Textdaten
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Autor: Heinrich Beta
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Titel: Thomas Babington Macaulay
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 511-514
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[511]

Thomas Babington Macaulay.

Der Geschichtsschreiber, Dichter, Journalist, Jurist, Politiker und Staatsmann Macaulay hat nicht nur in seinem „engern“ Vaterlande, England, und dem weitern, Amerika, sondern auch in der ganzen gebildeten Welt einen bedeutenden Namen gewonnen, daß es unsere Leser interessiren wird, ihn näher kennen zu lernen [512] und darauf aufmerksam gemacht zu werden, wie es eigentlich zuging, daß er weit und breit als literarischer Eroberer der gebildeten Welt siegreich auftreten konnte. Für die Menschen, die Englisch nicht als ihre Muttersprache reden, that er weiter nichts, als daß er ein Buch schrieb, einen Theil der neuern Geschichte Englands. Alle seine andere und frühere Thätigkeit reichte nicht hin, ihn über eine mittelmäßige, auf das Land und die Gelehrten sich beschränkende Berühmtheit hinaus zu erheben. Es war das bereits in siebenter Auflage erschienene, oft nachgedruckte und zum Theil mehrfach in alle Sprachen civilisirter Völker übersetzte Geschichtswerk, welches ihn zu einer europäischen Berühmtheit erhob. Und dabei enthält es in Thatsachen nichts wesentlich Neues. Es ist kein Werk großer, tiefer Forschung mit neuen wichtigen Entdeckungen in der Geschichte, es bringt lediglich den Beweis, daß ein Volk, das mit Energie das Gute, d. h. den politischen Fortschritt und die Civilisation in jeder Beziehung will, durch keine Gewalt der Mächtigen aufgehalten werden kann. Und dieser Beweis, die ganze Darstellung der Geschichte Englands ist ein Meisterstück der Form, wie es vordem kein Geschichtsschreiber Englands und des Continents geliefert hat. – Es ist die neue, brillante, musikalische Form der Sprache und effectvoller Malerei, die den Hauptreiz seiner historischen Darstellung ausmacht, wozu allerdings die von ihm gewählte Geschichtsperiode das Ihrige beitrug. Es ist wichtig und interessant, die Macht, die Allmacht der schönen Form für bekannte Stoffe – und darin besteht das Wesen und der unwiderstehliche Reiz der Kunst im Allgemeinen – auch in dieser Richtung und Erscheinungsform nachzuweisen und die Persönlichkeit derselben zu zeichnen.

Macaulay wurde 1800 geboren. Allen Vermuthungen nach ist er ein Schotte, wie sein Vater Zachariä M. ein Kaufmann für Westindien und Afrika, ein Freund von Wilberforce und gegen sein specielles Interesse ein Abolitionist, d. h. Gegner der Sklaverei in Amerika. Unser M. ward erst zu Hause erzogen und gebildet, später im Trinity-College zu Cambridge, der berühmten Universität, auf der eine Reihe der berühmtesten englischen Größen, Bacon, Byron u. s. w. sich Studirens halber aufhielten, womit freilich nicht gesagt sein soll, daß Cambridge oder irgend eine andere Universität große Männer mache. Die englischen Universitäten können allerdings große Talente klein machen, aber nicht umgekehrt. Cambridge hat blos den Ruhm, Männer wie Bacon, Byron, Macaulay u. s. w. nicht klein bekommen zu haben.

