TBHB 1945-03
Einführung
BearbeitenDer Artikel TBHB 1945-03 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom März 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 22 Seiten.
Tagebuchauszüge
Bearbeiten[1] Der Vortrag über Lukas gestern Abend war wieder ein starker Erfolg. Diese Vorträge werden sehr segensreich sein. –
Gestern hörte Paul am Radio, daß die Lebensmittel-Rationen, die schon längst nicht mehr ausreichend sind, noch weiter gekürzt werden sollen. Der Hunger wird immer fühlbarer. Dabei muß ich acht geben, daß Grete, die sich gern das Leben bequem macht nicht auch noch unsere Lebensformen verproletarisiert. Seit einigen Tagen hat sie angefangen, das Essen einfach im Kochtopf auf den Tisch zu bringen, was ich mir heute sehr energisch verbeten habe.
Nachrichten habe ich seit 2 Tagen nur schlecht gehört. Heute hörte ich nur Richtlinien an die Bevölkerung in Trier, von den Amerikanern ausgegeben, wie sie sich verhalten sollten. Sie wurden aufgefordert, sich nicht evakuieren zu lassen, in die Keller zu gehen u. sich mit Lebensmitteln zu versorgen. Die Offensive im Westen scheint demnach weiterhin Fortschritte zu machen. – Inzwischen spricht sich mehr u. mehr durch, daß die Russen sich höflich u. anständig benehmen u. alle Gräulpropaganda haarsträubende Lüge ist.
[1][1] Gestern Abend Brf. v. Fritz, Nr. 12. v. 22.2. Es fehlt also Nr. 11. u. ebenso immer noch Nr. 9. – Brf. Nr. 11. ist offenbar sehr wichtig gewesen, er wird neue Veränderungen enthalten haben, insbesondere die neue Feldpost-Nummer 41050, die ich nun bloß der Absenderangabe auf dem Briefumschlag entnehme.
Er schreibt, daß er nun doch fortgekommen sei aus dem schönen Schwarzwald, offenbar ist aus dem Volkssturm nichts geworden. Sehr schade; aber Gott wird schon wissen, warum. Im Schwarzwald hat er gute u. ruhige Tage verlebt, kein Artilleriebeschuß u. keine Jagdbomber. Er war 10 Tage in Buchenbach auf dem Hitzenhof bei einem wohlhabenden Bauern in einer herzensguten Familie. Er schreibt, sie seien dort förmlich überfüttert worden, täglich wurde für die Soldaten Kuchen gebacken, täglich Pudding u. viel Milch; die Töchter waren nett u. einfach, noch nicht verwildert. Am Sonntag waren alle früh um 7 Uhr im Hochamt, alle in ihren Trachten u. sehr stolz, daß Kaplan Stegmiller das Hochamt zelebrierte. –
An diesem Sonntag war Fritz dann noch in Hinterzarten bei Frau v. Wolff, worüber er in Brf. Nr. 11. ausführlich berichtet hat. Vielleicht werden wir ihn noch bekommen. Jetzt scheint sich Fritz am „Kaiserstuhl“ zu befinden, ich weiß nicht, wo das ist, es scheint dicht am Rhein zu sein. Seine neue Einheit besteht aus einem sog. Bewährungsbtl. u. einem Sicherungsregiment. Er ist wieder im Einsatz, aber es ist nicht anzunehmen, daß der Feind an dieser Stelle einen Rheinübergang vornehmen wird. –
Von uns hat er die letzte Nachricht vom 28.1. Durch die Auflösung seiner bisherigen Feldpostnummer 43661. [2] wird wahrscheinlich sehr viel Post verloren gehen oder zurückkommen. Seine bisherige Einheit ist ja auf drei verschiedene Divisionen aufgeteilt worden. – Die Verpflegung ist noch immer reichlich, während wir hungern. Benzin gibt es nicht, die Wagen werden einfach stehen gelassen, bis jemand sie abholt. Bei der Abschlepperei mit Pferden werden die Wagen noch weiter ruiniert, u. da das immer bei Nacht geschehen muß wegen der Fliegergefahr, bleiben viele Wagen im Graben liegen.
Vorgestern kam übrigens eine Verfügung, daß alle noch irgendwo vorhandene Autoreifen abzugeben sind. So werden also wohl auch die Reifen von Fritzens Wagen abmontiert werden, falls es dazu überhaupt noch kommt. Meistens erledigen sich solche Sachen ja mit der erlassenen Verfügung, zur Ausführung kommt es gewöhnlich nicht.
Gestern Nachmittag setzte sehr starker Sturm ein, der über Nacht zwar etwas nachgelassen hat, aber immer noch heftig genug ist. Es ist daher kalt im Seezimmer, in dem ich Vormittags arbeite, seitdem Küntzels in meinen Zimmern wohnen. Wenn es erst wieder wärmer sein wird, werde ich wieder ins Atelier ziehen u. dort arbeiten.
Abends 10 Uhr bei der Kerze. – Nachmittags um 4 Uhr wurde Erich Seeberg beerdigt. Man hatte gehofft, Ando aus Graudenz mit dem Flugzeug herauszuholen, doch ist das offenbar nicht gelungen. – Die offizielle Rede hielt ein Theologe aus Greifswald, der ganz hervorragend u. sehr wissenschaftlich sprach u. einen großen Ueberblick über die Persönlichkeit des Verstorbenen als Kirchenhistoriker gab. Anschließend sprach ein junger Marinepfarrer aus Swinemünde als Vertreter der Schüler Erich Seebergs u. Nachfolger Bengt Seebergs in Swinemünde, der in der Hauptsache über Bengt sprach. Ihm folgte Dr. Ziel für die Freunde Seebergs u. zum Schluß Prof. Curschmann aus Rostock als Freund u. Arzt. Alle diese Reden hatten ein bedeutendes Niveau, aber die ganze Feier war anstrengend, sie dauerte von 4 – 6 Uhr. – Frau S. benahm sich bemerkenswert gut. Es war sehr hübsch, daß man dem Sarge gegenüber das große Bildnis von Reinhold S. aufgehängt hatte. Mit Erich ist nun nach dem Tode Bengts diese Theologen=Tradition erloschen.
Abends kam Brf. Nr. 11. von Fritz vom 18.2., mit der neuen Feldpost-Nummer. Da der letzte Brf., den er von uns bekommen hat, vom 28. Jan. war, werden wohl alle Briefe der letzten 4 Wochen verloren gehen.
Er schreibt, daß seine neue Einheit bei Straßburg eingesetzt werden solle, wenn sich das nicht inzwischen wieder geändert hat, müßte also der Brf. Nr. 12. vom 22.2. aus dieser Gegend geschrieben sein. – Dieser Brf. Nr. 11. v. 18.2. ist noch aus dem Schwarzwalde geschrieben, am Abend eines Sonntags, an dem er mit einem geliehenen Fahrrad nach Hinterzarten zu Frau v. Wolff gefahren war u. nun sehr beglückt von diesem Ausflug zurückgekehrt war. Er war von Mittags 12 bis Nachm. 6 Uhr dort, wo man ihn offenbar [3] überaus herzlich aufgenommen hat. Besonders scheint er von der Tochter Maria v. Wendelstadt eingenommen gewesen zu sein, die nach Martha's Urteil sehr nett sein soll, – ich kenne sie nicht. Außerdem schreibt er von einem Onkel, vermutlich dem Bruder des Barons v. Wolff, der, wie Fr. schreibt, „Dich“ gut kannte. Leider ist nicht ersichtlich, ob damit Martha oder ich gemeint ist, – wir können uns beide nicht besinnen, ihn zu kennen. –
Im Westen scheint die Offensive rasch voran zu gehen. M=Gladbach u. Trier sind erobert, heute auch Krefeld. Es scheint, daß die ganze Verteidigung von Bonn an bis Wesel zusammengebrochen ist u. unsere Truppen in ziemlicher Verwirrung über den Rhein zurückgehen. – Im Osten haben die Russen neue Fortschritte in Pommern gemacht, wo sie von Süden her gegen Köslin vorstoßen. Sie werden dort wohl erhebliche Teile unserer Truppen östlich Köslin wieder abschneiden.
Gestern Abend besuchte mich kurz Ferdinand Bierwirth, der nun zum 2. male mit seinem Schiff untergegangen u. gerettet worden ist, diesmal vor Swinemünde, wo sie auf eine russ. Mine gelaufen sind. Er sah noch recht mitgenommen aus.
Heute Nachm. war Kurt Spangenberg da u. erzählte von der erheblichen Verwirrung, die in Schwerin herrscht. Der Hunger nimmt überall rasch zu, auch hier bei uns. Es wird von nun ab nur noch 1/2 Pfund Butter im Monat geben, die Brotrationen werden weiter gekürzt, ebenso alles Uebrige. Es gibt kein Salz.
Bei der Beerdigung begrüßte uns Partikel, der mit dem Rad von Königsberg gekommen ist u. sehr elend aussieht.
Seit Wochen ist das Telephon eingeschränkt, jetzt ist es gänzlich eingestellt. – Von Else gestern ein Brief, sie hat weder meinen letzten Brief erhalten, noch Briefe, die Küntzels geschrieben haben. – Eva Küntzes, die bei ihrer Schwester Inge in der Gegend von Senftenberg ist, will von dort weg, um nach Rostock zu kommen, wo ein ihr bekannter Arzt sie aufnehmen will zu ihrer Entbindung. – Es ist Elend über Elend, unser Ort wird immer voller.
