Tierfreundschaften in der Wildnis

Textdaten
Autor: H. A. Lensen
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Titel: Tierfreundschaften in der Wildnis
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aus: Das Buch für Alle, Illustrierte Familienzeitung, Jahrgang 1912, Heft 23, S. 517
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Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Tierfreundschaften in der Wildnis.
Von H. A. Lensen.
(Nachdruck verboten.)

Daß zwischen zahmen Tieren verschiedener Gattungen sich oft innige Freundschaften entwickeln, zwischen Katzen und Hunden, Hühnern und Kanninchen, Papageien und Mäusen usw., ist eine bekannte Tatsache. Aber auch zwischen Tieren, die, frei von allem Zwange nur ihren natürlichen Instinkten folgend, in der Freiheit leben, bestehen solche Freundschaften, ohne daß man sich auch nur im entferntesten erklären kann, wie sich diese herausgebildet haben können. Dabei handelt es sich bei diesen Freundschaftsverhältnissen zwischen Tieren der Wildnis nicht nur um ein bloßes gegenseitiges Dulden, also ein Unterdrücken einer natürlichen, seit Jahrhunderten zwischen den verschiedenen Gattungen bestehenden Feindschaft, sondern um ein direktes gegenseitiges Schützen und Unterstützen, also um eine wahrhaft ideale Auffassung des Freundschaftsbegriffes.

Am besten werden einige Beispiele über das Wesen dieser merkwürdigen Tierfreundschaften aufklären.

Karl Retling, ein in der Nähe von Gansi im Britisch-Betschuanaland ansässiger deutscher Farmer, berichtet folgendes: „In meinen Viehkral war bereits mehrmals ein Leopard eingebrochen und hatte mir verschiedene Stücke Jungvieh fortgeschleppt. Endlich, nachdem die Regenperiode vorüber war und die Spuren im Boden nicht mehr weggewaschen wurden, machte ich mich eines Morgens, einen Schweißhund an der Leine, zur Verfolgung des Räubers auf. Die im Sande noch deutlich sichtbare Leopardenfährte – der gelbe Mordgeselle hatte in der Nacht vorher sich abermals ein Kalb geholt – lief auf eine dichtbewachsene, einige Meilen entfernte Hügelkette zu, die in ihren zerklüfteten, unzugänglichen Schluchten allerlei Raubgetier vortrefflichen Unterschlupf gewährte. Nach einem anstrengenden Marsch bis zum Fuße der Hügelkette folgte eine nicht minder beschwerliche Kletterpartie, die jedoch plötzlich vor einem schroff abfallenden Abhang ein Ende hatte. Aber gerade hier, wo ich keinen Schritt mehr vorwärts konnte, bewies mir das Verhalten meines Hundes, daß der Leopard sich irgendwo in der zu meinen Füßen liegenden, aber für mich nicht erreichbaren Schlucht befinden müsse. Während ich noch Umschau hielt, um irgendwo eine zum Abstieg geeignete Stelle zu entdecken, bemerkte ich vor einer Felsspalte auf dem Grunde der Schlucht einen ausgewachsenen Tschakmapavian, der zusammengekauert dasaß und jede meiner Bewegungen aufmerksam verfolgte. Durch die Anwesenheit dieses Tschakma ließ ich mich zur Umkehr bewegen, da zwischen Affen und Leoparden bekanntlich die erbittertste Feindschaft besteht und nicht anzunehmen war, daß der gesuchte Räuber sich ebenfalls in der Schlucht befinden würde. Trotzdem mein Hund noch immer mit gesträubtem Nackenhaar, zitternd vor Jagdeifer, dastand, gab ich die weitere Suche auf, zumal die Sonne inzwischen recht hoch gestiegen und die Hitze fast unerträglich geworden war.

