Tarnowski, Kammer- und Salonmusik
Ladislas Tarnowski, Quatuor für zwei Violinen, Viola und Violoncell. Wien, Kratochwill.
–, Fantasie quasi Sonate pour Piano e Violon sur quelques thèmes d’un opera inédit. Ebend.
–, Sonate pour Piano. Ebend.
–, Nocturne pour Piano. Ebend.
–, Grande Polonaise. Wien, Guttmann.
–, Etude VII par Chopin, transcrite pour Violoncello. Leipzig, Breitkopf und Härtel.
–, „Still kingt das Glöcklein” für eine Singstimme und Pfte. Wien, Guttmann. –
Die vorliegenden Compositionen scheiden sich in Erzeugnisse einer vorgeschritteneren, auf geistige Vertiefung gerichteten Periode und in solche, die allem Anschein nach (der Autor verschmäht es, in dieser Beziehung Anhaltspunkte durch Opuszahlen zu geben) einer früheren, mehr auf äußeres Salonwesen gerichteten angehören. Zu dieser Sonderung wird man auch dadurch veranlaßt, daß in letzteren die bereits Nr. 9 S. 87 berührte Misère des Mangels an geordneter Structur, Ortographie etc. in früherer Grellheit herrscht, während in denen ersterer Gattung zwar auch noch einzelne unmotivirte Verstöße dagegen abschwächend wirken, deren Entfernung vor der Veröffentlichung durch eine gewiegte, liebevoll sichtende Hand wünschenswerth war, jedoch in dieser Beziehung großentheils einen wesentlichen Fortschritt gegen die früher besprochenen und geschriebenen bekunden, welcher sie um Vieles werthvoller und genießbarer macht. Zu den Werken dieser viel reiferen Gattung ist man geneigt zu rechnen: das Streichquartett, die Claviersonate, die Bearbeitung des Chopin’schen Nocturne’s, das Lied vom Glöcklein und annähernd auch die Polonaise.
Insoweit nicht das gern etwas unstet rhapsodische, bald träumerische, bald verbittert schwermüthige Naturell der Tarnowski’schen Muse ihrem Heimischwerden besonders unter den Deutschen Hemmnisse bereiten wird, empfiehlt sich am Meisten der allgemeineren Beachtung unstreitig das Streichquartett in Ddur, besonders durch das oft keineswegs erfolglose Streben, dem Style der letzten Beethoven’scher Quartette zu folgen, desgleichen durch seine überwiegend freundliche, sonnig-hellere Physiognomie. Wer eingehendere Beschäftigung mit demselben nicht verschmäht, wird sich, wenn erst manches im ersten Augenblick vielleicht noch etwas Abkühlende überwunden, immer stärker angezogen fühlen durch die zahlreichen eigenartigen und geistvollen edel melodischen Züge, welche sich durch das übrigens in kleinerem Umfange angelegte Werk ziehen. Das Quatuor beginnt mit folgendem ziemlich einfach freundlichem Allegretto:
weicht sehr bald stetiger nach Emoll aus und gelangt über einen energischen Aufschwung in Cdur zu folgendem anziehendem zweitem Hauptgedanken:
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welcher nach einer kleinen ausdrucksvollen Cadenz des Violoncells sich in ein wildes Presto im Unisono stürzt, hierauf wiederkehrt und schließlich in den ersten Gedanken zurückkehrt, welcher, nachdem er einige Male etwas gesteigert ausgesponnen, ziemlich unbefriedigend abschließt.
Der zweite Satz, ein kürzeres Adagio molto, hat folgenden Kern:
welcher meist in edel melodischen, tiefsinnig gemüthvollen Wendungen sich ergehend, sich erst allmählich in Edur festsetzt, zuerst im Violoncell, hierauf in der Viola und sodann in den Violinen etwas variirt, schließlich in der Haupttonart wiederkehrt und, nachdem der ganze Satz wiederholt, in einen aetherischen Schluß verflüchtigt.
Das hierauf launig gefällige Scherzo in Ddur wird den Spielern zuerst einiges Aergerniß bereiten, weil es (Minuetto betitelt) im 3/4 anstatt im 2/4 Tact geschrieben ist. Stellt man die Tactstriche entsprechend um, so ist es ganz leicht spielbar. Dasselbe Scherzo ist auch in die Claviersonate mit dem Motto aufgenommen: contemplant les vieux portraits de la grande salle (chateau de Lord Byron), aux coiffures poudrées je revais ce. Hierdurch erklären sich zugleich manche naivere Rosalien dieses überhaupt in starkem Gegensatz zu der Tiefsinnigkeit des Adagios sehr harmlos heiter tändelnden Satzes.
