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Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1944-12
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Entstehungsdatum: 1944
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Originaltitel: Dezember 1944
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom Dezember 1944
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Einführung

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Der Artikel TBHB 1944-12 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Dezember 1944. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 20 Seiten.

Tagebuchauszüge

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[1]
Sonnabend, 2. Dez. 1944.     

[1]      Heute morgen kam eine junge Frau, die zu den ostpreuß. Flüchtlingen gehört u. im Hause Monheim wohnt. Sie wollte fragen, wie es mit dem Wasser wäre, das Wasser aus der Leitung sei fast ungenießbar u. die Handpumpe, die auf einem offenen Brunnen war, gehörte Saatmann, der sie sich wieder abgeholt hat. Nun hat die Frau ein acht Wochen altes Kind u. sie war in großer Furcht, daß das Wasser gesundheitsschädlich wäre. Wir beruhigten die sehr nette junge Frau u. hörten von ihr, daß sie aus Ortelsburg sei u. mit ihrer alten Mutter u. einem Buben u. einem Mädchen außer dem Säugling hier sei, dazu noch eine Haustochter. Ich bin um die Spätvormittagszeit hingegangen u. habe den Kindern einige Aepfel mitgebracht. Die alte Mutter eine noch recht rüstige u. sehr gut aussehende Frau Ende der fünfziger war mit der Haustochter in der Küche u. briet Bouletten. Ich ging mit ihr in den Keller u. zeigte ihr die Handhabung der elektr. Pumpe, sagte ihr, daß sie Trinkwasser aus dem anderen Brunnen schöpfen solle mit einem Eimer. Die junge Frau kam dann auch, beide freuten sich, daß sich jemand um sie kümmerte. Ich war auch in ihrem Zimmer oben, wo die NSV. jetzt einen kleinen Kachelofen aufgestellt hat. Es sah dort sehr ordentlich aus, obgleich alle in diesem einen Zimmer schlafen, – es müssen Leute aus recht guten Verhältnissen sein. – Man hat nun zwar einen Ofen aufgestellt, aber die Frauen sagten, Ihlefeld sei heute morgen dagewesen u. habe gesagt, daß von den im Hause vorhandenen [2] Steinkohlen ein Teil für andere Flüchtlinge beschlagnahmt werden würde. Ihlefeld war auch bei uns, doch weiß ich nicht, ob auch bei uns Kohlen abgeholt werden sollen, jedenfalls meinte er, daß auf keinen Fall damit zu rechnen sei, daß neue Kohlen herkämen, besonders keine Steinkohlen aus dem Ruhrgebiet. Es wird also ein großes Frieren geben in diesem Winter, hoffentlich friert dann unsere Heizung nicht kaputt, denn dann ist es ganz aus. –

Montag, 4. Dez. 1944.     

     Geburtstag von Fritz u. Ruth. Wie es Fritz wohl ergehen mag. Keine Nachrichten außer aus dem Sender. Danach sind die Amerikaner von Straßburg her bis Schlettstadt vorgedrungen, die Franzosen vom Süden her bis Colmar. Es gibt für unsere Truppen demnach nur noch einen sehr schmalen Rückzugsweg u. dieser ist sehr gefährdet. Weiter im Norden stehen die Amerikaner in Saarlautern u. dicht vor Saarbrücken.

     Gestern war die Adventsandacht sehr besucht, u. a. die Mutter der Frau de Brée aus Berlin. Prof. v. Walter verspätete sich u. kam vor verschlossene Türen. Er kam später u. entschuldigte sich. Sein Sohn ist nun in Ribnitz untergebracht gegen einen Wucherpreis. Er bewohnt mit einem anderen Jungen zusammen ein sehr kleines Zimmer, wofür die Frau 150,– Rm. verlangte. Er handelte auf 120,– Rm. herunter. –

     Am Nachmittag waren die Soldaten da u. hackten Brennholz aus Kisten. Später kam noch ihr Kamerad Mehlis dazu mit dem Bauer Voss aus Althagen und brachte das Holz, welches er am vorigen Sonntag im Darss für uns gemacht hatte, Aeste von Kiefern, 2 Raummeter. Wir bewirteten alle mit Kaffee (Ersatz) Cigaretten, Kuchen u. mit einem Gläschen Weinbrand. Wir saßen unten im Eßzimmer, wo der Eßtisch ausgezogen war. Erika hatte sehr nett gedeckt mit Kieferngrün. Die Leute waren sehr vergnügt u. aufgeräumt, sie waren glücklich, einmal in einem behaglichen Raum sitzen zu können u. als Menschen behandelt zu werden. Mehlis, den wir bisher nicht näher kannten, ist Sohn eines Bankdirektors in München. – Er ist ein mit vielen Wassern gewaschener Mensch, der sich in seinem Leben in allen Ländern der Welt umhergetrieben hat. –

     Abends waren wir bei Frau Longard, die jetzt allein mit ihrer halb närrischen Erna haust, denn Frau Kemper ist mit den Kindern wieder in Berlin. Die alte Frau L. ist stets ungemein anregend. –

     Die Luftoffensive hat gigantische Formen angenommen. Im Monat November sind über 100000 Tonnen Bomben über Deutschland abgeworfen worden, – u. diese Zahl kann bei günstigerem Wetter noch gesteigert werden. Wir haben im November ja kaum einen klaren Tag gehabt. – Was wird aber werden? Ueberall wird der Kommunismus lebendig. Erst in Brüssel, jetzt noch viel stärker in Athen, wo in den Straßen gekämpft wird u. die Engländer gezwungen sind, in die Kämpfe einzugreifen wegen der Gefährdung der Sicherheit des Nachschubs. Wird das ohne Konflikt mit Moskau abgehen? –

     Heute habe ich den Bürgersteig von unseren Grundstücken in Ordnung gebracht, der kaum noch passierbar war. Das Heranschleppen von Sand hat mich sehr angestrengt, ich bin ganz kaputt davon.

     Abends Richard mit Schweinefleisch, Speck.

[3]
Dienstag, 5. Dez. 1944.     

     In Italien Ravenna von den Alliierten erobert. Nach langer Zeit ist dort endlich wieder ein Fortschritt zu verzeichnen. In Südungarn haben die Russen den Plattensee erreicht. Im Elsaß scheinen die Amerikaner im Raum von Schlettstadt Fortschritte zu machen, wodurch Fritzens Lage noch gefährdeter wird. Von ihm haben wir immer noch keine Nachricht. – In Athen wird die polit. Lage immer ernster, die Kommunisten scheinen dank ihrer Waffen ziemlich große Macht zu haben u. erhalten dauernd Verstärkungen aus dem Lande. Churchill hat im Unterhause eine erfreulich offene u. energische Erklärung abgegeben, er sagte, daß es ihm gleichgültig sei, welche Regierungsform die Griechen sich geben wollen; aber dieselbe müsse auf Grund geordneter Wahlen bestimmt werden. So lange das nicht geschehen sei, würden die englischen Besatzungstruppen gegen Unruhestifter von der Waffe Gebrauch machen. Das ist klar u. deutlich u. man kann nicht sagen, daß diese Worte Angst vor Stalin verrieten.

     Heute hatten wir wieder einmal Fliegeralarm. Es war ein Tagesangriff auf Berlin, hauptsächlich Tegel. Es trat ausnahmsweise auch einmal wieder unsere Jagdabwehr in Erscheinung, doch soll sie ziemlich starke Verluste erlitten haben. – Am gestrigen Tage waren 4000 feindliche Flugzeuge über Deutschland. –

     Richard brachte uns heute endlich unser Holz. Ich arbeitete heute wieder im Garten, sehr kalter Wind.

Mittwoch, 6. Dez. 1944.     

     Eben ruft mich der Bürgermeister an, daß er mir von dem erhaltenen Koks 10 Centner beschlagnahmen müsse, da andere keinen Koks erhalten hätten. Nur das Kurhaus, Frau Garthe u. wir haben voll unseren Koks bekommen. Man kann dagegen nichts machen u. ich habe mich einverstanden erklärt. Der Bürgermeister behauptet zwar, daß er bindende Zusage vom Landrat habe, daß noch ein Waggen Koks angeliefert würde, – aber auf solche Zusage ist kaum etwas zu geben. Zum Glück habe ich in den letzten Jahren viel Koks gespart, sodaß ich wohl hoffen darf, trotzdem mit dem Koks zu reichen, vor allem, wenn der Winter nicht viel schlimmer wird, als er bis jetzt ist.

Donnerstag, 7. Dez. 1944.     