Gestern Nachmittag Herr + Frau Prof. Triebsch zum Tee im Seezimmer. Es war anregend u. nett, besonders die Frau, die ich sehr gern mag. Wir sprachen noch viel von Seebergs Beerdigung, wobei sich Triebsch besonders über die Bemerkung des Dr. Ziel in dessen Rede gefreut hat, daß Erich S. stets ein treuer Freund gewesen sei u. sich von solcher Freundschaft auch nicht zurückgezogen habe, als dieselbe in den Augen der Nazis anstößig geworden war. Es war das auf Herrn + Frau Dr. Dross gemünzt gewesen, die früher mit Ziels eng befreundet gewesen u. sich mit ihnen sogar geduzt hatten, aber seit 1933 diese Freundschaft brüsk abgebrochen haben. Frau Dr. Dross war bei der Rede zugegen u. jeder wußte, wie das gemeint war. –
Gestern Abend wurde bekannt, daß die Anglo-Amerik. jetzt fast das ganze westl. Rheinufer nördlich Bonn besetzt haben, unsere Truppen sind überall in ziemlich hastigem Rückzug über den Rhein bis nach [4] Wesel hinauf. – Die Russen haben Kolberg u. Köslin erreicht, damit die Ostsee, u. haben alle Truppen östlich davon abgeschnitten. Da sie in sehr breiter Front die Ostsee erreicht haben, ist ein Entsatz dieser im Raum von Danzig abgeschnittenen Teile kaum mehr möglich.
Gestern Vormittag erschien überraschend Wollesen der auf einer Dienstreise nach Prag einen Abstecher hierher gemacht hat. Seine Division ist vom Westen nach Ungarn an den Plattensee gekommen. Auf meine erstaunte Frage, wieso man eine SS=Division gerade jetzt während der West-Offensive von dort fortnehme, um sie auf einen Nebenkriegsschauplatz zu schicken, meinte er, Ungarn würde jetzt Hauptkriegsschauplatz werden. Ich schwieg dazu u. dachte mir mein Teil, denn mit diesem SS=Jüngling muß man vorsichtig umgehen, er ist Hauptmann geworden u. trägt das KVKI u. er weiß alles! Also soll demnach jetzt der Rhein wohl nur noch hinhaltend verteidigt werden, nachdem das Westufer von Bonn bis Cleve verloren ist u. man wird alle Kraft auf den Süden der Ostfront konzentrieren, um – – den Obersalzberg zu verteidigen. Norddeutschland einschl. Berlin ist ebenso nebensächlich. – Dem entspricht auch, daß Wollesen die Absicht hat, Erika nach Hamburg zu bringen, damit sie hier nicht den Russen in die Hände fällt. Er glaubt also selbst nicht an eine Verteidigung Norddeutschlands. Wir sind freilich alle sehr froh, wenn wir Erika auf diese Weise loswerden. – Dennoch glaubt der junge Mann immer noch an einen deutschen Sieg.
Gestern wurde Köln von den Anglo-Amerik. eingenommen. Wir haben jetzt nur noch einen kleinen Brückenkopf bei Wesel links des Rheines.
In Pommern sind die Russen dicht vor Stettin, womit die Lage für uns bedrohlich wird. Indessen glaube ich nicht, daß die Russen Stettin über die Oder angreifen werden u. südlich können sie diese Stadt nicht umgehen, solange Küstrin u. Frankfurt noch in unserem Besitz sind. Aber selbst dann, wenn diese Städte verloren gehen werden, werden die Russen kaum zwischen Berlin u. Stettin vorstoßen, es wird wohl immer beim Durchstoß südlich Berlin bleiben. – Graudenz ist gestern gefallen.
Heute Brief Nr. 13 vom 25.2. von Fritz. Er muß seinen Standort wieder wechseln. Der Stabs-Arzt ist nicht mehr Regimentsarzt, sondern nur noch Bataillons-Arzt bei einem Sicherungs-Bataillon. Die Feldpost-Nummer bleibt zum Glück dieselbe. Leider ist Fritz auf diese Weise nicht mehr mit Feldw. Stegmiller zusammen, der bei der Stabskompanie verblieben ist. Fritz ist nun Schreiber beim Bat.-Arzt. Der neue Standort ist dicht am Rhein. Sehr nett ist es, daß der Stabsarzt Fritz aufgetragen hat, Grüße an uns zu bestellen, als er sah, daß Fritz an uns schrieb.
Die Trennung von Küntzels vom Essen läßt sich [5] zunächst überaus vorteilhaft an. Spangenberg brachte uns ein fettes Huhn, von dem wir gestern u. heute aßen u. noch morgen haben. Auch sonst ist es viel besser, da Grete garkeinen Sinn für angenehme Aufmachung hat u. das Essen bei ihr immer langweilig aussieht u. auch so schmeckt.
Paul macht uns Sorge. Es fehlt ihm zwar nichts, aber er sieht schlecht aus u. schläft am Tage leicht ein. Er ist bestimmt nicht gesund u. läßt sich von den Tagesereignissen sehr bedrücken.
Gestern Abend beim Vortrag schlief eine Höherin ein u. fing an zu schnarchen. Ich glaube, es war Frau Sadom, die Schwägerin von Frau Lücke, welche beide gestern da waren, nachdem sie nur den ersten, einleitenden Vortrag gehört hatten, an den anderen Abenden fehlten sie. Solche Frauen sind natürlich überaus störend. Es fehlten gestern leider Frau Dr. Müller-Bardey u. Frl. Wernecke, die beide krank sind, ebenso fehlte die Hoffmann=Tochter Frau Pilster. – Während des Vortrages war wieder starkes Fliegergeräusch zu hören. Gestern Abend haben sie Saßnitz anscheinend sehr schwer angegriffen, im Hafen lagen mehrere Schiffe. Der Krieg rückt uns bedenklich auf den Hals. Swinemünde ist jetzt Kriegsgebiet.
Hollesen ist immer noch da, es heißt, daß er morgen fahren will.
Eben zwischen 11 – 12 Uhr war Herr Soehlke hier. Er sah furchtbar elend aus, hat 25 Stunden gebraucht, um von Berlin hierher zu kommen, u. erzählte schreckliche Dinge. Von seinen Angestellten, mehreren Hundert, hat er den größten Teil entlassen müssen, der kleine Rest sitzt herum u. tut nichts. So wie bei ihm ist es bei allen Firmen u. Unternehmungen, die Arbeitslosigkeit wächst daher rapide. Berlin selbst ist nach den letzten Luftangriffen eine völlige Ruinenstadt geworden, unter den Trümmern liegen noch Tausende von Leichen. Durch die Trümmer fahren Lastautos mit schwer bewaffneter SS. Man sieht Plakate, welche lange Namensreihen von Leuten enthalten, – Offiziere, Soldaten, Zivilisten –, die standrechtlich erschossen worden sind. Es gibt nichts zu essen, kein Wasser, kein Gas, keinen Strom. Ganz Berlin ist abgesperrt u. kein Mann kann die Stadt verlassen, wenn er nicht Gefahr laufen will, erschossen zu werden. Es muß grauenhaft sein. Die Regierungsstellen haben Bln. natürlich längst verlassen, das Volk muß da bleiben u. Barrikaden bauen, die natürlich lächerlich sind. Jetzt wird Stettin evakuiert, heute sollen viele Flüchtlinge in Wustrow u. Althagen ankommen, dabei ist es sehr kalt, es schneit u. regnet durcheinander. –
Herr S. muß in Berlin bleiben. Er ist besorgt um seine Frau u. die Kinder, ich habe ihm, so gut ich konnte, die Sorge ausgeredet. Er ist ja auch ein sehr verständiger Mann. – Das Volk ist natürlich verbittert u. schimpft. Dabei fährt die Regierung fort, ihre Gräuel-Propaganda gegen die Russen zu treiben, sagt aber dem Volk nicht, wohin es flüchten soll. Die Gewissenlosigkeit dieser [6] Verbrecherbande ist grenzenlos. – Und da kommt dann solch ein Dummkopf wie mein Neffe Wollesen daher u. faselt davon, wie gut die Stimmung der Berliner wäre.
Heute Vormittag für Ruth's Kinder zwei Ostereier bemalt. Ob sie wohl hinkommen werden? Nach dem, was Herr Soehlke erzählte, ist das wenig wahrscheinlich, das allgemeine Chaos ist bereits da. – Er war übrigens derselben Meinung wie ich, daß diese Nazis nur noch den einen Plan haben, Oesterreich u. ev. Bayern zu verteidigen, oder, wie ich es ausdrücke: den Obersalzberg.
Gestern abend verabschiedete sich Wollesen, er ist heute in aller Frühe abgefahren. Wir legten ihm nahe, Erika hier fort zu bringen, ehe die Russen kommen, was ja auch seine Absicht war, doch läßt es sich nicht so leicht verwirklichen. Er sagte aber zu, es zu versuchen. Er ist ein sehr flacher Mensch ohne wesentliche Interessen, außer dem einen, es zu Wohlstand u. Ansehen zu bringen. Das dürfte ihm nach dem Kriege nur sehr schwer werden, denn irgend welche besonderen Fähigkeiten besitzt er nicht. Ein Mensch aus dem Volke, ohne traditionelle oder kulturelle Verbundenheit. Er fühlt garnicht, daß mit Städten wie Köln u. Dresden deutsche Vergangenheit u. Kultur unwiederbringlich verloren gegangen sind, ihm genügt es, daß man das alles nachher ja wieder aufbauen kann. Ein echtes Produkt nationalsozialistischer Erziehung u. Kulturlosigkeit.