Das ebenfalls scherzoartig angelegte Finale beginnt:
also in Fdur, während Dmoll die eigentliche Kerntonart des ganzen ziemlich düster leidenschaftlichen Satzes bildet. In dieser Tonart steht besonders ein 4mal sich wiederholender Tremolosatz, zuerst ganz ohne Cantilene, hierauf mit einer solchen mit polnisch nationalen Anklängen abwechselnd in allen vier Instrumenten, zuletzt in der 2. Violine mit Gegenstimme der ersten. Nachdem später der Tremolosatz nochmals wiedergekehrt, bricht sich allmählich der erste Gedanke Bahn und schließt nach verschiedenen Durchführungen in Dmoll schnell in – Fdur ab. –
[336] Während das Quartett dem letzten Beethoven, nähert sich die Claviersonate mehr der früheren Periode desselben. Sie beginnt in Ddur:
strebt aber sehr bald der Unterdominante erregter zu und setzt sich, wie überhaupt besonders dieser Satz ohne sonatenartige Durcharbeitung, wiederholt in derselben seltsam eigensinnig fest; erst in Dur in sehr schlichtem Gewande mit einem kleinen oft wiederholten ausdrucksvollen Motive, später in Moll in klagender Mendelsohn’scher Triolencantilene, und abermals in auffallend schlicht conservativer Accordfiguration, bis sich der Autor endlich wieder in den ersten Gedanken hinüberzwingt.
Der zweite Satz, ein kurzer zweitheiliger Liedsatz Allegretto non troppo in Fdur, trägt das Motto: Nous nous rassimes au bord du même fleuve comme autrefois … les vagues passaient en silence … und ergeht sich diesem Motto entsprechend in etwas indifferenter, erst gegen den Schluß fesselnder sich aufschwingender Stimmenfiguration, ähnlich der einfachsten Choralvariirung.
Viel tiefer erfaßt uns troß seiner ebenfalls sehr skizzenhaften Anlage das folgende Largo appassionato in Amoll, betitelt: Souvenir de Newsteed Abbey (Chateau de Lord Byron), Pensée funèbre; aber in grellem Contraste ist hinter dasselbe das bereits erwähnte Scherzo des Streichquartetts gestellt, übrigens trotz seiner Versetzung nach Gesdur in großentheils auffallend dürftig klangloser Uebertragung.
Das Finale mit dem Berlioz’schen Motto Au diable tout
erfüllt ein schmerzlicher Galgenhumor. Ruhelos leidenschaftlich und verbissen stürmt es dahin, kaum ab und zu einmal die fortwährend eigensinnig festgehaltene Haupttonart verlassend, als häufigen Nachsatz eine consequent sich widerholende harmlose Rosalie, als Seitensatz dagegen
welcher sich sehr bald nach Adur wendet und darin verbleibt, später den Hauptsatz variirend und figurirend, die Melodie mit der linken Hand unwirsch-halsbrechend über die rechte hinwegwerfend; hierauf noch ein kurzes pesante lento, und wiederum kopfüber fortstürmend bis zum Schluß. –
Die Grand Polonaise trägt den Zusatz: quasi Rhapsodie simphonique polonaise I und ist in der That ein höchst ausgeprägt polnisch nationales Charakterstück zugleich durch Verwebung verschiedener Nationalmelodien. Der Anfang fesselt durch chevalereske, feurige Energie, im weiteren Verlaufe wird dagegen die Structur noch lockerer und rhapsodischer, wie in den zuvor bespr. W.; mit glänzendem und feurigem, öfters mächtiger packendem Aufschwunge oder seelenvolleren Cantilenen wechselt, abgesehen von Härten oder Monotonie der Begleitung, so manches (meist leicht zu beseitigende) ermüdende Ergehen oder Wiederholen. Ein Sprung von S. 11 zu 14, Z. 2, T. 2 und von S. 15 vorletzer Tact zu S. 17 möchte der Ermüdung des Interesses sehr wohlthuend vorbeugen.