     Gestern Abend Nachrichten von Fritz vom 21.11. – vom 24.11. – 25.11. – u. 27.11., alles zusammen in 2 Briefen, in kurzen Abständen fortsetzend geschrieben. Er teilt mit, daß sie seit dem 16.11. in eine Schlacht verwickelt seien, die diejenige vom September weit überbiete. Es hat also schon etwas früher angefangen, als ich wußte, da ich erst am 19.11. etwas davon notierte. Fritzens letzte Nachricht war vom 15.11., das war also der Vorabend des Beginnes u. er schrieb damals schon von dem Durchbruch der Franzosen im Nachbarabschnitt, also an der schweizer Grenze. Fritz schreibt jetzt, daß er der Gefangenschaft mit Mühe u. Not entronnen sei; aber er ist nun, Gott sei Dank, wieder beim Verbandsplatz u. nicht mehr als Krankenträger bei der Kompanie. Am Verbandsplatz arbeiten 4 Aerzte. Es ist sehr viel zu tun, zahlreiche Verwundete. Der Verbandsplatz [4] muß immer wieder verlegt werden. Sein Regiment ist zum zweiten Male aufgerieben, mit dem Rest haben sie die Fühlung verloren, aber der Feldw. Kaplan Stegmiller ist ebenfalls am Verbandsplatz. Fritz schreibt, es sei möglich, daß sie alle aus diesem Hexenkessel nicht mehr herauskommen, wir sollten uns dann nicht beunruhigen, denn dann würde er eben mit dem ganzen Verbandsplatz in Gefangenschaft geraten sein. Dieser erste Brief ist noch auf französ. Gebiet geschrieben. Er meint, die Lage wäre wenig erfreulich, es mangele an guten Offizieren; aber der Kompanieführer, ein Leutnant, dem er am 17.11. unterstand, wäre sehr umsichtig gewesen, ohne ihn wäre seine Kompanie da schon in Gefangenschaft geraten. Fr. schließt diesen ersten Brief, er sei auf alles gefaßt u. er wisse, daß er in Gottes Hand sei. –

     Der zweite Brief beginnt mit dem 24.11. An diesem Tage hat er wunderbarerweise unsre Briefe vom 12.11. erhalten. Er schreibt, daß sie sich täglich weiter absetzen u. daß sie in dieser Nacht zum 25.11. französ. Boden verlassen würden. Er behauptet, daß Mühlhausen wieder frei sei, aber daß nun Straßburg in Gefahr wäre. Vielleicht waren meine Informationen, die ich schon am 23.11. notierte, unrichtig, nach denen die Franzosen von Mühlhausen weiter nach Norden vorstießen u. schon Colmar erreicht haben sollten. Jedenfalls stimmte nicht, was ich am 24.11. schrieb, daß die Franzosen Straßburg erreicht hätten, es waren vielmehr die Amerikaner, die bei Zabern durchgebrochen waren. –

     Dieser Brief ist dann am 27.11. fortgesetzt. Er schreibt, daß sie sich dauernd weiter abgesetzt hätten, daß aber jetzt diese Periode wohl abgeschlossen sei, – es hieße, daß es nun wieder vorwärts gehen solle. Ich habe freilich dafür keine Anzeichen bisher entdecken können, vielmehr heißt es, daß wir alle Vogesenpässe jetzt geräumt hätten. Fritz schreibt auch von Verlusten, die sie durch elsässische Terroristen gehabt hätten.

     Bei diesem Brief lag noch ein solcher vom 25.11., in dem er uns bittet, an die Familie seines Stabsarztes Dr. Kunze aus Dresden-Blasewitz ein Weihnachtspaket zu senden, was natürlich geschehen soll. –

     Gestern Abend war Prof. v. Walter bei uns. Er zeigte eine schöne, alte Ikone u. a. Bilder aus Petersburg u. Moskau. Er erzählte interessant von Rußland, insbesondere von der Lage der Kirche.

     Heute habe ich die letzten Knüppel des Knüppelholzes, das die Soldaten am Sonntag gebracht hatten, in den Hintergarten geschleppt, nun liegt bloß noch das Eichenholz vorne, das Richard gebracht hat.

Sonnabend, 9. Dezember 1944.     

     Gestern Abend Prof. Marcks. Sprachen über Politik u. die Möglichkeiten. Er ist ein sehr deutsch empfindender Mensch mußte aber zugeben, daß das Leben unter den Nazis unerträglich ist, – allerdings im Falle eines Bolschewismus noch unmöglicher. Ich versuchte, ihm klar zu machen, daß jedes Leben in Deutschland unmöglich sein würde, falls es nicht christlich ist. Er räumte wohl die Ueberlegenheit der röm. kathol. Kirche ein, meinte aber, daß der Protestantismus die christl. Ausprägung der nordischen Völker sei u. daß der Katholizismus sich erst von seinen römischen Einflüssen befreien müsse. [5] Es gelang mir nicht, ihm klar zu machen, daß dieser sog. römische Einfluß, sofern er überhaupt vorhanden sei, nur etwas ganz Aeußerliches u. Formales sei, daß vielmehr der Katholizismus schon im Mittelalter grade germanische Einflüsse stark in sich aufgenommen habe; aber die Unkenntnis des wahren Katholizismus einerseits u. die protestant. Voreingenommenheit andererseits verhinderten, daß er das einsehen konnte. – Er erzählte aber, daß eines Tages in Köln ein Prälat in seinem Atelier erschienen sei, um sich seine Sachen anzusehen. Dieser Prälat habe sich als ein ungemein gebildeter Mann erwiesen, der der modernen Kunst sehr aufgeschlossen gewesen sei. Er habe eine schöne Wohnung mit mittelalterlicher Kunst gehabt, aber über seinem Schreibtisch habe ein Bild von Picasso gehangen. Der Prälat, dessen Namen Marcks nicht nannte, ist gestorben. – Marcks gab zu, daß es solche Geistliche bei den Protestanten nicht gäbe. –

     Abends hörte ich die Verhandlung des englischen Unterhauses über die polit. Vorgänge in Athen. Churchill wurde von Abgeordneten der Labur-Partei scharf angegriffen. Seine Erwiderung war ganz ausgezeichnet. Er sprach ungemein klar u. logisch, ohne die geringste Rücksicht auf das Bündnis mit Rußland zu nehmen. Er erklärte, daß es einfach Ehrensache Englands sei, die rechtmäßige Regierung Papandreou mit allen Mitteln zu unterstützen gegen den Terror der Straße. Wenn das Unterhaus anderer Meinung sein sollte, würde er demissionieren. Die darauf stattgefundene Abstimmung ergab eine überwältigende Mehrheit für Churchill. Man konnte aus dieser Rede leicht den inneren Abscheu dieses Mannes vor dem russ. Bolschewismus erkennen, obgleich davon mit keinem Wort gesprochen wurde. Es wird nach diesem Kriege sehr interessant sein, wie die Engländer sich dann mit dem Bolschewismus auseinandersetzen werden, denn einmal muß das ja wohl kommen, – u. ohne einen neuen Krieg wird das wohl nicht gehen. –

     Heute in den frühen Morgenstunden ist die alte Frau Schorn gestorben, an Altersschwäche. Sie erlitt einen Ohnmachtsanfall u. wurde in ihrer Schlafstube am Boden liegend aufgefunden. Sie hat das Bewußtsein nicht wiedererlangt u. ihr Leben ist ganz langsam erloschen. Sie war eine gütige, alte Frau, die viel Leid in ihrem Leben getragen hat, das 84 Jahre währte.

Montag, 11. Dezember 1944.     

     Gestern sehr große Beteiligung an der Andacht. Auch Prof. v. Walter war da mit seinem Sohn Andreas, es waren zwölf Zuhörer. Wir feierten das Fest der Unbefleckten Empfängnis. Mittags wurde mir gesagt, daß bei den ostpr. Flüchtlingen ein Kind gestorben sei, die Familie sei katholisch u. wohnt im Hause Körthe. Ich ging am frühen Nachmittag hin u. traf die sehr sympathische, noch junge Mutter, die noch sehr unter dem Eindruck des ganz plötzlich u. unerwarteten Todes infolge Herzschwäche ihres Kindes, eines kleinen Mädchens von etwa 5 Jahren, stand, sich aber musterhaft beherrschte. Die Frau hat noch fünf andere Kinder, vier Buben u. noch ein kleines Mädchen, der Mann ist Tischler u. in Polen irgendwo in einem Rüstungsbetrieb. [6] Ich sprach lange mit der Frau u. ließ mir alles erzählen. Später kam noch eine andere Flüchtlingsfrau dazu mit ihren Kindern. Ich sah mir dann die kleine Leiche an, die in einer Halle zur ebenen Erde auf zwei zusammengestellten Bänken lag, ein hübsches Kind, wie schlafend. Es war alles sehr ärmlich, Frau Siegert hatte einige Blumen gebracht u. die Mutter hatte alles so schön u. gut hergerichtet, wie es unter diesen Umständen möglich ist. Die Frau hat an den Mann ein Telegramm geschickt, sie hofft, daß er bis Mittwoch hier sein wird. Am Donnerstag soll dann spätestens die Beerdigung sein u. es wird nichts anderes übrig bleiben, als daß ich diese Sache übernehme. –

     Die Russen sollen bei Budapest durchgebrochen sein. Heute haben wir die BuStu. auf zum Weihnachtsverkauf, von 12 Uhr an muß ich an der Kasse sitzen. Er hat Frost eingesetzt, – wenig erfreulich, besonders, da meine Winterjoppe nirgends zu finden ist.

     Am Sonnabend Brf. von Pfr. Dobczynski, – er wird wohl im Laufe dieser Woche aus dem Krankenhause entlassen werden, soll aber noch einige Monate lang nicht amtieren.