Abends war Frau v. Achenbach da, – ziemlich langweilig.
Die Amerikaner haben südlich Bonn bei Rehmagen den Rhein überschritten. Das ist freilich überraschend. Heute heißt es, daß sie bei der Ueberquerung keinen nennenswerten Widerstand gefunden hätten u. daß auch jetzt rechts des Rheines noch kein nennenswerter Widerstand zu spüren wäre. Sie haben Godesberg besetzt u. sind dabei, Bonn zu säubern. Es scheint demnach, als ob bei diesem Rückzug über den Rhein eine ebenso große Verwirrung entstanden ist, wie sie Fritz beschrieb beim Rückzug in seinem Abschnitt. Hoffentlich nutzen die Amerikaner diesen Vorteil kräftig aus. Die Gefangenenzahlen steigen ständig, man sagt von 6000 Gefangenen täglich, demnach scheinen unsere Soldaten die Nutzlosigkeit einzusehen u. sich zu übergeben. Das ist die einzige Art einer baldigen Beendigung des Krieges.
Heute vertrat auch der engl. Sender die Meinung, daß Hitler ganz Deutschland aufgeben werde, um sich mit den Resten der SS u. seinen Kumpanen in die Gegend von Berchtesgaden zurück zu ziehen u. einen Bandenkrieg zu führen.
Da sehr schönes Wetter ist, haben wir beschlossen, den lange gehegten Plan durchzuführen u. am Sonntag nach Müritz zum Hochamt zu fahren mit Spangenberg.
Wir sind nicht nach Müritz gefahren, da sich das Wetter wieder verschlechtert hatte. Es war besonders gestern kalt u. stürmisch.
Gestern Abend Herr u. Frau Ziel. Beide waren etwas besorgt, Herr Dr. Burgartz hatte sie nervös gemacht. [7] Dieser Mann war nämlich vor einigen Tagen auf Zureden verschiedener aufgeregter junger Frauen zu Prof. Reinmöller gegangen, weil das Gerücht umhergeht, er wolle, falls Russen kämen, schießen. Es ist das bei diesem Narren durchaus glaubwürdig u. das würde den Ruin des ganzen Ortes bedeuten; aber Herr Dr. B. hat sich eingebildet, diesen Idioten umstimmen zu können. Er soll sich, wie es heißt, eine Abfuhr geholt haben. Darauf ist er zu Dr. Ziel gegangen u. hat ihm u. seiner Frau gegenüber Andeutungen gemacht, es gäbe hier im Ort zwei Leute, welche die Absicht hätten, ihn, Dr. Ziel, zu ermorden, falls die Russen kämen, da Dr. Ziel „als roter Funktionär“ ihnen verdächtig wäre. Dieses Wort paßt nur auf Prof. R., der es verschiedentlich gebraucht hat im Hinblick auf Dr. Ziel. Wer der andere ist, wußte er nicht, – ich meinte, es könne nur Dr. Zabel sein, der ein fanatischer Nazi ist u. mit Prof. R. verkehrt. – Dr Ziel fragte mich nun, was er tun solle, ob es vielleicht gut sei, von hier fort zu gehen. Ich riet ihm sehr ab. Erstens ist Herr Dr. Burgartz ein eitler, geltungsbedürftiger Mensch, der aus der Fliege einen Elefanten macht, um sich aufzublasen, u. zweitens halte ich solche Reden des Prof. R. für ebenso dummes Geschwätz, wie es dieser Mann seit Jahren schon von sich gibt. Ich versprach ihm, zu Herrn Deutschmann zu gehen u. ihm davon vertraulich Mitteilung zu machen u. ihn überhaupt aufmerksam zu machen, daß Prof. R. mit solchem Geschwätz alle Frauen verrückt macht. Sie sind so schon fast alle durchgedreht u. viele von ihnen verlassen den Ort, um nach dem Westen zu gehen, weil sie lieber den Engländern od. Amerikanern in d. Hände fallen wollen, als den Russen, von denen die furchtbarsten Gräuelgeschichten amtlich kolportiert werden. Diese gewissenlose Propaganda ist das Gemeinste, was sich denken läßt, denn man sagt den verängstigten Leuten nicht, wohin sie fliehen sollen. –
Die Attentats=Geschichte v. 20. Juli findet neuerdings eine bedeutsame Erweiterung, indem man erzählt, Feldmarschall Rommel sei auch in diese Sache verwickelt gewesen, doch sei er kurz vorher durch Fliegerangriff an der normannischen Front schwer verwundet worden u. dann gestorben. Er hat zwar ein Staatsbegräbnis erhalten, aber es fiel damals auf, daß der Führer nicht da war. Es kann auch sein, daß Rommel verwundet worden ist u. dann von der SS umgebracht wurde, denn damals hieß es, seine Verwundung sei nicht so schwer u. er sei außer Lebensgefahr. Sein Tod erfolgte dann plötzlich u. unerwartet. –
In der letzten Woche sollen Verhandlungen zwischen der Sowjet=Union u. dem Vatikan in Rom stattgefunden haben. Die Verbürgerlichung des Bolschewismus macht Fortschritte, er wird diesen Krieg nicht überleben.
[8]Gestern Nachmittag waren wir bei Carmen Grantz, deren Haus wir nach einigem Suchen gegenüber der Batterie ganz hinten am Bodden fanden. Die Räumlichkeiten u. die Einrichtung sind überaus bescheiden. Wir lernten die Mutter kennen, eine noch sehr lebhafte Greisin, geborene Baltin aus Libau, die sehr lebendig zu erzählen wußte aus dem Baltenlande. Auch ist sie eine Patientin von Zeileis, von dem sie mit großer Verehrung sprach u. Wunderdinge zu berichten wußte. Die alte Dame hatte kürzlich Geburtstag gehabt, den wir vergaßen, Martha hatte einige Geschenke eingepackt u. mitgebracht. –
Abends waren Partikels bei uns. Es war sehr anregend. P. erzählte von seiner Flucht per Rad aus Königsberg hierher u. von den Erfahrungen, die er bisher mit Russen gemacht hatte, oder von denen er gehört hatte. Es ist demnach nicht so schlimm. Natürlich hängt alles davon ab, ob eine Gegend Kampfgebiet ist, oder ob die Russen nur durchziehen u. besetzen, u. die Truppen selbst werden auch unterschiedlich sein. Nach wie vor habe ich keine große Sorge, da ich hoffe, daß wir hier niemals Kampfgebiet sein werden. Die Nervosität im Dorf ist aber sehr groß. – P. erzählte mir von jenem Erlebnis mit Herrn Dr. Zabel lange vor dem Kriege, wohl bald nach 1933. Er war eines Abends mit einem jungen Meisterschüler der Königsb. Akademie bei Dr. Z. eingeladen u. dort traf er auch dessen Schwiegersohn, der eine nationalsoz. Weltanschauung=Schulung durchgemacht hatte u. nun mit den dort gelernten Schlagworten um sich warf. Natürlich verfehlte er auch nicht, die kathol. Kirche anzugreifen. Der junge königsb. Maler war nun Katholik. Er trat für die Kirche ein. Der Schwiegersohn von Dr. Z. wurde ausfallend u. persönlich u. es gab scharfe Auseinandersetzungen u. Drohungen, sodaß Partikel mit dem jungen Maler das Haus verließ. Zwei Monate später kamen Gestapo-Beamte zu Partikel in Königsberg, um ihn über die Sache zu vernehmen. Der Kerl hatte also tatsächlich P. u. den jungen Maler denunziert. Es kam zwar weiter nichts dabei heraus; aber diese Geschichte ist doch sehr bemerkenswert. –
Heute früh wurde bekannt, daß die Russen Küstrin auf dem direkten Anmarschwege nach Berlin erobert haben. –
Am Montag Abend bekamen wir von Fritz wieder Nachricht. Leider hat Martha diesen Brf. gleich am Ruth geschickt, es war Brf. Nr. 13, Datum v. 25. oder 28. Februar, genau weiß ich es nicht. Er hat auch eine Ortsangabe gemacht, die ich nun auch nicht mehr weiß, aber er ist nach wie vor am „Kaiserstuhl“, – ich weiß nicht, wo das ist, wahrscheinlich wird das ja ein Berg sein. Jedenfalls ist es dort, wo er ist, sehr ruhig. Sie betreuen ärztlich ein Sicherungs-Bataillon, dessen Mannschaften aus 40 – 50 jährigen Leuten bestehen, die wenig zuverlässig sind, – u. sehr unsauber, wie Fritz schreibt. Die San-Staffel wohnt in einem Zollhause, das erst kurz vor dem [9] Kriege nach Schema F errichtet worden ist u. einen bombensicheren Keller hat. Fritz beschreibt sehr ulkig die Wohnungseinrichtung des Zoll. Assistenten, die dieser zurückgelassen hat. –
Gestern Nachmittag besuchte ich Frau Krauss, die nach ihrer Operation u. den strapaziösen Reisen nachher sehr elend ist. Sie wurde in Berlin im Gertrauden-Krankenhaus operiert u. war sehr angetan von diesem Krankenhause. Von dort aus ging sie zur Erholung nach Beskow zu ihrer Tochter, doch wurden sie, kaum daß Frau K. dort angekommen war, nach Celle evakuiert. Frau K. machte aber diese Evakuierung nicht mit, sondern fuhr nach Rostock, wo sie nochmals bestrahlt werden mußte u. nun ist sie hier. Frau K. erzählte von der Kopflosigkeit der Evakuierung aus Beskow. Ihre Tochter ist dort bei irgend einer Behörde. Alle Mitglieder derselben wurden eines Morgens um 4 Uhr in Autos verladen u. nun ging es los über die von Flüchtlings-Trecks verstopften Straßen. Sie kamen um 1 Uhr Nachts in Magdeburg an, blieben dort irgendwo stehen u. schliefen im Wagen. Am Morgen fuhren sie weiter nach Celle, wo nur eine häßliche Baracke für sie bereit stand, in der sie auf die Dauer nicht bleiben konnten. So fuhren sie wieder nach Beskow zurück, wo sie jetzt wieder sind. –
Frau Seeberg war in diesen Tagen in Sorgenfrei, dem Gut ihres Schwagers hier irgendwo in der Nähe. Sie erzählte, daß eine Autokolonne dort durchgekommen sei, die von dem General d. Polizei Lorenz angeführt wurde u. in der sich die Tochter dieses Halunken befand mit einem Berg von 21 Koffern. Diese Tochter ist hier irgendwo mit einem Gutsbesitzer Kikebusch verheiratet u. ist nun geflüchtet. Diese Gesellschaft wird ja ihrem Schicksal nicht entgehen. Kein Mensch hat Benzin u. Autoreifen sollen abgeliefert werden, neuerdings sogar die Fahrräder, aber diese Bande fährt mit ihren Autos im Lande herum u. sagen zu uns: „Ihr müßt Euch im Boden festkrallen“.
