wieder, wo die Dichter späterhin künstlich erzeugte Menschen auf die Bühne brachten. Goethe hat zwar zweimal ein ernstes Pandora-Drama zu schreiben begonnen, worin er die pessimistische „Allesgeberin“ des Hesiod ins Optimistische zu übertragen gedachte, aber er brachte es auch beim zweitenmal nicht über den ersten Akt hinaus. Im zweiten Teile des „Faust“ schuf er sich später seinen eigenen Kunstmenschen, den fürwitzigen Knaben Homunculus, den der Famulus Wagner auf chemischem Wege in einer Retorte hervorgebracht hat und der Faust und Mephistopheles als Wegweiser zur klassischen Walpurgisnacht dient. Dort zerschellt er freilich gar bald am Muschelwagen der Galatee, da er über seine Kräfte hinaus für die antike Schönheit erglüht. Leider gehört aber der Homunculus zu den rätselhaftesten Elementen des zweiten Teils des „Faust“. Er hat den Goethephilologen mehr Pein als den gewöhnlichen Sterblichen Wonne verursacht und blieb daher ohne jegliche Wirkung auf spätere Dichter.

Viel glücklicher war ein anderer Kunstmensch, der vielleicht später als Goethes Homunculus entstanden ist, aber sehr viel früher öffentlich bekannt wurde. Es ist die von E. T. A. Hoffmann erfundene weibliche Automatenfigur Olympia im „Sandmann“, welche so trefflich ausgeführt ist, daß sie dem Helden der Novelle eine tiefe Leidenschaft einflößt und ihn zum Wahnsinn und Selbstmord treibt. Hoffmanns bewegliche Phantasie knüpfte hier an eine historische Thatsache an. Im Jahre 1738 hatte der geniale Mechaniker Vaucanson in Paris zum erstenmal einen Automaten vorgeführt, der auf einer Flöte einige einfache Melodien blies. Es war die erste Spieldose. Auch Hoffmanns Olympia ist vor allem ein musikalischer Automat. Sie singt mit wunderbarer Sicherheit und Fertigkeit. Aber noch wunderbarer ist, daß sie prächtige ausdrucksvolle Augen hat, und dies wird von Hoffmann mit der ihm eigenen Vorliebe für das Grauenhafte so erklärt, daß der entsetzliche Coppelius dem Automaten die blutigen Augäpfel eingesetzt hat, die er einem seiner menschlichen Opfer ausgerissen. Warum hat aber diese Olympia Hoffmanns so viel Glück gemacht? Darum, weil auch hier der Aberglaube im Spiel war. Für Hoffmann waren nämlich alle diese Spukgestalten, die er schuf, im Augenblicke, da er sie zu Papier brachte, keine Märchengebilde, sondern er glaubte so fest an sie, daß er sich selbst vor ihnen fürchtete. Er schrieb regelmäßig nachts, nachdem er im Weinhause stark gezecht hatte, und wenn er dann den schrecklichen Coppelius oder den Mönch Medardus oder eine ähnliche Gestalt unter die Feder bekam, so weckte er seine gutmütige Frau, damit sie sich mit ihrem Strickstrumpf neben ihn setze und ihn durch ihre Gegenwart beruhige. Nur, weil er selbst an die verführerische Schönheit seiner Olympia glaubte, machte sie auch auf seine Leser einen so starken Eindruck. In Frankreich war die Wirkung Hoffmanns noch größer als in Deutschland. Hier war es denn auch, wo seine Automate mit Vorliebe auf die Bühne verpflanzt wurde. Adam, der Komponist des „Postillon“, widmete den künstlichen Menschen zwei Opern, die lange gespielt wurden, „La Poupée de Nuremberg“ und „Les Pantins de Violette“. Delibes fand in der Tochter des Coppelius, die er „Coppelia“ nannte, den Stoff zum besten Ballett, das in den letzten fünfzig Jahren in Paris entstanden ist. Damit nicht genug, griff der alternde Offenbach nochmals die Geschichte auf und machte aus ihr den zweiten Akt seiner komischen Oper „Les Contes d’Hoffmann“, welche vielleicht nicht seine glücklichste, aber sicher seine ernsthafteste Leistung geblieben ist. Delibes’ „Coppelia“ wirkte hinwiederum auf Wien zurück und ließ dort Bayers „Puppenfee“ entstehen, welche seit einigen Jahren über alle deutschen Bühnen geht.

Die letzte Bearbeitung der lebenden Puppe lieferte endlich Paris vor zwei Jahren in der Operette „La Poupée“ von Planquette. Hier war freilich die Sache recht geistreich umgedreht. Ein Weiberfeind, der sich einer Erbschaft wegen verheiraten mußte, ließ sich mit einer Automatenfigur trauen, aber die Tochter des Mechanikers spielte die Rolle der Figur und bekehrte den Hagestolz durch diesen frommen Betrug zur Liebe.

Die lebende Statue ist ein künstlerischer, die Automatenfigur, welche tanzt, spricht und singt, ein wissenschaftlicher Aberglaube. Beide liegen heute dem einigermaßen gebildeten und verständigen Menschen völlig fern. Deshalb sind sie denn auch im Theater fast nur noch in musikalischer Umkleidung möglich, denn die Musik besitzt die Gabe, uns am leichtesten aus der Wirklichkeit in das Wunderland des Märchens zu versetzen. Sollen wir sie auch in dieser Gestalt verdammen? Sollen wir nicht vielmehr einem Wahne Dank wissen, der unseren Dichtern und namentlich unseren Tonsetzern den Stoff zu so viel teils erschütternden, teils erheiternden Scenen geliefert hat?