Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Das ewige Licht in der Lorenze

Das verwünschte Dorf Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Der grünende Pfahl
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48.
Das ewige Licht in der Lorenze.

Zwischen Wichtshausen und Marisfeld hat vor Zeiten eine dem heiligen Laurentius geweihte Kapelle gestanden, von der man nur noch wenige Trümmer sieht. Man nennt die öde Stätte insgemein nur „die Lorenze.“ Die Kapelle soll reich und schön geschmückt gewesen sein, und es sollen abwechselnd die Mönche der Klöster Rohr und Veßra in derselben den Dienst versehen haben, das heißt, von Rohr nur die Geistlichen, denn zu Rohr war ein Nonnenkloster. Einer der Geistlichen am letztgenannten Kloster hatte insbesondere die Obhut über ein „ewiges Licht“ in der Lorenze. Da in der Stiftungsurkunde über die Erhaltung dieses ewigen Lichtes ausdrücklich bedungen war, daß die Lampe nie erlöschen dürfe, außerdem die mit der Stiftung verknüpfte Nutznießung von Grundstücken sogleich vom Kloster Rohr ab, und an das Kloster Veßra fallen solle, so wurde stets darauf gesehen, daß kein ganz [77] junger Geistlicher zu dessen sorgsamer Obhut bestellt wurde. Gleichwol schützt Alter nicht vor Thorheit, und ein nicht mehr junger Pfleger jener heiligen immer brennenden Ampel vergnügte sich in den Armen eines schönen Beichtkindes aus Marisfeld, das sehr häufig zu ihm in die Lorenze kam, und wenn es sonst keine Sünde zu bekennen hatte, dem Geistlichen seine Liebe bekannte. Ueber solchem Bekenntniß und dem gegenseitigen Naschen vom Baume der Erkenntniß ließ der erzürnte Heilige Laurentius und noch dazu an seinem Namenstage, das heißt am Tage seines Märtyrerthums, an dem er keineswegs in den Armen eines schönen Mägdeleins, sondern auf dem glühenden Rost gelegen hatte, und sein Lebenslicht erloschen war, plötzlich die ewige Lampe erlöschen, obschon sie der Liebende kurz zuvor reichlich mit frischem Oel gefüllt hatte, worüber letzterer so sehr erschrak, daß er vor Entsetzen umsank und gleich auf der Stelle tod war. Seitdem geht der Geist des Geistlichen um in und außerhalb der Lorenze. Am Vorabend des Tages jenes Heiligen müht sich der Geist, die Lampe wieder zu entzünden, indem er den Berg umwandelt; erst beim zweitenmale seines Umwandelns gelingt ihm dieß, und dann wandelt er zum drittenmale mit dem brennenden Licht um den Berg. Sobald dieß geschieht, schlägt eine Glücksstunde für den, der Muth hat, denn jeder Stein, auf den der Strahl des ewigen Lichtes fällt, verwandelt sich flugs in Gold; es darf daher nur einer dem Mönch kühnlich nachgehen und aufraffen. Er muß aber aufhören mit seiner Sammlung, bevor der Geist zum drittenmale den Berg umwandelt hat, sonst gewahrt ihn der Geist und dreht ihm den Hals um.