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Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1945-01
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Entstehungsdatum: 1945
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Originaltitel: Januar 1945
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom Januar 1945
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Einführung

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Der Artikel TBHB 1945-01 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Januar 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 28 Seiten.

Tagebuchauszüge

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[1]
Montag, 1. Januar 1945.     

[1]      Unsere Andacht gestern war schwach besucht. Frau Krauss mußte nach Bln. fahren, um operiert zu werden, auch Carmen Grantz war nicht da, nur Martha, Grete, Trude u. die Mar.=Nachrichtenhelferin Regina Treffer. –

     Vormittags schrieb ich an Fritz. Nachmittags Kaffee (Bohnen) mit Küntzels, Erika hatte eine sehr gute Torte gebacken. – Abends wieder mit Küntzels zusammen unter dem brennenden Weihnachtsbaum. Wir tranken eine Fl. Pommery mit Bordeaux, Aepfel. Erika hatte ihr Kind unter den Weihnachtsbaum auf den Boden gelegt, wo der kleine Kerl überaus vergnügt herumstrampelte u. uns gut unterhielt. Martha hatte Geschenke für Küntzels zusammengestellt, die ich mit folgendem Gedicht übergab:

Immer, wenn ein Jahr zuende,
fängt sogleich ein neues an,
und man denkt bei dieser Wende,
was die Zukunft bringen kann.

Rhythmus ist des Lebens Würze,
rhythmisch reiht sich Gut an Schlecht

[2]

darum eile man und stürze
sich in des Geschick's Geflecht.

Nämlich: ist der Anfang fröhlich
bleibt der Rhythmus froh betont, –
ist er aber griesegrämlich
wirst mit Kummer nur belohnt.

Drum erlaube, Küntzel-Grete,
daß dir heut am Jahresschluß,
liebereich entgegentrete
Martha Brassens Freundschaftsgruß.

Mit dem Netz und seinem Inhalt
hat besinnlich sie gedacht
dir zu danken für die Sorgfalt,
die du dir für uns gemacht.

Lichte. Zucker, Nadelkissen –,
selbst gemacht mit fleiß'gen Händen,
möge, wenn mal was zerrissen,
nützliche Verwendung finden.

Und weil Kästchen deine Liebe
sind –, und nie genug –,
soll auch diesem Sammeltriebe
Sattheit werden. – Doch der Block

ist gedacht für Küntzels Paul
wenn er einmal schreiben will, –
(denn Grete ist ja doch zu faul) –
n'en schönen Gruß nach Schneidemühl.

Dies Haarnetz ist für Erika, –
dazu ein hübsches Seifenkästchen
und alles sonst. – Zum neuen Jahr
mög' sich das Glück an euch befest'gen.

Im letzten Hauche des Verblassens
soll Mars verrecken mit Ach und Oh!
Mög' Frieden werden, süß und froh!
Dies wünschen euch von Herzen
Brassens.

Gedicht u. Gaben haben große Freude ausgelöst. –

Um 5 Min. nach 12 Uhr sprach der Führer. Erika verschwand dazu mit ihrem Kinde in ihre Wohnung, wir selbst wollten es nicht hören u. gingen dann bald schlafen. –

     Im alten Jahre ist Gen-Feldm. Kesselring gestorben, von dem es schon lange hieß, daß er schwer verwundet sei.

     Heute hat Martha Kopfweh. Sie frühstückte mit mir, sah aber sehr schlecht aus u. ging dann wieder zu Bett. – Heute Nachmittag sollen wir bei Prof. Triebsch Thee trinken.

     Gestern heftiger Nordwind und sehr kalt, heute etwas milder.

     Im besetzten Ungarn hat sich eine provisorische Regierung aufgetan, die Deutschland den Krieg erklärt hat. In Budapest wird schwer gekämpft.

     In Griechenland hat der Metropolit Damaskinos die Regentschaft übernommen, doch haben die Bürgerkriegskämpfe deshalb nicht aufgehört.

[3]
Dienstag, 2. Jan. 1945.     

     Gestern Nachmittag mit Küntzels bei Prof. Triebsch zum Thee. Martha blieb zu Hause, weil sie sich nicht wohl fühlte, sie lag den ganzen Tag im Bett. Heute geht es besser.

     Wetterumschlag. Es regnet bei Südwest.

     Gestern überraschend ein Brief von Else. Sie schreibt, es sei ihr eine zwingende Notwendigkeit, mir zu schreiben. Sie schreibt von einem großen Irrtum, in dem sie einige Jahre hindurch gefangen gewesen wäre u. dessen sie sich jetzt schäme, der nun aber blitzartig durch ein einziges Wort, welches eine „gänzliche Umkehr des Willens“ hervorgerufen habe, beseitigt sei. Sie drückt sich über die Art dieses Irrtums nicht näher aus, doch dürfte es wohl die politische Gesinnung sein. Ich habe ihr heute gleich geantwortet.

Mittwoch, 3. Jan. 1945.     

     Gestern von Ruth einen sehr guten und lieben Brief. Es ist wirklich eine große Verwandlung mit ihr vor sich gegangen. Sie schreibt, daß sie seit Hartmut's Tode sehend geworden sei, daß die Mauer der Verstandeskräfte eingesunken sei u. daß sie nun in die Sphäre des Glaubens hineingereift sei, die ihr bisher verschlossen gewesen wäre. Sie formuliert das treffend, indem sie schreibt, sie habe bisher nur immer gedacht u. nicht erlebt! – Sie fühlt die elementare Gewalt dieser Wandlung so stark, daß es ihr dabei Angst wird u. sie die Notwendigkeit fühlt, nun die Verstandeskräfte wieder einsetzen zu müssen, um nicht im Strome des Gefühls zu versinken. Diese Wandlung bringt es mit sich, daß sie das Gefühl hat, ihrem bisher gewohnten Lebenskreise zu entwachsen u. damit ihrer Umgebung fremd zu werden. Dennoch zwingt sie sich, diese Umgebung möglichst nicht unter dieser Wandlung leiden zu lassen, wozu sie zu Weihnachten grade viel Gelegenheit gehabt hat. Sie schreibt, daß sie ruhiger geworden sei, seitdem sie ihr Geschick Gottes Hand anvertraut habe, sie hat aller Kritik des Verstandes entsagt – oder hat wenigstens den Willen dazu u. sie will nicht mehr mit Energie etwas erringen, was nur Gnadengeschenk sein kann. – Ich bete zu Gott, daß diese schöne Wandlung in ihr weitere Fortschritte machen möge. – Es ist seltsam, daß ich diesen Brief von Ruth fast gleichzeitig mit dem meiner Schwester Else erhielt, der fast denselben Inhalt hatte.

Sonnabend, 6. Jan. 1945.     

     Gestern Abend Erich Seeberg. Heitere Gespräche über Ahrenshoopiaden. Paul hatte sich vorgenommen. S. u. mich zu einer Flasche sehr gutem Bordeaux einzuladen, die er einmal vom Führer der TN geschenkt bekommen u. mit viel Mühe hierher mitgebracht hatte. Um sie anzuwärmen, hatte er sie auf die Heizung gestellt, wo Grete sie dann unachtsam umgestoßen hat, sodaß sie in Scherben ging. Er rettete nur knapp drei Gläser. Das Geschehnis war Anlaß zu allerhand Scherzen, – ich war der Meinung, daß darin eine Affekthandlung Gretes zu sehen sei, was Paul nicht verstand, da ihm S. Freud eine ziemlich unbekannte Größe ist. Als Seeberg fort war, nahm das Gespräch eine unbeabsichtigte religiöse Wendung, wobei sich zeigte, daß die religiösen Vorstellungen bei Paul weit unter denen eines katholischen [4] Kindes aus der Volksschule liegen. Für ihn ist Christus eine Art moralischer Tanzlehrer, der uns Menschen beibringt, wie man sich moralisch anständig zu benehmen hat, – u. seine Lehren sind nicht einmal zeitgemäß. Es ist einfach hoffnungslos, mit solch einem Menschen über dergleichen zu sprechen, denn er hat in seinem Leben noch niemals die Unzulänglichkeit dieser Anschauung verspürt u. hat noch nie ein Verlangen nach Besserem gehabt. Ich begnügte mich, ihm begreiflich zu machen, daß die christl. Religion etwas ganz anderes ist, – etwas, dessen Grundbegriffe er noch nicht einmal ahnt; aber ich glaube, daß mir selbst dies nicht gelungen ist. Er hat überhaupt keine religiösen Bedürfnisse. –

     An der Westfront nehmen die Kämpfe zu. Die Neugruppierung bei den Anglo-Amerikanern scheint jetzt durchgeführt zu sein. Bisher griffen die Amerikaner nur im Raume Bastogne von Süden her an, jetzt ist auch der Angriff im Raume Stavelot vom Norden her in Fluß gekommen, verstärkt durch englische Truppen. Dies scheint nun der Hauptangriff werden zu sollen. Diese ganze Offensive kostet uns ungeheuer viel Material u. sie kann deshalb die rasche Ausblutung unserer Kräfte nur befördern. Vor einigen Tagen ist von uns ein großer Luftangriff auf die belgischen Feldflugplätze des Feindes versucht worden, um uns Luft zu schaffen vor der Überlegenheit der Gegner. Es scheint auch, als wäre es uns gelungen, eine ganz stattliche Zahl von Feindmaschinen zu zerstören, aber eine fühlbare Entlastung scheint nicht eingetreten zu sein. Es scheint vielmehr, als litten unsere vorgestoßenen Divisionen sehr stark unter den Nachschubschwierigkeiten. Dies wird aber immer schlimmer werden u. der Zusammenbruch dieses ganzen Unternehmens scheint unvermeidlich zu sein. – Demgegenüber bedeutet es nichts, wenn die Amerikaner weiter im Süden jetzt Bitsch und Weissenburg wieder geräumt haben. –

     Frau Krauss soll in Berlin an Krebs operiert worden sein. Sie ist 65 Jahre alt. Es scheint da wenig Hoffnung zu sein, daß unserer kleinen Gemeinde diese brave Stütze erhalten bleiben wird.

Montag, 8. Januar 1945.     

     Es schneit sachte bei mäßigem Frost. Heute Morgen den Weihnachtsbaum abgenommen und zum Fenster hinausbefördert, er kam unten fast ohne Nadeln an.

     Brief vom bisherigen Gefr. Maaß aus Kiel. Es stellt sich heraus, daß er Doktor ist. In Kiel scheint es ihm sehr gut zu gehen, er bekommt, wie er schreibt, den Kaffee ans Bett gebracht. Schade, daß er nicht mehr hier ist, er war ein sehr braver und gutmütiger Mann, der voller Dankbarkeit ist für die paar netten Stunden, die wir ihm und seinen Kameraden zuweilen bereiten konnten. Am Sonnabend u. am Sonntag Vormittag hackten, die beiden M-Artilleristen Woltero und Werner unser Knüppelholz fertig, am Sonnabend tranken sie dann bei uns Kaffee; aber ohne Maaß war das eine etwas langweilige Sache. –

     Gestern an Fritz geschrieben, den Brief von Ruth mitgeschickt. Ich glaube, daß er viel davon haben wird, wenn er sieht, daß nun auch seine gelehrte Schwester sich dem Glauben erschließen will.