Mittwoch, 13. Dezember 1944.     

     Vorgestern von Schw. Gertrud Nachricht, daß sie ihren Bruder am 12. Dez. wieder von Greifswald nach Hause holen werde, der Arzt habe es erlaubt unter der Bedingung größter Schonung. Bis Mitte Januar etwa muß er sich ganz still verhalten, dann darf er wenig u. vorsichtig beginnen, etwas zu arbeiten. In 3 – 4 Monaten wäre dann eine Wiederherstellung der Gesundheit möglich. –

     Seit Montag ist das Geschäft zum Weihnachtsverkauf täglich von 10 – 1 Uhr offen u. ich sitze wieder mal an der Kasse. Es ist bitter kalt. Da der elektr. Strom aus Ersparnisgründen in dieser Zeit ausgeschaltet ist, kann man auch keinen Heizkörper einschalten. Es ist höchst widerlich. Dazu kommt noch, daß Nachmittags im Zimmer neben dem Atelier immer Kinderbetrieb ist. Im großen Hause sitzen ältere Damen im Eßzimmer u. machen irgend welche Weihnachtsarbeiten. Da ich das Atelier nicht gut verdunkeln kann, kann ich Nachmittags dort nicht gut sein. So habe ich, seit ich meine Wohnung an Küntzels abgetreten habe, keine Bleibe mehr u. sitze herum, ohne etwas Rechtes tun zu können. Martha ist viel im Geschäft, – so ist dieser Zustand wenig angenehm. – Spangenberg hatte mir Mist gebracht, den ich unter Rosen u. den Apfelbaum gebracht habe, auch in den Steingarten vor dem großen Hause.

     Der Gastwirt Holzerland war irgendwohin kommandiert worden, um als Ausbilder für den hiesigen Volkssturm ausgebildet zu werden. Gestern hat ihn aber das Militär eingezogen. – Dieser sog. Volkssturm ist sonst bisher hier noch nicht in Erscheinung getreten, außer bei der Vereidigung in Prerow. Es ist das alles Bluff, wenigstens hier bei uns – an der Front sollen ja schon seit längerer Zeit Abteilungen eingesetzt sein.

     Die Russen sollen jetzt in den Außenbezirken von Budapest kämpfen. Im Saarland scheinen die Amerikaner Fortschritte zu machen. – Es scheint, als wollte Frostwetter eintreten.

[7]
Donnerstag, 14. Dez. 1944.     

     Gestern am Spätnachmittag waren Herr u. Frau Ribinski bei mir. Das sind die Eltern des verstorbenen Kindes. Sie wollten die Beerdigung mit mir besprechen. Des Mann arbeitet in einer Rüstungsfabrik bei Tschenstochau u. ist wegen des Toderfalls beurlaubt worden. Er ist ein typischer Pole, recht intelligent, offenbar sehr strebsam u. fleißig, dabei ein ganz braver Katholik. Die Beerdigung soll nun heute Nachmittag um 5 Uhr stattfinden u. der Mann bat mich, alles so schön wie möglich zu machen, wozu ich mir Mühe geben werde. Genau zur selben Zeit wird auch Frau Schorn beerdigt, hoffentlich werden sich die beiden Beerdigungen nicht gegenseitig stören. Es ist ja das erste Mal, daß ich dergleichen tue.

     Gestern von Ruth Nachricht. Es geht ihr gesundheitlich noch garnicht gut. Während sie in der Klinik lag, ist die Anstalt Karthaus durch Fliegerangriff arg zerstört worden, es hat viele Tote gegeben.

Freitag, 15. Dez. 1944.     

     Gestern Nachmittag 1/2 3 Uhr fand die Beerdigung der kleinen Resi Ribinski statt. Das Haus besitzt zu ebener Erde eine Halle mit breiter Flügeltür nach dem Garten. Diese Tür war weit geöffnet, der Sarg war mitten in der Halle aufgebahrt. Er war offen, die kleine Leiche war hoch gebettet, sodaß man sie sehen konnte. Am Kopfende stand ein Tisch mit unserem Kruzifix u. unseren Altarkerzen. Frau Pastor Kumpf hatte zwei Blattpflanzen zur Verfügung gestellt, sonst waren noch ein paar Kränze u. Kiefernzweige da, der Weg durch den Garten war mit kleinen Tannenzweigen bestreut. Es mögen etwa 20 Menschen dagewesen sein, viele Kinder. Ich betete die Meßgebete aus der Allerseelenmesse mit kleinen Abweichungen u. hielt eine kurze, schlichte Ansprache dann noch eine für den Fall zurechtgemachte Allerselen=Andacht aus dem Tierer Gesangbuch. Der Sarg wurde dann geschlossen, wobei die Mutter sehr weinte. Vier etwa fünfzehnjährige Mädchen von den Ostpreußen trugen den Sarg zum nahen Friedhof. Der Sarg wurde hinabgelassen u. ich sprach noch ein schönes Gebet in der Sterbestunde, ebenfalls aus dem Tierer Gesangbuch u. ein Vaterunser u. Gegrüßet seist du ... . In dieser Zeit traf der andere Leichenzug mit den Ueberresten der alten Frau Schorn auf dem Friedhof ein, sodaß wir uns nicht gegenseitig störten. Das Kindergrab war überdies oben auf dem Berge, das Grab der Frau Sch. unten. Dort amtierte Pastor Loeber. Martha nahm ebenfalls dort teil u. nach dem, was sie mir davon erzählt hat, war unsere Beerdigung sehr viel feierlicher. – Die Mutter konnte sich nur schwer vom Grabe trennen. Sie ist eine sehr gute Frau. Die Eltern baten mich innig, daß ich doch noch mit ihnen zu einer Tasse Kaffee kommen möge, was ich auch tat. Es war erstaunlich, wie geschickt diese Leute in der Enge ihrer Stube eine Kaffeetafel arrangierten. Es waren die vier Mädchen dabei, die den Sarg getragen hatten, dazu noch eine Frau aus Ostpreußen u. eine andere gleichfalls, die der Frau Ribinski zur Hand ging. Es waren also insgesamt neun Menschen in dem engen Zimmer um den nicht großen Tisch, auf dem noch [8] zwei mit Streuselkuchen vollbeladene Teller Platz fanden. Die Enge bewirkte eine lebhafte Unterhaltung u. so waren die guten Leute bald wieder vergnügt u. sie lachten wie die Kinder. – Das war also die erste Beerdigung, in der ich den Pfarrer vertrat u. es ist sehr gut gegangen, – die Leute waren mir dankbar. –

     Heute ist Frost eingetreten, hoffentlich wird es nicht zu schlimm.

     Generalfeldmarschall Paulus hat von Moskau aus einen ganz vorzüglichen Aufruf an das Deutsche Volk erlassen u. im Rundfunk verlesen, sofort die Waffen niederzulegen. Er hat mit Hitler scharf abgerechnet. Hitler habe zwar, so sagte er einst die Arbeitslosigkeit beseitigt u. das Volk hätte ihm deshalb sein Vertrauen entgegengebracht. In Wirklichkeit hätte er aber die Arbeitslosigkeit nur dadurch beseitigt, daß er aufgerüstet habe, um diesen Krieg vorzubereiten. Das hätte das Volk nicht gewußt. Er habe dann alle Verträge mit den anderen Völkern gebrochen, er habe alle seine Gegner in Deutschland gefangen gesetzt oder vertrieben, habe die Religion zu vernichten versucht u. eine maßlose Willkürherrschaft eingeführt. Die übrigen Führer der Partei hätten umfangreiche Korruption betrieben, – bis dann der Krieg unvermeidlich gewesen sei. Anfangs sei es ja gut gegangen infolge der ungeheuren Aufrüstung, – aber dieses Kapital sei nun dahin, ohne daß unsere Gegner besiegt worden wären. Es sei jetzt unmöglich, noch einmal einen solchen Rüstungsvorsprung wie am Anfang des Krieges zu erringen, – im Gegenteil, heute ständen Kinder u. Greise an den Fronten u. die Frauen würden zur Wehrmacht einberufen. Hitler erreicht das durch seine Propaganda, die dem Volke vorerzählt, daß unsere Gegner die Absicht hätten, das ganze Volk auszurotten. Natürlich, meint Paulus, würden uns nun sehr schwere Friedensbedingungen auferlegt werden, denn die Deutschen hätten sich, verhetzt durch Hitler u. seine Leute, in diesem Kriege vieler Verbrechen schuldig gemacht, die den deutschen Namen in der ganzen Welt geschändet haben, – das müsse gesühnt werden; aber besser sei es, jetzt den Krieg zu beenden, solange noch einige Häuser u. Städte in Deutschland unversehrt stehen, als später, wenn alles in Trümmer liege. Im Jahre 1918 hatten Hindenburg u. Ludendorf in militärisch aussichtsloser Lage Frieden gemacht, – Hitler wolle das nicht, um sich selbst noch für einige Zeit zu retten.

     Die Russen machen bei Budapest weitere Fortschritte, die Amerikaner im Nordelsaß gegen die Rheinpfalz.

