TBHB 1944-12-15
Einführung
BearbeitenDer Artikel TBHB 1944-12-15 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 15. Dezember 1944. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.
Tagebuchauszüge
Bearbeiten[1] Gestern Nachmittag 1/2 3 Uhr fand die Beerdigung der kleinen Resi Ribinski statt. Das Haus besitzt zu ebener Erde eine Halle mit breiter Flügeltür nach dem Garten. Diese Tür war weit geöffnet, der Sarg war mitten in der Halle aufgebahrt. Er war offen, die kleine Leiche war hoch gebettet, sodaß man sie sehen konnte. Am Kopfende stand ein Tisch mit unserem Kruzifix u. unseren Altarkerzen. Frau Pastor Kumpf hatte zwei Blattpflanzen zur Verfügung gestellt, sonst waren noch ein paar Kränze u. Kiefernzweige da, der Weg durch den Garten war mit kleinen Tannenzweigen bestreut. Es mögen etwa 20 Menschen dagewesen sein, viele Kinder. Ich betete die Meßgebete aus der Allerseelenmesse mit kleinen Abweichungen u. hielt eine kurze, schlichte Ansprache dann noch eine für den Fall zurechtgemachte Allerselen=Andacht aus dem Tierer Gesangbuch. Der Sarg wurde dann geschlossen, wobei die Mutter sehr weinte. Vier etwa fünfzehnjährige Mädchen von den Ostpreußen trugen den Sarg zum nahen Friedhof. Der Sarg wurde hinabgelassen u. ich sprach noch ein schönes Gebet in der Sterbestunde, ebenfalls aus dem Tierer Gesangbuch u. ein Vaterunser u. Gegrüßet seist du ... . In dieser Zeit traf der andere Leichenzug mit den Ueberresten der alten Frau Schorn auf dem Friedhof ein, sodaß wir uns nicht gegenseitig störten. Das Kindergrab war überdies oben auf dem Berge, das Grab der Frau Sch. unten. Dort amtierte Pastor Loeber. Martha nahm ebenfalls dort teil u. nach dem, was sie mir davon erzählt hat, war unsere Beerdigung sehr viel feierlicher. – Die Mutter konnte sich nur schwer vom Grabe trennen. Sie ist eine sehr gute Frau. Die Eltern baten mich innig, daß ich doch noch mit ihnen zu einer Tasse Kaffee kommen möge, was ich auch tat. Es war erstaunlich, wie geschickt diese Leute in der Enge ihrer Stube eine Kaffeetafel arrangierten. Es waren die vier Mädchen dabei, die den Sarg getragen hatten, dazu noch eine Frau aus Ostpreußen u. eine andere gleichfalls, die der Frau Ribinski zur Hand ging. Es waren also insgesamt neun Menschen in dem engen Zimmer um den nicht großen Tisch, auf dem noch [2] zwei mit Streuselkuchen vollbeladene Teller Platz fanden. Die Enge bewirkte eine lebhafte Unterhaltung u. so waren die guten Leute bald wieder vergnügt u. sie lachten wie die Kinder. – Das war also die erste Beerdigung, in der ich den Pfarrer vertrat u. es ist sehr gut gegangen, – die Leute waren mir dankbar. –
Heute ist Frost eingetreten, hoffentlich wird es nicht zu schlimm.
Generalfeldmarschall Paulus hat von Moskau aus einen ganz vorzüglichen Aufruf an das Deutsche Volk erlassen u. im Rundfunk verlesen, sofort die Waffen niederzulegen. Er hat mit Hitler scharf abgerechnet. Hitler habe zwar, so sagte er einst die Arbeitslosigkeit beseitigt u. das Volk hätte ihm deshalb sein Vertrauen entgegengebracht. In Wirklichkeit hätte er aber die Arbeitslosigkeit nur dadurch beseitigt, daß er aufgerüstet habe, um diesen Krieg vorzubereiten. Das hätte das Volk nicht gewußt. Er habe dann alle Verträge mit den anderen Völkern gebrochen, er habe alle seine Gegner in Deutschland gefangen gesetzt oder vertrieben, habe die Religion zu vernichten versucht u. eine maßlose Willkürherrschaft eingeführt. Die übrigen Führer der Partei hätten umfangreiche Korruption betrieben, – bis dann der Krieg unvermeidlich gewesen sei. Anfangs sei es ja gut gegangen infolge der ungeheuren Aufrüstung, – aber dieses Kapital sei nun dahin, ohne daß unsere Gegner besiegt worden wären. Es sei jetzt unmöglich, noch einmal einen solchen Rüstungsvorsprung wie am Anfang des Krieges zu erringen, – im Gegenteil, heute ständen Kinder u. Greise an den Fronten u. die Frauen würden zur Wehrmacht einberufen. Hitler erreicht das durch seine Propaganda, die dem Volke vorerzählt, daß unsere Gegner die Absicht hätten, das ganze Volk auszurotten. Natürlich, meint Paulus, würden uns nun sehr schwere Friedensbedingungen auferlegt werden, denn die Deutschen hätten sich, verhetzt durch Hitler u. seine Leute, in diesem Kriege vieler Verbrechen schuldig gemacht, die den deutschen Namen in der ganzen Welt geschändet haben, – das müsse gesühnt werden; aber besser sei es, jetzt den Krieg zu beenden, solange noch einige Häuser u. Städte in Deutschland unversehrt stehen, als später, wenn alles in Trümmer liege. Im Jahre 1918 hatten Hindenburg u. Ludendorf in militärisch aussichtsloser Lage Frieden gemacht, – Hitler wolle das nicht, um sich selbst noch für einige Zeit zu retten.
Die Russen machen bei Budapest weitere Fortschritte, die Amerikaner im Nordelsaß gegen die Rheinpfalz.