     Der Angriff der Anglo-Amerikaner im Raume Stavelot [5] scheint Fortschritte zu machen, obgleich wir starken Widerstand leisten – Die verstärkte Luftoffensive der letzten 14 Tage scheint furchtbare Wirkung zu haben. Man sagt, daß Heilbronn so gut wie nicht mehr bestehe, es soll dort allein 20.000 Tote gegeben haben. Ebenso ist Freiburg vernichtet. Von all dem hört man nur zufällig, offiziell wird nichts gesagt.

     Um die Stadt Budapest wird immer noch gekämpft, es scheint, daß auch diese prächtige Stadt, in der ich im 1. Weltkriege auf der Reise nach Mazedonien zwei Tage lang war, völlig zerstört wird. Nach unseren Berichten haben wir neue Truppen dort zusammengezogen, die nun von Nordwesten her die Stadt wieder erobern u. die eingeschlossenen Einheiten befreien sollen.

     An der übrigen Ostfront herrscht nach wie vor eine unheimliche Ruhe.

Mittwoch, 10. Januar 1945.     

     Gestern Brief von Fritz, datiert 20./21. 12.44., sehr ausführlich. Beiliegend ein Brief von Kapl. Stegmiller, worüber ich mich ungemein gefreut habe, denn auch ich hatte ihm, einer Eingebung folgend, geschrieben. Das muß ebenfalls um den 20.12. herum geschehen sein, leider habe ich es nicht notiert, sodaß ich das Datum nicht genau feststellen kann. Beide Briefe haben sich gekreuzt. Auch dieser Brief des Kaplans ist das Ergebnis einer momentanen Eingebung. Fritz schreibt: „Feldw. St. sitzt neben mir u. schreibt auch Briefe. Er wollte so gern mal an Dich, Oha, schreiben. Ich sagte ihm, er solle es doch bitte tun. So werden diese Zeilen von ihm hier beiliegen. – Die Gedankenübertragung ist in diesem Falle wirklich sehr offenkundig. –

     Fritzens Einheit ist wieder verlegt worden. Sie hatten gedacht, sie würden herausgezogen u. sich gefreut, Weihnachten zuhause zu sein; aber sie kamen nach Kolmar, wo ebenfalls heftige Kämpfe sind. Kolmar ist trostlos demoliert, aber es gibt dort mindestens noch eine Kirche und Fritz war mit Feldw. St. darin am 3. Advent zu einem kurzen Gebet. St. hofft, daß er am Weihnachtsfest zelebrieren konnte, die 3. Messe für seine Freunde u. Bekannten, also auch für Fritz u. uns. –

     Fritz schreibt, daß auch in seinem Abschnitt am 16.12. ein großer Gegenangriff begonnen habe, also gleichzeitig mit unserer großen Offensive weiter nördlich, u. daß die Soldaten sehr optimistisch seien. Es wird eine um so bitterere Enttäuschung werden. Man hat unseren Soldaten ja offenbar viel erzählt u. hat ihnen Erfolge gemeldet, die in Wirklichkeit garnicht eingetreten sind. Gestern Abend hieß es dafür, daß der Gegenangriff der Engländer, Kanadier und Amerikaner, der von Norden her unter Montgommery's Befehl aus dem Raume Stavelot geführt wird, jetzt 1 km. vor Laroche angelangt ist. Laroche liegt im Zentrum des Einbruchsraumes, in dem wir operieren u. ist ein Straßenknotenpunkt von größter Bedeutung. Wenn es Montgommery gelingt, diesen Punkt fest in seine Hand zu bekommen, dann wird der ohnehin äußerst schwierige Nachschub für alle unsere Verbände wahrscheinlich katastrophal werden. Schon jetzt sieht es so aus, als litten unsere Truppen sehr unter diesem Mangel u. als käme vor allem die Verpflegung nicht mehr zur Truppe durch. Wenn dann noch Treibstoffmangel u. Munitionsmangel dazu kommen, dann ist der Untergang dieses ganzen Unternehmens besiegelt.

[6]      Das war vorauszusehen. –

     Fritz berichtet, daß der Assistenzarzt, der ganz vorn bei der Truppe ist, in Gefangenschaft geriet u. von einem jungen Amerikaner verprügelt worden sei. Der Arzt konnte dann wieder entfliehen u. zur Truppe zurückkehren. Die Amerikaner mußten dann zurückgehen u. dadurch kamen vorher gefangen gewesene deutsche Soldaten ebenfalls zur Truppe zurück. Sofern diese verwundet gewesen waren, waren sie gut versorgt u. verbunden, Nichtverwundete aber haben erzählt, daß sie sehr schlecht behandelt worden seien u. daß man ihnen alles abgenommen habe, auch ihr privates Eigentum. – Das entspricht dem, was die Engländer selber zugeben, daß nämlich die deutschen Gefangenen von den Frontsoldaten oft schlecht behandelt werden, daß aber diese Behandlung dann rasch besser u. besser wird, je weiter sie in das rückwärtige Gebiet kommen und in den Gefangenenlagern soll die Behandlung sehr gut sein. –

Fritz fand in Kolmar zufällig gemeinsam mit Feldw. St. den Alsatia-Verlag. Das Gebäude war arg mitgenommen, der Verlag geschlossen, aber sie gingen trotzdem hinein, indem sich Fritz als Buchhändler u. St. als Theologe auswies. Man war sehr freundlich zu ihnen und jeder konnte für ca 100,– Rm. Bücher kaufen. Der gute Fritz ist nun glücklich, uns diese Bücher nach und nach senden zu können und auf diese Weise eine verspätete Weihnachtsgabe für uns zu haben. Er schreibt nicht, was für Bücher es sind, aber der Name dieses Verlages verbürgt gute Qualität. Auch an Ruth hat er bei diesem Büchereinkauf gedacht. –

     Draußen liegt hoher Schnee u. es ist kalt geworden.

     An der Ostfront nach wie vor unheimliche Ruhe, mit Ausnahme von Budapest, das die Russen jetzt zur Hälfte erobert haben wollen. Die Stadt wird wohl gänzlich demoliert werden.

Donnerstag, 11. Jan. 1945.     

     Gestern abend erhielt ich von Fritz ein Päckchen mit Tabak u. Martha bekam von ihm ein reizendes Heft: „Die Mutter erzählt vom lieben Gott“ aus dem Alsatiaverlag. Ferner traf ein Brief von Ruth ein, in dem sie ihr Weihnachtsfest schilderte u. von Ortrun erzählte, sowie von der immer größer werdenden Schwierigkeit mit ihrem Mann. Der Brief war sehr schön u. hat uns sehr bewegt. Sie nimmt ihre Pflichten sehr tapfer auf sich und sucht dazu Stärke im Glauben, – doch ist dieser noch sehr schwach. Möge der Herr ihren schwachen Glauben stärken, damit diese junge Pflanze nicht gleich wieder erstickt. Ich werde dazu tun, was ich nur irgend kann. –

     Das Wetter ist wärmer geworden, es taut. Ich bin auf das Dach der BuStu geklettert, um es vom Schnee frei zu schaufeln, denn sonst fließt das Wasser durch's Dach hindurch. Papenhagen hat geholfen, ebenso Paul u. Erika.

Freitag, 12. Jan. 1945.     

     Das Tauwetter hat weiter angehalten. Großer Matsch. Gestern Brf. v. Pfr. Dobczynski, mit dem er den Besuch von Schw. Maria für die nächste Woche ankündigt, sie soll mir ein Transparent überreichen, das zur Katechese über das hl. Meßopfer dienen soll. Er ist ja sehr bemüht, besonders den Kindern die Glaubenswahrheiten bildlich anschaulich zu machen, wozu ihm eine Geschicklichkeit im Zeichnen dient. Er scheint die Zeit in Greifswald benutzt zu haben, hierin Neues hervorzubringen, jenes Transparent wird wohl ein Ergebnis dieser Arbeit sein.

     Heute Vormittag war Frau Sommerhof da u. bat, daß [7] ich ihren beiden Jungens von 7 u. 8 Jahren Religionsunterricht geben möchte. Der Ehemann ist Protestant u., so viel ich weiß, bei der SS. Ich habe mir von Frau S. ausdrücklich bestätigen lassen, daß der Mann damit einverstanden ist. Da ich vom Pfarrer jetzt beauftragt bin, Religionsunterricht zu erteilen, werde ich es auch tun, jedoch nur an katholische Kinder.

Sonnabend, 13. Jan. 1945.     

     Es ist wieder klares Wetter geworden bei leichtem Frost. Gestern Abend Erich Seeberg. – Montgommery hat eine Darstellung unserer Offensive gegeben, nach welcher diese Sache für die Angloamerikaner zunächst doch recht böse ausgesehen hat. – In der Tat sind die Ziele v. Rundstedts ja auch sehr weit gespannt gewesen, was schon aus seinem Tagesbefehl hervorging, in dem er zu den Soldaten sagte, es ginge aufs Ganze. Goebbels ist freilich in seiner Propaganda sehr vorsichtig gewesen, um im Falle des Mißlingens einen allzu heftigen Rückschlag zu vermeiden; deshalb hat er in seiner Sylvesterrede als Ziel dieser Offensive lediglich die Befreiung des deutschen Bodens vom Feinde angegeben. Aber auch dieses Mindestziel ist nicht erreicht worden, Aachen ist nach wie vor in der Hand des Gegners. In der Propaganda für das Ausland u. für die Soldaten ist man freilich mutiger gewesen. Nachdem die Offensive begonnen hatte, sind mehrere Tage hindurch all 10 Minuten kurze Nachrichten an die Bevölkerung Belgiens u. Nordfrankreichs gegeben worden, des Inhaltes, daß die Bewohner ihre Wohnsitze verlassen sollten, weil ihre Gegenden wieder Kriegsschauplatz werden würden. In der Gegend westlich Brüssel würde eine große Schlacht stattfinden usw. – Unter den Soldaten wurde der Fall von Lüttich als Tatsache verbreitet. Auch unter den Soldaten unserer Batterie hier wurde erzählt, daß die Amerikaner Aachen geräumt hätten. Den Soldaten an der Front wurde gesagt, daß bis nach Cherbourg durchgestoßen werden sollte, die ersten Ziele sollten Brüssel u. Antwerpen sein, sowie Metz u. Verdun, in den ersten Tagen des Januar sollte Paris wieder in unserem Besitz sein. – Nun, aus alldem ist nichts geworden. Heute, nach knapp 4 Wochen, ist die ganze Sache als endgültig gescheitert anzusehen u. im Heeresbericht wird nicht mehr von Angriff, sondern von der Abwehr der feindl. Gegenangriffe gesprochen. Es scheint aber, als ob auch diese keinen großen Erfolg hätten, aber vielleicht immerhin den, daß es v. Rundstedt gelingen mag, die Restverbände der eingesetzt gewesenen etwa 30 Divisionen zurückzuziehen. Die ganze Geschichte wird uns aber eine gewaltige Menge an Material u. an Menschenleben gekostet haben, von der Siegeszuversicht u. der Kampfmoral ganz zu schweigen. Vor allem hat die Bevölkerung im rückwärtigen Gebiet durch diese Offensive neue Not auf sich nehmen müssen, denn es ist klar, daß v. Rundstedt sämtliche noch vorhandenen Verkehrseinrichtungen für seine Truppen gebraucht hat, sodaß für die Zivilbevölkerung jeglicher Verkehr unterbunden worden ist. Die Zufuhr an Lebensmitteln u. Kohlen, die ohnedies ungenügend ist, ist gänzlich eingestellt worden, ebenso der Abtransport der ausgebombten Bevölkerung in den Städten hinter der Front. Sie müssen entsetzlich leiden! –

     In Ungarn ist uns ein Entsatz von Budapest, der mit starken Kräften versucht worden ist, ebenfalls nicht gelungen. Es scheint, als ginges es dort jetzt um das [8] Letzte. Die Russen behaupten, 4/5 der Stadt zu besitzen, sodaß mit der Kapitulation des Restes zu rechnen ist. Die schöne Stadt muß furchtbar zugerichtet sein. Sonst herrscht an der ganzen Ostfront nach wie vor Ruhe.