Sonnabend 16. Dez. 1944.     

     Gestern hielt Churchill im Unterhause eine in einem überaus pessimistischen Ton gehaltene Rede über Polen. Er erkannte den Anspruch Rußlands auf die Grenze der Curzonlinie ausdrücklich an. Polen solle dafür auf Kosten Deutschlands entschädigt werden, indem es ganz Ostpreußen bis einschl. Danzig bekäme. Es würden dazu Umsiedlungen nötig sein sowohl von Polen nach den westlichen Teilen dieses Reiches, wie auch Deutsche aus den neuen polnischen Gebieten. Hierzu meinte er, daß das keine Schwierigkeit bedeuten könne, da Deutschland bisher im Kriege etwa 7 Millionen Menschen [9] verloren habe u. noch weiterhin viele verlieren würde. Er sagte dann, daß der Ministerpräsident der polnischen Exilregierung in London auf dieser Grundlage nach Moskau zur Verhandlung gereist sei. Es sei auch alles nach Wunsch gegangen, auch die Verhandlungen mit dem polnischen Regierungsausschuß in Lublin seien günstig verlaufen, sodaß angenommen werden konnte, daß der poln. Ministerpräsident ein zweites Mal nach Moskau reisen würde, nachdem er sich in London mit den übrigen Ministerkollegen besprochen hatte. Diese Hoffnung sei aber trügerisch gewesen u. der poln. Ministerpräsident habe daraufhin demissioniert. Es sei dann zu einer Umbildung der poln. Exilregierung gekommen, von der Ch. sagte, daß sie durchaus nicht in allen Teilen seine Zustimmung hätte. – Er sagte dann weiter, daß es wünschenswert gewesen wäre, eine Einigung zwischen Polen u. Rußland zu erzielen, damit die Russen, wenn sie demnächst in Polen einmarschieren würden, als Freunde u. Befreier kämen. Käme eine Einigung nicht zustande, dann würde es neues Blutvergießen geben u. man weiß nicht, was daraus werden soll. Ch. sprach dann in diesem Zusammenhang von der Möglichkeit eines dritten Weltkrieges.

     Es ist überall dasselbe: ob Griechenland, Italien, Belgien, Jugoslawien usw. – alle wollen natürlich von ihren Exilregierungen nichts mehr wissen. Die Leute haben ihr Vaterland mit der Waffe u. mit Einsatz des Lebens verteidigt, – jetzt sollen sie gehen, nachdem sie ihre Schuldigkeit getan haben u. die Herren, die den ganzen Krieg bequem in London oder sonstwo verbracht haben, wollen sich wieder auf ihre Ministersessel u. Königsthrone setzen, als ob seit 1939 nichts gewesen wäre. Man kann es den Leuten nicht verdenken, wenn sie sich das nicht gefallen lassen wollen. Aber diese Leute sind alle Kommunisten u. so werden diese Länder alle kommunistisch werden. Damit dürfte Hitler wohl Recht behalten. Jedenfalls war die Rede Churchills über Polen ein Eingeständnis einer schweren Niederlage Englands gegenüber Rußland u. die Bemerkung über einen dritten Weltkrieg konnte nur gegen Rußland gerichtet sein. Wenn man dazu noch an Griechenland denkt, wo der Bürgerkrieg nach wie vor tobt, ohne das England seiner Herr werden könnte, an Belgien u. auch an Frankreich usw. dann wird es immer deutlicher, daß England mit diesem Kriege sich arg in die Nesseln gesetzt hat. –

     Churchill sprach noch von der Notwendigkeit eines Ausgleiches zwischen Polen u. Rußland vor Beendigung des Krieges, weil es nachher viel schwieriger sein würde, einen Ausgleich zu finden. Es könne sein, meinte er, daß ein dritter Weltkrieg um Ideologien geführt werden würde, der dann nicht an irgend welchen Landesgrenzen, sondern im Herzen der Völker ausgefochten werden würde u. der dann Europa auf Jahrhunderte um die Früchte seiner Zivilisation bringen könne. – Das sind sehr düstere Worte, – u. man wird nicht fehl gehen in der Annahme, daß er dabei an Rußland u. den Bolschewismus gedacht hat. – Auch sagte Ch. noch, daß er die in London befindliche poln. Exilregierung auch dann weiterhin als poln. rechtmäßige Regierung anerkennen würde, wenn eine Einigung nicht erzielt würde. Es ballt sich hier schon deutlich der Konfliktstoff zwischen England u. Rußland zusammen.

[10]
Sonntag, 17. Dez. 1944.     

     Gestern Abend zwei Briefe von Fritz vom 4. + 6.12. An seinem Geburtstag am 4.12. hat er wenigstens einen Brief von Martha erhalten, das Stückchen Schokolade mit dem Fotoetui hat er ebenfalls bekommen, aber schon früher. Zur Feier seines Geburtstages haben sie im Bunker Bohnenkaffee getrunken, auch sein Stabsarzt war nett zu ihm, besonders der Feldw. Kaplan Stegmiller. Fritz schreibt, daß er am liebsten mit ihm in die Kirche gegangen wäre, wenn es möglich gewesen wäre. Immer mehr scheint er zu begreifen, wo seine Heimat ist. –

     Es scheint, daß sie dort ziemlich im Ungewissen sind über ihre Lage sie vermuten nur, daß sie eingekesselt sind. Das ist aber noch nicht der Fall, aber sie haben nur noch einen schmalen Rückzugsweg über den Rhein.

     Am 6.12. hat er unsere Geburtstagsbriefe erhalten. An diesem Tage zog der Haupttroß, wie er schreibt, über den Rhein in die Gegend Freiburg, die Truppe u. der Hauptverbandsplatz bleiben aber noch jenseits. Es ist also Hoffnung, daß er noch rechtzeitig herauskommt. – Von Feldw. Stegmiller bekam er eine Karte zum Geburtstag geschenkt, auf der auf der Vorderseite steht: „Gott wird sorgen“. Auch die Rückseite hat St. geschrieben. „Veni ad liberandam nos, Domine! Zur Erinnerung an den 4.12.44 in Sennheim in herzlicher Freundschaft Ihr Kaplan Richard Stegmiller.“ Er hat sich gefreut u. trägt diese Karte stets bei sich. –

     Heute haben wir zwei fremde Soldaten bekommen zum Holzhacken. Der Gefr. Maaß ist in Urlaub u. so klappte es nicht mit unseren Soldaten.

     Der Frost hat nachgelassen. Glatteis.

Montag, 18. Dez. 1944.     

     Gestern Nachmittag von 4 – 5 Uhr die Kinder, denen ich die Geschichte der Geburt Christi mit legendären Ausschmückungen erzählte, wie ich es im vorigen Jahre auch schon tat. Wir sangen Weihnachtslieder u. alle Kinder waren sehr bei der Sache. Es waren 25 Sitzplätze da u. alle waren besetzt. – Abends müde, besonders Martha ist nun doch sehr mitgenommen von der Arbeit in der BuStu. –

     Es bestätigt sich, daß Frau Siegert den Vorsitz der Frauenschaft niedergelegt hat. Man ist in großer Verlegenheit, wer dieses Geschäft jetzt machen soll. Deutschmann heute Morgen in der BuStu. Die Bescherung für die Ostpreußen soll am kommenden Sonntag Vormittags in der BuStu. stattfinden. Wieder neue Plage! –

     Gestern an Fritz u. Pfr. Dobczynski geschrieben, der nun wieder in Barth ist. Heute an Ruth geschrieben, weil Martha keine Zeit hatte. – Martha hat heute ein wunderschönes neues Kleid bekommen, welches ihr Frl. Schwerdweger gemacht hat, die eine aus Berlin evakuierte, sehr geschickte Schneiderin ist. –

     An der Westfront hat gestern eine Gegenoffensive von unserer Seite begonnen in der Gegend des Südteils der Luxemburgischen Grenze bis nach Malmedy. Zunächst haben wir natürlich Anfangserfolge. Feldmarschall [11] v. Rundstädt scheint hier alle Kräfte zusammengezogen zu haben. Er hat einen Tagesbefehl erlassen, in dem er sagt, daß es nun „aufs Ganze“ ginge u. daß er von jedem Soldaten Uebermenschliches erwarte. Es scheint also, als wäre diese Offensive als die endgültige Entscheidung gedacht, wenn sie zusammenbrechen sollte, ist nichts mehr zu erhoffen. Es wird sich also in den nächsten vier Wochen zeigen, ob die Hoffnungen, die einige Deutsche immer noch haben, Berechtigung besitzen.

     Das Wetter ist wieder klar geworden, der Frost nimmt wieder zu. Damit dürfte denn nur auch die Voraussetzung zu der lange erwarteten neuen, russischen Offensive gegeben sein.

Dienstag, 19. Dezember 1944.     

     Gestern Nachmittag traf Paul ein, der plötzlich Weihnachtsurlaub bekommen hat. Er sieht überaus elend aus. Wir werden alles daran setzen, zu verhindern, daß er wieder nach Schneidemühl zurückkehrt.

