TBHB 1945-01-20
Einführung
BearbeitenDer Artikel TBHB 1945-01-20 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 20. Januar 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.
Tagebuchauszüge
Bearbeiten[1] Gestern abend zwei überholte Briefe von Fritz vom 12.12. u. 27.12. –, in letzterem schreibt er noch von Weihnachten. Sein Regiment, schreibt er, war einst, als sie noch gegen Terroristen kämpften, so stark wie jetzt eine ganze Division, jetzt existiert es so gut wie nicht mehr. Zu Weihnachten hatten sie viel zu essen: Schokolade, Kaffee, Thee, Lebkuchen, Drops, Kalb= u. Schweinebraten, Fischkonserven u. Wurst. Alle haben sich den Magen überladen. – Ganz neu ist mir, daß es neben dem Oberbefehlshaber West v. Rundstedt noch einen Oberbefehlshaber Oberrhein Himmler gibt. Da Fritz noch zu Rundstedt gehört, kann dieser letztere „Oberbefehlshaber“ keine sehr große Wirksamkeit haben, höchstens das Stück südlich Kolmar bis zur Schweizer Grenze; aber es ist doch bezeichnend, daß dieser Mann, der von Tuten u. Blasen keine Ahnung hat, einen solchen militär. Rang einnimmt. – Fritz schreibt, daß am 27.12. ein Armeebefehl bekannt gegeben wurde, in dem die Truppe ermahnt würde, dort auszuhalten, denn in absehbarer Zeit würde es wieder erfolgreich vorwärts gehen. In der Tat sind in letzter Zeit auch wirklich Gegenangriffe von uns geführt worden, vor allem ist es gelungen, nördlich u. südlich Straßburg Brückenköpfe über den Rhein zu errichten, aber das sind taktische Erfolge ohne strategische Bedeutung. Der ganze, westliche Kriegsschauplatz hat seit der großen Russenoffensive überhaupt nur noch nebensächliche Bedeutung. Diese Offensive geht mit unverminderter Heftigkeit weiter u. dehnt sich noch weiter aus. Gestern griffen die Russen auch östlich Insterburg an u. stießen 40 km. gegen diese Stadt vor. An der Südgrenze von Ostpreußen, nördlich Warschau, nahmen sie Mlawa, wo für mich s. Zt. der erste Weltkrieg begann. Dieser Stoß zielt auf Allenstein. Ferner nahmen sie an der Weichsel Plock u. weiterhin Kutno mit dem Ziel auf Bromberg, u. schließlich griffen sie südöstlich von Krakau am Fuß der Karpaten an u. erzielten ebenfalls erheblichen Geländegewinn. Angesichts dieser Offensive beginnen unsere Zeitungen nun doch, einen ernsten Ton anzuschlagen. Natürlich wird immer noch davon geredet, daß wir Vertrauen zu unseren tapferen Soldaten haben sollten, hinter denen ja noch die schaffende Heimat u. der Volkssturm ständen, aber es wird doch gesagt, daß die Übermacht so groß sei, daß ein erfolgreicher Widerstand nicht zu erwarten sei. Was uns dann das Vertrauen in die Tapferkeit unserer Soldaten nützen soll, wird freilich nicht gesagt. – Gleichzeitig hielt Churchill im Unterhause eine Rede, in der er sagte, daß garkeine Rede davon sein könne, einen Verhandlungsfrieden zu schließen, vielmehr würde dieser Krieg bis zur bedingungslosen Kapitulation fortgeführt. Er sagte, daß alle Alliierten mitsamt dem Unterhause dieser Meinung seien. Es wurde dann hierüber u. über andere Punkte der engl. Politik abgestimmt u. es ergab sich, daß das gesamte Unterhaus mit Ausnahme von nur sieben Stimmen für Churchill stimmten. Es war ein großer Tag des Unterhauses, sämtliche Minister waren zugegen u. man muß wohl annehmen, daß ein besonderer Grund dazu vorgelegen haben muß. Dieser Grund kann wohl kaum ein anderer sein als der, das Deutschland [2] durch irgend welche neutrale Vermittlung den Versuch gemacht haben muß, einen Verhandlungsfrieden zu erreichen. Ein solcher Versuch wäre natürlich naiv. –
Gestern Abend Erich Seeberg u. Dr. Scheid, der heute wieder nach Hmb. zurückfährt. –
Stürmisches Wetter, Temperatur um den Gefrierpunkt. Schnee, der am Tage teilweise schmilzt. Wege vereist u. sehr glatt.