Eine Woche später hatte der Leopard meinem Viehkral wiederrum einen Besuch abgestattet. In Begleitung eines deutschen Landsmannes, des Herrn v. R., der inzwischen bei mir als Gast eingetroffen war, um sich den Farmbetrieb anzusehen, machten wir uns diesmal zu Pferde zur Verfolgung des Räubers auf. Wieder führte uns mein Hund genau denselben Weg bis zu jener unzugänglichen Schlucht. Unsere Pferde hatten wir unter Aufsicht eines Schwarzen am Fuße der Hügel zurückgelassen, in Voraussicht etwaiger schwieriger Kletterpartien aber einige Stricke mitgenommen. Eben wollte ich mit Hilfe der zusammengebundenen Stricke zunächst meinen Hund in die Schlucht hinablassen, damit dieser den Leoparden aufstöberte, als mich mein Begleiter auf einen Affen aufmerksam machte, der eben gemächlich aus einer Felsspalte auf der anderen Seite der Schlucht hervorkam. Als der Affe – es war wieder ein Tschakma, wie ich an der plumpen, gedrungenen Gestalt und der dunklen Haarfärbung sah – uns bemerkte, richtete er sich auf und äugte scharf zu uns herüber. Wir ließen uns jedoch durch ihn nicht weiter stören. Kaum schwebte mein Hund an einem Patronengurt in der Luft, als wir einen schrillen Schrei vernahmen, der sich mehrmals wiederholte. Nur der Tschakma konnte ihn ausgestoßen haben, der jetzt, anscheinend über den in der Luft schwebenden, zappelnden Hund in Wut geraten, nach Affenmanier die possierlichsten Luftsprünge machte. Plötzlich schoß aus einer Felsspalte schnell wie der Blitz ein gelber, schlanker Körper hervor – der Leopard, der, nachdem er uns kaum erblickt hatte, so eilig und geschickt die gegenüberliegende Felswand hinaufkletterte, daß meine Kugel fehlging. Auch Herr v. R. feuerte, traf jedoch ebensowenig. Dann waren beide Tiere – der Affe war dem Leoparden stets dicht auf den Fersen geblieben – zwischen den Felsblöcken verschwunden.

Den Leoparden habe ich seitdem nicht mehr zu Gesicht bekommen. Er hatte, nachdem ihm erst einmal die Kugeln um die Ohren gepfiffen waren, sein Jagdrevier in eine andere Gegend verlegt.

Dieses Erlebnis hat sowohl bei meinem Gast als auch bei mir den Eindruck hervorgerufen, als ob zwischen jenem Leoparden und dem Tschakma etwas wie ein Freundschaftsbündnis bestanden haben muß, da die schrillen Schreie des Affen den ganzen Umständen nach nur Warnungssignale für das Raubtier sein konnten. Ich zweifle auch nicht, daß der Tschakma schon beim ersten Male, als ich ihn vor der Felsspalte hocken sah, dort sozusagen als Wächter für seinen von den nächtlichen Raubzügen ausruhenden Freund Posto gefaßt hatte.“[1]

Von einem ähnlichen Erlebnis weiß der französische Baron v. Sully zu erzählen, der mit Theodor Roosevelt im nordamerikanischen Felsengebirge auf Bären jagte. „Wir hatten unser Lager in der Ecke einer weiten Waldlichtung aufgeschlagen, deren Hintergrund durch einen See mit sehr klarem, kühlem Wasser gebildet wurde. Diesen See benützten Tiere aller Art als Tränke, wodurch mir die Möglichkeit gegeben war, einen lange gehegten Plan zu verwirklichen: Raubtiere in Freiheit bei Blitzlicht zu photographieren. Ganze Nächte lang lag ich mit unserem Expeditionsleiter, einem alten verwitterten Pelzjäger, auf einem kleinen Floß im dichten Uferschilf dicht an jenem Waldpfade, der aus dem nahen Hochwald an den See führte. In einer gewissen Reihenfolge fanden sich die Tiere bei der Tränke ein. Zuerst kamen regelmäßig einige Antilopen und Hirsche, die aber sehr bald wieder verschwanden. Einige Stunden später, gegen Mitternacht, erschien Raubzeug aller Art. Es war eine äußerst wildreiche, aber im allgemeinen wasserarme Gegend, und mir bot sich daher so viel Interessantes, daß ich den eigentlichen Zweck dieses Anstandes, das Photographieren, oft darüber vergaß.

