Thüringer Sagenbuch. Erster Band/„Karle quintes Funn“

Erscheinende Jungfrauen Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Vom Iselberge und Rennsteige
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140.
„Karle quintes Funn.“

In eigenthümlicher Weise heftet die Sage sich gern an Helden- und große Kaisernamen; bannt deren Träger in [272] Bergestiefen, und läßt sie mit ihren Wappner-Schaaren herausziehen aus dem sich öffnenden Schooß der Berge. Man denke an Widukind in der Babilonie, an Karl den Großen im Gudensberge, an Friedrich den Rothbart im Kiffhäuser und im Untersberge, an die Kaiser unter der Burg zu Nürnberg und im fränkischen Guckenberge, an den Siegfried unter Burg Geroldseck etc., und so wird auch Kaiser Karl der Fünfte in diesen mythischen Sagenkreis herein gezogen, ja es widerfährt noch ungleich später glorreich aufgetretenen Helden ein Gleiches.

Wunderbar und ohne allen historischen Halt läßt denn auch die örtliche Sage die Gemahlin Karl V. auf einer Reise nach Brotterode gelangen, und dort, da Wehen sie überfallen, eine Niederkunft halten. Die Gemeinde zeigt sich stolz auf das ihr so unverhoffte Glück, wartet der hohen Wöchnerin und der Amme auf mit dem besten Bier, und hält die Kaiserin in höchsten Ehren. Das erfreut denn auch des Kaisers Herz und er begabt den Ort mit trefflichen Freiheiten, schenkt ihm einen großen Wald, auch das Blutgericht, und ein Fahnenlehnen, welches besagt, daß so lange die Brotteroder Kirmse währt, jeder Nachbar, will sagen Hausbesitzer, Bier schänken und auch selbst trinken darf, so viel er kann und mag; darf auch in „der Braut“ fischen, so heißt der Bergbach, der den Ort durchrollt, und tiefer unten die Lauter oder den Lauterbach aufnimmt, da denn beide vereinte Bäche „die Druse“ heißen, durchs Drusenthal und das Dorf Drusen rinnen, und endlich in die Werra fallen. Vom Drusenthale haben die übergelahrten Schriftler und Diftler viel gefabelt, daß weiland der Römerfeldherr Drusus hindurchgezogen, und seinen Namen dem Thale, das nie einen [273] alten Römer sah, zurückgelassen habe. Die Druse hieß am Anfang des zehnten Jahrhunderts Drusanda, und an Drusus dachte keine vernünftige Seele.

Die von Kaiser Karl V. den Brotterodern zum Fahnenlehen verliehene Fahne verehrten sie wie ein Heiligthum, und erneuern sie noch heute, wenn ihr Tuch in Abgang kommt, denn alljährlich hängt sie acht Tage lang, so lange die Kirmse dauert, aus einem Schallloch des Kirchthurmes. Man nennt sie in der örtlichen Sprache nur „die Funn von Karle quintes.“ Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen; es ist auf das schwarze Tuch mit gelbem Garn ein Bergwappen: Keil und Schlageisen ins Andreaskreuz gelegt, darüber eine Krone, eingenäht.