     Eine kleine Teiltragödie hat sich hier wieder abgespielt. Eine Frau Kuhrt, die früher immer als Sommergast in Althagen wohnte, ist seit einigen Jahren in Althagen wohnhaft geworden. Sie ernährte sich mit Schneiderei, doch war sie, wie sie sagte, eigentlich Schauspielerin. Sie hatte einen Sohn bei sich, der jetzt etwa 13 Jahre alt sein mag. Man sagte, daß sie eine Beziehung zu einem Angehörigen der Batterie gehabt habe, doch ist dieser Mann bis jetzt irgendwo an der Front gewesen. In diesen Tagen bekam sie die Nachricht, daß dieser Mann gefallen sei. Seitdem hat die Frau nicht mehr gegessen u. hat sich von Tag zu Tag sonderbarer benommen, sodaß man sie gestern nach Gehlsdorf bringen mußte. – Sie war katholisch, legte aber auf ihren Glauben keinen Wert u. sie soll sich außerdem reichlich viel mit Männern abgegeben haben. –

Sonntag, 14. Jan. 1945.     

     Gestern Abend wieder Nachricht von Fritz, datiert 25.12. Er beschreibt das Weihnachtsfest, an dem das Wichtigste eine kleine geistliche Andacht in einer Kapelle in Kolmar war, die Kapl. Stegmiller für sieben Angehörige seiner Einheit veranstaltete. Für den Rahmen der Feier in der Einheit hat dann Fritz in seiner Art gesorgt. Leider ist er wiederum von seinem Stabsarzt bei der Beförderung übergangen worden. Sein Regiment scheint nun wieder ganz aufgerieben zu sein, sodaß er dann, wenn er nun zu einer neuen Einheit kommen sollte, als einfacher Krankenträger wieder ganz von vorne anfangen muß. Dieser Stabsarzt scheint wirklich ein kleinlicher und häßlicher Mensch zu sein.

     Gestern wurde bekannt, daß die Russen nun endlich ihre lang erwartete Offensive begonnen haben bei Sandomier. Diese Offensive ist also gegen Krakau u. dann weiter gegen das Oberschlesische Industrie-Revier gerichtet Ihr Ausmaß wird wesentlich vom weiteren Fortschritt in Ungarn abhängen, nachdem Budapest gefallen sein wird, was aber vorläufig noch nicht der Fall zu sein scheint.

Montag, 15. Jan. 1945.     

     Am Sonnabend zeigte Grete uns einen Brief von Ihrer Tochter Eva, in welchem sie zur Kenntnis gibt, daß sie zum April ein Kind erwartet. Gestern Abend waren Küntzels bei uns u. wir besprachen den höchst unerfreulichen Fall. Paul, der gerade diese Tochter sehr liebt, ist von dieser Sache schwer erschüttert, doch nimmt er einen durchaus richtigen u. sachlichen Standpunkt ein. Er hat ihr einen Brief geschrieben, den er uns vorlas u. den wir bis auf eine kleine Härte durchaus billigten. Er wird diese Härte mildern, die sich übrigens nicht auf Eva, sondern den vorläufig noch unbekannten Mann bezog. Niemand kann von Paul erwarten, daß er über diesen Fall einfach mit sentimentalen Gefühlen hinweggeht, sondern er betont sehr richtig, daß er im Tiefsten verletzt ist.

Dienstag, 16. Jan. 1945.     

     Gestern Abend wieder Nachricht von Fritz, – leider keine gute. Sein Regiment ist nun wieder einmal gänzlich aufgerieben, es ist das, glaube ich, das vierte Mal. Anstatt nun endlich zur Neuaufstellung in die Heimat zu kommen, [9] werden sie gleich an Ort und Stelle mit Splittereinheiten anderer Regimenter aufgefüllt, so wie es auch bisher immer gemacht wurde. Auf diese Weise kann natürlich niemals ein voll kampfkräftiges Regiment zustande kommen, sondern immer nur eine zusammengewürfelte Bande ohne straffe Disziplin, die dann möglichst rasch als reines Kanonenfutter wieder in den Kampf geworfen wird. Daß solche Regimenter dann rasch dezimiert werden, ist ja kein Wunder. – Auch der Regimentskommandeur mußte über Nacht ein anderes Regiment übernehmen, welches immerhin noch Bataillonsstärke hat. Fritzens Verbandsplatz ist nun wieder an der alten Stelle in Kolmar, nachdem sie vor einigen Tagen von dort weiter rückwärts verlegt worden waren. – Was aber viel betrübender ist, ist dies, daß Fritz selbst als Sanitäter nach vorn kommandiert ist, also nicht mehr beim Verbandsplatz u. bei Feldw. St. ist. Sein Brief ist Sylvester geschrieben u. in dieser Sylvesternacht muß er nun nach vorn in die Stellung. Er schreibt, daß ihm „mulmig“ zumute ist, aber er hat, wie er schreibt, in diesen letzten Tagen viel Zeit gehabt u. hat diese Zeit zum Lesen guter, religiöser Bücher benutzt, sodaß er sich stark fühlt, selbst wenn es nicht gut ausgehen sollte. Er hat Stegmiller gebeten, uns Nachricht zu geben, falls ihm etwas passiert. Gott möge ihn weiter beschützen.

     Zum Glück hat er vor einigen Tagen noch die Bücherpäckchen erhalten, die wir ihm zu Weihnachten sandten. Die Briefe aus dem Gefängnis von Thomas More, die dabei waren, hat er St. geschenkt, er selbst scheint besonders vom „Ackermann aus Böhmen“ beeindruckt worden zu sein. Ich habe dieses Buch selbst nicht gelesen.

     Es beunruhigt mich, daß er schreibt, es sei ihm „so merkwürdig zu Mute“. Nun, es ist das ja nicht zu verwundern. Sein Brief schließt: „So stehe ich wieder in Gottes Schutz u. Obhut im Vertrauen, daß ich alles zum Besten getan habe.“ – Gottes Wille soll und muß geschehen; aber dennoch zittert mir das Herz bei dem Gedanken, daß Fritz nicht wiederkommen könnte. –

     Die neue Offensive der Russen in Südpolen scheint zunächst ja rasch vorwärts zu kommen. Gestern Abend hieß es, daß sie Kielce genommen hätten u. ihre Angriffsspitzen jetzt 90 km. westlich der Weichsel stünden. In unserem Heeresbericht wird gesagt, daß die Russen auch in Ostpreußen an der Memel angegriffen hätten, jedenfalls ist mit Sicherheit anzunehmen, daß sie sich nicht auf Südpolen beschränken werden; aber ich glaube doch, daß ihr Hauptinteresse sich auf Polen u. Oberschlesien richtet. – Budapest war bis gestern Abend immer noch nicht restlos in russischem Besitz, unsere Leute wehren sich verzweifelt, da es heißt, daß die Russen nicht viele Gefangene machen.

     Gestern Abend hieß es, daß die Angoamerikaner durch unsere Offensive im Westen rund 40000 Mann an Verlusten gehabt haben sollen, wir aber 90000 Mann.

     Gestern war der Geburtstag des Pastors Martin Niemöller aus Dahlem, der nun schon seit 1938 im Konzentrationslager sitzt.

     Heute Vormittag kam Schw. Maria aus Barth u. brachte mir das von Pfr. Dobczynski angekündigte Transparent, das sehr hübsch gemacht ist. Sie berichtete ausführlich über den Gesundheitszustand des Pfarrers u. die Zustände in der Pfarrei. Sie aß mit uns zu Mittag [10] u. fuhr bald nach 2 Uhr wieder zurück.

     An der Ostfront ist nun die große Schlacht entbrannt. Vier Schlachten werden aufeinmal dort geschlagen. Im Süden um Budapest, sodann bei Kaschau um den Einbruch in die Slowakei, dann die Schlacht mit dem Ziel Krakau u. Oberschlesien u. schließlich nördlich Warschau bis zur Memel. Es ist wohl die größte Kampfhandlung aller Zeiten, ihr Ausgang, der nicht zweifelhaft sein kann, wird die Entscheidung dieses Krieges bringen.

Mittwoch, 17. Jan. 1945.     

     Noch eine fünfte Schlacht ist im Osten entbrannt: südlich Warschau sind die Russen seit gestern ebenfalls zum Angriff angetreten. Sie haben die Weichsel überschritten u. haben bereits Radom genommen. Von der Schlacht nördlich Warschau entlang der ostpr. Grenze bis Memel sprechen die Russen übrigens selbst noch nicht. – So wird nun also an der ganzen Ostfront gekämpft. – Aber auch im Westen hat eine neue Offensive begonnen. Gestern war in der DAZ noch zu lesen, daß es ein besonders großer Erfolg der Rundstedt-Offensive sei, die Offensivabsichten der Angoamerikaner endgültig zerschlagen zu haben, sodaß sie ihre Absicht mit den Russen gemeinsam zuzuschlagen, nicht verwirklichen können, da wurde am Abend schon bekannt, daß die Engländer trotz der Rundstedt-Offensive eine neue Offensive im südlichen Holland an der Maas begonnen hätten. Wenn man dazu die noch immer starken Kämpfe im Einbruchsraum der Rundstedt-Offensive beachtet u. dann die sehr heftigen Kämpfe in Elsaß-Lothringen, dann ergibt sich, daß nun an allen Teilen der Front mit Ausnahme von Italien der große Sturm eingesetzt hat. Die Entscheidung wird plötzlich da sein, denn ein Widerstand ist undenkbar. Wir werden ja wohl aus Italien alles Entbehrliche abziehen, bis wir auch dort so schwach sein werden, daß auch diese Front zum Erliegen kommt.

Donnerstag 18. Jan. 1945.     