Ein Studentenleben giebt’s auf den pfäffischen, pedantischen Universitäten Englands nicht. Macaulay studirte fleißig und gewann verschiedene Preise und machte die erforderlichen „Grade“ durch. Darauf kam er nach London in der Juristenzunftlehranstalt Lincolns-inn in die Lehre und ward 1826 „zur Barre gerufen“ , d. h. als activer Jurist zu Gerichtsverhandlungen als Vertheidiger, Anwalt oder Justiz-Commissarius zugelassen. In dieser Sphäre hat noch Niemand Ruhm erworben, wohl aber viel Geld und Schmach, da die englische Gerichts-Praxis ein Institut ist, das blos da zu sein scheint, um Juristen Gelegenheit zu geben, Denen, die Geld haben, es abzunehmen und ihnen dafür „Recht“ zu geben. M. scheint nicht viel Geschmack an diesem Berufe gefunden zu haben, wenigstens beweisen seine mannichfaltigen Aufsätze und Kritiken in einer Vierteljahrsschrift (Edinburgh Review) im Jahre 1826 über Milton u. s. w.), als deren Mitarbeiter er Jahre lang seinen literarisch-kritischen Ruhm begründete, daß er literarisch äußerst thätig war. Schon zwei Jahre vorher hatte er sich als Dichter in einer andern Vierteljahrsschrift (Knight’s Quarterly Magazine) gedruckt gesehen. Doch ward er als Dichter nie so groß, wie als Kritiker großer Dichter und literarischer Notabilitäten. Berühmt sind seine Abhandlungen über Byron, Addison, Bacon, Walpole, Johnson u. s. w. Die erstere gilt als die klassischste, wiewohl keine wirklich groß und schön genannt werden kann, da Macaulay als das glücklichste Talent der Form es nie dahin brachte, große tiefe Denker und Dichter wirklich zu begreifen. Er rühmt in der brillantesten Form ihre persönlichen und literarischen Tugenden, bedauert aber dabei, daß sie nicht immer das anständige Leben geführt, wie es jeder englische Gentleman mit reinen Vatermördern, alle Morgen frisch rasirt und mit der vorgeschriebenen Form des Backenbartes führen muß. Um ein Genie in allen seinen Widersprüchen als ein großes Ganze begreifen und schildern zu können, muß man selbst ein Genie sein. Unter seinen dichterischen Productionen wird die Ballade: „der Krieg der Leaque“ als die „talentvollste“ bezeichnet, so wie die „altrömischen Gesänge“ („lays of ancient Rome“), geschöpft aus den heroischen und romantischen Schilderungen des Livius, durch starkfarbige Malerei des altheroischen Lebens, Gelehrsamkeit und eine eigenthümliche, brüchige Energie des Styls auffielen. Die literarisch-kritischen Abhandlungen sind aus dem Edinburgh Review mehrfach gesammelt und herausgegeben worden. Sie gelten als die brillanteste neue englische Prosa, d. h. ihr Verdienst liegt wesentlich in der Form, die zuweilen sirenenhaft wirkt, ohne daß man durch große Gedanken oder durch tiefere Auffassung des Lebens unterbrochen wird. –

Seine staatliche Laufbahn begann mit einer sehr unangenehmen Anstellung. Das Whig-Ministerium stellte ihn (1828) als Commissionär der Bankerotte an. Im Jahre 1832 gelang es ihm, als Candidat für das Unterhaus von den Wählern in Calne die meisten Stimmen zu erhalten und so in das „reformirte“ Parlament zu kommen. Seine erste Rede zu Gunsten weiterer Reform soll gut ausgefallen sein, wenigstens jedenfalls besser, als seine (bis jetzt) letzte, in der er warnte, man solle die Reformen für die sehr reformbedürftige indische Regierung nicht zu gut machen, damit die Nachwelt auch noch etwas zu thun behalte. Das würde so viel heißen als: Ich sündiger Mensch darf mich nicht auf einmal zu sehr zum Bessern bekehren, damit mir spätere Tage nicht vorwerfen, ich sei zu gut für mein Alter. – Im Jahre 1834 ward er von Leeds gewählt, gab aber sein Vertreter-Amt auf, wie als neugewähltes Mitglied des höchsten Gerichtshofes der ostindischen Regierung nach Calcutta [513] zu gehen, eine sehr einträgliche Stellung, die er bis 1838 bekleidete. Nach seiner Rückkehr ward er von den Gelehrten Edinburghs als deren Vertreter gewählt und 1839 sogar Mitglied des Ministeriums und zwar als Kriegsminister. – Er blieb Vertreter Edinburghs bis 1847, wo er gegen seinen Mitbewerber Cowan durchfiel, und zwar – ächt schottisch und englisch – weil seine religiösen Gesinnungen nicht für so bestimmt schottisch gehalten wurden, als die Cowan’s. Während seiner fünfjährigen Zurückgezogenheit aus der politischen Welt sammelte und schrieb er zum Theil sein weltberühmtes Geschichtswerk, welches die Wähler von Edinburgh so begeisterte, daß sie ihn (1852) ohne sein Zuthun wieder wählten.

