Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Der Venetianer
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Der Venetianer.
Wie im Thüringischen Gebirge, auf dem Harze, dem Erz- und Riesengebirge u. a. findet man auch im Voigtlande die Sage weit verbreitet, daß Venetianer Erz und andere Schätze daselbst gesucht und gefunden hätten. Vor ohngefähr 200 Jahren lebte auch ein solcher Venetianer oberhalb einer Bretmühle in einer Höhle; den Eingang dieser Höhle sah man recht gut von Ferne, jedoch nie in der Nähe. In dieser Höhle vernahm man häufig starkes pochen und hämmern. Einst erblickte zur Mittagszeit der Sohn des Bretmüllers den Venetianer in sehr zerlumpten Kleidern, vor dem Felsen stehen; der junge Müller war so keck, nach dem Fremdling mit Steinen zu werfen. Ein Stein traf unglücklicherweise das Auge des Italieners und verletzte es bedeutend. Sogleich wurde der junge Bretmüller sinnlos, stürzte wie betäubt zu Boden, und als er wieder zu sich kam, befand er sich in Venedig, was er auf sein Befragen, wo er wäre, erfuhr. Aus dem Palaste, vor dem er stand, sah ein vornehmer einäugiger Mann heraus. Dieser rief den Knaben auf sein Zimmer und fragte, wo er her sei? Der Knabe erzählte, aus der Bretmühle bei Greiz; nun fragte der fremde Mann wie er hierher käme? Offen gestand der Knabe den Hergang. Als nun der Herr dem Knaben versicherte: er sei der Mann, welcher die Höhle bei der Bretmühle bewohnt habe, [80] so wollte dieß der Knabe durchaus nicht glauben. Nun ging der Herr in ein Nebenzimmer, legte die Prunkkleider ab, und zog die Lumpen an, worin ihn der Knabe schon einmal erblickt hatte. Jetzt wurde es dem Knaben klar, daß er diesen Herrn verletzt habe. Er bat flehendlich um Verzeihung, erhielt sie, und wurde ebensoschnell, wie er nach Venedig gekommen, in seine Heimath gebracht, und alles Geschehene dünkte ihm der Traum eines Augenblickes. Nie sah man den Venetianer wieder, und nie fand man den Eingang zu der goldreichen Höhle.