In einer besonders mondhellen Nacht beobachtete ich nun ein Bild seltenen Einvernehmens zwischen zwei Tieren, die sich sonst als Todfeinde möglichst aus dem Wege gehen. Der Morgen graute bereits, als der neben mir auf dem Mooslager des Floßes liegende Trapper mich leise anstieß. Ich war vor Übermüdung trotz der uns umsummenden Moskitos etwas eingenickt und gewahrte jetzt, sehr schnell wieder ermuntert, in vielleicht acht Meter Entfernung an der Tränke zwei Tiere, in denen ich erst nach längerem Hinsehen - denn ich glaubte meinen Augen nicht trauen zu dürfen! – eine Pardelkatze oder Ozelot und eine Antilope erkannte, die einträchtiglich nebeneinander am Ufer standen und mit Wohlbehagen ihren Durst stillten. Nach einiger Zeit hob der Ozelot den Kopf und windete vorsichtig nach uns herüber. Offenbar hatte der sich eben erhebende Morgenwind ihm unsere Witterung zugetragen. Auch die Antilope war jetzt aufmerksam geworden, reckte den Hals weit nach unserem Versteck vor und sprang dann plötzlich die Uferböschung hinauf, gefolgt von dem Raubtier, vor dem sie offensichtlich nicht die geringste Furcht empfand. Als wir kurz darauf nach unserem Lager aufbrachen und ich dem Jäger gegenüber meiner Verwunderung über das soeben Geschaute Ausdruck gab, berichtete mir der Trapper noch einige weitere Fälle von derartigen Freundschaften zwischen den verschiedensten Tiergattungen, an deren Wahrheit ich sicher gezweifelt hätte, wenn ich nicht kurz vorher mit eigenen Augen Ozelot und Antilope in friedlichem Verkehr belauscht haben würde. Leider gelang es mir nicht, das seltene Freundespaar mit meiner Kamera nochmals zu überraschen. Denn diese Aufnahme hätte selbst unter meinen gewiß recht eigenartigen Tierbildern eine besondere Rarität dargestellt.“ –

Der englische Afrikareisende Radcliffe Dugmore beobachtete einmal in der Steppe einen Affen und eine Gazelle, die stets dicht beieinander blieben. Während die Gazelle graste, vertrieb der Affe sich die Zeit mit allerlei Dummheiten. Dugmore fiel es auf, daß die Gazelle, die sonst nur in großen Rudeln auftritt, ganz für sich allein weidete und sich, wenn der Affe einmal für einige Zeit in dem hohen Grase verschwand, sofort unruhig nach ihm umschaute. Um zu prüfen, ob die beiden ungleichen Tiere wirklich zusammengehörten, scheuchte der Reisende die Gazelle auf. Beide Tiere flüchteten in der Richtung auf ein trockenes Flußbett zu, wo Dugmore, der ihnen vorsichtig gefolgt war, sie eine halbe Stunde später durch sein Glas friedlich miteinander dahinziehen sah.

Daß auch zwischen Vertretern verschiedener Tierfamilien etwas wie Korpsgeist besteht, erfuhr derselbe Reisende bei einer anderen Gelegenheit. Eines Tages suchte er sich an einen Trupp Zebra heranzupirschen, die den Jäger offenbar noch nicht gewittert hatten. Da zog eine Herde Hartebeeste[2] an den Tigerpferden und auch an dem unbeweglich in seinem Versteck lauernden Dugmore vorüber. Auch diese scheuen und scharfäugigen Tiere hatten nichts von der gefährlichen Nähe des Menschen gemerkt und waren eben im Begriff, in den Wald abzubiegen, als eine unvorsichtige Bewegung des Forschers sie sofort zum Stehen brachte. Sie drängten sich zusammen. Offenbar hielten sie Kriegsrat. Dann wurden zwei Abgesandte zu den Zebra geschickt, die sich ahnungslos dem Jäger immer mehr genähert hatten. In einer Entfernung von sechzig Schritt strichen die beiden Warner an dessen Standort vorüber und erreichten die Zebra. Hier stießen sie einen brüllenden Schrei aus, die Zebra wendeten sich, und im nächsten Augenblick waren beide Herden, hüben wie drüben, in wilder Flucht verschwunden.



  1. Dieser Bericht ist in der Kapstadter Zeitung vom 12. Januar 1910 in einer Bearbeitung des Herrn v. R. erschienen.
  2. Hirschkuhantilpen.