Thomas Babington Macaulay.

Das sind die hauptsächlichsten Thatsachen seiner politischen Laufbahn, die wohl zu seinen Schwächen gehört. Er hielt viel schöne Reden, aber als Rhetor, nicht als Redner. Er hielt elegante Vorträge im Unterhause, die seine Freunde (die Whigs, die stark auf ihn gerechnet hatten) täuschten und alle Zuhörer bewunderten, aber nicht erwärmten und hinrissen. Er war nie von Gewicht in bedeutungsvollen Debatten und für wichtige Abstimmungen. Die alten Parlaments-Mitglieder „von Profession“ belächelten ihn geringschätzig als einen gelehrten Mann, als einen Schriftsteller, der als solcher eigentlich gar nicht verdiene, unter der beglückten Minderheit von Gesetzgebern zu sitzen. Uebrigens scheint es ihm auch nie warmer, wahrer Ernst gewesen zu sein, sich in dieser Sphäre wirkliche Verdienste zu erwerben, wenigstens wählte er dazu nicht die rechten Mittel, nicht die Stacheln, sondern nur die farbigen, schönen Blumen der Rede. Er machte kokette Eroberungen durch Rhetorik, in der Sache immer in currenter Münze denkend. Von seinen persönlichen und Familien-Verhältnissen scheinen alle bisherigen Biographen nicht viel zu wissen. Er hielt seine Privatverhältnisse, wie jeder englische Gentleman, sorgfältig unter Schloß und Riegel. Die meisten [514] Schriftsteller Englands sind auch so elegant, davon nicht öffentlich zu sprechen, selbst wenn sie durchaus zu seinem Ruhme ausfielen. Die „gute Gesellschaft“ Englands ist in diesem Punkte bornirter, als irgend ein Volk der Erde und vielleicht der allerweiteste Gegensatz zu jenem alten Römer, der in einem Glashause zu leben wünschte, um stets von der Welt gesehen werden zu können, damit sie sich überzeuge, er sei privatim eben so gut, wie öffentlich. –

Macaulay gilt jetzt als der größte Geschichtsschreiber und literarisch-historischer Kritiker Englands, ohne sich in diesen Sphären wesentlich schöpferisch gezeigt zu haben. Worin er schöpferisch gewesen, was seine Größe ausmacht, besteht in der Erfindung und Ausbildung einer neuen englischen Prosa. Wie der berühmte Virtuose auf der Strohharmonika wußte er selbst den hölzernen, strohernen Lauten der englischen Sprache musikalische Klänge, Harmonien und Melodien zu entlocken. Das Sirenenhafte seines in Worten ausgedrückten melodiösen Gesanges besteht eben in der graciösen Gewalt, mit der er uns Zeile für Zeile, Seite für Seite mit sich fortreißt. Die Grazie und Eleganz der Form war in England, wo man „Geld macht“ und deshalb die „brodlosen Künste“ der Musen und Grazien ganz vergessen zu haben schien, ein hesonders großes Ereigniß, das man um so freudiger bewunderte, als hier der trostloseste Mangel an Schönheitssinn bereits vielfach zu einer Sehnsucht nach den „Göttern und Göttinnen Griechenlands“ ward. Die englische Revolution gab ihm einen gewaltigen Stoff. Die gebildete Welt nahm ihn wie ein großes, neues, welthistorisches Kunstwerk begeistert auf, weil ein großer, feiner Meister der Form ihn mit bezaubernden Schönheitslinien umgab.

Der Gedanke ist der Marmorblock, in welchem ein olympischer Zeus, ein Apollo, eine medicäische Venus schlummern. Es kömmt blos auf den schönen Formensinn an, mit dem man wegmeiselt, was von dem Block nicht zu der göttlichen Körpergestalt gehört. Deshalb also heiligen Respect vor der Form und vor Macaulay.

London, im Oktober. H. Beta.