     Auch zwei Briefe von Ruth kamen gestern, sehr nett wie immer; aber es geht ihr nicht gut. Sie leidet an einer Eileiter-Entzündung u. muß das Bett hüten, aber was schlimmer ist: ihr Leben mit Erich wird immer unmöglicher.

     Die von uns begonnene Offensive hat nach dem Eingeständnis der Engländer sehr beträchtliche Anfangserfolge. Die Engländer haben über diesen Frontabschnitt eine Nachrichtensperre verhängt, sodaß man für die nächste Zeit nur auf unsere eigenen Nachrichten angewiesen sein wird. –

     Gestern Abend sprach ich mit Dr. Ziel über Seeberg. Er war empört über das Verhalten dieses Mannes, der völlig haltlos sei u. von Weinkrämpfen in Tobsuchtsanfälle fiele. Er hat zu Ziel in Gegenwart seiner eigenen Frau gesagt: „Wenn meine Frau von einer Bombe zerrissen würde, so würde ich das nicht so schmerzlich empfinden wie den Tod meines Sohnes.“ – Obwohl sich Seeberg mir gegenüber mehr zusammengenommen hat u. nicht ganz so haltlos ist, habe ich doch sein Verhalten in dieser Sache ziemlich verächtlich gefunden; aber Ziel gegenüber scheint er sich in einer unverzeihlichen Art gehen gelassen zu haben. Wenn sein Sohn Ando zu mir, als er uns neulich besuchte, sagen konnte, daß der christl. Glaube ein Betrug sei, so konnte ich ihm angesichts des Verhaltens seines Vaters darauf freilich nichts erwidern. –

     Gestern Abend war Frau Seeberg da, – natürlich um Cigaretten für Erika zu holen. S. waren beide in Bln., wo er Vorlesungen gehalten hat, jetzt hat er Weihnachtsferien. Frau S. erzählte nur kurz böse Sachen aus Bln., wo das Terror-Regiment schreckliche Formen angenommen zu haben scheint. Die Angeschuldigten, bzw. die Verdächtigen des Attentats vom 20. Juli, soweit sie nicht s. Zt. hingerichtet wurden, sitzen immer noch in Untersuchungshaft, u. a. auch Dr. Goerdeler, u. werden grauenhaften Folterungen unterworfen, um Aussagen zu machen. Kein Mensch wagt in Berlin, ein Wort zu sagen.

[12]
Mittwoch, 20. Dezember 1944.     

     Unsere Offensive scheint weiterhin Fortschritte zu machen. Beide Seiten schweigen sich aus, aber es ist zu erkennen, daß der Hauptstoß zwischen Malmedy u. dem Nordteil von Luxemburg geführt wird u. bis jetzt unsere Angriffsspitzen etwa 8 km. über die belgische Grenze vorgedrungen sind. Die Absicht v. Rundstedt's scheint zu sein, südlich Aachen vorzustoßen, um diese Stadt zurück zu gewinnen. – Dies aber kann wohl kaum das letzte Ziel einer offenbar sehr groß angelegten Aktion zu sein. Das strategische Ziel muß doch wohl darin bestehen, ganz Belgien u. vor allem den Hafen Antwerpen zurück zu gewinnen. Man fragt sich nach den Aussichten dieses Unternehmens u. warum dieses in diesem Zeitpunkte unternommen worden ist. Der Zeitpunkt für eine solche Offensive ist doch sehr ungünstig, denn alle Straßen sind jetzt u. besonders nach den monatelangen Kämpfen völlig verschlammt. Dazu kommt, daß das Wetter, welches nach Frost aussah, wieder umgeschlagen ist, es regnet, es ist trübe u. nebelig, sodaß die Luftwaffe nicht voll eingesetzt werden kann. Auch kann man nicht annehmen, daß die neu aufgestellten Divisionen jetzt schon sehr schlagkräftig sind, die Zeit war zu kurz. Was hat also v. Rundstedt veranlaßt, jetzt schon loszuschlagen, anstatt in etwa drei bis vier Monaten? – Die Antwort auf diese Frage dürfte in der Ueberlegung liegen, daß beim Fortgang der Materialschlachten östlich Aachen u. im Saargebiet ein sehr großer Verschleiß an Menschen u. Material von uns gefordert wird, der unsere Reserven stark verbrauchen würde u. daß bei der verheerenden Wirkung der Luftoffensive unserer Gegner unsere rückwärtigen Verbindungen bald völlig gestört sein dürften, sodaß dann nicht einmal mehr ein einfacher Widerstand möglich sein wird. Nicht zuletzt aber muß jeden Tag mit dem Losbruch einer gewaltigen russischen Offensive gerechnet werden, deren Wirkung in drei bis vier Monaten so gefährlich sein wird, daß dann an einen weiteren Widerstand überhaupt nicht mehr zu denken ist. So erweist sich also doch die Zeit, die angeblich zu unseren Gunsten wirken soll, zuletzt doch als unser Feind. Wenn man es so betrachtet, erscheint diese Offensive wie ein letzter Verzweiflungsschritt, wozu auch der Tagesbefehl des Feldmarschalls v. R. paßt, in dem es heißt, daß es „aufs Ganze“ ginge, – d. h. also doch: biegen oder brechen. Es mag ja sein, daß v. R. mit dieser Offensive Erfolg hat, daß er Aachen zurückgewinnt, daß er Brüssel u. Antwerpen nimmt, – aber daß ihm ein Dünkirchen gelingen sollte, daran wird er wohl kaum denken. Es muß ihm aber gelingen, wenn diese Offensive Erfolg haben soll, denn es handelt sich eben darum, den Gegner zu vernichten, – nicht aber darum, die Front um einige hundert Kilometer nach Westen zu verlegen. Das wäre höchstens wieder mal ein Propaganda-Erfolg, um das Volk zu noch größerem Elend zu veranlassen. – Und so kann ich in dieser Sache nichts anderes sehen als ein nutzloses Opfer von weiteren Hunderttausenden von Menschen zu dem Zweck, wenigstens mit einer heroischen Geste unterzugehen. – Mögen dann wenigstens Herr Hitler u. Herr Himmler u. ihre Kumpane sich an die Spitze ihrer Truppen stellen u. den Heldentod sterben.

     Heute morgen um 1/2 10 Uhr ging das Licht aus. [13] Es hieß dann allgemein, daß es bis zum Abend keinen Strom mehr geben würde, weil Rostock keine Kohlen mehr hätte. Dieser Zustand solle eine Woche lang dauern. Da wir nur elektrisch Kochen, fühlten wir uns aufgeschmissen, – es war ein Zustand eingetreten, den ich seit Monaten befürchtete u. der eines Tages unvermeidlich eintreten muß. Wir beschlossen, Mittags Kaffee zu trinken u. vielleicht Abends zu essen. Das Tolle ist, daß die Behörde nichts davon verlauten läßt, daß dergleichen zu befürchten wäre, damit man sich irgendwie vorher darauf einstellen kann; aber gegen 1/2 1 Uhr Mittags wurde ebenso unvermutet der Strom wieder eingeschaltet. Wie lange, weiß man nicht u. zum Kochen ist es nun zu spät. Wir werden, falls die Stromversorgung wirklich eingestellt werden sollte, in meinem Atelier auf dem Ofen kochen, was sicher ganz gut geht.

Donnerstag, 21. Dez. 1944     

     Gestern Abend brachten uns Maaß u. Mehlis einen Weihnachtsbaum, besonders hübsch im Wuchs. Leider lag Martha mit Kopfschmerzen infolge Ueberanstrengung in der Bustu im Bett, sodaß ich die beiden nur kurz sprach. Maaß erzählte aus der Gegend Bielefeld, wo er eine Woche lang war, seine geflüchtete Familie zu besuchen. Die Verkehrsverhältnisse sind arg zerrüttet, die Stimmung der Bevölkerung sehr düster. Er sagte, daß aus der Gegend dort die Raketenbomben V2 abgefeuert würden u. daß dauernd Fliegen in der Luft wären, um die Abschußstellen zu suchen. Maaß selbst wird jetzt sein Soldatentum beschließen u. wird wieder als Studienrat tätig sein, u. zwar in Gotenhafen=Gdingen. Anfang Januar wird er dorthin fahren. Damit verlieren wir einen treuen Verbindungsmann zur Batterie.

     Unsere Offensive macht in Belgien Fortschritte, doch scheint sich der amerikan. Widerstand langsam zu versteifen. In der Nacht ist u. a. auch wieder einmal Regensburg angegriffen worden. Sonst nichts von Bedeutung. Das Wetter ist sehr trübe, aber wieder etwas kälter.

     Der elektr. Strom funktioniert wieder; aber es scheinen in vielen Teilen Deutschlands Einschränkungen eingetreten zu sein infolge Kohlenmangels, der auf die Zerstörungen von Eisenbahnen u. Kanälen zurückzuführen ist. –

     Gestern aßen wir erst um 6 Uhr zu Mittag.

Freitag, 22. Dez. 1944.     

