TBHB 1953-12-31
Einführung
BearbeitenDer Artikel TBHB 1953-12-31 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 31. Dezember 1953. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über vier Seiten.
Tagebuchauszüge
Bearbeiten[1] Bettinchen geht's heute besser sie ist heute morgen fieberfrei, wenn auch die Temperatur noch etwas zu hoch ist. Sie ist aber sehr blaß u. bleibt auch heute im Bettchen. Auch mir geht es etwas besser heute. Es ist kälter geworden u. draußen fällt der erste Schnee.
Gestern Abend zeichnete ich zehn Glückwunschkarten für Neujahr für diejenigen, welche uns Glückwünsche geschickt haben, da ich im Papiergeschäft nur scheußliche Sachen fand. –
Das Jahr ist nun zuende, der letzte Tag von 1953. Von morgen an trete ich der Jahreszahl nach in mein 69. Lebensjahr ein. Werde ich das siebenzigste noch erleben? – Immerhin kann ich schon sagen, daß ich 70 Jahre gelebt habe, das fehlende spielt dabei keine Rolle. Die Hälfte dieses Lebens habe ich nutzlos vertrödelt oder doch [2] verkehrt angewendet. Daß ich im Kadettencorps falsch erzogen wurde, dafür kann ich nicht verantwortlich gemacht werden u. auch dafür nicht, daß mein Start in meinen künstlerischen Beruf so kümmerlich vor sich ging, dafür trifft die Verantwortungslosigkeit meines Vaters die ganze Schuld. Und daß ich nachfolgende Zeit so wenig gut verwendete, dafür war wieder die Verkehrtheit der voraufgegangenen Zeit größtenteils verantwortlich. Ich war so schlecht u. so verkehrt erzogen, daß ich mit völlig falschen Voraussetzungen in's Leben ging u. nur immer Fehler über Fehler machte. So ist die Hälfte meines Lebens hingegangen, indem ich mühsam ablegen mußte, was mir törichterweise beigebracht worden war. Und dann, nach 1918, als die Möglichkeit eines neuen Anfanges gegeben war, wurde auch diese durch die Liquidierung des Voraufgegangenen beschattet. Immerhin hätte ich da noch mein Leben neu bauen können, wenn ich nicht in die Hände dieser Frau Wegscheider gefallen wäre. Nietzsche sagt im Zarathustra etwa: „Es ist furchbar, in die Hande eines brünstigen Weibes zu fallen!“ Jawohl, es ist furchtbar u. ich bin von dieser Frau völlig ausgesogen worden; aber dafür kann ich niemanden verantwortlich machen, als nur mich selbst. – Die Reue darüber quält mich zuweilen sehr. Sehr viele meiner Kollegen aus der Novembergruppe sind heute irgend etwas. Sie sind zwar größtenteils viel weniger künstlerisch begabt wie ich selbst u. was sie leisten, ist meist nichts Besonderes, aber sie haben sich doch wenigstens eine gesicherte, soziale Position errungen. Ich dagegen bin der Ehemann einer jungen Frau, Vater eines reizenden Kindes, aber künstlerisch bin ich so gut wie eine Null. Wenn ich die Bilder an den Wänden meines Ateliers betrachte, so finde ich nicht, daß sie eine epochemachende große Sensation sind. Ich mache nichts wirklich Neues, Originelles im Sinne wie die Großen, etwa Picasso oder andere; aber was ich mache ist gut, meine Bilder haben künstlerische Kultur, sie sind ernsthaft u. verantwortungsvoll u. sind besser als manche anderen derer, die heute einen großen Namen haben u. sich breit spreizen. Und doch bin ich eine Null, denn niemand kennt u. sieht diese Bilder, es ist so als ob sie garnicht existierten. – Bin ich nun dafür verantwortlich? – Nein! – Man kann nicht von mir verlangen, daß ich meine Bilder selbst verhökere, man kann von mir nichts verlangen, wofür ich nun einmal keine Begabung besitze. Man kann nicht von mir verlangen, daß ich die Verkehrtheit meiner ganzen Erziehung u. meines ganzen Lebens einfach verleugne u. jetzt etwas können soll, was ich nie im Leben gekonnt u. auch nie gelernt habe nämlich, meinen eigenen Vorteil wahrzunehmen. Es ist schlimm, daß Elisabeth dies nicht für mich tut. Ich hatte das erwartet u. sie selbst hatte mich das auch hoffen lassen. [3] Insofern bin ich also –, ich muß es sagen –, sehr enttäuscht von ihr. Als kürzlich Florian Breuer davon sprach, daß ich sehr gut einige Bilder hier nebenan in der Deutschen Bücherstube ausstellen u. vielleicht noch zu Weihnachten verkaufen könnte, meinte auch er, daß ich selbst das nicht machen könne, daß ich selbst nicht mit meinen Bildern hausieren gehen könne; aber er sagte, daß