     Gestern abend zu unserer großen Freude wieder Nachricht von Fritz vom 6. u. 7. Januar. Außerdem kam von ihm ein Expreßgut mit Konserven u. zwei Päckchen mit Büchern aus dem Alsatiaverlag. – Er teilt uns mit, daß er am 5. Jan. wieder von vorne aus der Stellung zurückgekommen ist. Gott sei Dank! Er war sechs Tage dort unrasiert u. ungewaschen, aber doch zufrieden u. glücklich, diese Zeit gut überstanden zu haben. Es scheint auch nicht allzu schlimm gewesen zu sein, denn er berichtet von nur neun Verwundeten, die es in dieser Zeit gegeben hat u. denen er erste Hilfe leisten mußte. Zwei davon sind gestorben. – Er ist nun wieder in Kolmar. Am 6. Jan. sei alles zurückgezogen worden u. das Regiment soll nun doch aufgelöst werden, sie sitzen in Kolmar u. warten, was werden soll. Feldw. Stegmiller hat meinen Brief erhalten u. hat sich gefreut. – Fr. berichtet von den zerstörten Ortschaften, die ein grauenhaftes Bild bieten. Die Jagdbomber richten die meiste Zerstörung an. In den noch unversehrten Kellern findet man oft noch große Fässer mit Wein. Es wird da viel getrunken, herrenloses Vieh wird geschlachtet, die Soldaten bereichern sich am [11] zurückgelassenen Eigentum der geflohenen Einwohner, werfen die Sachen dann wieder weg u. sie werden zertreten, verbrannt u. vernichtet. Was der Krieg nicht vernichtet, das vernichten die Soldaten u. wenn dann die früheren Besitzer kommen, um ihr zurückgelassenes Hab u. Gut zu bergen, so finden sie nichts mehr. Diese Leute haben meist nur das nackte Leben gerettet. Die Folge ist, daß diese Leute eine große Wut auf die Soldaten haben denn sie haben ja mit Recht erwartet, daß deutsche Soldaten das Eigentum ihrer deutschen Landsleute respektieren würden. – Das stimmt also mit dem überein, was man auch sonst hört. – So sieht Fritz wirklich, was der Krieg ist, u. das ist gut für ihn. Er sieht die Menschen sterben, teils qualvoll, teils erleichtert in der Hoffnung, nun all dieses Elend überstanden zu haben. – An Büchern sandte er ein dickes Buch: „Die Himmelfahrt Christi in d. bild. Kunst“ von Dr. S. H. Gutberlet. Dies ist eine Schwester aus dem Orden der engl. Fräulein zu Mainz (Schw. Helena Gutberlet 7. St. M.) Ob mich diese philologische Arbeit sehr interessieren wird, weiß ich nicht. Sodann schickte er kleine Schriften von Felix Rutten, Ludw. Winterswyl, Guardini, Reinh. Schneider, Timmermans u. Kirschweng.

     Gestern Abend haben wir wieder die Mittwoch-Vorträge aufgenommen. Von den alten Teilnehmern waren Marianne Clemens u. Frau Korsch da, Frau Ziel ist krank u. Carmen Grantz konnte wohl wegen der großen Glätte nicht kommen, sie ist schon seit langer Zeit nicht recht wohl. Neue Teilnehmer waren Frau Dr. Scheid, die ihren Mann mitbrachte, der für einige Tage hier ist, u. Ilse Schuster (König), sowie Grete, mit Martha also sieben Hörer. Ich sprach über das Bußsakrament. Marianne Clemens ist nun als alte Teilnehmerin den anderen überlegen, denn für diese war alles sehr neu u. nicht leicht begreiflich. Sie gaben sich aber große Mühe u. waren interessiert, mit Ausnahme von Grete, deren geistiger Hochmut ihr nicht erlaubt, zuzuhören, – u. was sie hört, legt sie dann in ihrem eignen Sinne aus. Leider fühlte sie sich verpflichtet, vielmehr wurde sie von ihrer Überheblichkeit gedrängt, nachher ihre Ansicht zu äußern u. erheblichen Unsinn zu verzapfen, sodaß ich ihr etwas unfreundlich das Wort abschneiden mußte. –

Heute starkes Schneetreiben aus Südost, Temperatur um den Gefrierpunkt.

     Mittags wird bekannt, daß die Russen gestern Warschau u. Tschenstochau eingenommen haben. Das sind große Erfolge. Sie werden dann auch Lietzmannstadt rasch nehmen, welche Stadt dann wieder ihren rechtmäßigen Namen Lodz zurück erhalten wird, sowie das oberschlesische Industrierevier. Wollte Gott, daß es nur rasch voran geht.

     Heute war Frau v. Achenbach hier, die erschütternde Sachen von ihrem Mann erzählte, der vor einiger Zeit als Halbjude zur Organisation Todt eingezogen wurde. Alle Eingezogenen sind in furchtbar engen u. verwanzten Barracken untergebracht. Herr v. A. liegt in einer Barracke mit 28 Mann, in der sich nur ein schmaler Tisch befindet, an dem nur 8 Mann gleichzeitig sitzen können. Außer ihm ist nur noch ein anderer Halbjude da, die anderen sind arische Männer, die jüdische Frauen haben. Sie werden beschäftigt mit [12] schwerster Arbeit, die Ernährung ist völlig unzureichend, die Behandlung entehrend. Frau v. A. selbst, die eine überaus kuragierte Frau ist, hat in Bln. Beschwerde geführt, jedoch ohne Erfolg. Der höhere SS=Beamte, bis zu dem sie vorgedrungen war, war ein Vieh von Mensch, der sie bedrohte, um sie einzuschüchtern, was ihm aber nicht gelang. – Einer der Insassen des Lagers, wo Herr v. A. ist, ist Major a.D., Teilnehmer am Weltkriege u. Inhaber des Hohenzollern-Hausordens. Ein Ministerium hat sich bei der SS erfolglos bemüht, diesen Mann frei zu bekommen.

     Wenn nur bald die Russen kämen!

Freitag, 19. Jan. 1945.     

     Gestern Abend erhielt Paul Nachricht vom Kreisleiter in Schneidemühl, er habe sich sofort dorthin zurück zu begeben. Paul erregte sich sehr. Es gelang uns, Dr. Meyer zu erreichen, der zufällig in Ahrenshoop war. Er kam noch um 10 Uhr Abends zu uns. Er wird nun eine Bescheinigung ausstellen, daß Paul krank u. nicht reisefähig ist. Diese Bescheinigung wird dann erst einmal nach Schneidemühl geschickt werden. Bis dann wieder eine Antwort hier ist, ist wieder etwas Zeit gewonnen u. die Russen sind näher. Wenn die Russen nur bis Bromberg kommen, so wird der Herr Kreisleiter ja ausreißen. Diese ganze Sache hat Paul jedoch so aufgeregt, daß er heute nicht imstande ist, das Bett zu verlassen.

     Gestern Abend hieß es, daß die Russen Lowitzsch genommen haben, also werden sie auch bald Lietzmannstadt, sprich Lodz, haben. Es macht nicht den Eindruck, als wäre unsere Front im Osten auch nur annähernd in der Lage, Widerstand zu leisten, es scheint vielmehr, als wäre jeder Wille zum Widerstand erloschen. Ich kann mir nur denken, daß dies die Antwort der Soldaten, besonders der Offiziere, auf die Politik seit dem 20. Juli ist. Die Partei hat sich seitdem die Führung über die Wehrmacht angemaßt. Man hat den Truppen politische Kommissare beigegeben unter dem Namen: NS=Führungs=Offiziere. Nachdem man den ganzen Krieg hindurch diese politischen Kommissare, wie sie in Rußland eingerichtet sind, verächtlich gemacht hat, kann man jetzt nicht gut erwarten, daß dieselbe Einrichtung bei uns freudig aufgenommen wird, zumal diese sog. „Offiziere“ teilweise einfach aus dem Mannschaftsstande entnommen sind u. ohne jede militärische Qualifikation sind. Nur ihre Parteizugehörigkeit ist Maßgebend. So schrieb ja auch Kurt schon vor langer Zeit, als wir noch garnicht wußten, was ein „NS=Führungsoffizier“ sein soll, daß er Aussicht hätte, ein solcher zu werden. Es scheint aber, daß er doch nicht genügend politisch sicher ist, denn er ist ja nicht PG., u. bei seinen Personalakten dürften ja die üblen Streitigkeiten, die er zu Anfang des Krieges mit seiner ehemaligen Prokuristin Moßgraber gehabt hat, eine nicht sehr empfehlende Rolle spielen. Wäre das nicht, dann würde der so völlig unmilitärische Kurt, der es gerade zum Obergefreiten gebracht hat u. keine Qualifikation zum Unteroffizier besitzt, jetzt gewiß solch ein politischer Offizier geworden sein. Es läßt sich denken, daß die Regimentskommandeure nicht erbaut sein werden, wenn man ihnen solche Leute vor die Nase setzt.

[13]
Sonnabend, 20. Jan. 1945.     

     Gestern abend zwei überholte Briefe von Fritz vom 12.12. u. 27.12. –, in letzterem schreibt er noch von Weihnachten. Sein Regiment, schreibt er, war einst, als sie noch gegen Terroristen kämpften, so stark wie jetzt eine ganze Division, jetzt existiert es so gut wie nicht mehr. Zu Weihnachten hatten sie viel zu essen: Schokolade, Kaffee, Thee, Lebkuchen, Drops, Kalb= u. Schweinebraten, Fischkonserven u. Wurst. Alle haben sich den Magen überladen. – Ganz neu ist mir, daß es neben dem Oberbefehlshaber West v. Rundstedt noch einen Oberbefehlshaber Oberrhein Himmler gibt. Da Fritz noch zu Rundstedt gehört, kann dieser letztere „Oberbefehlshaber“ keine sehr große Wirksamkeit haben, höchstens das Stück südlich Kolmar bis zur Schweizer Grenze; aber es ist doch bezeichnend, daß dieser Mann, der von Tuten u. Blasen keine Ahnung hat, einen solchen militär. Rang einnimmt. – Fritz schreibt, daß am 27.12. ein Armeebefehl bekannt gegeben wurde, in dem die Truppe ermahnt würde, dort auszuhalten, denn in absehbarer Zeit würde es wieder erfolgreich vorwärts gehen. In der Tat sind in letzter Zeit auch wirklich Gegenangriffe von uns geführt worden, vor allem ist es gelungen, nördlich u. südlich Straßburg Brückenköpfe über den Rhein zu errichten, aber das sind taktische Erfolge ohne strategische Bedeutung. Der ganze, westliche Kriegsschauplatz hat seit der großen Russenoffensive überhaupt nur noch nebensächliche Bedeutung. Diese Offensive geht mit unverminderter Heftigkeit weiter u. dehnt sich noch weiter aus. Gestern griffen die Russen auch östlich Insterburg an u. stießen 40 km. gegen diese Stadt vor. An der Südgrenze von Ostpreußen, nördlich Warschau, nahmen sie Mlawa, wo für mich s. Zt. der erste Weltkrieg begann. Dieser Stoß zielt auf Allenstein. Ferner nahmen sie an der Weichsel Plock u. weiterhin Kutno mit dem Ziel auf Bromberg, u. schließlich griffen sie südöstlich von Krakau am Fuß der Karpaten an u. erzielten ebenfalls erheblichen Geländegewinn. Angesichts dieser Offensive beginnen unsere Zeitungen nun doch, einen ernsten Ton anzuschlagen. Natürlich wird immer noch davon geredet, daß wir Vertrauen zu unseren tapferen Soldaten haben sollten, hinter denen ja noch die schaffende Heimat u. der Volkssturm ständen, aber es wird doch gesagt, daß die Übermacht so groß sei, daß ein erfolgreicher Widerstand nicht zu erwarten sei. Was uns dann das Vertrauen in die Tapferkeit unserer Soldaten nützen soll, wird freilich nicht gesagt. – Gleichzeitig hielt Churchill im Unterhause eine Rede, in der er sagte, daß garkeine Rede davon sein könne, einen Verhandlungsfrieden zu schließen, vielmehr würde dieser Krieg bis zur bedingungslosen Kapitulation fortgeführt. Er sagte, daß alle Alliierten mitsamt dem Unterhause dieser Meinung seien. Es wurde dann hierüber u. über andere Punkte der engl. Politik abgestimmt u. es ergab sich, daß das gesamte Unterhaus mit Ausnahme von nur sieben Stimmen für Churchill stimmten. Es war ein großer Tag des Unterhauses, sämtliche Minister waren zugegen u. man muß wohl annehmen, daß ein besonderer Grund dazu vorgelegen haben muß. Dieser Grund kann wohl kaum ein anderer sein als der, das Deutschland [14] durch irgend welche neutrale Vermittlung den Versuch gemacht haben muß, einen Verhandlungsfrieden zu erreichen. Ein solcher Versuch wäre natürlich naiv. –

     Gestern Abend Erich Seeberg u. Dr. Scheid, der heute wieder nach Hmb. zurückfährt. –

     Stürmisches Wetter, Temperatur um den Gefrierpunkt. Schnee, der am Tage teilweise schmilzt. Wege vereist u. sehr glatt.

