Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Die Zwerge der Kammerlöcher

Elgersburger Nixe Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
Der Hirsch in den Kammerlöchern
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417.
Die Zwerge der Kammerlöcher.

Zur Linken des idyllisch-friedlichen Wiesenthales, in welchem das Dorf Angelrode, eine Stunde aufwärts über dem Städtchen Plaue liegt, und durch das die Gera sich schlängelt, rauscht ein Bergwald, das Kirchenholz, der Berg selbst ist der Weissenberg geheißen. Fast immer ist diese Benennung von mythischem Anklang und stammt ab vom uralten „wiht“, (unseliger Geist,) daher Wichtlein, daher auch die Witgensteine, Wizzenhöhlen u. s.w. Dort soll, so geht die Sage, vor Zeiten ein altes Schloß gestanden haben, allein dasselbe scheint spurlos verschwunden zu sein, und Niemand weiß mit Gewißheit dessen Stätte zu bezeichnen. Da, wo der Weissenberg sich in der Richtung nach dem Schneekopf an das höhere Gebirge anlehnt, zeigt sich der bewaldete Gipfel mannichfach und merkwürdig zerklüftet und bildet Schluchten voll senkrecht abgeschnittener Felswände von ziemlicher Tiefe an 30 bis 50 Fuß und einige Klafter Weite. Aus dem tiefen [293] Grunde strecken Tannen ihre Wipfel empor. Besonders eigenthümlich ist diesem Gehölz und den Kammerlöchern, so heißen die Felsenkammern bei den Umwohnern, der mystische Eibenbaum, Taxus baccata, dessen auch Shakesspeare im Macbeth gedenkt, und der im deutschen Volksaberglauben eine nicht unwichtige Rolle spielt.

In jenen Kammerlöchern haußten einst, so berichtet die Sage, Zwerge in großer Anzahl. Sie wühlten von der Wache, so heißt der Theil des Berges oberhalb des Dorfes Angelrode, weil im dreissigjährigen Kriege ein Schwedisches Wachtpiket dort gestanden, bis zum Kummel, der vorspringende Bergstock, an welchem das Angelroder Wirthshaus mit seinem vortrefflichen Felsenkeller gelegen, einen Stollen, und gelangten durch diesen in den Wirthskeller, dem sie an Wein und Lebensmitteln merklichen Abbruch thaten. Diese Zwerge haußten im Schoos der tiefen Felsenkammern lustiglich, und thaten sich gütlich an des Wirthes Wein und Bier und sonstigen Vorräthen. Außerdem übten sie noch manchen Schabernack und manche Neckerei gegen die Bewohner der umliegenden Dörfer. Der Wirth wußte lange nicht, wer seine Diebe seien, warf Verdacht auf sein Gesinde und seine Hausgenossen, und machte diesen Verdruß durch falschen Verdacht. Endlich gerieth er auf den Einfall, Asche in den Keller zu streuen, um vielleicht an den Fußtapfen die unsichtbaren Beizapfer zu erkennen. Und als er eines Abends dieß gethan und des andern Morgens nachsah, fand er zahllose kleine Spuren von Gänsefüßen ähnlichen Füßchen, die aus einer Felsspalte im tiefsten Hintergrund des Kellers gekommen waren, und in diese sich verloren. Der Wirth holte sich Rath bei einem weisen Mann, der lautete, man solle, wenn [294] man die Nähe der stets unsichtbaren Zwerge vermuthe, mit Taruszweigen nach ihnen schlagen, jeder Zwerg, der getroffen werde, würde dann augenblicklich sichtbar. Auch sei den Zwergen die Form des Kreuzes verhaßt,[1] und wenn man am goldenen Sonntag Eibenbüsche kreuzweise über ihre Wege lege, so beschritten sie letztere nimmer mehr wieder. Der Wirth befolgte den Rath, theilte ihn weiter mit, und am nächsten Trinitatissonntag stieg die halbe Bevölkerung des Dorfes Angelrode hinauf in die Kammerlöcher, brach dort Eibenzweige ab, und steckte sie kreuzweis an die Ställe, in denen die Zwerge das Vieh behext, und in die Keller, aus denen sie allerlei geholt. Darauf wanderte das neckische Zwergvölkchen aus. In einer Nacht hörte man vom Kirchenholz herab, durch das Dorf und die jenseitigen sterilen Felsanhöhen hinauf nach Rippersrode zu ein anhaltendes trippeln und trappeln, als ziehe ein Heer von vielen tausend kleinen Leutchen vorüber, und ward ein leises weinen und schluchzen dabei vernommen. Nimmermehr kamen sie wieder. Von der Zeit an wurde es Brauch zu Angelrode, daß alljährlich am Trinitatissonntage Alt und Jung hinauf auf den Weissenberg und in die Kammerlöcher ging, dort Taxuszweige brach, und sie kreuzweis in Keller, Küchen, Stuben und Ställe steckte. Und obschon der Aberglaube, daß damit den Zwergen und Hexereien gewehrt werde, entschwunden ist, so ist doch der Brauch geblieben, und namentlich säumt des Dorfes fröhliche Jugend nicht, am genannten [295] Tage Eibenzweige von des Berges wundersamen Felsenkammern herabzuholen.

Noch geht eine andere Sage, die im historischen Grund und Boden wurzelt, von den Kammerlöchern. Als zur Zeit des dreissigjährigen Krieges das Schwedenvolk auch in diesen Gegenden so grausam und verderblich hauste, wie der ärgste Feind, da flüchteten die Bewohner Angelrodas mit ihrem Vieh und ihrer sonstigen Habe in die Kammerlöcher, und diese wurden mit dem dichten Walde, der damals die Felsenklüfte umgab, ihnen zum schützenden Asyle, bis die feindlichen Freunde, welche zum Schutz des Protestantismus herbeigerufen waren, und die Protestanten auf das Aergste mißhandelten, das stille Thal der Gera verlassen hatten.

  1. Dieß ist ein eigenthümlicher Zug der Erdzwerge gegenüber den Moosleuten, welche das Kreuz lieben, und nur auf mit Kreuzen bezeichneten Holzstämmen Schutz vor dem sie verfolgenden wilden Jäger finden.