Gestern Nachmittag 3 Uhr ging der Strom aus u. kam nicht wieder bis 1/2 11 Uhr Nachts. Heute früh 7 Uhr wurde wieder ausgeschaltet. – Der Mittwoch-Vortrag mußte nun ganz bei Notbeleuchtung stattfinden, was sonst nur immer in der zweiten Hälfte der Fall war. Nach dem Vortrag blieb Frau Dr. Müller-Barday noch da. Wustrow, Alt= u. Niehagen haben wieder neue Flüchtlinge bekommen, alle Häuser sind übervoll, ganz egal, ob die Räume heizbar sind, oder nicht. Die Gemeinden müssen die Flüchtlinge aufnehmen, ob sie Platz haben oder nicht, danach wird nicht gefragt. Das Städtchen Damgarten ist längst überbelegt u. es ist beim besten Willen nicht möglich, auch nur noch einen Menschen unterzubringen. Trotzdem wurde ein Eisenbahnzug voll Flüchtlinge dorthin geleitet. Der Bürgermeister weigerte sich, die Leute aufzunehmen u. ließ den Zug weiterfahren. Drei Tage später wurde der Bürgermeister verhaftet u. in ein Konzentrationslager verschleppt. In Wustrow ist nun bereits Ruhr [10] ausgebrochen, die Schule ist deshalb geschlossen worden. Es sind tolle Zustände. Dazu kommt die Angst der Frauen, besonders der jungen Mütter. Diese Angst wird immer größer, denn sie wird von der Regierung ja immer weiter geschürt. Es ist eine abgrundtiefe Gewissenlosigkeit u. Gemeinheit. –
Gestern hörte ich, daß die Gestapo von Berlin nach Bregenz verlegt worden sei. Man will dort vermutlich den Terror noch steigern, denn dieses ganze süddeutsche Alpengebiet soll ja die letzte Verteidigungsstellung dieser Verbrecherbanden werden.
Wenn es künftig nur noch Nachts Strom geben sollte, wird man aufbleiben müssen, um wenigstens Nachts Nachrichten zu hören. Es ist ja von großer Wichtigkeit, daß man weiß, was los ist. – Nach dem, was Frau Dr. Müller-Bardey sagt, scheint nun ja auch Dr. Krappmann langsam den Kopf zu verlieren. Er will nun doch seine Frau mit d. Kindern fortschicken, was natürlich auf die Bevölkerung alarmierend wirkt. – Die neu angekommenen Flüchtlinge in Althagen sollen ein Bild unüberbietbaren Elends geboten haben, die Leute besitzen nichts als das, was sie auf dem Leibe haben, u. das sind Lumpen. – Der 18jährige Sohn von Frau Dr. M-B. ist jetzt Ausbilder für den Volkssturm, also Männer zwischen 50 – 60 Jahren.
Der elektr. Strom wird jetzt anscheinend regelmäßig um 7 Uhr Morgens ausgeschaltet. Gestern wurde er um die Mittagszeit wieder eingeschaltet, aber gerade um 2 Uhr zur Sendezeit der Nachrichten war's dann wieder aus. Um 6 Uhr Nachmittags wurde er wieder eingeschaltet bis 1/2 9 Uhr Abends, sodaß man wenigstens um 8 Uhr Nachrichten hören konnte.
Die Amerikaner haben südwestlich von Koblenz zwei neue Brückenköpfe über die Mosel errichtet, sodaß das Saargebiet im Rücken bedroht ist. Der Rheinbrückenkopf bei Rehmagen ist weiter ausgeweitet u. hat die Autobahn Köln-Frankfurt annähernd erreicht. Die Luftangriffe gehen unvermindert weiter, gestern erstmaliger Angriff auf Bielefeld mit einer neuen 10=Tonnen-Bombe, die 8 mtr. lang ist u. über 1 mtr. dick. Auch war wieder ein Tagesangriff auf Berlin mit 1300 Bombern u. 700 Jägern, außer den Nachtangriffen, der 22te in 22 Nächten.
Die Russen haben Nachrichtensperre. Es geht nun dort also der letzte Stoß vor sich, doch wahrscheinlich auf Berlin, doch weiß man nichts weiter.
Gestern Abend kurz Frau Seeberg. Ihre Tochtes Erika will nun doch mit ihrem Mann, der nach seiner Verwundung beim Luftangriff auf Dresden hier ist, die Gegend verlassen. Der Mann hatte eine schwere Gehirnerschütterung u. innere Quetschungen davongetragen u. soll in einem sehr schlechten Zustand sein, aber er fürchtet, den Russen in d. Hände zu fallen, wenn er hier bleibt u. da er Offizier ist, ist diese Furcht [11] wohl verständlich. Er will mit Erika nach dem Westen u. dort die Ankunft der Amerikaner abwarten. Es ist ein Zeichen der allgem. Auflösung, daß seine Dienststelle sich anscheinend garnicht um ihn kümmert. Das kleine Kind soll hier bei der Großmutter S. bleiben. Diese spricht nun ganz offen davon, daß das Kind einen Klumpfuß hat, was bisher verschwiegen wurde u. mir gerüchtweise bekannt war. Das Kind soll in Rostock bei einem Spezialisten operiert werden, der der Meinung ist, daß er den Klumpfuß ganz beseitigen könne. Diese Operation kann wegen Raummangel erst in 3 Wochen vorgenommen werden. Anschließend soll das Kind noch 4 Wochen nach Kühlungsborn zur othopäd. Behandlung. Ob die Russen diese notwendigen 8 Wochen uns noch schenken werden, ist die Frage. –
Frau S. sagte mir, daß ich die kathol. Dogmatik von Schmauss, um die ich sie gebeten hatte, haben könne. Ich will in diesen Tagen hingehen u. sie holen.