[15]
Tagebuch.
Heft 16.

     Begonnen: 21. Januar 1945.

     Geschlossen: 30. April 1945.

[16]
Sonntag, 21. Januar 1945.     

     Die Russenoffensive geht weiter. In Ostpreußen u. in Oberschlesien wird auf deutschem Boden gekämpft, die russischen Angriffsspitzen sollen 40 km. vor Posen stehen. – Gestern Abend hieß es, daß auch die Franzosen im Raume von Kolmar angegriffen haben. Dort ist Fritz u. wir sind in Sorge. Auch in Südholland u. an der belgischen Grenze sollen schwere Kämpfe im Gange sein. Es ist also nichts mit dem Versuch, die mißglückte Rundstedt-Offensive insofern als einen großen Erfolg hinzustellen, als wäre durch sie verhindert worden, daß die Anglo-Amerikaner vor dem Frühjahr zum Angriff antreten könnten. Sie greifen an. So wird an allen Fronten gekämpft, außer in Italien.

     Eben war Tommy Abeking hier. Er erzählte von Berlin u. anderwärts, jedoch nichts Neues. Nur wußte er, daß Oberschlesien evakuiert ist. Die Leute bekamen Abends 11 Uhr den Befehl u. mußten um 1 Uhr Nachts schon losfahren. Er traf auf der Bahn eine Dame aus Oppeln, die das erzählte u. die bei Rostock Unterkommen suchte.

     Heute aßen wir uns einmal wirklich satt. Es gab Schweinebraten mit Kartoffelklößen. Den Braten hatten wir der Güte Revoldts zu verdanken, es war ein richtiges Fest.

     Gestern an Eva Küntzel geschrieben; ein schwieriger Brief, – heute an Fritz geschrieben wie jeden Sonntag.

[17]
Montag, 22. Januar 1945.     

     Die Russen-Offensive, die in einem ungeheuren Tempo vorgetragen wurde, scheint nun zu einer Atempause gekommen zu sein. Ganz im Osten sind Tilsit u. Gumbinnen von den Russen genommen worden, aber Insterburg ist noch in unserem Besitz. Im Süden Ostpreußens sind sie bis Neidenburg eingebrochen, aber Allenstein haben sie noch nicht erreicht. Auch über Leslau u. Kutno scheinen sie nicht mehr hinausgekommen zu sein, sodaß Thorn noch vor ihnen liegt, ebenso Posen. Nur westlich Tschenstochau sind sie in Richtung Breslau weiter vorgestoßen, sodaß hier in ziemlich breiter Front auf deutschem Boden gekämpft wird. Es macht den Eindruck, als wollten sie das Industrierevier nördlich umgehen, um es möglichst unbeschädigt in Besitz zu bekommen. Weiterhin in der Slowakei u. Ungarn scheint nichts Wesentliches mehr geschehen zu sein, aber es mag sein, daß wir dort von selbst unsere Stellungen aufgeben werden.

     Von engl. Seite wird nun eine starke Propaganda gemacht im Sinne der Unterhausrede Churchills vom letzten Donnerstag. Er hat da gesagt, daß keine Rede von einem Verhandlungsfrieden sein könne, die Kapitulation müsse bedingungslos sein; aber die Anglo-Amerikaner seien keine Barbaren, die sich die blutige Ausrottung des deutschen Volkes zum Ziel genommen hätten. Sie fühlten sich im Gegenteil als die Fackelträger einer besseren Zukunft u. wollten einen wirklichen, lange währenden Frieden. Gewiß würde man Deutschland sehr schwere Friedensbedingungen auferlegen, aber dieser Friede würde doch noch ungleich besser sein als die unsäglichen Leiden, die aus einer weiteren Fortsetzung dieses Krieges dem Volke erwachsen würden.

     Von morgen ab sind sämtliche D=Züge eingestellt, es wird immer katastrophaler. – Eben heißt es, daß ab morgen überhaupt keine Briefe mehr geschrieben werden dürfen, nur noch Postkarten. Wir riefen bei der Post an, wo es hieß, daß diese Verfügung, „noch nicht amtlich“ sei. – Ferner soll nun auch unser Telephon gesperrt werden, nachdem in letzter Zeit bereits viele Apparate eingezogen worden sind. Im ganzen Dorf sollen nur vier Telephone verbleiben. – Ja, das deutsche Volk würde schon gern sofort Frieden machen, aber wie sollen wir das? –

     Gestern Vormittag hat, wie Richard Spangenberg erzählt, zum ersten Male der Volkssturm unter Führung von Emil Gräff geübt. Es waren ganze fünf Mann. Diese fünf Mann haben zuerst die Kuhweide erstürmt u. nachher die Höhe des Paetow'schen Hofes „besetzt“. Es muß eine überaus erheiternde Angelegenheit gewesen sein. –

     Gestern Abend im Deutschlandsender Beethovens Heroika, Dirigent Furtwängler. Sehr schön. –

     Abends waren Grete u. Paul bei uns. Mittags aßen wir den von Rewoldt bekommenen Schweinebraten mit Kartoffelklößen. Es war eine große Sache. Nach langer Zeit wieder einmal ein richtiges Essen. Unsere gewöhnliche Nahrung besteht sonst fast nur noch aus Kohl. – Nach Tisch besuchte mich Tommy Abeking, der von Berlin u. anderwärts nichts Neues zu erzählen wußte.

     Richard Spangenberg hat in Ribnitz einen Mann gesprochen, der direkt aus Lietzmannstadt kam. Danach sind die Russen in L. gewesen, ehe jemand etwas ahnte, man flüchtete Hals über Kopf u. die Stadt ist ohne Schuß in russ. Hände gefallen, ganz unversehrt.

[18]
Dienstag, 23 Januar 1945.     

     Ueber Nacht u. heute früh ist viel Schnee gefallen, bei Südwest. Ganzen Vormittag Schnee geschaufelt. Es schneit immer noch jetzt zur Mittags Zeit.

     Die Russen haben Insterburg genommen, ferner Deutsch-Eglau u. Allenstein u. Tannenberg. So müssen sie ja auch Ortelsburg haben, die Heimat unserer Evakuierten. In Nordpolen haben sie Gnesen genommen, dort stehen sie nun dicht vor Thorn u. auch vor Posen. In das oberschles. Industrierevier haben wir vermutlich alles, was noch ein Gewehr tragen kann, vor allem Rüstungs= u. Bergarbeiter, hineingeworfen, sodaß die Russen dort zunächst aufgehalten sind, aber das kann wohl kaum von Dauer sein. Bei der Schnelligkeit dieses Vormarsches ist natürlich die normale Artillerie nicht mitgekommen, selbst Infantrie wird fehlen. In einigen Tagen wird das alles nachgekommen sein. Wir müssen bei dieser Sache ja ungeheure Materialeinbußen an Geschützen, Panzern u. allen Fahrzeugen gehabt haben, ebenso an Munition, Treibstoff, Proviant usw., u. es wird sich zeigen, wie weit wir diese Verluste ausgleichen können. Vor allem Treibstoff fehlt, da die Anglo-Amerikaner schon seit längerer Zeit u. in den letzten Wochen besonders verstärkt, unsere Treibstoff-Industrie angegriffen u. zerstört haben. Vor allem wird nun die ganze oberschles. Treibstoff-Industrie ausfallen u. wir hatten während des Krieges diese ganze Fabrikation nach Oberschlesien verlegt, um sie vor Luftangriffen zu schützen. Heute morgen traf ich Frau Ribinski, die ich nach ihrem Mann fragte, welcher ja in Tschenstochau in einem Rüstungsbetriebe arbeitet. Er baut die Radioausrüstung in die Panzer ein. Die Frau sagt, ihr Mann habe den letzten Brief am 12. Jan. geschrieben, in diesem Brief habe er aber noch kein Wort von der Russen-Offensive geschrieben.

     Die Einstellung des Briefverkehrs in Deutschland scheint sich zu bewahrheiten, aber bis jetzt ist amtlich auf der Post noch nichts darüber bekannt. Nur Postkarten können dann geschrieben werden.

     Gestern versuchte ich vergeblich, Herrn Deutschmann aufzusuchen, um ihm mitzuteilen, daß ich den Kindern der Frau Sommerhof, des Kapitänleutnants Dr. Krappmann u. der Frau v. Achenbach Religionsunterricht geben würde. Ich traf ihn nicht an u. sagte seiner Frau, er möge doch heute zu mir kommen. Er kam, während ich Schnee schaufelte. – Zuerst tat er etwas beleidigt u. er sagte, er müsse dann der Schulbehörde Mitteilung davon machen. Ich erwiderte ihm, daß er das ruhig tun solle, ich würde trotzdem den Unterricht geben, da ich vom Bischof von Berlin durch den Pfarrer in Barth schriftlich dazu ermächtigt sei u. die Eltern der Kinder mich darum gebeten hätten. Er dachte daraufhin etwas nach u. meinte dann: „Ach, wissen Sie, – ich weiß von nichts!“ – Ich antwortete ihm lachend, daß ich das auch für das Richtigste hielte, u. damit war die Sache dann erledigt. Es war interessant zu sehen, wie dieser Mann feige kniff u. sich aus der Verantwortung zog. –

     Jetzt ist Mittag u. das Schneetreiben hat wieder verstärkt eingesetzt. Es ist schon wieder alles zugeschneit, was ich freigeschaufelt hatte.

[19]
Mittwoch, 24. Jan. 1945.     

