TBHB 1946-09-15
Einführung
BearbeitenDer Artikel TBHB 1946-09-15 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 15. September 1946. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.
Tagebuchauszüge
Bearbeiten[1] Gestern Abend traf die Pfarrhelferin, die jetzt in Ribnitz bei P. Beckmann stationiert ist, bei uns ein. Eine sehr sympatische, fromme u. dabei sehr aufgeschlossene u. frohgelaunte junge Dame, Berlinerin, Frl. Ruthenberg. Sie erzählte u. a. eine sehr interessante Begebenheit. Die SED. in Ribnitz hat den Vorsitzenden der Ortsgruppe der CDU., Herrn Querhammer, einen 66 jährigen Ribnitzer Geschäftsmann, angegriffen u. allerhand Vorwürfe erhoben. Darauf berief, die CDU. am Freitag eine Versammlung, um Herrn Querhammer Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äußern. In dieser Versammlung erschienen auch zwei russische Offiziere mit zwei Soldaten. Der zweite Vorsitzende, Direktor der höheren Schule, hielt eine einleitende Ansprache u. forderte dann Herrn Querhammer auf, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Darauf erhob sich einer der Offiziere u. verlangte sofort eine allgemeine Diskussion. Die Versammlung bestand jedoch darauf, das zuerst Herr Querhammer gehört werden sollte. Währenddem erschien der russ. Kommandant von Ribnitz mit einem Dolmetscher. Der Kommandant verlas in russ. Sprache einen Befehl, der angeblich aus Rostock gekommen sei u. der, wie sich aus der Uebersetzung ergab, die sofortige Schließung der Versammlung verfügte. Herr Querhammer selbst wurde durch die beiden russ. Soldaten verhaftet u. abgeführt, die Ortsgruppe der CDU. wurde für aufgelöst erklärt, d.h. daß über ihren eingebrachten Wahlvorschlag nicht abgestimmt werden kann, da er ungültig ist. Das ist natürlich der Zweck der Uebung.
Abends kam auch Fritz aus Berlin zurück. Er war auch bei Hildegard Wegscheider gewesen, die ihm ebenfalls interessante Sachen erzählt hat. Die SPD hat kürzlich in Bln. eine Versammlung abgehalten. Vorher haben die Russen der SPD. 100.000 Cigaretten angeboten, wenn man darauf verzichten würde, über Korruktionen in der Berliner Stadtverwaltung zu sprechen. Das Angebot ist natürlich abgelehnt worden. – Zu der Geschichte mit der Verschleppung von Jugendlichen u. Kindern in Berlin u. Brandenburg, von der kürzlich der „Telegraph“ zu berichten wußte u. die dann von den Russen, bzw. der SED. heftigst abgestritten wurde, sodaß auch ich glaubte, es handele sich nur um ein Wahlmanöver, sagte Hildegard, daß der Telegraph 300.000 Namen von Kindern besäße, die verschleppt worden seien, jedoch könne der Telegraph nichts machen, weil sonst die Angehörigen der Kinder gefährdet sind. Auch Vera Wendt hatte gesagt, sie wüßte mehrere Jugendliche, die verschleppt worden sein u. könne sie mit Namen u. Adresse nennen. – Fritz ist auch bei Anneliese gewesen. Diese war in Blumberg bei Karl=Ernst Wendt. Er hat ihr erzählt, daß vor einiger Zeit zwei junge russ. Oftiziere bei ihm gewesen seien, ein Leutnant u. ein Oberleutnant, u. an ihn das Ansinnen gestellt haben, er solle in die SED. eintreten. Karl-Ernst hat das standhaft abgelehnt. Darauf sind die Offiziere zu einem anderen Pfarrer gegangen u. haben dort dasselbe versucht, indem sie diesem [2] vorlogen, Karl=Ernst sei bereits zur SED. übergegangen. Der andere Pfarrer hat das aber nicht geglaubt u. hat sich ebenfalls geweigert. Darauf haben die Offiziere die beiden Pfarrer zum Essen eingeladen in der Hoffnung, sie betrunken zu machen u. sie dann leichter überreden zu können. Die Pfarrer haben sich aber gehütet, sodaß zuletzt die beiden Offiziere die Betrunkenen waren. In ihrer Trunkenheit haben sie dann ausgeplaudert, daß Stalin befohlen hätte, mit allen Mitteln dafür zu arbeiten, daß alle Deutschen, besonders die Intellektuellen in die SED. eintreten. –
So ist also die Situation, in der wir heute zur Wahl gehen. Martha u. ich waren bereits dort gleich nach der Messe, die wir heute um 8 Uhr früh hatten u. die sehr gut besucht war. Ich warf meinen Zettel in die Urne, nach dem ich vorher einen Strich guer darüber gemacht hatte. Ich tat das vorsichtshalber, da Fritz der Meinung ist, daß Wahlzettel, die ohne das Kreuz abgegeben werden, als Stimme für die SED. gelten. Fritz, der Vorsitzender des Wahlausschusses ist u. die Liste führt, meint, daß die Stimmung allgemein gegen die SED. ist u. er will sogar wissen, daß Wähler, deren Name selbst auf der Liste stehen, dennoch einen ungültigen Zettel abgeben.
Morgens nach der Messe frühstückten wir zusammen mit Frl. Ruthenberg u. unserem Professor, der Rauer heißen soll, im Eßzimmer, da es im Seezimmer zu eng war für 4 Personen.
Prol. R. klagt sehr, daß er im Kurhause nicht satt wird u. so bekommt er jeden Morgen seine Schrotsuppe bei uns, was ihn aber nicht hinderte, heute auch unser Brot u. unsere Butter zu essen, von der wir am Sonnabend mal wieder eine kleine Zuteilung bekommen haben. Ich finde jedenfalls, daß er einen recht guten Appetit hat. Heute Nachmittag muß er in Wustrow Gottesdienst halten. Es ist schlechtes Wetter, starker Südwest, u. er wird wohl morgen darüber bitter klagen.
Ich habe in all diesen Tagen abends an der Skizze zu dem Bilder „Kerker“ gearbeitet. Jetzt ist sie endlich so weit, daß ich eine größere Zeichnung dafür machen kann. Mein Bild „Aufbruch“ wird sehr gut.
Abends: Die Wahl hat in Ahrenshoop ergeben:
Wahlberechtigte: 243.
Abgegebene Stimmen: 227
Davon für die SED: 163
Ungültige Stimmen 64
227
Von diesen ungültigen Stimmen waren 34 leere Stimmzettel. Es wird sich erweisen, ob diese leeren Zettel von der Wahlbehörde in Ribnitz als ungültig anerkannt werden, – was sie zweifellos sein sollen. Immerhin ergibt dieses Resultat, daß es 64 anständige Menschen in Ahrenshoop gibt.
Herr u. Frau Dr. Ummus waren Nachmittags da, – sie brachten die Nachricht mit, daß am 20. Oktober in der ganzen russ. Zone Wahlen zu den Kreis= u. Landtagen stattfinden sollen. Diese Wahlen werden dann ein besseres Bild abgeben, da man dann ja auch andere Pateien wählen kann.