Tilly in Rothenburg ob der Tauber

Textdaten
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Autor: J. P.
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Titel: Tilly in Rothenburg ob der Tauber
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 366–367
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Tilly in Rothenburg ob der Tauber.

(Mit dem Bilde S. 360 und 361.)

Die Eroberung der alten fränkischen Stadtfeste Rothenburg durch Tserclaes Tilly im Jahre 1631 war kein welterschütterndes Ereignis. Sie bildet keine Etappe in der Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs und die Besetzung der Freien Reichsstadt durch die Kaiserlichen hatte nur geringe strategische Bedeutung. Für Rothenburg selbst, das einstmals so viel der rühmlichen Tage gesehen, als es in den Zeiten des Städtebundes und des Bauernkriegs sich in führender Stellung befand, bildet der Tag eine Erinnerung schreckensvollster Art. Und dennoch knüpft sich ein Hauptruhm der Stadt gerade an dieses Ereignis, und just dieser Ruhm hat sie neuerdings zum Gegenstand erhöhten Interesses gemacht. Abgelegen vom modernen Verkehr, längst überflügelt von ihrer einstmaligen Rivalin, dem benachbarten Nürnberg, nur von einer kleinen Künstlergemeinde als Denkmal mittelalterlicher Städteherrlichkeit gewürdigt, hatte sie seit langem das Stillleben einer Landstadt geführt. Da trat sie mit der Veranstaltung des eigenartigen Festspiels vom „Meistertrunk“ hervor, welches unter Inanspruchnahme der ganzen Stadt das Heldenstück eines wackeren Rothenburgers feiert, das dieser unter den Schrecken jener Eroberung vollführte und das in ganz eigenartiger Weise von echt deutschem Zecherhumor verklärt ist. Durch einen Riesentrunk rettete Altbürgermeister Nusch seinen Genossen im Rate der Stadt das Leben.

Als am Pfingstmontag 1881 zur Erinnerung an das nun ein Vierteljahrtausend zurückliegende Ereignis zum erstenmal das Festspiel vom Meistertrunk im Saale des prächtigen Rathauses zu Rothenburg in Scene ging, weckte die Kunde von dem künstlerischen Unternehmen, an dem die Bewohner der Stadt zu Hunderten beteiligt waren, allgemeines Interesse. Seitdem ist das Festspiel an jedem zweiten Pfingstfeiertag wiederholt worden und aus immer weiteren Kreisen ergänzt sich die Schar der Zuschauer, die von fern und nah’ in der an sich so sehenswerten altertümlichen Stadt sich einfinden, um Zeuge des wunderbar lebensvollen und farbenechten Schauspiels zu werden. Wie es während desselben, vor- und nachher in Rothenburg zugeht, ist inzwischen mannigfaltig geschildert worden. Die „Gartenlaube“ brachte nach der ersten Wiederholung im Jahrgang 1882 (S. 492) eine lebendige Darstellung aus der Feder von Karl Braun-Wiesbaden. Er knüpfte an eine Schilderung der erinnerungsreichen Stadt, deren starke Wallbefestigung mit ihren Bastionen und Türmen noch heute unversehrt aufragt, ein anschauliches Bild des Festspiels und des diesem folgenden Festzugs, der die Verteidiger und Belagerer der Stadt von Anno 1631 in malerischem Aufzug friedlich vereinigt. Der aus Rothenburg stammende Maler Fritz Birkmeyer hatte durch das stimmungsvolle lebensechte Arrangement dieses Festzugs sich um das Gelingen des Ganzen kein geringeres Verdienst erworben als der wackere Gemeinderat Hörber, von welchem das Festspiel stammt.

Der Künstler hat sich aber daran nicht genügen lassen. Seine Phantasie, nachdem sie heimisch geworden war in jener Geschichtsepoche seiner Vaterstadt, empfand das Bedürfnis, sie mit den Mitteln seiner Kunst, der Malerei, ganz direkt darzustellen. Und so entstand auch das Bild, dessen Wiedergabe unsere heutige Nummer schmückt.

