TBHB 1946-12-22
Einführung
BearbeitenDer Artikel TBHB 1946-12-22 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 22. Dezember 1946. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über drei Seiten.
Tagebuchauszüge
Bearbeiten[1] Gestern am Spätnachmittag traf P. Beckmann ein um heute bei uns Gottesdienst zu halten. Er war über Nacht bei Frau Longard. Den Gottesdienst hatten wir erstmalig nicht im Hause, sondern bei Möller im Seezeichen in der Veranda, die ich mit einigen Sudetendeutschen Frauen gestern Nachmittag dazu hergerichtet hatte. Wir stellten zwei Tische zusammen u. bekamen so einen schönen, breiten Altar rechts u. links davon je ein Tannenbaum, auf den Altar Tannengrün, Stechpalmen. [2] mit roten Früchten u. Weidenkätzchen. Es sah sehr festlich aus. Hanschak hatte reichlich Brennholz herangeschleppt u. auch geheizt, es war in der Veranda bitter kalt. Heute früh hat er schon um 7 Uhr geheizt, wir haben eine Unmasse von Holz verfeuert u. so war es während des Hochamtes ganz erträglich. P. Beckmann kam um 8 Uhr u. hörte Beichte hier bei mir in meinem Zimmer. Auch ich ging zur Beichte. Um 9 Uhr begann das Hochamt, bei dem ich ministrierte. Bürgermeister Schröder saß am Harmonium, das wir aus der Schule geholt hatten u. spielte sehr gut, seine Frau war auch da. Es werden 60 – 70 Katholiken dagewesen sein u. es wäre unmöglich gewesen, so viele Menschen bei uns im Hause zu haben. Die Veranda war ausgezeichnet geeignet. P. Beckmann predigte mit Schwung u. Begeisterung. Es ist erstaunlich, wie er sich entwickelt hat, seit er damals zum ersten Male bei uns war u. schüchtern u. leise seine Ansprache hielt. – Wir frühstückten nachher zusammen u. er fuhr dann nach Wustrow wo um 2 Uhr Gottesdienst ist. Abends kommt er wieder zu Frau Longard zurück u. morgen früh wird er nochmals bei uns eine stille Messe lesen.
Es ist bitter kalt heute, aber es soll nach dem Rundfunk heute Nacht wärmer werden.
Heute war Dank des Hochamtes der erste richtige Advent, sonst geht das Leben im grauen Alltag dieser verfluchten Zeit ziemlich stark unter. Und das ist kein Wunder. Was hatte ich nicht erhofft von dieser Nachkriegs Zeit. Ich hatte Freiheit u. Demokratie erhofft, statt dessen werden wir immer stärker von einer neuen Diktatur bedroht, von der Diktatur des Proletariats. Auf politischem, wirtschaftlichem u. sozialem Gebiet sollte mich das nicht so sehr berühren, ich habe nichts dagegen, daß man diese ostelbischen Junker enteignet hat u. daß Monopole u. Trusts aus der Hand der bisherigen Besitzer in die Hand des russischen Staates übergehen, aber bedrückend ist dieser Herrschaftsanspruch auf kulturellem Gebiet. Die Forderung, daß die Künstler sich nach dem geistigen Niveau der Arbeiter zu richten hätten, wird immer lauter und dreister u. wenn dem nicht ein Riegel vorgeschoben wird, dann wird es wieder dazu kommen, daß alle fortschrittlichen Künstler unterdrückt werden, genau wie es bei den Nazis war. Ich warte auf den 10. März, wenn die Verhandlungen in Moskau beginnen sollen. Es ist kein gutes Omen, daß sie grade in Moskau sein werden; aber man wird dann wenigstens sehen können, wohin die Karre läuft. Am Ende wird man sich doch noch zur Auswanderung entschließen müssen.
Uebrigens überraschte mich P. Beckmann durch seine Stellung zu der Bleistiftskizze zu meinem künftigen Bild „Vernichtung“. Die Skizze lehnte auf meinem Schreibtisch an der Wand u. ich hatte vergessen, sie fortzunehmen. Er fing nach dem Frühstück von selbst davon an u. drückte mir seinen lebhaften Beifall aus. [3] Wir sprachen dann darüber u. ich sah, daß er ohne Schwierigkeit über die starken Deformationen hinweg kam, besonders stimmte er zu, als ich in Bezug auf die menschliche Figur den Psalmvers zitierte: „Ich bin ein Wurm kein Mensch“. Wir sprachen dann über die möglichen Farben u. er fand, daß Grün die einzig richtige Farbe für die Figur sei. Wir versuchten, zu erklären, wieso die Figur nicht anders als grün sein könne. Er konnte keine Erklärung geben. Ich sagte, daß Grün eben die Vernichtung des strahlend=aktiven Gelb sei, aber noch nicht absolute Aufgehen im passiven Blau. Es ist noch Widerstandswille im Grün, – also „Hoffnung“, wenngleich der Zuschauer auch die Hoffnunglosigkeit erkennt. Ich glaube, daß dies die richtige Erklärung ist. –