     Der Obergefr. Mehlis, der morgens vorbei kam, als ich beim Schneeschippen war, nahm mir diese Arbeit ab. Er schippte nicht bloß den Bürgersteig um das ganze Grundstück, u. zwar in 2 mtr. Breite, sondern er schaufelte auch noch das Dach der BuStu. frei Ein unglaublich anständiger Kerl, er hat über 2 Stunden gearbeitet u. bedankte sich dann noch für die Schachtel Cigaretten, die ich ihm gab. – Er erzählte mir, daß der Batteriechef bei der üblichen Lagebesprechung gestern gesagt habe, wir hätten den Krieg endgültig verloren, wenn wir das oberschles. Industrierevier verlören, denn es sei dort der größte Teil der synthetischen Treibstoff-Fabrikation. Ja, das ist natürlich allbekannt, aber daß der Batteriechef, der noch überdies ein Nazi ist, dergleichen offiziell sagen darf, deutet doch darauf hin, daß der Zusammenbruch bevorsteht. –

     Gestern haben die Russen Bromberg genommen. Mehlis sagte mir, daß offiziell mitgeteilt sei, wir hätten das Reichsehrenmahl von Tannenberg gesprengt, ehe wir es den Russen überlassen hätten, die Särge von Hindenburg u. den sonst noch dort Beigesetzten seien vorher geborgen worden. – Zwischen Breslau u. Oppeln haben die Russen in 60 km. Breite die Oder erreicht, womit das Industrierevier ja praktisch lahmgelegt ist. In Ostpreußen sollen sie 40 km. vor Elbing stehen, Königsberg soll nur noch etwa 20 km. von der Front entfernt sein.

     Heute ist nun tatsächlich der Briefverkehr eingestellt, nur noch innerhalb von 75 km. können Briefe aufgegeben werden.

     Gestern kam wieder ein Expreßgut von Fritz mit sehr schönen Büchern aus dem Alsatia-Verlag.

Donnerstag, 25. Jan. 1945.     

     Gestern kam es leider infolge des Betragens Erikas wieder einmal zu einer höchst unerfreulichen Auseinandersetzung. Ich erzählte bei Tisch von der Lagebesprechung des Batteriechefs u. daß er gesagt habe, wir hätten den Krieg verloren, falls wir das oberschles. Industrierevier verlören. Ich erzählte das absichtlich, um Erika zu zeigen, daß Männer in verantwortlichen Kommandostellen, die noch dazu überzeugte Nazis sind, diese Tatsache, die ja im übrigen nicht bezweifelt werden kann, ihren Untergebenen mitteilen. – Erika erklärte darauf sehr schnippisch, es sei ja unerhört, daß der Batteriechef dergleichen sagen könne, die Soldaten würden doch diese Ansicht ihres Chefs weitererzählen. Ich antwortete ihr, daß der Batteriechef ja wohl selbst wissen müßte, was er sagen u. nicht sagen könne u. wenn die Soldaten das natürlich weiter erzählten, so diente das doch bloß der nun einmal unabänderlichen Wahrheit. Darauf antwortete sie noch schnippischer, daß man dergleichen eben nicht sagen dürfe, auch wenn es Wahrheit wäre. Nun wurde ich ärgerlich u. sagte mit betonter Schärfe, daß es nun endlich an der Zeit sei, die Dinge anzusehen, wie sie wirklich sind u. nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Erika stand daraufhin vom Tisch auf u. verließ das Zimmer. –

     Ich hätte selbst zu dieser Sache nichts weiter gesagt, aber Martha war über dieses Benehmen sehr aufgebracht u. es kam zu einer langen Aussprache zwischen Küntzels u. uns, wobei Grete, wie immer, zu begütigen u. zu [20] verharmlosen suchte, während Paul unseren Standpunkt vertrat. Diese ewige Verharmlosung der innerlichen Opposition Erikas sowohl gegen ihren Vater wie gegen uns konnten wir ja nicht einfach hingehen lassen. Wir versuchten, Grete klar zu machen, daß es Erikas Pflicht sei, wenn sie schon unsere Gastfreundschaft in Anspruch nimmt, sich in unsere Anschauungen einzufühlen. Es ist für uns jeden Tag eine sehr unangenehme Last, zu ertragen, daß jemand mit uns am Tisch sitzt u. fast jedes Wort, das gesprochen wird mit stiller Opposition begleitet, angefangen schon mit dem Tischgebet. Wir erklärten Grete, daß es auf die Dauer nicht anginge, mit einem Menschen am Tisch zu sitzen, der sich immer nur in oppositionelles Schweigen hülle. Erika wohnt bei uns, sie empfängt dauernd Vorteile für sich, ja, sie trägt sogar Fritzens Sachen, sie braucht unsere Kohlen usw. u. bei all dem hat ihr Mann es bisher noch nie für nötig befunden, auch nur eine Postkarte an uns zu schreiben oder einen Gruß an uns bestellen zu lassen. Sie selbst gibt sich freilich Mühe, mit uns nicht in Differenzen zu geraten, weil ihr dies ihre Klugheit gebietet, denn wo sollte sie hin, wenn wir sie rauswerfen; aber sie tut das nicht, indem sie sich irgendwie aktiv um uns bemühte, sondern nur passiv, indem sie schweigt. Wir haben dadurch natürlich das Gefühl, von ihr aus purer Klugheit ausgenützt zu werden. – Nun, all dies kam mit einem Male zur Sprache u. Grete, der es leider sehr an Sachlichkeit fehlt, fühlte sich angegriffen als Mutter ihres geliebten Kindes u. brach, wie üblich, in Tränen aus. –

     Abends fand dann der Mittwoch-Vortrag statt, um 8 Uhr. Um 1/4 vor 8 Uhr, – Paul war gerade bei uns, – rief Grete von unten: „Martha.“ – Martha ging runter u. wir hörten Erikas Stimme u. dann sehr erregte Worte von Martha, die dann bald wieder herauf kam u. offensichtlich sehr erregt war. Bald darauf kam auch Grete u. machte M. den Vorwurf „das Kind mit dem Bade ausgeschüttet zu haben“. Sie habe den ganzen Nachmittag über ihrer Tochter Erika gut zugeredet u. nun sei sie so weit gewesen, mit bestem Willen zu Martha zu kommen u. die Differenz beizulegen; aber Martha sei gleich so ausfallend geworden, daß nunmehr alles wieder verdorben sei. Aus dem nun folgenden Gespräch ergab sich, daß Erika gesagt hat, sie wolle sich in Zukunft mehr zusammennehmen u. mehr schweigen, jedoch könne sie mit ihrem Vater sich eben nicht verstehen. Besonders über diese letzte Bemerkung scheint sich Martha geärgert zu haben, jedenfalls gab es anstatt einer Versöhnung scharfe Worte u. Martha hat wohl Mutter u. Tochter stehen lassen u. ist wieder zu uns heraufgekommen. Nun war natürlich der Krach erst richtig da. Martha ist in solchen Fällen ja zweifellos sehr unbeherrscht, aber der Sache nach war sie im Recht. Es genügt eben nicht, wenn Erika einfach in ihrer stillen Opposition gegen uns nur schweigt. Wir können schon verlangen, daß ein junger Mensch, der sich täglich an unseren Tisch setzt u. mit uns ißt, sich mindestens Mühe gibt, auf unsere Anschauungsweise einzugehen u. versucht, uns zu verstehen. Wir verlangen ja nicht, daß sie eine fromme Christin wird, – das könnte sie garnicht, – von [21] Paul verlangen wir das ja auch nicht, – aber wir können auf die Dauer nicht eine nur mühsam verheimlichte Opposition von einem Menschen vertragen, der praktisch von unserer Freundlichkeit lebt. – Es war schwer, Grete dies klar zu machen. Sie meinte, wir verlangten von Erika, daß sie ihre sogenannte nationalsozialistische Weltanschauung von heute auf morgen ablegen u. eine Christin werden solle – u. das sei doch unmöglich. Es war ja nicht allzuviel Zeit, denn meine Hörerinnen mußten jeden Augenblick kommen, u. ich weiß nicht, wie weit Grete zur Einsicht gekommen ist. –

     Nach dem Vortrag kamen Paul u. Grete wieder herauf, um die Nachrichten zu hören. Grete hatte sich inzwischen beruhigt. Paul sagte mir nachher, daß sich inzwischen eine neue Unannehmlichkeit ereignet habe: Erikas Mann hat einen SS=Mann auf Urlaub geschickt mit einem Paket für Erika. – Abgesehen davon, daß kein Soldat seit vielen Monaten mehr Urlaub bekommt, aber dieser SS=Mann des Herrn Oberleutnant mit einem Paket nach Ahrenshoop fahren kann, – ist es uns höchst unangenehm, einen solchen Menschen hier überhaupt zu sehen. Als Erikas Mann hier war, haben wir zur Bedingung gemacht, daß er in Civil ginge u. haben ihm zu diesem Zweck Fritzens Sachen zur Verfügung gestellt. Wir haben ausdrücklich zum Ausdruck gebracht, daß wir einen SS-Mann in Uniform keinesfalls in unserem Hause zu sehen wünschen, – u. nun schickt uns dieser Mensch noch einen SS-Mann extra auf den Hals, den Erika im Baltischen Hof untergebracht hat. Es ist das ein neuer Beweis dafür, daß weder Erika noch ihr Mann gewillt sind, unserer Ablehnung des Nationalsozialismus, u. vor allem der SS, die geringste Rechnung zu tragen. – Wenn sich das nicht ändert, muß von uns aus eine Änderung vorgenommen werden. Es scheint aber, als wolle Erika die Konsequenzen ziehen, jedenfalls hat sie heute früh ein Ferngespräch mit Berlin geführt. Ich weiß nicht, mit wem. Auch Grete sagt nichts darüber, – sie hat ja immer ihre Heimlichkeiten. Es ist schon so, wie Eva mir einmal vor vielen Jahren sagte: „Bei uns hat jeder seine heimlichen Gedanken“. –

     Die Russen scheinen eine Atempause zu machen. Breslau scheint jetzt von drei Seiten eingeschlossen zu sein, jedenfalls ist die Verbindung nach dem Industrierevier unterbrochen, es gibt nur noch Nebenverbindungen. Dafür scheint nun Rundstedt im vollsten Rückzuge aus den Ardennen zu sein. Auch bei Kolmar wird gekämpft.

     Über Nacht hat er wiederum geschneit. Auch eben schneit es wieder etwas. Ich mußte darum heute wieder schippen, doch hat Paul viel geholfen.

Freitag, 26. Januar 1945.     

     Gestern Nachmittag um 6 Uhr wurde wieder einmal plötzlich die Stromversorgung eingestellt. Wir saßen bei unserer Petroleumlampe, die uns Inge Meisner vor einigen Tagen geschenkt hat. Auch Küntzels waren bei uns. Um 9 Uhr gingen wir schlafen, um Petroleum zu sparen, denn auch davon haben wir nicht viel. Mit großer Sorge sehe ich der Zeit entgegen, wo der Strom überhaupt eingestellt werden wird.

     Die Russen haben oberhalb Breslau Brückenköpfe über die Oder errichtet. Sonst scheint keine neue Veränderung [22] der Front eingetreten zu sein.

     Wir wollten gestern Abend zur alten Frau Longard gehen, doch unterließen wir es wegen des Lichtmangels. Wenn nichts Neues dazwischen kommt, werden wir heute Abend gehen. –

     Nachmittags: Die Russen haben Gleiwitz erobert von Norden u. Westen her, sodaß das Industrierevier jetzt noch mehr ausgeschaltet ist.

     In Rostock sollen 21000 Flüchtlinge aus dem Osten eingetroffen sein, die nun aufs Land verteilt werden. Wustrow, Alt= u. Niehagen werden vollgelegt in Schulen u. Sälen, auch bei uns soll Holzerland belegt worden sein.