Elisab. das sehr wohl könnte, wenn sie nur Lust dazu hätte. Er fügte dann aber den Zweifel hinzu, ob sie dazu Lust haben würde. – Ich sprach dann mit E. darüber u. stellte fest, daß sie tatsächlich keine Lust hatte. Sie ist in der Bücherstube als gute Kundin wohl bekannt u. man würde sich zweifellos Mühe geben, ihr gefällig zu sein, wenn sie sich nur im Geringsten, darum bemühen würde; aber sie denkt nicht daran. Und so bleibt es bei dem, wie es ist. Anfangs' war's besser, sie überredete Charlotte Sinn u. Frau Dr. Falke zum Kauf, wobei letztere heute noch nicht den Preis ihres Bildes ganz beglichen hat. Aber immerhin hat sie etwas getan. Und sonst? Herrn Dr. Richter habe ich ein Bild so gut wie geschenkt, nur damit irgendwo ein Bild von mir hängt u. gesehen wird u. was ich sonst noch verkauft habe, hat meine Schwester Else gekauft. – Seit 1944, als ich wieder anfing, zu malen, also vor zehn Jahren, habe ich bis heute insgesamt 134 Bilder gemalt von denen ich allerdings einige übermalt habe, sodaß sie doppelt gezählt sind, es mögen aber doch rund 130 Bilder sein, welche tatsächlich existieren. Von diesen habe ich drei Stück an Else verkauft, eins wurde an einen Herrn Zieger u. eins an Herrn Dr. Krohn in Meißen verkauft, eins an die Bundesregierung, eins an Charlotte Sinn u. eins an Frau Dr. Falke verkauft, eins an Dr. Richter so gut wie verschenkt. Ich habe also in zehn Jahren ganze neun Bilder verkauft von 130 Stück! – Fünf weitere Bilder habe ich in dieser Zeit verschenkt u. zwei sind verliehen, also so gut wie verschenkt. Es sind also gerade sechzehn Bilder aus meinem Atelier hinausgegangen, das ist alles. Eine wahrhaft prächtige Bilanz von zehn Jahren Arbeit. Ich meine, ich hätte allen Grund, über diesen Mißerfolg sehr betrübt zu sein, aber noch betrübter bin ich, daß ich bei E. so gut wie garkein Verständnis für diese meine Betrübnis finde. Es ist eine sehr naive Vorstellung vieler Laien, die meinen, es müßte uns Künstlern völlig genügen, Werke zu schaffen, Anerkennung zu suchen finden sie geradezu minderwertig als Eitelkeit u. Materialismus.
Nun, das ist die Bilanz dieser letzten zehn Jahre in künstlerischer Hinsicht. Die Bilanz dieses letzten Jahres sieht wohl möglich noch trüber aus, denn ich bin zehn Jahre älter geworden u. es hat sich nichts geändert. Und 1954? – Am 25. Januar soll nun die Viermächtekonferenz in Berlin stattfinden. Ich glaube nicht daran, daß bei dieser Konferenz etwas herauskommen wird, sie wird ebenso ergebnislos verlaufen, wie [4] die früheren; aber ich glaube, daß es die letzte Konferenz sein wird. Wenn sie ergebnislos sein wird, dann wird nur noch die Gewalt eine Aenderung herbeiführen können; das ist zwar schrecklich, aber ich sehe keinen anderen Ausweg. Die einzige Hoffnung ist die, daß diesmal die Westmächte so gut vorbereitet sind, daß ein Krieg sehr rasch verläuft u. die Entscheidung sofort sichtbar wird. – Mit dieser Aussicht u. Erwartung überschreite ich also die Schwelle des Neuen Jahres. Es ist wahrhaftig kein Grund vorhanden, sich zu freuen. –
Elisab. hat von Wuhlgarten aus mit der Kinderärztin Frau Dr. Dähne telephoniert u. hat mitteilen lassen, daß Frau Dr. D. am Nachmittag herkommen u. Bettinchen untersuchen will. Ich glaube, daß das jetzt überflüssig geworden ist, aber sie wird nun wohl kommen.
Abends:
Frau Dr. Dähne war da u. untersuchte Bettinchen u. hörte sie ab. Es liegt kein Grund zur Besorgnis vor, es handelt sich offenbar um einen grippalen Infekt, der bereits im Abklingen ist. Frau Dr. D., die ja mit Elisab. zusammen in der Klinik entbunden hat war ganz entzückt über Bettinchens ausgezeichnete Gesundheit, sofern man von dem augenblicklichen Zustand absieht u. von ihrer prächtigen Körperbeschaffenheit, ihrem ebenmäßigen Wuchs u. ihren schönen Proportionen. sie erzählte von ihrem eigenen Kind, das ja nur wenige Stunden Unterschied mit Bettinchen hat u. das anscheinend übermäßig lebhaft ist. Körperlich soll es etwa ebenso wie Bettinchen sein, aber offenbar recht nervös. Sie meinte, daß Bettinchen mir doch sehr ähnlich sei, besonders die schmale Kopfform u. die Stirn. Bettinchen selbst hat sehr geschien, ließ sich dann aber doch ganz brav untersuchen u. war zuletzt sehr artig. –