Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Die drei Auflagen

Wie zu Berka die Werra ausblieb Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Das Lindigsfrauchen in Gerstungen
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64.
Die drei Auflagen.

Im Thale der Werra liegen zur Rechten des Ufers noch heute die umfangreichen Trümmer des vormals sehr stattlichen Schlosses Brandenburg, welche Burg der Wohnsitz eines in dieser Gegend reich begüterten alten Thüringischen Grafengeschlechtes war. Die Grafen hatten das Recht, den Fleischern in Gerstungen ihre Taxe festzustellen, auch durften diese nicht früher von dem Schlachtvieh etwas verkaufen, bis der Fleischbote von der Brandenburg mit seinem Esel und der Taxe kam, und die besten Stücken vorweg holte. Dieser Fleischbote hieß Limpert [102] und war ein lahmer Krüppel, der stets des Sprüchleins eingedenk war: langsam kommt man auch weit, der seinen Esel nie zur Eile trieb, und seinen Hohn und Spott darüber hatte, wenn die Fleischer, von ihren übrigen Kunden gedrängt, in Verzweiflung waren und ihn mit Scheltworten empfingen. Da der Krüppel sein kommen mit Absicht immer mehr und mehr verzögerte, so schwur der Gildemeister ihm zornig zu, er wolle ihm Beine machen, wenn er noch einmal so lange säume. Das wolle er sehen! antwortete Limpert, und nahm die Drohung wörtlich, indem er nun in der That gerade noch einmal so lange zu kommen säumte, als er bisher gesäumt hatte. Darauf machte der Gildemeister dem Krüppel Beine in die Ewigkeit – er schlug ihn tod, ließ ihn in Stücke hacken, mit diesen Stücken die Fleischkiste des Esels füllen und letzteren zur Burg treiben. Diese That erregte sachgemäß den wüthendsten Zorn des Grafen gegen ganz Gerstungen; er befehdete das Städlein, und ließ es keinen guten Tag mehr sehen, bis flehentlich unter Erbietung jeder Sühne um Gnade gebeten wurde. Darauf verlangte der Graf zur Sühne seines ermordeten Limpert drei Scheffel voll Silberheller, alle einen und desselben Gepräges, drei himmelblaue Windhunde und drei mannshohe Eichenstäbe ohne Knoten. Diese drei Auflagen sollten binnen Jahresfrist beigeschafft sein, oder die Metzgerzunft in Gerstungen solle ihre Unthat blutig und schrecklich büßen. Da war guter Rath theuer, doch endlich wurde er gefunden. Der Rath verkündete, daß er auf eine gewisse Sorte Silberheller des Stiftes Fulda, das deren sehr viele geprägt, Agio zahlen wolle, da strömten Juden und Bettelleute in Menge herbei und schafften Heller, bis die drei Scheffel [103] voll waren, und die Silberheller wieder im Course sanken. Drei schneeweiße Windhunde wurden in ein Zimmer gesperrt, dessen Fenster von blauem Glase waren, und das ganz blau angestrichen war. Blaugekleidete und blaugefärbte Wärter fütterten die Hunde aus blauen Geschirren mit Blaukohl und gebratenen Blaumeisen und Blaukehlchen. Davon begannen die Hunde endlich selbst blau anzulaufen, und warfen blaue Junge. Mittlerweile wurden drei junge Eichenschossen in Glasröhren zum Wachsthum getrieben, da war kein Raum, Knoten anzusetzen, und so waren nicht ohne große Sorgen, Kosten, Last und Mühe die drei Auflagen erfüllt, und Gerstungen hatte wieder guten Frieden. Der Graf von Brandenburg aber behielt sein Recht der Fleischtaxe, schaffte sich einen andern Krüppel zum Fleischboten an, und behielt den alten Esel zum Fleischholen bei, der mittlerweile lahm geworden war. Nächstdem mußten die Gerstunger Metzger ihren Fleischscharrn abbrechen, und dafür ein Pfründenhaus für arme Krüppel erbauen, auch wurde auf die Stelle, wo sie den Limpert zerhackten, ein breiter Stein gelegt, der liegt noch und heißt der Limpertstein, ein Andenken und zugleich ein Spiegel, nämlich der Warnung.

Diese Sage wiederholt sich unter ziemlich gleichen Umständen auch anderwärts, namentlich in der Stadt Osnabrück mit einem Grafen von Tecklenburg.