Textdaten
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Autor: C. Sp.
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Titel: Theologische Schalkheiten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 367
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[367] Theologische Schalkheiten. Der bekannte Profestor der Gottesgelahrtheit an der Hochschule zu R., Dr. theol. K., studirte Ausgangs der zwanziger Jahre seine letzten Semester zu Halle, wohin Gesenius’ berühmte Vorlesungen damals die Theologen aller Richtungen zusammenführten. Daß K., trotz seiner heutigen rigorosen Ultraorthodoxie, mehr ist, als der Troß seiner Genossen gewöhnlichen Schlags, bleibt unbestreitbar, mag man den Mann sonst beurtheilen, wie man will. Schon als Student von ernstester und strengster Denkungsart zwar, in der Wissenschaft sowohl, wie im gewöhnlichen Leben auch, dabei erfüllt von der Höhe seines Berufs und vom höchsten Lerneifer beseelt, vermochte der junge Gottesgelehrte dennoch nicht, einen ihm angeborenen innewohnenden schalkhaften Zug immer ganz zu verleugnen.

Gesenius las über Exegese des alten Testaments, Kirchengeschichte etc. etc. K. hatte während seiner ganzen Hallenser Studienzeit alle Collegia des berühmten Gelehrten belegt und bezahlt. Auch für ein neues Semester wiederum, das sein, K.’s, letztes sein sollte. Ganz spät erst kündigte da Gesenius noch eine Vorlesung über semitische Dialecte und Paläographie an, die K. ebenfalls gern gehört hätte. Aber nur bei spärlichem Wechsel und als guter Haushalter war seine Finanzeintheilung geschlossen und der zu diesem Colleg nöthige Honorar-Doppelfuchs mangelte. Daß Gesenius nicht stundete, war allen seinen Zuhörern nur zu wohl bekannt. Und er brannte doch auf diese Vorlesung, der junge Theolog! Wollte er es aber genießen, das Colleg, mußte er wohl oder übel sich entschließen, auf die Gefahr hin kurz abgewiesen zu werden, bei dem großen Hebräer seine Bitte um Stundung anzubringen. Bis zu seinem Abgange von Halle, also bis Schluß des Semesters, sollte er ihm das Honorar ja auch nur stunden. Ein kleiner Extrazuschuß von Hause würde ihn dann in den Stand setzen, auch diese Verpflichtung zu decken. K. entschließt sich zu dem sauern Gang und trifft den Professor in seinem Studirzimmer, allwo dieser, anscheinend in bester Laune, meditirend und dazu grausam rauchend auf und ab wandelt. Die das Arbeitszimmer mit den Familienräumen verbindende Thür steht offen, einen Durchblick auf die anstoßenden Zimmer und die darin anwesende Familie des Gelehrten verstattend.

Ehrerbietigste Verbeugung K.’s, höflichst erwidert von Gesenius.

„Studiosus theol. K.“

„Freut mich, Sie bei mir zu sehen. Sie sind mir als einer meiner stetigsten und aufmerksamsten Hörer von Person schon wohlbekannt. Und was verschafft mir für heute die Ehre Ihres Besuchs?“

K. trägt sein Anliegen im bescheidensten Bittton vor. Gesenius, nachdem er gehört, runzelt die Stirn und steht schweigend eine ganze Weile, den Petenten fixirend. Plötzlich faßt er diesen beim Arm, führt ihn an die offne Thür und, auf seine Familie in dem Nebenzimmer deutend, spricht er:

„Collegia stunden, Herr Studiosus, ist ganz gut, aber unmöglich, wenn man so stark mit Kindern gesegnet ist, wie ich es bin.“

Halb wirklich verlegen und erschrocken, halb den Schelm im Nacken, erwidert K. mit seltsam ängstlichem Gesicht:

„Ja, entschuldigen Sie, Herr Consistorialrath, dafür kann ich doch nicht?!“

„Was? – Nein! dafür können Sie allerdings nicht, was ich mir übrigens auch verbeten haben wollte!“ entgegnet lachend der Professor und stundet das Colleg.

K.’s Studienzeit ist zu Ende mit dem Semester, der Extrazuschuß eingetroffen. Er will Halle verlassen als redlicher Mann, also alle seine Schulden bezahlen. Alles ist denn auch glücklich gedeckt bis auf die semitischen Dialecte Gesenius’, und für diese bleibt dem angehenden Candidaten, er mag das Reisegeld noch so knapp berechnen, trotz allem Rechnen, nur ein einfacher Friedrichsd’or, und ein doppelter muß es doch sein! Den Professor noch einmal um Fristung der Hälfte bitten? – zu beschämend und deshalb nicht gut möglich. K. mustert wieder und wieder seine Habe, was etwa zu verkaufen sei, allein er findet nichts. Sinnend mißt er den Raum seiner Bude. „Welcher gute Geist verwandelt mir diesen einfachen Friedrichsd’or in einen doppelten?!“ murmelt er und betrachtet dabei den Goldfuchs in seiner Hand. „Halt! so kann’s gehn!“ ruft er plötzlich und eilt die Treppe hinunter und direct in die Werkstatt seines Hausphilisters, eines ehrsamen Schlossers.

„Herr Wirth, einen Hammer und ein Locheisen!“ schreit er diesen an und legt das Goldstück auf den Ambos.

Erstaunt reicht ihm der Schlosser das Verlangte und behutsam schlägt nun K. mit dem Eisen in die breite Randfläche des Goldfriedrichs eine kleine Vertiefung, die immerhin einem ziemlich großen Punkt verglichen werden darf.

„Hochverehrter Herr Consistorialrath, ich komme, Ihnen dankbarst das gestundete Colleghonorar zu überreichen,“ spricht er zehn Minuten später zu Gesenius und legt dabei den Friedrichsd’or, den Punkt nach oben, vor dem Professor auf den Schreibtisch.

„Schön, schön! Herr Candidat, danke Ihnen. Aber verzeihen Sie,“ – der Gelehrte hebt das Goldstück auf – „das ist nur ein Friedrichsd'or, und das Honorar beträgt doch zwei?!“

„Ganz recht, Herr Consistorialrath! Das ist aber einer mit ’nem Dagesch forte!“ (das hebräische Verdoppelungszeichen) antwartet tout à coup K. und deutet dabei ernsthaft auf den Punkt am Rand des Goldstücks.

„Sie wissen Ihr Hebräisch gut an den Mann zu bringen,“ sagt halb lachend, halb ärgerlich der Professor. „Nun, behüt’ Sie Gott! Das Colleg ist bezahlt.“ C. Sp.