     Richard brachte uns wieder Lebensmittel, wie schon oft. Er u. Wullenbecker sind in dieser Zeit unsere Rettung. Es wird jetzt mit dem Hunger erst richtig losgehen. Wovon sollen all die Flüchtlinge ernährt werden? Woher Kohlen nehmen? Eisenbahnen fahren kaum noch. Bei uns mag's noch angehen, aber die Städte! Berlin soll jetzt schon voller Flüchtlinge sein. Bisher gab es noch reichlich Milch, das wird aufhören. Den Bauern wird das Futter für das Vieh abgenommen, sie werden alles schlachten müssen. Das große Elend wird nun hereinbrechen. Die letzte Rettung besteht darin, daß die Armee meutert. – Zum Überfluß hat wieder starkes Schneetreiben eingesetzt, es wird der letzte Verkehr im Schnee stecken bleiben. Die Ostflüchtlinge erzählen grauenvolle Sachen. Sie haben nichts mitnehmen können, keine warme Kleidung, Kinder sind zerquetscht u. zertreten worden. Herr Johow ist aus Posen eingetroffen, 48 Stunden Fahrt nach Berlin, der Zug so voll, daß die Menschen bewegungslos aneinandergepreßt gestanden haben. Eine Frau war im Zuge, deren Kind gestorben war, sie trug die Leiche 48 Stunden lang auf dem Arm.

Sonnabend, 27. Januar 1945.     

     Die Russen haben nun das Haff zwischen Königsberg u. Danzig erreicht u. damit den Rest Ostpreußens abgeschnitten. Auch nach Westen sind sie weiter gekommen u. stehen nun nördlich u. südlich Posens. Offenbar wollen sie diese Stadt flankieren, um sie vor Zerstörung zu bewahren. Dasselbe machen sie wohl auch mit Breslau. – Bei all dem ist das Erstaunlichste, daß der letzte Widerstand in Budapest immer noch nicht gebrochen ist u. von unserer Seite schon vor einigen Tagen die Wiedereroberung von Stuhlweissenburg gemeldet wurde. Man scheint mehr Kraft aufzuwenden, Budapest zu halten, als Berlin zu verteidigen. Die Front ist jetzt von Berlin u. Stettin nur noch 200 km. entfernt. Die Leute sind sehr aufgeregt. Unsere Propaganda hat uns seit Jahren mit so furchtbaren Geschichten über die blutgierige Grausamkeit der Russen unterhalten, daß jetzt eine panikartige Angst herrscht. – Auch im Westen sind schwere Kämpfe im Gange, aber die Erfolge der Anglo-Amerikaner sind nur gering. Immerhin scheint Rundstedt bei seinem Rückzug aus den Ardennen sehr schwere Verluste an Menschen u. Material gehabt zu haben u. diese werden sich wahrscheinlich eines Tages auswirken u. zu plötzlichen Ereignissen führen. [23] Gestern Abend bei Frau Longard. Als wir hingingen, schneite es schon stark bei Ostwind, als wir uns um 3/4 12 Uhr auf den Heimweg machten, war der Weg so tief verschneit, daß der Marsch sehr anstrengend war. Wir waren erst um 1/2 1 Uhr zuhause. Es war aber sehr nett wieder, wie immer. Sie setzte uns einen „Seehund“ vor, das ist ein Getränk zur Hälfte aus heißem Zuckerwasser, zur anderen Hälfte aus Weißwein, – sehr bekömmlich u. erwärmend. In Kaiserslautern hat die Stiftskirche, neben der die Apotheke liegt, einen Volltreffer einer Sprengbombe bekommen u. der Kirchturm ist auf die Apotheke gestürzt. Er hat das Haus bis unten hin durchschlagen, nur die Kellergewölbe haben den Ruck ausgehalten. – Sie erzählte wieder ungemein anschaulich aus den ersten Jahren ihrer Ehe in Kaiserslautern u. von ihrer Mädchenzeit in Rostock. Diese Frau stellt einen letzten Rest eines längst vergangenen soliden Bürgertums dar, welches noch nicht oder nur sehr wenig berührt worden ist von dem neuzeitlichen Scheindasein solcher Bürgerkreise, wie ich sie in meiner Jugend leider erleben mußte. Rostock war damals eben auch noch eine kleine Stadt ohne die aufgeblähte Kriegsindustrie, mit welcher Adolf Hitler diese Stadt beglückt hat. Aber nun ist auch diese alte Frau ängstlich geworden u. ich mußte ihr den Gedanken ausreden, daß die Russen uns allesamt ermorden würden. –

     Heute morgen mußte ich wieder Schnee schippen, dabei sah ich Rolf Saatmann, der heute früh aus dem Lazarett Müritz=Graal herüber gekommen war. Er sah sehr mager aus, machte aber sonst einen recht guten Eindruck. Besonders der linke Arm schien noch recht lahm zu sein, aber er meinte, daß das wohl noch in Ordnung käme.

     Von Fritz haben wir seit dem 18.1. keine Nachricht mehr. Diese war datiert vom 6. u. 7.1. – Allerdings bekamen wir ja am 20.1. noch zwei Briefe, aber diese waren längst überfällig vom 12.12. u. 27.12.44. Seit dieser Zeit haben in der Gegend von Kolmar schwere Kämpfe stattgefunden, – wir machen uns natürlich Sorge. Auch von Kurt hat Martha nichts gehört. Sein Urlaub lief am 12.1. ab, an diesem Tage begann die große Russenoffensive. Er dürfte wohl kaum seine Einheit erreicht haben u. wird wahrscheinlich mit anderen Urlaubern, Troß=Soldaten usw. in irgend eine, schnell zusammengeraffte Einsatzreserve gesteckt worden sein. Anneliese hat vor einigen Tagen mit Martha telephoniert. Sie meinte, daß sie notfalls mit ihrem Kinde hierher kommen würde, – u. nun fiel es ihr auch zum ersten Male ein, einen Gruß an mich zu bestellen. Von Ruth haben wir ebenfalls lange keine Nachricht mehr, Marthas letzter Brief an sie konnte wegen der Briefsperre nicht mehr abgehen.

Sonntag, 28. Januar 1945.     

     Heute sehr große Beteiligung an der Andacht es waren 11 oder 12 Personen, davon drei aus Wustrow, was angesichts des Wetters wirklich erstaunlich ist, denn es schneit unentwegt. Draußen, wo es stärker weht, muß der Schnee teilweise sehr hoch liegen, nachdem man schon hier im Dorf nur mühsam gehen kann. Diese starke Beteiligung wirkte sich wundervoll aus, sodaß auch meine Ansprache ganz besonders gut gelang. Jeder hatte wirklich das lebendige Gefühl, an heiligem Ort einer heiligen Handlung beizuwohnen u. ich selbst [24] war von diesem Bewußtsein ganz ergriffen. Ich habe immer das Gefühl, daß ich u. die anderen garnicht besser u. inniger kommunizieren können, als wir es hier in geistiger Weise tun. –

     Gestern bekam ich von Else einen sehr guten Brief als Antwort auf meinen letzten Brief. Sie erklärt mir, was mit ihr vor sich gegangen ist. Sie sagt, daß sie schon seit Jahren mit immer zunehmendem Entsetzen die Entwicklung der Dinge verfolge u. daß es ihr sehr hart sei, einsehen zu müssen, daß sie sich mitschuldig gemacht habe an all dem, was gegenwärtig geschieht, geschehen ist u. noch geschehen wird. Sie darf wohl sagen, daß sie sich aus Idealismus habe blenden lassen, aber das ist nur ein geringer Trost, denn ich habe sie ja s. Zt. eindringlich genug gewarnt u. habe schließlich alle Beziehungen zu ihr abgebrochen. –

     Sie sagt dann weiter, daß von einer gewissen Zeit an bei ihr der Verstand u. die Kritik Oberhand gewonnen habe u. daß sie alles habe fallen lassen, was dem nicht standgehalten habe. Dennoch aber sei eine unbefriedigte Sehnsucht in ihr verblieben, die immer stärker geworden sei u. jene Unruhe in ihr erzeugt habe, die zur Suche nach Gott treibt. Sie habe Gott überall gesucht, besonders in Musik u. Natur, aber immer vergeblich; der Verstand zerstörte stets immer wieder alles. In dieser Zeit habe sie sich mit dem Goethe-Vers getröstet:

Wär' nicht das Auge sonnenhaft,
Nie könnt' die Sonne es erblicken.
Wär' in uns nicht des Gottes eigne Kraft,
wie könnt' uns Göttliches beglücken?

Sie las dann vor einigen Monaten ein Buch von Maeterlinck über die vierte Dimension. Durch dieses kam sie zur Einsicht, daß Gott eben für den Verstand unfaßbar sein muß u. daß die Welt eine Sinnlosigkeit wäre, wenn sie von der Vernunft erfaßt u. erklärt werden könnte. – Dann bekam sie die „Grundlagen des 19. Jahrh.“ von Chamberlain in die Hand u. darin das Goethewort: „Allzu lebhaftes Fragen nach der Ursache ist von großer Schädlichkeit“. Ferner schreibt Chamberlain von Jesus Christus als "der unvergleichlichsten Erscheinung der Weltgeschichte." – Sie las dort auch, daß das Reich Gottes nicht mit äußerlichen Gebärden zu uns kommt, sondern inwendig in uns ist. Es ist dann, wie sie schreibt, alles sehr schnell gegangen. Sie hat begriffen, daß die religiösen Dinge nicht logisch, sondern transzendental zu betrachten seien, daß aber die Transzendenz nicht Schwärmerei sei, sondern auf Erfahrungstatsachen beruhe. Es sei nun zu einer völligen Umkehr des Willens gekommen, jeder Zweifel sei gewichen u. sie erfuhr, was Gnade ist. Sie wolle nun „jede Falte des Gehirns u. jede Zuckung des Herzens“ unter das Gesetz dieses Erlebnisses stellen. –

     Das alles ist überaus schön u. freut mich sehr. –

     Die Russen sind überall weiter vorgekommen, wenn auch langsamer. Vor allem haben die das Industrierevier weiterhin erobert u. besetzt.

     Heute Abend sind wir bei Neumanns im Kurhause.

     An Fritz geschrieben.

[25]
Montag, 29. Januar 1945.     

     Heute vor 24 Jahren begegnete ich Martha zum ersten Male auf dem Ball der Sozialistischen Monatshefte im Rheingold in Berlin –

     Gestern Abend waren wir wie alljährlich einmal bei Neumanns im Kurhaus. Der alte Neumann lag krank u. das war im Interesse der Gemütlichkeit nicht schlecht. Es gab eine vorzügliche Suppe, dann Hasenbraten mit Rotkohl u. Kartoffeln, zum Schluß Apfelmuß. Frau N. legte mir, wie üblich, auf u. ich aß unwahrscheinlich viel. Später gab es dann noch echten Thee u. vorzüglichen Streuselkuchen. Das Gespräch drehte sich natürlich vorwiegend um die politische u. wirtschaftliche Zukunft. Alle haben Angst vor den Russen, deren barbarische Grausamkeit von unserer Propaganda nun seit Jahren in allen Farben geschildert worden ist, wozu noch das Bewußtsein kommt, daß unsere Nazis sich seit 1933 Verbrechen über Verbrechen geleistet haben, die nun in irgend einer Weise gebüßt werden müssen. Man fürchtet die furchtbare Rache.

