Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Der Schlangenkoch

Der große Wartberg und seine Schätze Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Wo der Hund begraben liegt
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124.
Der Schlangenkoch.

Am großen Wartberge quillt ein frischer Quell zu Tage, der heißt der Silberborn, bei dem hüthete einst am Johannistage der Schmerbacher Hirte, und rastete in der Mittagsstunde an der Quelle. Da trat ein Mann in fremder Tracht auf die sonnige Trift aus dem Walde heraus, und grüßte den Hirten, ja er gesellte sich zu ihm, und legte sein Gepäck neben die Quelle. Unter des Mannes Gepäck befand sich auch ein kupfernes Kesselchen von uralter Form, wie die Wasserträgerinnen in Venedig auf den Schultern tragen. Der Fremde bat den Hirten, ihm Feuer zu schlagen, er wolle sich ein Mittagsmahl bereiten, sich ein Süpplein kochen. Gern war der Hirte behülflich und entzündete ein kleines Waldfeuer, während der Fremde sich eine Gabel von einem Haselnußstrauche abschnitt, ein Tuch auf [234] den Rasen breitete, mit der geschnittenen Wünschelruthe Kreise zog und dann auf einem Pfeifchen in seltsamer Weise pfiff. Da kamen aus allen Büschen und Felsklüften Schlangen herbei, und zuletzt ein großer Lindwurm, die zischten gräulich und ringelten sich, dann stieg von einem Ulmenbaume eine silberweiße Schlange nieder, das war der Otterkönig, und der kroch auf das Tuch, und legte auf demselben das goldene Krönlein ab, das er trug. Flugs sprang der Venetianer, denn ein solcher war der Mann, hinzu, schlug das Tuch zusammen, nahm das Krönlein an sich, und tödtete die weiße Schlange. Auch den Lindwurm tödtete er, und spießte ihn an einen Baum, dann pfiff er wieder, da krochen die andern Schlangen wieder von dannen. Den Otterkönig, oder es kann auch die Otterkönigin gewesen sein, zerstückte der Venetianer, und warf die Stücke in das Kesselchen, das der Hirte indeß mit Wasser aus den Silberborn gefüllt und über das Feuer gehängt hatte. Da nun die Stücke der silberweißen Schlange gar gekocht waren, an welche der Venetianer auch eine Handvoll Salz geworfen, so zog derselbe zwei hölzerne Löffel hervor, bot dem Hirten einen davon an, und lud ihn ein, an diesem Mahle Theil zu nehmen. Es schwammen prächtige Fettaugen auf der Brühe – gleichwohl war dem Hirten seltsam zu Muthe, und er empfand keinen Appetit nach Schlangensuppe. Doch „Zureden hilft,“ sagt das Sprüchwort, und endlich kostete der Hirte einen Löffel voll, und der schmeckte gar so übel nicht. Iß auch Fleisch! sprach der Venetianer: – es schmeckt wie Aal – aber dazu konnte sich der Hirte nicht überwinden. Er war ohnehin schon ganz verwirrt, denn kaum hatte er den Löffel voll Otterkönigssuppe hinunter, so sah er rings Wald und [235] Blumen in wunderbarem Glanze schimmern, und gegenüber eine offene Grotte, in der es von Gold und Silber und Edelsteinen nur so glitzerte und glänzte, funkelte und flammte. Diese Grotte war eben wieder das Geißbeinsloch. Beide gingen nun hinein, und nahmen so viel sie wollten. Gleich darauf verschwand die Höhle, und der Hirte sah sie nicht wieder. Wie der Venetianer schied, sprach er zum Hirten: Da Du von der Suppe gegessen, konntest Du einmal in die Schätzehöhle eintreten. Hättest Du auch vom Fleische gegessen, so hättest Du sie alle Tage offen und Dir zugänglich erblickt. So lebe wohl! Da hast Du noch ein Wunschtüchlein von Venetianer Seite. Wenn Du das um den Kopf bindest, kannst Du Dich hin wünschen, wohin Du willst – da wünsche Dich einmal zu mir nach Venedig. Das that nach einiger Zeit der Hirte, und fand dort seinen Schlangenkoch als einen Nobile, der ihn gastlich aufnahm und köstlich bewirthete.