     Nun ist doch wieder Frost eingetreten bei klarem Wetter. Die Offensive im Westen macht weiter Fortschritte, doch ist offenbar das Tempo abgestoppt. Besonders an den Rändern der Einbruchstelle scheinen die Amerikaner fest zu bleiben, sie haben sogar Monschau zurückgewonnen. Unsere Angriffsspitze scheint jetzt südlich Lüttich zu stehen. Der Keil, den wir in die amerikan. Front getrieben haben, liegt zwischen den beiden bisherigen Centren bei Aachen – Düren u. im Saargebiet. An dieser Stelle war die amerikan. Besetzung natürlich nur schwach, weshalb hier ein stark massierter Angriff gelingen konnte. Auf unserer Seite sollen 12 – 13 Divisionen eingesetzt worden sein, darunter 6 Panzerdivisionen. Die Nähe der bisherigen Centren macht es den Amerikanern leicht, sehr rasch Verstärkungen heranzubringen, was inzwischen zweifellos geschehen ist. Es wird jetzt alles davon abhängen, [14] ob wir genügend Reserven haben, um sie in den Angriffsraum zu werfen, – das wird sich bald zeigen.

Sonnabend, 23. Dez. 1944.     

     Heute Morgen von 10 – 1 Uhr Ausgabe der Weihnachtsgeschenke an die Einwohner. Die Sache war in wochenlanger, mühsamer Arbeit von Martha organisiert, sodaß sie seit Tagen völlig überanstrengt ist. Es war ja nicht möglich, einen normalen, freien Verkauf zu veranstalten, wenn man vermeiden wollte, daß einige Leute alles kauften u. die übrigen leer ausgehen würden. Es mußte also eine regelrechte Verteilung gemacht werden wie schon im vorigen Jahre, nur daß der Ort damals etwa 250 Einwohner hatte, diesmal aber 700. Es war eine enorme Arbeit, für jeden ein Paket zurecht zu machen. Dafür hat die Sache aber heute morgen vorzüglich geklappt. Es war ein furchtbares Gedränge u. meine Kasse stand nicht eine Minute still. So hatten wir die höchste Rekordeinnahme, seitdem die Bu-Stu steht, ich kassierte in diesen drei Stunden über 3000,– Rm. Dabei war es furchtbar kalt, denn der Frost ist seit gestern noch stärker geworden. Die Verteilung verlief bemerkenswert reibungslos; aber es ist noch nicht sicher, ob alle Leute zufriedengestellt sind, – wahrscheinlich nicht. Die Leute haben ja keinen Begriff von der Mühe u. Arbeit, die so etwas macht. – Von den Mithelfern sind vor allem Ilse Schuster, Carmen Grantz, Inge Meisner u. Erika Wollesen zu nennen; aber noch manche andere haben sich gleichfalls betätigt, auch Paul in den Tagen seines Urlaubs. Da seit einiger Zeit Trude Dade wieder bei uns ist, war uns auch diese eine große Hilfe. –

     Morgen soll nun die Geschenkverteilung an die ostpreußischen Flüchtlinge stattfinden, wofür Frau Lücke seit Wochen mit den Kindern gebastelt hat. Wir geben dafür nur den Raum her, aber es wird wohl noch manche Arbeit dabei herausspringen.

     Gestern Abend Erich Seeberg. Es trauert nach wie vor um Bengt, wenngleich er sich mir gegenüber auch nicht so gehen läßt.

     Unsere Offensive scheint jetzt in einen Raum von etwa 60 km. Tiefe vorgedrungen zu sein; da aber offenbar die beiden Flügel von den Amerikanern gehalten werden u. eine Ausweitung der Einbruchstelle bisher nicht stattgefunden hat, scheint der Erfolg jetzt schon in Frage gestellt zu sein. Man kann auf sie die Worte anwenden, die Dr. Goebbels im „Das Reich“ in Bezug auf unsere Gegner geschrieben hat: „.... daß eine Gewaltoffensive, die sich den vollen Sieg zum Ziele setzt, dann zu einem absoluten Mißerfolg verurteilt ist, wenn sie nicht zu einem absoluten Erfolg führt. Das liegt daran, daß für sie meistens Reserven eingesetzt werden u. auch eingesetzt werden müssen, die, wenn sich weitere umfangreiche Operationen als notwendig erweisen, fehlen, aber nicht fehlen dürfen.“ – Ob wir diese notwendigen Reserven haben werden, wird sich in den nächsten 14 Tagen herausstellen. Haben wir sie nicht, dann kann die Lage der jetzt vorgestoßenen Divisionen katastrophal werden; dann würde geschehen, was Dr. G. im gleichen Artikel kurz vorher schreibt: „Wenn es stimmt, daß wir in der Entscheidungsrunde des Krieges stehen, dann kommt es jetzt für jedes kriegführende Land vornehmlich darauf an seine Kräfte so rationell einzusetzen, daß es für die letzte Schlacht nicht völlig ausgegeben ist.“ –

     Die Russen scheinen jetzt oben in Kurland angegriffen zu haben. In Ungarn drücken sie weiter auf die Slovakische Grenze.

Montag, 25. Dezember 1944.     

     Gestern Vormittag die Weihnachtsbescherung für die Ostpreußen. Die gebastelten Sachen, vor allem eine sehr hübsche Puppenstube, waren sehr hübsch aufgebaut. Es war wirklich eine Leistung, sodaß selbst Frau Siegert ihre Bewunderung aussprechen mußte. Die NSV hatte von sich aus überhaupt nichts dazu beigetragen, die ganze Last hatte auf Marthas Schultern gelegen, die so wie so schon überbelastet war. Herr Deutschmann [15] hielt eine leere Ansprache in der formlosen Art, die ihm eigen ist u. die ganz gut hierher paßte. Das Einzige, was die Partei zur Sache getan hatte, diente dazu, daß die Sache nicht ganz klappte, indem Herr Deutschmann die Einladung der Leute übernommen hatte. Er hatte sagen lassen, daß die Bescherung von 11 – 1 Uhr stattfände, anstatt zu sagen: um 11 Uhr. Auf diese Weise waren die Leute eben um 11 Uhr nicht da u. wir mußten lange warten. – Anschießend daran hatte Martha dann noch die Geschenkeverteilung an Einheimische u. Mitarbeiter u. Helfer, sodaß sie erst um 6 Uhr herüberkam. – Von Neumanns bekamen wir wieder wie im Vorjahre Putenbraten mit Sauerkraut, ganz ausgezeichnet; aber wir mußten natürlich die für uns beide berechnete, sehr reichliche Portion mit Küntzels teilen, mit denen wir in der Diele aßen. So ging die Portion anstatt in zwei in fünf Teile. – Vorher, um 4 Uhr, waren unsere Soldaten da. Maaß, Mehlis u. Wolters. Martha hatte auch für sie u. für ihre ganze Stube ein Paket zurechtgemacht. Erika nahm uns zum Glück die Kaffee-Bewirtung ab u. hatte bei sich in ihrem Zimmer den Kaffeetisch gedeckt. Es gab sogar echten Bohnenkaffee. –

     Nach dem Abendessen hatten wir die kleine Bescherung. Den Weihnachtsbaum hatte ich in der Mittagszeit geschmückt, er war sehr hübsch, es brannten 17 Kerzen, die wir noch vom vorigen Jahre gespart hatten. Martha bekam von mir die Armbanduhr, über die sie sich besonders freute, sowie das Briefpapier mit ihrem Namen. Frl. Werneck u. Frau Hartmann hatten eine kleine Maria-Figur aus Holz geschnitzt, – wohl etwa 17. Jahrh., geschenkt. Von Wullenbecker, Frau Dr. Ummus Lebensmittel. Von Spangenberg eine Fl. Rotwein. Ich bekam von Martha Taschentücher u. warme Hausschuhe. Auch Küntzels bekamen reichlich, besonders Erika, die über ein Paar entzückende kleine Wildlederschuhchen für ihren Sohn sehr glücklich war. – Unter dem Weihnachtsbaum sangen wir ein Weihnachtslied, sonst mußte die Weihnachtsgeschichte leider ausfallen, da die Unchristlichkeit Küntzels dergleichen nicht zuließ. Nachher saßen wir zusammen. Ich spendierte eine Flasche Burgunder, die ich noch im Keller liegen hatte, nachher tranken wir den Spangenbergschen Rotwein. Da Paul ja ein ungemein liebenswürdiger Mensch ist, verlief der Abend wirklich sehr gemütlich. Um 11 Uhr fielen Martha die Augen zu u. wir gingen schlafen.

     Heute Morgen mußte der Tag gleich mit einem Opfer begonnen werden, indem Grete sich verpflichtet fühlte, uns zum Frühstück einzuladen, d.h. zu dem Bohnenkaffee, den wir ja auch so getrunken hätten, u. zwar sehr viel reichlicher u. vor allem sehr viel gemütlicher. Nachher um 10 Uhr hatten wir unsere Andacht mit recht guter Beteiligung – 9 Personen.

Dienstag, 26. Dezember 1944.     