     Heute starker Nordwest, große Schneeverwehungen.

     Gestern Nachmittag war der Obergefr. Mehliss bei uns zum Kaffee. Er versprach, zu kommen, um das Dach der Bu Stu. frei zu schaufeln, – aber inzwischen hat der starke Wind schon vorgearbeitet. – Nachher mit Paul Strauß'sche Musik gehört, wobei mir Paul sehr gut zu größerem Verständnis verhalf.

     Heute Nachmittag kommen erstmalig die Kinder zum Religionsunterricht.

     Seit heute dürfen wieder Briefe bis zu 20 gr. aufgegeben werden. – Nachrichten von den Fronten habe ich gestern leider nicht gehört.

Dienstag, 30. Januar 1945     

     Heute ist der 12. Jahrestag der Machtübernahme durch die Nazis. Das 13. und letzte Jahr ihrer sog. Macht hat damit begonnen. Zwölf Jahre von Verbrechen über Verbrechen liegen hinter uns. Wenn ich auch nie daran gezweifelt habe, daß diese Leute großes Unglück über uns bringen würden, so übersteigt das, was nun ist, doch alle Vorstellungen, die ich mir früher gemacht habe. Heute, am Beginn des 13. Jahres, stehen Engländer, Amerikaner u. Franzosen im Westen auf deutschem Boden u. es ist nur eine Frage von Tagen oder wenigen Wochen, wann unsere Abwehr dort zusammenbrechen wird. Die Russen aber haben im Osten nun überall die Reichsgrenzen überschritten. Ostpreußen ist jetzt fast ganz in ihrer Hand, Königsberg liegt unter russischem Artilleriefeuer. Nördlich Posen haben sie nun auch die pommersche Grenze überschritten u. haben den großen Knotenpunkt Kreuz eingenommen, wodurch Danzig von Berlin abgeschnitten worden ist. Damit dürfte nun der Moment gekommen sein, wo auch unser Volkssturm an die Front geschickt werden wird. Das oberschlesische Industrierevier ist ganz in russischer Hand u. dort haben die Russen bereits die Oder überschritten, Breslau ist von drei Seiten eingeschlossen. Dort ereignete sich wieder ein neues Verbrechen, dessen Urheber Himmler direkt ist. Als vor einigen Wochen der Volkssturm aufgerufen wurde, hielt dieser Kerl eine Rede, in der er sagte, es müsse jeder Feigling sofort u. ohne Gericht erschossen werden, er würde eine jede solche Tat [26] decken, auch wenn sich ergeben sollte, daß man darin zu weit gegangen sei. Nun ist der Bürgermeister von Breslau „wegen Feigheit vor dem Feinde“ in Breslau auf dem Marktplatz öffentlich erschossen worden. Näheres ist nicht bekannt, aber man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man annimmt, daß dieser Bürgermeister sich dem Befehl widersetzt haben wird, Breslau zur militär. Festung zu erklären. –

     Gestern zum Religionsunterricht war Lothar Krappmann da u. die beiden Jungens der Frau Sommerhof. Diese beiden sind ganz reizende Jungens, während Lothar in erschreckender Weise verbildet ist. Das Köpfchen dieses Knaben ist vollgepfropft mit einer Unmenge von Wissen, das beziehungslos darin liegt u. das er selbstgefällig hervorholt u. zeigt. Noch ist er Kind, aber es wird nicht mehr lange dauern, dann wird er ein arroganter u. eingebildeter Bengel sein.

     Abends feierten Martha u. ich unseren 24. Jahrestag bei einer Flasche sehr gutem Rheinwein, den wir im vorigen Jahre von Frau v. Paepke geschenkt bekamen. Paul u. Grete waren bei uns u. wir erzählten ihnen von unseren früheren Zeiten.

Mittwoch, 31. Januar 1945     

     Gestern Abend Nachricht von Fritz, der nun begonnen hat seine Briefe zu nummerieren. Dieser Brief ist Nr. 3, sodaß also ersichtlich ist, daß zwischendurch Brief Nr. 2 noch nicht hier eingetroffen ist. – Dieser Brf. Nr. 3 ist vom 14.1.45 datiert u. es ist bemerkenswert, daß er an diesem Tage noch nichts von der am 12.1. begonnenen russischen Offensive wußte. Er schreibt im Gegenteil, daß er dort eine ruhige Woche hinter sich hatte, da er 2 km. hinter der Hauptkampflinie in Ruhe liegt, bis der Ersatz in Form eines Marschbataillons eintrifft. Fr. schreibt, daß er aus den Resten einer Volksbibliothek eine Bibliothek für seine Einheit beim Tross eingerichtet habe u. daß sie auch ihre früheren Motorfahrzeuge wieder zurückbekommen haben, wenigstens einen Teil davon. – Feldw. Stegmiller ist in Kolmar, der Stabsarzt scheint im Augenblick besserer Laune zu sein. Fr. liegt mit seiner Einheit offenbar in einem Dorf in der Nähe von Kolmar, darüber wird er sicher in Brf. Nr. 2. geschrieben haben, sie liegen in Höhlen u. zerschossenen Häusern, auch Zivilbevölkerung gibt es noch, die in zerfallenen Kellern haust. Auch in Kolmar sind Flüchtlinge wieder zurückgekehrt, es erscheint sogar eine Zeitung u. auch die Post funktioniert wieder. –

     Gestern Abend um 1015 Uhr hielt der Führer ganz unerwartet eine Rede zum 12. Jahrestag der Machtergreifung. Er sprach nur kurz, seine Stimme klang müde u. er sprach wie einer, der böse ist. Er stellte zuerst seine sogenannten Erfolge seit der Machtergreifung in den Vordergrund, in der Hauptsache also die Aufrüstung, u. sprach dann vom jüdischen Bolschewismus, der seiner friedlichen Aufbauarbeit nur 6 Jahre Frieden gegönnt habe u. vom Haß der Plutokratien. Dann schimpfte er auf die „Pazifisten“, die er Strohköpfe nannte u. mit Schafen verglich usw., u. er schloß mit der Erwartung, daß die wehrfähigen Männer tapfer kämpfen, die Kranken aber um so mehr arbeiten sollten, besonders Frauen, Mädchen u. Kinder. Zwischendurch sagte er auch, daß jeder, der sich dieser Politik des Weiterkämpfens widersetze, erschossen [27] werden würde. Auch den Herrgott u. die Vorsehung bemühte er ausgibig; aber leider wußte er außer dem schon so oft ausgesprochenen Argument, daß die Vorsehung uns bestimmt helfen würde, nichts zu sagen, wie dieser Krieg für uns siegreich zu beenden sein würde. Es war das wohl die flachste u. schwächste Rede, die er überhaupt je gehalten hat. Er sprach aus dem Führerhauptquartier am Mikrophon, offenbar aus einem großen, leeren Saal, was deutlich an der Akustik zu hören war. So hatte diese ganze Rede etwas Gespenstisches, erhöht durch den dumpfen u. bösen Ton seiner Stimme. Man hatte den Eindruck, daß der Mann völlig allein in einem großen, leeren Saal stand u. seinen bösen Groll in's Leere rollen ließ. –

     Frau Dr. Scheid will Ahrenshoop verlassen. Ihr Mann hat für sie eine gute Unterkunft in einem Sanatorium in der Nähe von Cuxhafen, wo er selbst ärztlich praktiziert, wo Schwestern sind u. wo die Ernährung u. Heizung sicher gestellt sind. Die Schwierigkeit besteht nur darin, dorthin zu kommen. Um diese Schwierigkeit zu beheben, hat Herr Dr. Scheid den Mann von Marianne Clemens-Ziel überredet, auch Marianne mit den Kindern nach Hmb. kommen zu lassen, denn Herr Dr. Clemens hat die Möglichkeit, ein Lastauto nach Rostock zu schicken u. die beiden Frauen mit ihren Kindern u. Kisten u. Kasten dort abzuholen. Marianne war gestern Nachmittag bei uns u. erzählte uns davon. Es ergab sich, daß ihre Eltern, die nun ja wirklich alt u. gebrechlich u. sehr pflegebedürftig sind, über diesen Plan sehr traurig sind; aber daß auch Marianne selbst unschlüssig ist, ob sie diesen Plan durchführen soll, zumal sich telephonisch herausgestellt hat, daß auch ihr eigener Mann unschlüssig ist, obgleich Herr Dr. Scheid vorher telephon. behauptet hatte, Herr Dr. Clemens sei sehr für diesen Plan. Es stellte sich weiter heraus, daß für Marianne nur eine sehr ungenügende Unterkunft vorhanden sei, nämlich ein Jagdhaus in der Nähe von Lübeck, in dem weder Heizung, noch irgend welche Möbel vorhanden sind. Die Nahrungsbeschaffung ist sehr fraglich. Daraufhin bot ich alles auf, Marianne diesen ganzen unsinnigen Plan auszureden u. es gelang mir auch, sie zur Einsicht zu bringen. Später am Abend kam dann Frau Dr. Scheid, mit der Marianne inzwischen gesprochen hatte. Sie war überaus aufgeregt u. offensichtlich wütend auf mich. Das erste, was sie sagte, nachdem ich ihr bestätigt hatte, daß ich Marianne die Sache ausgeredet hätte, war: „ja, dann kriege ich ja kein Auto!“ – Damit zeigte sie, daß dieser ganze Unsinn eben nur dazu in Szene gesetzt worden ist, damit sie auf diese Weise zu einem Auto kommt. Ich antwortete ihr, daß ich es für sie selbst ja sehr richtig fände, wenn sie mit ihren Kindern von hier fort in die angenehme Sicherheit jenes Sanatoriums ginge, daß aber für Marianne die Sache doch gänzlich anders aussähe, ja, daß überhaupt garkein Grund dazu vorläge, eine Sicherheit, die M. hier hat, aufzugeben u. gegen eine völlige Unsicherheit einzutauschen, zumal da auch ihr Mann von sich aus garnichts derart verlangt. – Damit dürfte ich mir nun wohl die Feindschaft dieser Frau erworben haben. –

     Paul's Schwester ist nun ebenfalls aus einem kleinen Ort in der Nähe von Stettin, wo sie die Stellung als Wirtschaftslehrerin inne hatte, nachdem sie schon vorher von Berlin [28] dorthin geflohen war, wieder nach Bln. zurückgeflüchtet. Sie hat 52 Stunden für diese Reise gebraucht. Es ist nun die Idee aufgetaucht, diese Schwester zusammen mit Eva hierher kommen zu lassen. Eva sollte ja ihr Kind in einem Krankenhause in der Nähe von Stettin bekommen, woran nun nicht mehr zu denken ist, nachdem die Russen bereits 90 km. vor Stettin u. 80 km. vor Frankfurt stehen. Sie kann das Kind ja auch hier bekommen, obgleich das nicht sehr angenehm ist. Man müßte die beiden dann hier irgendwie unterbringen. Paul telephonierte deshalb heute früh mit Eva. Die Schwierigkeit der Reise ist freilich sehr groß, es fragt sich, ob sie die Reiseerlaubnis überhaupt bekommen. –

     Gestern schrieb ich an Else, – möglichst vorsichtig. – Von Ruth kam gestern ebenfalls gute Nachricht.