Tilly war üblen Muts, als er in den Septembertagen 1631 sein Heer in Franken zusammenzog. Kurz vorher hatte ihn, den Unbesieglichen, die erste schwere Niederlage getroffen: Gustav Adolf hatte sich ihm bei Leipzig überlegen erwiesen. Als nun das trutzige Rothenburg, das als Kornspeicher des Frankenlands ihn angelockt hatte, sich im Widerstande hartnäckig erwies und die kriegsgeübten Rothenburger von ihrer Mauerwehr herab seinen Scharen schwere Verluste beibrachten, that er zornvoll den Schwur: wenn die Stadt sich nicht bald ergäbe, wolle er ein Beispiel aufstellen, noch furchtbarer als zu Magdeburg. Dreißig Stunden währte schon die Belagerung, da flog gegen Abend des 30. Septembers der Turm, welcher die Pulvervorräte der Stadt barg, von einer Granate entzündet, in die Luft, und den Belagerern war nun eine breite Bresche zum Sturm bereitet. Die Stadt mußte sich auf Gnade oder Ungnade ergeben. Und nun zog Tilly, begleitet von den Generalen Pappenheim, Altringer und Ossa, an der Spitze der beutegierigen Soldateska durch die geöffneten Thore. Alsbald, so heißt es in der auf Chroniken gestützten Darstellung des Rothenburger Historikers A. Merz, begann die entsetzlichste Plünderung, und die erbitterten Kriegsobersten begehrten laut die gänzliche Zerstörung der widerspenstigen Stadt. Auf dem Markte warfen die jammernden Frauen mit ihren Kindern den Rossen der Generale sich in den Weg und flehten um Erbarmen. Kaum würdigte sie Tilly eines Blickes und Wortes. Auf dem Rathause aber ließ er dem Rate, der daselbst sich versammelt hatte, kurz und ernst verkündigen, daß er sich sogleich zum Tode bereit zu machen habe. Der regierende Bürgermeister Johann Bezold mußte selbst gehen, um den Scharfrichter für seine Hinrichtung und die seiner Ratsgenossen zu holen … In der Zwischenzeit vollzog sich aber im Rathaussaal ein Vorgang, der dem drohenden Geschick eine freundlichere Wendung gab. Der große Ratspokal wurde mit dem besten Weine des Kellers gefüllt und dem ermüdeten Feldherrn kredenzt. Der Trunk mundete dem sonst nicht sehr trinkfesten Tilly und noch mehr den deutschen Generalen seines Gefolges. Die Größe des Pokals, der gut zwölf Schoppen hielt, erregte Tillys Staunen, und er sprach den Zweifel aus, daß irgend einer der Ratsherren ihn auf einmal austrinken könnte. Als nun gerade noch einige Frauen mit ihren Kindern durch die Wachen zu ihm herein drangen, um sein Herz zur Milde zu rühren, wie es vorher auf dem Marktplatz vergeblich geschehen war, da kam Tilly der Einfall, die Begnadigung zuzusagen, wenn einer der Ratsherren den gewaltigen Becher auf einmal zu leeren vermöchte. Der Altbürgermeister Nusch erklärte sich dazu bereit und der trinkbare Mann that den Trunk denn auch bis auf die Nagelprobe. „Es schadete ihm aber nicht,“ heißt’s in der Chronik.

Unser Bild vergegenwärtigt uns mit spannender Kraft den ergreifenden Augenblick, da der auf dem Marktplatz angelangte Tilly die um Gnade flehenden Frauen und Kinder mit kaltem Hohn von sich weist. Man fühlt: sie knieen und demütigen sich vergeblich. Ganz vorzüglich ist in den Gesichtern der ringsherum haltenden Generale und Obersten die Befriedigung ausgedrückt, mit der diese das ablehnende Verhalten des Feldherrn begleiten. Besonders die Kroaten links sind ganz dazu angethan, uns aus Haltung und Mienen die sie bewegende Beutegier lesen zu lassen. Nicht weniger echt wie die Kostüme ist der Platz wiedergegeben in seiner prächtigen architektonischen Umrahmung. Das imposante Rathaus, mit dem schön gegliederten Kolonnadenausgang, dem mächtigen breiten Altan, eine der schönsten Profanbauten deutscher Renaissance, ist in lebendigen Bezug gebracht zu der Handlung. Auf dem Altan, dort, wo die große Stadtflagge sich an die Brüstung schmiegt, steht Meister Nusch, noch ohne Ahnung, zu welcher Heldengröße sich in der nächsten Stunde seine alterprobte Trinkerkraft aufzuschwingen bestimmt ist. Und rechts vom Rathaus die hohe Giebelfront mit dem schlanken Türmchen birgt die einstige „Herren-Trinkstube“ des Rats, in welcher dieser damals seine Sitzungen beim „Bechertupf“ fortzusetzen pflegte und dabei zu jener bedachtsam sicheren „Trinkbarkeit“ gelangte, von welcher die Rettungsthat Nuschs das beredteste Zeugnis ist. J. P.