Gestern Nachmittag wurde das Dorf plötzlich u. unvorbereitet mit 150 neuen Flüchtlingen belegt. Wir selbst sind verschont geblieben, aber sonst sind viele Häuser belegt worden, darunter auch Ziels mit drei Personen. Der notwendige Raum mußte innerhalb drei Stunden belegbar sein. Für das alte Ehepaar Ziel war das einfach unmöglich u. so gingen wir, Martha, Trude u. ich, hin, um zu helfen. Ziels haben entsetzlich viel Kram. In dem Zimmer, das frei gemacht werden mußte, war Ziels Bibliothek mit 2000 Bänden. Frau Dr. Hahn half ebenfalls mit. Als wir endlich das Zimmer freigeräumt hatten, schleppten Ziel u. ich die drei Betten aus einem Schuppen im Haus u. nach oben über eine schrecklich enge u. steile Stiege, u. als alles oben war, stellten wir fest, daß die Matratzen nicht in die Bettgestelle hineinpaßten. Der alte Ziel war erschöpft, wir anderen ebenfalls. Inzwischen kam Frau Langner u. kündete an, daß die Flüchtlinge nun kämen. Ich weiß nicht, was aus der Sache geworden ist, Martha u. ich gingen mit Trude nachhause. Ich habe ein schlechtes Gewissen, die alten Leute allein gelassen zu haben, aber wir konnten ja weiter nichts tun. –
Abends war das Breslauer Ehepaar zum Rosenkranz bei uns wie jeden Freitag in der Fasten= u. Passionszeit. Vorher hörten wir die Wochenchronik von J. R. v. Salis, die überaus interessant war. Er sprach von Gerüchten, die sich trotz aller Dementis hartnäckig erhalten, daß Ribbentrop über Stockholm Friedensfühler ausgestreckt habe auf der Basis, daß im Falle der deutschen Niederlage ganz Europa dem Bolschewismus anheimfalle. Das ist ja die alte Propaganda=Idee der Nazis. J. R. v. Salis meinte nun dazu, daß zwar besonders in letzter Zeit manche Differenzen zwischen Ango-Amerika einerseits u. Rußland andererseits aufgetaucht seien, daß es aber nach der Konferenz von Jalta ausgeschlossen sei, Uneinigkeit in Bezug auf die Kriegführung unter den Alliierten hervorzurufen. Er erwähnte die Rede, die Churchill in dieser Woche vor seiner konservativen Partei [12] gehalten hat u. in der er das Ende des Krieges wiederum etwas hinausgeschoben hat auf den Spätsommer, doch „vielleicht auch früher“. Er meinte, der Krieg würde entweder mit der totalen Niederlage Deutschlands enden, oder mit einem totalen Chaos in Deutschland. v. Salis erwähnte ferner, es ginge das Gerücht, Feldmarschall v. Rundstedt habe an Eisenhower gewisse Angebote gemacht. Auch dieses Gerücht wurde dementiert, aber die amerikan. Regierung habe verlautbart, daß Eisenhower, bzw. Amerika, bereit seien, die Kapitulation größerer Heeresverbände oder ganzer Armeen anzunehmen, jedoch käme deshalb noch kein Waffenstillstand in Frage. Von dieser Verlautbarung hatte ich bereits 2 – 3 Tage vorher gehört u. sie ist auffällig genug. Solche Verlautbarungen macht man nicht, es sei denn, sie wären die Antwort auf eine voraufgegangene Anfrage. – Es muß also trotz aller Dementis etwas dergleichen geschehen sein. Ein nicht zu unterschätzendes Argument soll dabei von uns in die Wagschale geworfen worden sein. Man hat von unserer Seite darauf hingewiesen, daß bei einem allgemeinen Chaos in Deutschland die Existenz von 10 Millionen Fremdarbeitern u. aller Kriegsgefangenen auf dem Spiele stände, – u. das ist richtig. Möglicherweise hat Churchill darauf angespielt, wenn er von der totalen Niederlage oder dem Chaos sprach. Die Niederlage würde dann so zu verstehen sein, daß die Armeen von sich aus kapitulieren, – u. möglicherweise wollte er seinen Parteigenossen mit dem Worte Chaos die Gefahr andeuten, die in einem solchen Kriegsende auch für die Alliierten liegt. –
Abends war Frau Dr. Daubenspeck da, die wie immer sehr viele Neuigkeiten wußte. Sie war in Ribnitz beim Zahnarzt gewesen, doch mußte sie unverrichteter Dinge wieder zurückkommen, da es keinen Strom gab u. in Ribnitz kein Mensch arbeiten konnte. Es gab weder Wasser, noch konnten elektr. Instrumente betrieben werden. Dafür sah sie einen Flüchtlings-Treck von 35 km. Länge durch die Stadt ziehen. Sie sprach mit einem Bauern, der laut die Nazis verfluchte. Besonders bemerkenswert war, daß sich in diesem Treck zahlreiche französ. Kriegsgefangene befanden, die also ebenfalls vor den Russen flohen.
Ueber die Friedensfühler in Stockholm wird weiter bekannt, daß ein Dr. Hesse von Ribbentrop mit der Sache betraut worden war. Dabei ist von unserer Seite die unverschämte Behauptung aufgestellt worden, daß nur allein Hitler u. Himmler das deutsche Volk von der Fortsetzung des Krieges abhalten könnten. Solche Frechheit ist wirklich bodenlos: Hitler u. Himmler sind also die Unschuldslämmer, die allein im Stande sind, die Kriegswut des Volkes zu dämpfen.
Die Amerikaner haben den Hundsrück überquert u. stehen jetzt im Nahetahl. Damit bedrohen sie die ganze Westwallstellung zwischen Saarbrücken u. dem Rhein im Rücken. –
Heute wieder kein Strom, erst um 1 Uhr gab es Licht. Gestern abend ging das Licht schon um 1/2 8 Uhr aus.
[13]Vormittags Frau Seeberg, die mir die 4 Bände der kathol. Dogmatik von Schmauss brachte, die ich ihr abkaufen werde. Sehr schön!
Die Amerikaner haben an einigen Stellen bereits die Nahe überschritten.
Das Licht ging gestern um 3 Uhr wieder aus. Um 9 Uhr Abends gingen wir schlafen.
Heute Vormittag an Ruth einen Osterbrief geschrieben. – Gestern Nachmittag war der Obergefreite Mehlis da zum Kaffee, ein braver, biederer Seemann. Später war Spangenberg da, den ich noch nie so bedrückt gesehen habe. Er war mit dem jungen Hagedorn zur Konfirmation nach Prerow gefahren u. hatte dort das furchtbare Flüchtlingselend gesehen. Es ist wirklich grauenvoll. Ein Junge hier bei uns ist an Diphteritis gestorben. – Ich traf morgens Frau Ribinsky, deren Kind ich s. Zt. beerdigt hatte. Ihr Mann ist bisher glücklich herausgekommen u. befindet sich nun in der Gegend von Senfenberg. Sie erzählte mir von ihren Schwestern, die aus Allenstein geflüchtet sind. Ich fragte sie nach Grausamkeiten der Russen, aber sie wußte davon nichts, sondern nur davon, daß unsere Regierung die Leute in dieses Elend hineingestürzt hat, sodaß die Leichen der auf der Flucht verstorbenen Menschen an den Wegen herumliegen.
Die Offensive über die Mosel im Rücken des Saargebiets macht starke Fortschritte. Die Nahe ist bereits überschritten, die Amerikaner stehen dicht vor Kaiserslautern. Unser Rückzug scheint wieder einmal in wilde Flucht auszuarten. In die vollgepfropfen Straßen schießen die Jagdbomber mit Bordwaffen. Auch der rechtsrheinische Brückenkopf wird ständig erweitert. Bei uns sind vier Offiziere standrechtlich erschossen worden, weil die Brücke bei Rehmagen nicht rechtzeitig gesprengt worden ist. Standrechtliche Erschießungen sind überhaupt an der Tagesordnung, sowohl an der Front, wie in der Heimat. Die Russen haben Kolberg erobert u. haben dort zahlreiche an Bäumen erhängte Soldaten gefunden, an denen Zettel angeheftet waren mit der Aufschrift: „Ich bin erhängt worden, weil ich die Waffen strecken wollte“.
Indessen geht die furchtbare Luftoffensive verstärkt weiter. Vorgestern wurde Berlin wieder sehr schwer angegriffen, es soll der schwerste Angriff bis jetzt gewesen sein, er hat eine Stunde gedauert. Der Stettiner Bahnhof u. alle Gleisanlagen nach Stettin sind nun wohl endgültig erledigt. Im Westen verwenden sie jetzt die neue 10 Tonnen-Bombe, welche unvorstellbare Wirkungen haben soll, auch die festesten Bunker geben da keinen Schutz mehr. Eisenhower hat nun drei Tage hintereinander Warnungen erlassen, zuerst an die Einwohner von Frankfurt, Mannheim u. Ludwigshafen, dann an die Eisenbahner dieses Gebietes u. dann an die Rüstungsarbeiter. Er hat alle aufgefordert, diese Gebiete unverzüglich [14] zu verlassen, weil ein Dortbleiben sicheren Tod bedeutet. Es soll eine Massenflucht eingesetzt haben, – wohin die armen Menschen fliehen, ist mir unklar.
Am Niederrhein ist für die nächsten Tage ein neuer großer Angriff zu erwarten zur Ueberquerung des Rheins, u. zur Eroberung des Ruhr-Reviers. – In Ungarn am Plattensee ist unsere Offensive völlig gescheitert, wie zu erwarten war u. die Russen sind nun ihrerseits im Angriff. Da wir bei unserer Offensive viel Material verloren haben, das kaum ersetzt werden kann, werden die Russen nun leichtes Spiel haben, zumal sie nicht nur an dieser Stelle angreifen werden, sondern in dem ganzen großen Boden vom Plattensee bis nach Niederschlesien. Der Führer beschäftigt sich derweil damit, Hitlerjungens zu empfangen u. zu begrüßen, die sich im Kampfe ausgezeichnet haben. Einer von diesen, ein 12jähriger Bengel, dem man gründlich den Hintern versohlen sollte, hat das EKII von ihm bekommen.
Wenn ich daran denke, daß in diesem Frühjahr die Feldbestellung in ganz Ostpreußen, Westpreußen, dem größten Teil von Pommern, von Nieder= u. Oberschlesien u. einem Teil von Brandenburg, sowie in dem ganzen Lande links des Rheines nicht mehr stattfinden wird, u. daß im übrigen Deutschland sicher nicht mehr geerntet werden wird, was jetzt vielleicht noch gesät wird, – u. daß dieser noch übrige Teil Deutschlands vollgepfropft ist mit Flüchtlingen, Fremdarbeitern u. Soldaten, so kommt mir das Grauen. In Deutschland werden die Menschen zu Tausenden sterben, wenn schon längst kein Schuß mehr fällt.
