Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Die Hirtenknaben
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Die Hirtenknaben.
Ein Kutscher aus Sättelstedt erzählte mir in meinen Knabenjahren manches vom Hörseelberg, was er vom Hörensagen seines Ortes kannte. So auch diese Mär vom Hörseelloch. Im Wiesenthale am Fuße des Berges habe eine Schaar Jungen Pferde gehüthet, grade unterm Hörseelloch, und da habe einer derselben den Vorschlag gemacht, am Berge emporzuklimmen, und in die Felskluft einzukriechen. Dieser Vorschlag fand Beifall, die Knaben koppelten die Huthpferde zusammen und banden sie an Pfähle oder an Bäume an, und kletterten den Berg hinan. Wie sie nun vor dem schaurigen Eingang standen, graute doch manchem vor dem übereilten Entschluß, dieß nahm der wahr, der zuerst zu dem Wagniß aufgefordert hatte, und schlug vor, daß sie alle sich mit Riemen an einander fest fesseln wollten, um gemeinsam alle Gefahr zu theilen, falls solche vorhanden sei. Dieß geschah – ein angezündeter Kienspahn diente als Fackel und Leuchte und die Höhlenfahrt der Knaben begann. Dem letzten aber wurde angst und bange [135] in dem feuchten, niedrigen Bergesinnern, durch das nur mühsam kriechend sich zu drängen war. Er zog rasch entschlossen sein Taschenmesser und zerschnitt den Riemen, der ihn mit seinem Vormann verband, blieb zurück und lauschte mit klopfendem Herzen, wie tiefer und tiefer die Kameraden sich verloren. Lange harrte er ihrer Wiederkehr – es kam keiner wieder. Vergebens rief er, schrie er, vergebens harrte er, zurückgekrochen bis zum Eingang, noch eine lange, lange Zeit, der Abend sank nieder – um die Kameraden, die Freunde war es geschehen. Da stieg der Hirtenknabe laut weinend vom Berge nieder, trug in das stille Dorf die entsetzliche Kunde – vergebens war alles fernere Suchen – spurlos blieben die Knaben verschwunden, und auch jener unglückliche Gefährte, der sich gerettet, ward niemals wieder froh, ging siech und bleich umher, und nach drei Monden zählte man ihn zu den Todten.