Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Die alte Braut

Fahrsamengewinnung Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
Der verschüttete Bergmann
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162.
Die alte Braut.

In Benshausen war ein junges Mädchen verlobt, aber sie war nicht glücklich, denn ihr Bräutigam war ihr nicht lieb, vielmehr ihr aufgedrungen worden; als nun Tag und Stunde der Trauung herbeigekommen waren, und es schon einmal in die Kirche geläutet hatte, und zum zweitenmale läutete, ging die Braut, bereits in ihrem Brautstaate, noch einmal allein hinaus in den Hausgarten, und sagte zu ihren Leuten, sie wolle nur ein wenig, bis es vollends ausläute, drausen frische Luft schöpfen – der Grund war aber kein anderer als der, daß sie sich noch einmal recht ausweinen wollte, was sie auch that. Mit einemmale sah sie einen fremden Mann, von sanften und milden Zügen, der fragte sie theilnehmend, was ihr denn fehle? Und da faßte sie gleich ein wunderbares Vertrauen zu dem Manne, und war ihr nun, als kenne sie ihn schon lange, er aber, um sie auf andere Gedanken zu bringen, fragte sie nach ihren Blumen, ließ diese und jene von ihr sich nennen, und dann öffnete er eine Thüre im Zaun, und ließ sie in seinen Garten treten, und da fiel ihr bei, daß der Mann ja ihr ganz nahe wohne, aber längere Zeit abwesend gewesen [20] sei. Und in des Mannes Garten war es viel, viel schöner, wie in der Braut ihrem Garten, prächtige Blumen, herrliche Früchte, singende Vögel waren darin, und er erweiterte sich immer mehr, je länger sie in demselben an der Seite des Mannes wandelte, in den allerbesten, ihr Herz wunderbar erhebenden und belebenden Gesprächen. Da hörte die Braut es zusammenschlagen, und ging nun zwar traurig und ernst, aber doch gefaßteren Gemüthes vor nach dem Hause, um mit dem ihrer harrenden Bräutigam und der ganzen Verwandtschaft nach der Kirche zu ziehen. Wie sie aber in das Haus trat, erblickte sie ganz andere Leute, und von Aeltern und Geschwistern, von Bräutigam und Verwandten keine Seele, und die Leute schauten sie groß an in ihrem Putz, der diesen schrecklich altmodisch vorkam. – Niemand kannte sie und sie kannte niemand. Man brachte sie, die Wildfremde und scheinbar Geistesverwirrte, zum Pfarrer, der schlug im Kirchenbuche nach und fand, daß vor hundert Jahren eine Braut das Hochzeithaus kurz vor der Trauung verlassen habe, und nicht zurückgekehrt, auch nirgend zu finden gewesen sei. Da sehnte sich die alte Braut zurück in den friedlichen Garten des Paradieses, darin sie mit dem Bräutigam reiner Seelen, Jesus Christus, gelustwandelt war, aller Erdenschmerzen überhoben, und ging auch noch desselben Tages ein in das himmlische Friedensreich.