Gestern Nachmittag Besuch bei Frau Krauss, wo ich leider viele Frauen antraf. Außer den 3 Töchtern, von denen die Aelteste aus Beskow für einige Tage zu Besuch gekommen war, waren noch die beiden Frauen Korsch anwesend. Frau Krauss machte einen überaus schlechten Eindruck, sie war gelb u. sehr matt u. litt an Schmerzen. Sie hat sich seit dem letzten Dienstag, wo ich bei ihr war, sehr verschlechtert. Als ich fortging, traf ich Frau Longard, die ich dann bis zu ihrem Hause begleitete.
Ich war entsetzt über die vielen fremden Kinder, die ich auf der Dorfstraße sah u. die seit dieser Woche hier sind. Sie sehen zumeist schrecklich verwahrlost aus. Ich merke das auch am Garten, in dem diese Kinder wahrscheinlich die Schneeglöckchen abgerissen haben. –
Der Warnung Eisenhowers an die Bevölkerung von Frankfurt, Mannheim u. Ludwigshafen, diese Städte sofort zu verlassen, ist nun dieselbe Warnung an die Bewohner des Ruhrreviers gefolgt. Der Angriff steht nun also unmittelbar bevor. – Die Amerikaner haben nun das Saarland durchstoßen bis zum Rhein u. haben Worms genommen, ebenso Kaiserslautern. Sie stehen am Stadtrande von Mainz. Damit ist alles, was noch von Saarbrücken bis zum Rhein steht, abgeschnitten, oder es liegt doch alles unter pausenlosen Luftangriffen. Die Amerik. melden große Beute an motoris. Fahrzeugen, die wegen Benzinmangels nicht fortgeschafft werden konnten u. hohe Gefangenenziffern. Es scheint eine allgemeine [15] Desorganisation platzgegriffen zu haben, ganze Einheiten gehen mit ihren Offizieren zu den Amerikanern über.
Gestern hatten wir den ganzen Tag über Strom, dafür heute überhaupt keinen. Mittagessen wird deshalb wohl wieder ausfallen müssen.
Der Strom kam gestern doch noch, wenn auch spät, sodaß wir essen konnten. Wir aßen eine Konserve, die Fritz früher einmal geschickt hatte u. die Hühnerbrühe enthielt, dazu Kartoffeln. Es war sehr schmackhaft. Wir essen jetzt allmählich unsere bescheidenen Vorräte auf, was später kommt, mag der Himmel wissen. –
Der Vortrag gestern Abend: Geburtsgeschichte Jesu, – Beschneidung, – Darstellung im Tempel – u. der 12jähr. Jesus im Tempel gelang besonders gut, ich war gut in Form. Später blieb noch Frau Dr. Müller-Bardey da. Sie erzählte, sie sei gewarnt worden, an diesen Vorträgen teilzunehmen, die Nazis könnten zum Schluß noch etwas gegen mich unternehmen u. dann würden alle Teilnehmer mit daran glauben müssen. Sie sagte nicht, wer diese Warnung ausgesprochen hat, nur sagte sie, es sei wohlwollend gemeint gewesen u. nicht von nationalsoz. Seite. – Ich kümmere mich darum nicht. –
Die Amerikaner haben Saarbrücken genommen, eben so Ludwigshafen u. Mainz. Unsere Saarverteidigung befindet sich offenbar in wilder u. unorganisierter Flucht u. versucht, noch über den Rhein zu entkommen, sofern sie sich nicht ergibt. Die Straßen sind mit Trümmern von Fahrzeugen verstopft, sodaß nun schwere Waffen u. Fahrzeuge nicht mehr durch kommen u. verloren sind. Die Gefangenenzahlen sind sehr hoch, noch höher aber ist der Verlust an schweren Waffen u. Fahrzeugen.
Der rechtsrheinische Brückenkopf wird ständig ausgeweitet. Inzwischen wird am Niederrhein von Eisenhower die neue Offensive hinter künstl. Nebelwänden vorbereitet.
In Kopenhagen ist das Gestapo-Hauptquartier von Moskito=Bombern total vernichtet worden.
Heute der erste schöne, warme Frühlingstag. Vormittags im Garten gearbeitet, aus einem alten Johannisbeerstrauch, der im Halbschatten stand, vier junge Sträucher gemacht u. in die Sonne vor das kleine Haus gesetzt. Sonst geharkt u. gehackt. Sehr anstrengend, war Mittags ganz erschöpft.
Man sagt, Feldmarschall v. Rundstedt sei abgesetzt u. Feldmarschall Kesselring habe die Westfront übernommen. Vielleicht hängt das mit dem Gerücht zusammen, das vor einiger Zeit ging, daß v. R. an Eisenhower eine Botschaft gesandt habe, Waffenstillstand zu schließen. Jedenfalls hat damals die Amerikanische Regierung offiziell erklärt, daß Eisenhower jederzeit die Kapitulation selbst ganzer Heeresgruppen entgegen nehme, daß aber deshalb von einem Waffenstillstand keine Rede sein könne. Man nahm an, daß diese Verlautbarung die Antwort auf die Anfrage v. R's. gewesen sei. v. R. ist sicher unter den noch vorhandenen Armeeführern der fähigste. Ich hatte immer gehofft, er würde eines Tages die Opposition in die Hand nehmen, [16] besonders, nachdem er s. Zt. kurz vor dem 20. Juli schon einmal seines Postens als Oberkommandierender West enthoben worden war. Diese Hoffnung hat aber schwer getäuscht, denn nach dem 20. Juli ließ er sich dazu mißbrauchen, den Vorsitz einer Kommission zu übernehmen, welche den Ausschluß der am Attentat beteiligten Offiziere aus der Armee aussprechen mußte. Zur Belohnung wurde er dann wieder Oberbefehlshaber. Nun hat diesen Mann doch sein Schicksal erreicht.
In der Saarpfalz haben die Amerikaner Pirmasens genommen u. den Kessel auch sonst weiter eingeengt. Die Russen scheinen eine neue Offensive anzufangen in Niederschlesien bei Neisse.
Gestern Abend waren die beiden älteren Töchter von Frau Krauss bei uns, Frau Masurek u. die andere, deren Namen ich nicht kenne. Es ist wohl mit der Mutter sehr hoffnungslos. Die älteste Tochter muß heute wieder zurück nach Beskow u. auch Frau Masurek ist nach Berlin gefahren, wo sie in der Frankfurter Allee ein Herren-Konfektionsgeschäft betreibt, aber sie kommt in einer Woche wieder zurück. Ich habe gestern an den Pfarrer geschrieben u. ihn um Verhaltungsmaßregeln gebeten für den Todesfall.
Die Amerikaner haben an einer neuen Stelle den Rhein überschritten, doch sagen sie nicht, wo das geschehen ist. Hoffentlich nicht im Süden, wo Fritz ist. Sie sagen, daß die Ueberschreitung ohne jede Verluste durchgeführt worden sei u. die Deutschen keinen Widerstand geleistet hätten; das macht ganz den Eindruck, als sei es in Fritzens Gegend. Nach den Bemerkungen, die er über seine Einheit gemacht hat, kann man das wohl annehmen.
Eisenhower erläßt jetzt täglich Bekanntmachungen an die rechtsrheinische Bevölkerung u. fordert sie zur sofortigen Flucht auf. Früher hat er der linksrheinischen Bevölkerung stets angeraten, nicht zu fliehen, sondern sich in Kellern u. Bunkern in Sicherheit zu bringen. Jetzt tut er das Gegenteil, der Grund dazu liegt vielleicht in den Verwendung der neuen 10 Tonnen-Bomben, gegen die Keller u. Bunker keinen Schutz bieten. Jedenfalls steht nun also die Offensive unmittelbar bevor u. sie wird wohl mit noch nie dagewesener Wucht erfolgen.
Gestern Abend war die jüngere Schwester von Frau Ribinsky mit den beiden ältesten Buben der Frau R. zum Rosenkranzgebet bei uns. Eine sehr nette u. ordentliche Frau. Sie sagte mir, daß in Allenstein etwa 70% der Einwohner dort geblieben seien. Von russischen Greueltaten wußte sie nichts Positives zu berichten.
Heute wieder prachtvolles Wetter. Am Vormittag einen Stachelbeer-Strauch im Hintergarten ausgegraben, der sich dort selbst ausgesät haben muß u. ein kümmerliches Dasein im Dünensand fristete. Ich habe fünf junge Sträucher daraus gemacht u. sie vor das kleine Haus beim Apfelbaum gepflanzt.
Herr v. d. Knesebeck, der Bruder von Frau Garthe, machte heute Vormittag Besuch. Er ist aus Gleiwitz u. macht einen recht kranken Eindruck. Belangloser Mann.
Mittags: Soeben wird bekannt, daß die große Offensive über den Rhein im Raume Wesel heute früh begonnen hat. Es haben starke englische, kanadische u. [17] amerikan. Verbände den Rhein in Sturmbooten überquert, zu gleicher Zeit sind starke Verbände von Luftlandetruppen im Raume östlich Wesel niedergegangen. Ein ungemein starkes Luftbombardement ist voraufgegangen.