Das Arrangement der Chopin’schen Etude für Violoncell und Pianoforte ist als ein sehr glücklicher Griff zu bezeichnen, weil nicht bald ein Stück jenes sonst so spezifischen Pianoforte-Tondichters eine solche Bearbeitung so nahe legt, wie dieses. Abgesehen von der in diesem Falle durchaus zu billigenden Transposition um einen halben Ton höher ist die Uebertragung mit großer, ja fast zu großer Treue geschehen (dem Pianoforte hätten unbeschadet derselben zuweilen noch einige Bereicherungstöne hinzugefügt werden können), auch möchte sich wegen Einzelnheiten der Stimmführung rechten lassen, z. B. wo ein Instrument dem andern den letzten Auflösungston wegnimmt, wie S. 4, letzte Zl., wo T. 2 im Basse d statt f und im Violoncell der Vorschlag d a (statt f) heißen, oder S. 5, Z. 2, wo im Pft. im Baß das eingestrichene f (ohne d) statt des kleinen f stehen muß. Unbeschadet dieser ganz unwesentlichen Einzelnheiten ist die Bearbeitung als eine werthvolle Bereicherung hervorzuheben. Und von [337] wem könnte wohl Chopin richtiger verstanden werden, als von seinen Landsleuten. –
Ebenso empfehlen wir allen Denjenigen, welche einige prosodische Verstöße gegen die musikalische Declamation durch geistvolle Darstellung zu mildern vermögen, das vom Verleger zugleich sinnig decorirte Lied „Still klingt das Glöcklein durch Felder“ als eine bei aller rührenden Schlichtheit ebensowohl dichterisch wie musikalisch poetische und fesselnde Spende in Liszt’schem Style. –
Ueber die Violinphantasie und das Nocturne gestatte uns dagegen der Autor flüchtiger hinwegzugehen, da sie großentheils theils Concessionen gegen den oberflächlicheren Salongeschmack, theils einer noch unbeholfeneren früheren Periode anzugehören scheinen. Da die Phantasie laut Titelangabe über einige Themen einer noch unveröffentlichten Oper verfaßt ist, hätte auch ein in der Compositiontechnik geschulterer und viel strenger sichtender Autor kaum den Potpourricharakter solcher Opernphantasten zu vermeiden vermocht. – Das Nocturne kann dagegen bei seinen zum Theil recht natürlichen und liebenswürdigen Melodien durch eine, in Bezug auf Naivetäten und Ortographie streng sichtende Ueberarbeitung zu einem ganz annehmbaren Salonstücke werden. –
So erfreulich es ist, bei den diesmal zuerst bespr. Piecen in Betreff solcher Sichtung etc. einen ganz erheblichen Fortschritt constatiren zu können, so veranlassen doch auch sie noch hier und zu dem früher ausgesprochenen Bedauern, daß dem Autor nicht von Hause aus die Basis einer, die Erfindungskraft so erfrischend stärkenden und befruchtenden tüchtigen architectonischen etc. Erziehung zu Theil geworden ist, ohne welche man stets Gefahr läuft, seine Gedanken halb erfolglos zu vergeuden anstatt sie organisch zu entwickeln, desgleichen einer von zu naiven Anklängen an überwundene Zeiten läuternden Erziehung noch empfindlicheren Gefühls für jene feine Grenze, welche namentlich auch den Humor niemals in irgend ein unbeabsichtigtes Gegentheil umschlagen läßt. Besonders in der Behandlung des Claviers aber ist man sicher berechtigt, von einem so hervorragenden Pianisten die gewählteste Durcharbeitung, die vielseitigste und feinsinnigste Benutzung des Instrumentes und Darstellungsmaterials zu beanspruchen, wie wir dies z. B. grade bei seinem hochgenialen Landsmann Chopin trotz alles oft noch so ungebundenen laisser aller in so hohem Grade zu bewundern Gelegenheit haben. Man kann Tarnowski unmöglich seine Achtung für das energische Streben versagen, das ihm noch Mangelnde zu gewinnen. Ob ihm dies jedoch ohne andere Führung vollständig gelingen wird, lassen auch die diesmal bespr. Piecen noch zuweilen zweifelhaft. Den Freunden ernsten und vollen Hingebens an den freien Ausdruck charactervollen Gedanken- und Empfindungsinhalts aber wünschen wir das (hier und da mit der nöthigen freundlichen Geduld gepaarte) entgegenkommendste Interesse für die meisten der vorstehend bespr. Comp. durch die vorstehenden Wünsche in keiner Weise zu mindern. –