     Heute Morgen das gemütliche Frühstück nachgeholt, nachdem es an Gretes Tüchtigkeit beinahe wieder gescheitert wäre. Nachher langen Brief an Ruth geschrieben u. gedankt für das Bild „Maria m. d. Kinde“, Reproduktion nach Bellini, welches sie zu Weihnachten geschickt hatte u. das zu erwähnen ich gestern vergaß. Dieses Bild ist sehr schön, sehr streng u. kubisch, unter Verzicht auf die diese Zufälligkeiten u. Gefühlsdinge, deren wir neuzeitl. Menschen so schwer entraten können. Diese Strenge u. Armut ist das, was uns not tut, ohne die nichts Neues werden kann.

     Die Lage an der Westfront scheint sich nicht wesentlich geändert zu haben. Zwar sollen unsere Truppen noch wieder Boden gewonnen haben, jedoch in die Tiefe des Raumes hinnein, nicht an den Flanken, wodurch ihre Lage [16] kaum besser geworden sein dürfte. Die Kämpfe scheinen mit großer Erbitterung geführt zu werden u. sind wohl für beide Teile sehr verlustreich, – es fragt sich nur, welcher Teil Verluste leichter verschmerzen kann. – In Ungarn haben die Russen neu angegriffen u. haben Stuhlweissenburg erobert.

     Heute rief Kurt an. Er hat Urlaub zur Taufe seines vor einigen Tagen geborenen Kindes u. bat, daß Martha hinkäme. Die Taufe findet bei Pastor Karl-Ernst Wendt in Kasekow statt, wo das Kind auch geboren ist.

     Unsere West-Offensive ist jetzt durchgestoßen bis nach Rochefort, welches etwa 70 km. Luftlinie von der Deutschen Grenze entfernt liegt. Da die Flügel anscheinend immer noch nicht ausgeweitet sind, ist hier also ein beträchtlicher Schlauch entstanden, dessen Spitze auf Meuse gerichtet ist die noch etwa 30 km. westlich davon von Süden nach Norden fließt. Damit ist nun allerdings die Verbindung von Lüttich nach dem Süden unterbrochen, was aber nicht sehr schwer ins Gewicht fallen dürfte. Einen strategischen Vorteil für uns kann ich darin aber immer noch nicht erkennen, er liegt wohl nur darin, daß die Amerikaner ihre Materialschlachten bei Aachen u. im Saargebiet aufzugeben gezwungen wurden.

Donnerstag, 28. Dezember 1944.     

     Gestern Nachmittag waren Herr + Frau Meisner hier. Belanglos. – Vormittags Dr. Müller-Bardey, den wir um Rat fragten, wie Paul von Schneidemühl loskommen könnte. Er wußte auch nichts Besseres, als daß Paul nach Rostock zu Prof. Curschmann fahren u. sich von ihm untersuchen lassen sollte. Hierfür hatten wir so wie so schon Schritte unternommen. Seeberg hatte Curschm. deshalb angerufen, u. so wird er morgen nach Rostock fahren. – Abends kam der Gefr. Maaß, um sich zu verabschieden, er fährt heute nach Kiel, wo er seine neue Anstellung als Studienrat für Luftwaffenhelfer antreten wird. Wir bedauern, diesen angenehmen Mann zu verlieren, aber für ihn ist es natürlich sehr schön.

     Kurt hatte angerufen u. gebeten, daß Martha nach Blumberg kommen solle zur Taufe seines Kindes. Marta war sehr schwankend; aber die Schwierigkeiten einer solchen Reise sind so groß, daß sie sich nun doch entschlossen hat, nicht hinzufahren. Sie hat heute morgen abgeschrieben. – Gott sei Dank!

     Heute Morgen kam Frau König: ihre Tochter Ilse Schuster ist schwer erkältet, 40° Fieber u. Lungenstiche. Sie hat vor Weihnachten in der BuStu. viel geholfen u. wird sich in der eisigen Kälte dort die Sache geholt haben. Martha hat eben Dr. Meyer angerufen u. ist eben selbst hingegangen.

     Die West-Offensive scheint sich nun langsam festzufahren. Unsere Angriffsspitzen sollen bis zu 6 km. an die Maaß herangekommen sein, aber es ist bisher nicht gelungen, die Flanken auszuweiten. Da die Amerikaner an diesen Flanken offenbar sehr starke Kräfte massiert haben, dürfte eine Ausweitung nun auch kaum mehr möglich sein u. damit ist das ganze Unternehmen zum Scheitern verurteilt. Die Amerikaner scheinen besonders an der Südflanke zu starken Gegenangriffen übergegangen zu sein u. haben kleine Bodengewinne gemacht. –

     Budapest ist jetzt völlig eingeschlossen. [17] Churchill u. Eden sind über Weihnachten in Athen gewesen u. es scheint, als wäre man zu einer Entspannung der Lage gekommen.

Freitag, 29. Dez. 1944.     

     Gestern Abend zwei Briefe von Fritz, datiert vom 2.12. u. vom 14.12. – Am 2.12. schreibt er, daß er für zwei Tage beim Troß wäre, um dort die San.-Ausrüstung eines aufgelösten MG=Bataillons abzuholen. Auch hat er bei dieser Gelegenheit seine letzten Privatsachen gepackt u. an uns abgesandt, sie sind aber noch nicht hier. –

     Er scheibt eine ganz amüsante Zahlenakrobatik auf, die ich hier notieren möchte:

     Datum seines diesjährigen Geburtstages:     4.12.44.

          "          "          Geburtstages                     4.12.08

                              Differenz                               36

     Alle Zahlen sind durch 4 teilbar.

3 x 4 ergibt den Geburtsmonat 12

3 x 12     "               das Alter 36

4 x 8      "                "          " , in dem er Soldat wurde = 32

32 + 4     "               "          heutige Alter.

4 + 12 + 44 = 60

4 + 12 + 08 = 24

Differenz       36 heutiges Alter

4.12.44 = Quersumme = 15

4.12.08 =          "          = 15

     Er stellt fest, daß er nun 4 Jahre Soldat u. immer noch Gefreiter ist, obwohl er gelegentlich Aufgaben erhält, die sonst Feldwebel ausführen wie z.B. jetzt die Uebernahme u. Durchsicht einer ganzen San-Ausrüstung. – In den letzten Tagen ist sein Komp-Chef von der 7. Komp. das zweite Mal verwundet worden, der Spieß, ein Zugführer u. zwei Soldaten sind gefallen, zehn sind verwundet, der Btl.-Kommand. schwer verwundet. Es ist dies der Hptm. Röhricht, der Maler, dessen Sohn hier in Althagen einmal im Kinderkaten war. Ein Bataillon hat nur noch 16 Mann Gefechtsstärke u. ist aufgelöst worden u. mit seinem Btl. zusammengelegt worden. Auf dem Verbandsplatz ist viel Arbeit Tag u. Nacht. Der Feldw. Kaplan Stegmiller ist ihm eine große Stütze. –

     Am 14.12. schreibt er von dem leider immer gespannter werdenden Verhältnis zu seinem Stabsarzt. Alle leiden unter seinem tyrannischen Wesen u. seiner Unbeherrschtheit – Ein Teil seiner Division bezieht die alte Weltkriegsstellung am Hartmannsweiler Kopf, bzw. hat sie bezogen. Dort wird sie wohl auch heute noch liegen. Der Gegner setzt hauptsächlich Artillerie ein, Luftwaffe selten, auf unserer Seite sind alte u. kaum gesunde Leute. Wenn dennoch die Stellung gehalten wird, so kommt es daher, weil der Gegner nicht gern zum Infanteriekampf antritt u. sich mit Artillerie begnügt oder Panzer einsetzt. Fr. schreibt, daß sie gezwungen wären, halbkranke Menschen vorn in der Stellung zu belassen, weil sie sonst die Stellung nicht halten könnten. Der Soldat sieht das zwar ein, aber es ist eben für den Einzelnen zuviel u. darum herrscht eine allgemeine Gereiztheit, die noch dadurch gesteigert wird, daß viele Soldaten überhaupt keine Post bekommen, weil sie von anderen Einheiten versprengt wurden u. nun ihre alte Feldpost-Nummer für sie nicht mehr gilt. [18] Es bestätigt sich nun das seit langem kursierende Gerücht vom Selbstmord des Gen-Feldmarsch. v. Kluge, der s. Zt. Nachfolger des im Westen abgesetzten v. Rundstedt war. Gen. Feldm. Keitel hat in einem Tagesbefehl bekannt gegeben, daß v. Kluge sich der Verantwortung an der Invasionsfront nicht mehr gewachsen gefühlt habe u. deshalb Selbstmord begangen habe. Eine weitere Erörterung dieses Vorkommnisses sei untersagt. Man hat also in Offizierskreisen offenbar so viel darüber gesprochen, daß diese Verlautbarung des Gen-Feldm. Keitel notwendig war. Ob allerdings damit der wahre Sachverhalt wirklich vertuscht werden kann, ist zweifelhaft. Dieser ist nämlich folgendermaßen:

     Der nach dem 20. Juli von seinem Posten als Militärbefehlshaber in Belgien abberufene u. seither verschollene Generaloberst v. Falkenhausen u. der Militärbefehlshaber in Nordfrankreich, Generaloberst Heinr. v. Stülpnagel waren beteiligt an der Verschwörung gegen den Führer. Beide haben versucht, den Gen. Feldm. v. Kluge zu sich herüber zu ziehen, was ihnen zwar nicht gelang, weil v. Kluge eine aktive Beteiligung ablehnte, sonst aber schwieg u. sich so doch mitschuldig machte. – Als nun das Attentat ausgeführt war, befahl General v. Stülpnagel die Entwaffnung der SS u. der Gestapo in Paris, wobei es zu Kämpfen zwischen Wehrmacht u. SS kam. Als sich herausstellte, daß das Attentat mißglückt sei, forderte v. Stülpnagel den Gen-Feldm. v. Kluge auf sich mit seiner Armee nun trotzdem ihm anzuschließen, einen Waffenstillstand zu schließen, die SS zu entwaffnen u. mit seiner Armee nach Deutschland zu marschieren. v. Kluge lehnte das ab u. so brach die Revolte zusammen. v. Stülpnagel nahm sich das Leben. In Frankreich wurden zahlreiche Offiziere verhaftet u. durch Foltern zu Geständnissen gezwungen. Als v. Kluge sah, wie durch sein unentschlossenes Zögern zahlreiche Kameraden in Gefangenschaft u. Tod geraten waren, hat er sich selbst erschossen. – Nicht also hat ihn die Verantwortung über den Zusammenbruch an der Invasionsfront in den Tod getrieben, sondern die Verantwortung über den Ausgang der Revolte. Es ist verständlich, daß dem Hauptquartier eine Erörterung dieser Ereignisse unter den Offizieren sehr unerwünscht ist u. daß Herr Keitel diese gern unterbinden möchte; aber es ist fraglich, ob ihm das glückt.

     v. Rundstedt, der nach dem Selbstmord v. Kluges wieder den Oberbefehl im Westen angetreten hat ist jedenfalls eine große Enttäuschung. Er hat sich nach dem Attentat zu der schmachvollen Rolle hergegeben, den Vorsitz jener Kommission zu übernehmen, die den Ausschluß der Verschwörer aus der Armee aussprechen mußte. Heute opfert er Hunderttausende in einer nutzlosen Offensive, die sich heute nach 13 Tagen schon völlig festgefahren hat. Nach weiteren 13 Tagen wird davon kaum noch etwas übrig geblieben sein u. man kann nur hoffen u. wünschen, daß v. R. dann wenigstens an der Spitze seiner Truppen fällt. –

     Paul ist heute nach Rostock gefahren zu Prof. Curschmann, dessen Schwiegersohn übrigens auch irgendwie in die Attentatsgeschichte verwickelt ist. Hoffentlich bringt er ein Attest mit, daß ihn von Schneidemühl befreit.

     Braunwarth ist mit seinem Schiff untergegangen, nachdem er in engl. Gefangenschaft war u. wegen Krankheit entlassen worden ist. – Der Sohn von Frau Kleinberg ist ebenfalls gefallen, – im Elsaß in Fritzens Nähe.

[19]
Sonnabend, 30. Dez. 1944.     

     Gestern Mittag Söhlke u. Frau. Er erzählte von der Erfassung der Halbjuden in Berlin u. derjenigen Arier, die Jüdinnen zur Frau haben, welche ebenfalls wie Halbjuden behandelt werden. Alle diese kommen zu den Leunawerken, wo sie mit Beseitigung von Trümmern beschäftigt werden. Auch der Mann der Frau v. Achenbach ist schon vor Wochen dorthin gekommen, während seine Mutter nach Theresienstadt gekommen ist, wo jetzt alle Volljuden konzentriert worden sind.

     Nachmittags Dr. Clemens mit s. Frau Marianne. Er ist auf Zwangsurlaub hier. Bisher durfte kein Mensch auf Urlaub gehen, damit die Arbeit keine Verzögerung erleidet, jetzt schickt die Verwaltungsbehörde in Hamburg alle Leute in Zwangsurlaub, um während einiger Tage Kohlen zu sparen. Um der Kohlennot zu steuern, werden sogar in Rüstungsbetrieben Kohlen beschlagnahmt zugunsten des Elektrizitätswerkes.

     Abends Prof. Seeberg. Er tobte, wie ich es noch nie bei ihm gesehen habe, weil in der Todesanzeige, die er in der DAZ für Bengt aufgegeben hatte, ein Bibelspruch fortgelassen war, den er aufgegeben hatte. Er sieht darin eine Beleidigung seines Sohnes: man habe von ihm, dem Marinepfarrer, wohl den Tod verlangt, verweigere ihm nun aber das christl. Bekenntnis. Die Zeitung kann sich natürlich immer hinter die Ausrede des Platzmangels verschanzen; aber S. behauptet, daß das Propaganda-Ministerium dafür verantwortlich sei, welches in den Todesanzeigen besonders betonte Bekenntnisse zum Christentum verboten habe. Er will sich nun beschweren u. grobe Briefe schreiben. Es mag wohl sein, daß es so ist, wie er sagt, – aber es nützt doch garnichts, – vor allem nicht, wenn er eine Beschwerde in der sinnlosen Tollwut anbringt, wie er sie gestern zeigte. Er schimpfte, fluchte u. gebrauchte gemeine Ausdrücke, sodaß mir kalt u. heiß wurde. Er machte den Eindruck eines Geistesgestörten; dann weinte er wieder, um gleich darauf fade Witze zu machen u. zu lachen. – Besonders Paul gab sich Mühe, ihn zu beruhigen u. ihn vor törichten Schritten zu bewahren, doch war das ergebnislos. Ich schwieg. – Ich verstehe nun, daß sein Sohn Ando sagt, der christl. Glaube sei Betrug. Dieser Glaube dieses Theologen ist in der Tat Betrug, u. alles, was dieser Mann seine Schüler lehrt, ist Betrug, an den er selbst nicht glaubt. –

     Paul hat von Prof. Curschmann ein sehr wirksames Attest erhalten, nach welchem er an Angina pectoris leidet u. dauernd ärztlicher Pflege bedarf. Er ist mir nun sehr dankbar, daß ich so hartnäckig darauf bestanden habe, daß er sich untersuchen lassen solle. Er wird nun nicht nach Schneidemühl zurückkehren, denn dieses Attest schützt ihn wohl auch vor jeder neuen Erfassung durch das Arbeitsamt. –

     Der Tod hält weiter reiche Ernte. Auch Scheinecke ist mit seinem Schiff untergegangen. Der Maler Oberländer, der in diesem Sommer sich mit Doris Seeberg verheiratete, nachdem er im vorigen Jahre Witwer geworden war, ist einige Wochen nach der Hochzeit zum Militär eingezogen worden. Er war 59 Jahre alt. Offenbar hat er die Strapazen nicht ausgehalten u. er ist in einem Lazarett in Schlesien gestorben. Ebenso ist der Gastwirt [20] Strauven, der in Prerow das Dünenhaus betrieb u. ebenfalls vor Kurzem zur Wehrmacht einberufen wurde, dort gestorben. Man muß erwarten, daß der hiesige Gastwirt Holzerland, der ebenfalls eingezogen ist, dasselbe Schicksal erleidet, – noch lebt er freilich. Wenn ich nicht mein zerbrochenes Bein hätte, wäre es mir schon längst so gegangen.

     Heute ist Schneetreiben bei starkem Südwest.

     Die Offensive im Westen scheint sich endgültig festgelaufen zu haben. Seit zwei Tagen sind wir auch in der Tiefe nicht mehr weiter voran gekommen, von den Flanken ganz zu schweigen. Gestern hieß es im Heeresbericht, daß eine große „Begegnungsschlacht“ im Gange sei, was ja nur so viel bedeuten kann, daß die Amerikaner nunmehr eine geschlossene Armee in den Kampf geworfen haben, die die Aufgabe des Angriffs hat u. nicht mehr bloße Verteidigung. Der Ausgang dieser Schlacht, die wohl einige Tage anhalten wird, dürfte nicht zweifelhaft sein, denn die Amerikaner werden natürlich alles aufbieten, was sie haben, um diese große Chance, uns entscheidend schlagen zu können, auszunutzen. Und sie haben sehr viel! –

     Soeben, – es ist 3/4 10 Uhr, – kommt Grete zu mir u. sagt, Deutschmann sei eben dagewesen u. habe bestellt, daß der „Volkssturmmann Brass“ am 1. Jan. 1945 auf dem Bahnhof in Prerow zur Vereidigung zu erscheinen habe. Er habe hinzugefügt, daß jeder wisse, daß ich ein krankes Bein hätte u. nicht nach Prerow gehen könne u. daß ein Wagen nicht zur Verfügung stehe. So viel ich gehört habe, ist der bisherige Ortsgruppenleiter in Prerow, der Lehrer Köller, ebenfalls zur Wehrmacht eingezogen worden, – es scheint also ein anderer Ortsgruppenleiter jetzt dort zu wirken, vielleicht aus Barth oder Stralsund, der mit der Bahn eintreffen wird u. der deshalb den Volkssturm auf den Bahnhof kommen läßt. – Nun, wegen meiner Person kann sich dieser Mann die Reise nach Prerow sparen, ich werde dort nicht erscheinen.