Die andere Ueberquerung scheint im Raume westlich von Darmstadt vor sich gegangen zu sein, sie hat zunächst überhaupt keine Gegenwehr gefunden.
Gestern Nachricht von Pfr. Dobczynski, – ein rührender Brief. Er trauert, weil er gerade jetzt in diesen schweren Wochen nicht allen ganz nahe sein kann. Er teilt mit, daß er vorhabe, am Donnerstag nach Ostern in der evang. Kirche zu Prerow das hl. Meßopfer zu feiern. Der Lic. Pleß hat die Kirche dafür zur Verfügung gestellt. Um 8 Uhr würde dann Beichtgelegenheit sein, um 9 Uhr feierl. Hochamt. Mehr kann er nicht leisten. Die tägl. Anforderungen, die an den kranken Mann gestellt werden, sind sehr groß. Selbst Werktags ist die Kirche fast voll, wochentags 60 – 70 Kommunikanten täglich, sonntags hält er 3 – 4 Gottesdienste, um 10 Uhr so voll, daß kaum die Türen geschlossen werden können, 120 – 150 Kommunikanten. Sonntags ist er fast durchgehends in der Kirche. Am Passionssonntag waren noch außerdem 10 Taufen. In den Gottesdienstpausen ist er im Beichtstuhl oder an der Kommunionbank. Werktags ist das Pfarrhaus wie ein Taubenschlag. Seine Schwester u. Schw. Maria sind ebenfalls entsprechend überanstrengt. Er schreibt: „Alles vermag ich in dem, der mich stärkt.“
Die Andacht heute bei uns war ebenfalls zum brechen voll. Es war überaus schön, ich hatte das Gefühl, daß der Hl. Geist buchstäblich das Zimmer füllte.
Martha war gestern auf Spangenbergs Lastwagen, nach Wustrow zu Frau Dr. Umnus gefahren. Da sie ihn zur Rückkehr verpaßte, mußte sie zu Fuß zurückkommen. Sie kam erst kurz vor 10 Uhr, ich war bereits zu Bett gegangen. Zugleich hörte man Motorengeräusch, das ich für ein Auto hielt, denn es klang ganz anders wie das gewöhnl. Geräusch von Flugmaschinen. Bald darauf gab es sechs schwere Detonationen. Vom Fenster aus sah man Leuchtbomben in Richtung Ribnitz. Etwas später kam ein Flugzeug im Tiefflug dicht über unser Haus. Heute morgen wurde bekannt, daß dem Fliegerhorst Putnitz der Angriff gegolten hatte. Der Angriff erfolgte ohne Warnung, ganz überraschend. Man glaubt, daß es russische Flugzeuge waren. Es gab keinerlei Abwehr.
Heute früh schickte uns Dr. Krappmann den Mehliss u. den Dachdecker mit Dachpappe, um das Dach der Bu. Stu. reparieren zu lassen.
Gestern war großer Abschiedstag. Zuerst kam am Nachmittag Frl. Sabine Klein, die den abenteuerlichen Plan hat, mit dem Rade u. wenn es geht per Bahn nach dem Bodensee zu fahren u. dort nach der Schweiz weiterzukommen, wo ein guter Freund ihres Vaters auf sie wartet. Von dort will sie dann nach Amerika zu ihrem Vater, der [18] dort lebt, da er Jude ist. Danach waren wir bei Frau Krauss, die sehr elend ist. Arme u. Hände sind sehr abgemagert, sie hat Schmerzen, trägt sie mit großer Geduld u. ist in jeder Weise eine gute, fromme u. gottergebene Kranke. Es ahnt ihr wohl, daß sie sterben wird, aber sie will es wohl noch nicht glauben. Sie sprach mit Begeisterung von ihrem Aufenthalt im Gertrauden-Krankenhaus, wo sie operiert wurde u. wo eine so schöne Hauskapelle war. Die Schwestern hätten so wunderbar zum Hochamt gesungen. Als wir zurückkamen, kam gleichzeitig Frau Sommerhof, um Abschied zu nehmen. Ihr Vater hat aus Hamburg mit ihr telephoniert, sie solle sofort hinkommen, lieber heute wie morgen, es sei äußerst dringend. Einen näheren Grund hat er am Telephon nicht gesagt. Desgleichen hat, völlig unabhängig davon, ihr Mann ebenfalls telegraphiert, sie solle sofort abreisen. So hat sie sich denn zur Reise entschlossen u. ist heute früh gefahren. Sie war eine überaus sympathische Frau, eine Katholikin, u. ich verliere mit ihren beiden prachtvollen Buben zwei sehr liebe, kleine Schüler. Spät am Abend kam dann noch Frau Schmidt-Isserstedt, in deren Haus Frau Sommerhof hier gewohnt hat. Auch sie will fort u. ist heute früh gefahren auf dringendes Anraten ihres Mannes. Sie war am unglücklichsten u. sie weinte sehr. – Man kann diesen abreisenden Frauen keinen Rat geben, man kann ihnen nur wünschen, daß sie diesen Schritt nie bereuen mögen. – Auch Frau Hipp hat von ihrem Mann die Nachricht bekommen, daß sie sofort abreisen müsse, aber sie hat bisher keine Reiseerlaubnis bekommen, sonst würde auch sie schon fort sein. Auch Frau v. Achenbach, die wir auf dem Wege zu Frau Krauss trafen, sagte uns, daß sie nun abreisen wolle. –
Aus dem Fall Sommerhof u. Schmidt-Isserstedt werde ich nicht klug. Vielleicht haben deren Verwandte irgend welche besonderen Nachrichten, die eine Veränderung der Lage in unmittelbarer Zukunft erwarten lassen. Am letzten Freitag sprach J. R. v. Salis davon, daß nach der Jalta-Konferenz die Angriffe gegen Deutschland von Osten, Westen, Süden + Norden fortgesetzt werden sollten u. daß der Plan der Zusammenarbeit erst später sichtbar werden würde. J. R. v. Salis meinte, daß man darum nun wohl mit einer englischen Truppenlandung auf Jütland rechnen könne. Schon sehr viel früher, vor der Invasion in der Normandie, hat Churchill einmal gesagt, daß der erste Teil der Invasion hauptsächlich zu Lasten der Amerikaner gehen würde u. daß erst später ein Ausgleich der Kräfte stattfinden würde. In der Tat haben die Engländer bis jetzt immer noch nur eine Armee an der Westfront, alles andere sind Amerikaner, mit Ausnahme einer kleinen französ. Armee. Es wäre also durchaus möglich, daß die Engländer nun tatsächlich eine Landung auf Jütland vornehmen, was ganz herrlich wäre, denn dann würden sie in Bezug auf unsere Gegend den Russen zuvorkommen. –
Die Kämpfe an den Rhein-Brückenköpfen entwickeln sich langsam, aber durchaus zugunsten der Anglo-Amerikaner. Nur im Raume des südlichsten Brückenkopfes geht es in einem geradezu stürmischen Maße [19] vorwärts. Die Amerikaner haben gestern Darmstadt eingenommen u. heute sind sie bereits östlich davon über dem Main u. haben Aschaffenburg genommen. Es ist das ein langer, ziemlich dünner Schlauch, den sie da vorgetrieben haben, der hoffentlich nicht zu Rückschlägen führt; aber offenbar haben wir in diesem Abschnitt nur schwache u. zweitklassige Truppen nach der Art, wie die Einheit von Fritz. – Auch die Russen treiben nun ihre Offensive von Ungarn her vorwärts mit der Richtung auf Wien. –
Heute früh erschien ein Frl. Peschke aus Berlin. Sie brachte einen Brief von Hans Monheim, der uns bat, ihr behilflich zu sein. Frl. P. solle mit ihren Eltern, – der Vater ist vom 1. Weltkriege her blind, – im Hause Monheim wohnen. Frl. P. war gestern in Barth gewesen, um irgend welche geschäftl. Dinge für die Firma Monheim zu erledigen u. ist dann gestern Abend nach Prerow gefahren, um von dort zu Fuß hierher zu kommen. Sie hat sich dann im Walde verirrt u. hat die ganze Nacht im Walde zugebracht. Heute früh ist sie beim Herm-Göringhaus herausgekommen u. ist dann hierher gewandert.
Wir gaben ihr heißen Kaffee u. dann ging sie mit Paul zum Monheim-Hause, wo sich ergab, daß in diesen letzten Tagen noch eine vierköpfige Familie untergebracht worden war, wovon wir aber nichts wußten. Immerhin könnte unten in der großen Halle u. in dem einen Zimmer noch ganz gut die Familie Peschke wohnen; aber die große Schwierigkeit ist die, daß sich nur ein elektr. Kochherd im Hause befindet, auf dem nun schon 2 Familien kochen müssen. Bei der ewigen Absperrung des Stroms ist das natürlich äußerst schwierig. –
Gestern war wieder sehr schönes Wetter, das ich benutzte, um das Gestrüpp von der Straße zu beseitigen, das seit dem letzten Herbst dort herumlag, als die Gemeinde die Bäume auslichten ließ, um Brennholz zu gewinnen. Auf unserer langen Front war das eine sehr anstrengende Arbeit. Die zusammengeharkten Blätterhaufen brachte ich heute in den Vordergarten vorm kleinen Haus, wo ich sie eingraben will. Paul half mir dabei. Nun sieht wenigsten die Straße sauber u. österlich aus. Diese Arbeit hat auf andere ansteckend gewirkt, ich sah heute vor mehreren anderen Häusern die Leute mit der gleichen Arbeit beschäftigt. Das Dorf machte wirklich schon einen verwahrlosten Eindruck, da überall dieses Gestrüpp herumliegt. – Das Wetter ist heute trübe u. es ist recht kühl geworden, ich werde heute wieder heizen müssen.
Frl. Peschke ist heute früh wieder abgefahren. Sie war ein sehr nettes Mädchen. Studentin der Medizin, mit einem Medizin Studenten verlobt, eine eifrige Katholikin.
Bisher hatte man immer noch erwartet, daß es Kesselring gelingen würde, irgend welche kampffähige Reserven im Westen zusammen zubringen. Auch die Anglo-Amerikaner hatten das erwartet u. von einer bevorstehenden Entscheidungsschlacht gesprochen, doch scheint es so, als wäre davon nun keine Rede mehr. Die Ango-Amerikaner strömen in [20] breiter Front über den Rhein tief ins Land hinein u. unsere Soldaten ergeben sich zu Zehntausenden. Es ist ein totaler Zusammenbruch. Es heißt, v. Rundstedt habe dem Führer gemeldet, es sei ein weiterer Widerstand nicht mehr möglich u. er sei daraufhin abgesetzt worden. Jetzt beweist Kesselring, daß v. Rundstedt recht hatte. Die Amerikaner stehen dicht vor Würzburg u. dicht vor Gießen, wahrscheinlich sind sie schon weiter, denn sie haben Nachrichtensperre verhängt.
Nun hat auch Argentinien an uns den Krieg erklärt. –
Auch vor Königsberg haben sich vorgestern 21000 Mann den Russen ergeben, in Danzig u. Gdingen wird gekämpft. In Ungarn dringen die Russen gegen Wien vor.
Auf den Bengel Baldur v. Schirach haben die Wiener ein Attentat verübt, aber es ist mißlungen, nur drei Leute seiner Begleitung sind getötet worden.
Gestern besuchte ich wieder Frau Krauss, die zusehends weniger wird. – Heute kam eine Flüchtlingsfrau aus Althagen zu mir, es sei eine Verwandte von ihr gestorben, sie sei katholisch sie wußte nicht was sie tun sollte. Ich habe sie an den Pfarrer von Marlow verwiesen; aber der wird ja nicht kommen können. –
Es scheint, als hätten die Amerikaner den Plan, über Würzburg – Nürnberg – Regensburg nach München vorzustoßen, u. damit die ganze italien. Front abzuschneiden u. Nord= u. Süddeutschland zu trennen. Die Franzosen haben den Rhein bisher noch nicht überschritten, aber das kann nicht lange dauern. Mindestens werden die Amerikaner von Norden her diesen Teil von Baden u. Würtemberg besetzen u. Fritz wird so in Gefangenschaft geraten. –
Der Vortrag gestern Abend war nur schwach besucht. Warum, weiß ich nicht. Es war nur das Ehepaar Ziel da, die ja überhaupt zu den eifrigsten gehören, ferner Ilse Schuster, Frl. Wernecke u. Frau Korsch, die mir nachher sagte, daß ihr Mann jetzt anfinge, nervös zu werden u. an Abreise dächte. Es liegt aber garkein Grund zu solcher Nervosität vor, im Gegenteil: die Entwicklung im Westen macht so rasche Fortschritte, daß nun auch die Engländer anfangen, von Waffenstillstand u. Frieden zu reden. Es ist offensichtlich, daß unser Widerstand völlig zusammengebrochen ist, Panzer u. andere Fahrzeuge liegen überall mit leeren Tanks herum, Munition kann nicht mehr herangebracht werden. Nur einzelne Kommandeure glauben noch, hier u. da mit Handfeuerwaffen Widerstand leisten zu müssen. Es herrscht Nachrichtensperre an der ganzen Westfront, nur so viel ist bekannt, daß das Ruhrrevier im Norden u. im Süden umgangen wird. Die Amerikaner sind bereits über Gießen hinaus und im Maingebiet scheinen sie südlich Würzburg vorbei in Richtung Nürnberg vorzustoßen. Es ist ja möglich, daß Kesselring noch einmal irgendwo den Versuch machen wird, Widerstand zu leisten, aber Erfolg kann das nicht mehr haben. Auch die Russen stehen jetzt 15 km. vor der österreich. Grenze.
Gestern kam überraschenderweise eine Karte von Kurt vom 20. März, ohne daß zu erkennen war, wo er ist. Er kann eigentlich nur bei oder in Danzig sein. Gdingen [21] ist aber bereits gestern Abend als von den Russen erobert gemeldet worden.
Von Pfr. Dobczynski bekam ich gestern Antwort auf meine Anfrage betr. Todesfall der Frau Krauss. Er bedauert es überaus, ihr die hl. Sterbesakramente nicht spenden zu können, aber er darf noch nicht Radfahren. Die Belastung ist für ihn jetzt wieder übergroß. Er bringt aber wenigstens das hl. Meßopfer für d. Kranke dar. Wenn er eine geeignete Person hätte, die er herschicken könnte, würde er mir eine hl. Hostie senden, damit ich sie der Kranken geben könnte, – das wäre sehr schön, aber es ist niemand da, dem er das kostbare Gut anvertrauen könnte.
Ueber den Beerdigungsritus schreibt er mir, ich solle zuerst den Ps. 129 beten, sodann soll ich vielleicht aus der Totenmesse einige passende Gebete u. den Ps. 50 u. das Benediktus sprechen u. die Leiche oder den Sarg sowie das Grab selbst mit Weihwasser segnen mit den Worten: „Dieses Grab sei eingesegnet im Namen des Vaters ...“ – Das dreimalige Werfen von Erde ins offene Grab wird mit den Worten begleitet: „Aus Erde hast du mich gebildet, mit Fleisch mich umkleidet: erwecke mich am jüngsten Tage, Herr, mein Erlöser!“ – Zum Schluß das Salve Regina.
Nun, diese Beerdigung wird eine schwere Aufgabe für mich werden.
Heute Nachmittag kamen zwei Päckchen von Fritz, - das eine enthielt Bücher: Franz von Assisi von Jos. Bernhart, sodann zwei Reinh. Schneider: Die dunkle Nacht, u. der Dichter vor der Geschichte., dazu noch etwas Tabak. Das Andere enthielt ein Paketchen „Baku“-Kinderkost. –
Gestern war eine Frau aus Niehagen, – eine Flüchtlingin aus Ostpreußen bei mir. Ihre Mutter ist gestorben, 86 Jahre, u. es ist kein Pfarrer da, sie zu beerdigen. Sie ist katholisch. Ich konnte ihr nur sagen, daß sie sich an den Pfarrer von Marlow wenden soll. – Heute kam sie wieder. Der Pfarrer kann natürlich nicht kommen. Sie fragte, ob ich die Mutter nicht beerdigen könnte. Aber wie soll ich das, da die Frau doch in Wustrow beerdigt wird u. ich so weit garnicht laufen kann! – Sie klagte, daß sie hier Sonntags nicht zur Kirche gehen kann u. sagte, wenn sie doch bloß hier wieder fort könnte, sie kann nicht ohne Kirche sein.
Eben haben wir die Karfreitag-Liturgie gelesen. Es waren viele Menschen da. Frau Korsch war mit ihren beiden Jungens da u. brachte Frau Ranke mit, die jüngste Tochter von Frau Krauss, die gestern die Nachricht erhalten hat, daß ihr Mann gefallen ist. Er war, glaube ich, aktiver Offizier, das Ehepaar war wohl noch ziemlich jung verheiratet. Sie ist eine sehr gute junge Frau. Durch diesen heftigen Schmerz wurde uns allen die Karfreitagsfeier sehr vertieft, die schmerzliche Trauer teilte sich uns allen mit. – Neuerdings gehören zu den regelmäßigen Gottesdienst-Teilnehmern die beiden ältesten Jungens der Frau Ribinsky, die sich auffällig tadellos benehmen. Die jüngere Schwester der Frau R. kommt auch regelmäßig u. bringt die Jungens mit. Die treuesten Teilnehmer sind jetzt aber Degeners aus Breslau.
[22][22] Paderborn u. Heidelberg sind genommen. Sonst ist wenig von der Westfront zu hören, da die Nachrichtensperre sehr streng durchgeführt wird. Wahrscheinlich sind die Ango-Amerikaner schon sehr viel weiter, als wir wissen. Sicher ist, daß sie dicht vor Münster.: Westf. u. vor Kassel stehen. Gestern hatten Hamburg, Bremen u. Wilhelmshafen sehr schwere Luftangriffe, – vielleicht Vorboten einer neuen Landung?
Gestern Nachmittag 3 Uhr Kreuzweg bei recht guter Beteiligung. Später war Martha bei Frau Krauss, der es zusehends schlechter geht. Ich will heute Nachmittag hingehen, damit wir morgen nicht hingehen müssen. Die Tochter, Frau Ranke, hat ihrer Mutter den Tod ihres Mannes verschwiegen, wozu eine heroische Selbstbeherrschung gehört.
Heute hat Martha Verkauf für Ostern. Kinder u. Frauen haben allerhand kleine Ostersachen gebastelt, die sehr nett aufgebaut sind.