TBHB 1944-02-08
Einführung
BearbeitenDer Artikel TBHB 1944-02-08 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 8. Februar 1944. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über drei Seiten.
Tagebuchauszüge
Bearbeiten[1] Am Sonntag sagte uns Frau Monheim nach der Andacht, daß ihr Mann telephoniert habe, sie solle Ahrenshoop verlassen. Ihr jüngster Sohn Herbert verträgt das Klima hier nicht, da er eine Anlage zu Asthma hat, u. der Arzt in Bln. habe gesagt, es sei eine sofortige Luftveränderung notwendig. Aber das scheint mir doch nur ein Vorwand zu sein. Frau M. hat schon früher wiederholt Andeutungen gemacht, daß im Falle der Vernichtung der berliner Fabrik ihr Mann seinen Wohnsitz wo anders nehmen müsse, denn M's. haben drei Fabriken. Wo diese liegen, weiß ich nicht u. Frau M. ist darin überaus verschwiegen. Alle diese Fabriken sind jetzt natürlich Rüstungsbetriebe. Frau M. hat uns schon immer gesagt, daß sie im Falle der Vernichtung der berliner Fabrik dann dorthin müsse, wo ihr Mann dann sein wird. Das hat mir nie eingeleuchtet, da sie ja jetzt auch nicht dort ist, wo ihr Mann ist, nämlich in Berlin. –
Nun scheint bei den letzten Angriffen Weissensee, wo diese Fabrik liegt, sehr stark betroffen worden zu sein, aber die Fabrik ist selbst unversehrt geblieben. Frau M. sagt, daß ihr Mann [2] nun bestimmt mit der Vernichtung der Fabrik rechne. Aber so lange das noch nicht eingetreten ist, wird er doch dort bleiben. Es ist also unverständlich, warum Frau M. so Hals über Kopf von hier fort soll! – auch sagt sie nicht, wohin sie geht, – sie macht nur gelegentlich Andeutungen, aus denen hervorgeht, daß sie irgendwo in der Gegend von Frankfurt M. sein wird; aber diese Gegend ist fast noch gefährdeter, als Berlin. –
Vor einiger Zeit, etwa vor 14 Tagen oder 3 Wochen, traf hier ein großer, grau gestrichener Wehrmachts-Möbelwagen ein, der bei Monheims stehen blieb. Die Sache machte natürlich im Dorf großes Aufsehen. Ich hatte geglaubt, daß dieser Wagen Möbel u. Wertgegenstände aus der Frohnauer Villa hierher gebracht hätte. Frau M. sagte bloß, daß ihr Mann diesen Wagen geschickt hätte. Aber als wir neulich zum Kaffee bei ihr waren, sah ich, daß in der großen Halle ein großer Schrank, Teppiche u. Beleuchtungskörper u. a. Dinge fort waren. Der Möbelwagen hatte also nichts gebracht, sondern geholt. Er war aber viel zu groß, um von diesen Sachen voll zu werden, er wird also entweder noch andere Sachen enthalten haben, oder es werden sonst wo noch andere Sachen dazu getan worden sein. Als dann einige Tage später ein schwerer Angriff auf Frankfurt stattgefunden hatte und ich zu Frau M. davon sprach, – die es noch nicht wußte, bekam sie einen großen Schrecken u. rief. „O Gott! – unser Möbelwagen!“ – Also ist dieser Wagen dorthin gegangen. – Gestern sagte Frau M., daß es ihrem Mann noch einmal gelungen sei, einen solchen Möbelwagen zu bekommen, mit dem dann Wertgegenstände aus Frohnau abtransportiert werden sollen. – Wohin? – Frau M. sagt, daß ihre künftige Wohnung sehr klein sein würde, – also kann dort nicht der Inhalt von zwei großen Möbelwagen untergebracht werden. Diese ganze Sache erscheint mir sehr geheimnisvoll u. ich habe den Verdacht, daß die Nähe der schweizer Grenze dabei eine Rolle spielen wird. –
Ich kann auch nicht verstehen, wieso es nötig ist, daß die Schw. Helene, die den Haushalt in Frohnau versieht, plötzlich hierher kommen soll u. dafür Ingrid nach Frohnau gefahren ist. Wenn Frohnau so gefährdet ist, verstehe ich nicht, wieso man die Tochter, die noch dazu körperlich behindert ist, dorthin schafft. Alles das ist sehr undurchsichtig; aber wir fragen nicht. Es ist sehr rührend, zu sehen, wie Frau M. sich durch all diese Geheimniskrämerei hindurchwindet u. dankbar ist, daß wir sie nicht fragen; aber wissen möchte ich doch, was eigentlich dahinter steckt. Frau M. ist dabei ebenso traurig, wie wir selbst, daß sie von uns fortgehen muß. Wir sind die Einzigen im Ort, mit denen sie verkehrt u. ich muß sagen, daß ich sie sehr gern habe. –
Gestern mußten wir, Martha u. ich, nach Ribnitz zum Notar Rütz wegen des Prerower Grundstücks. Wir ließen uns von Spangenberg nach Wustrow zum Dampfer fahren. Es war recht kalt, schneidender Ostwind. Auf dem Wagen fuhr Ingrid Monheim mit, um nach Bln. zu fahren. Am Grenzweg stieg noch das Ehepaar Geh. Rt. Granz dazu u. ich mußte diesem Mann, der von je her gegen mich überaus gehässig gewesen ist, gegenübersitzen. Er ist schon 94 Jahre alt, aber noch sehr rüstig. – In Wustrow trafen wir Erich Seeberg u. seine Frau u. den Sohn, den Marinepfarrer, der gegenwärtig auf Urlaub ist. Er ist Pfarren auf der Tirpitz u. liegt irgendwo in Norwegen. Kein angenehmer Mensch, das Ebenbild seiner Mutter, Seeberg freute sich, uns zu sehen, begrüßte uns u. wir saßen auf dem Dampfer zusammen. Ich hatte ihm vor einiger Zeit mein Manuskribt „Wehe uns Gottlosen“ gegeben, das er mir [3] neulich zurückbrachte u. es sehr lobte. Ich wußte nicht recht, ob es nur Höflichkeit war, aber er fing gestern auf dem Dampfer wieder davon an u. sprach mit großer Anerkennung. Das hätte er nicht nötig gehabt, – also scheint sein Lob doch ehrlich zu sein.
In Ribnitz gingen wir gleich zum Notar Rütz. Dort schlossen wir erst den schon von je her beabsichtigten Vertrag ab, nach dem ich auf jegliche Erbschaft verzichte, falls ich Martha überleben sollte, damit nicht etwa meine Nacherben später einmal Erbschaftsansprüche stellen können. Sodann gab ich meinen Willen zu Protokoll, daß Martha ohne meine ehemännl. Genehmigung alle Verfügungen treffen kann u. zuletzt machten wir an Dr. Grimm ein Kaufangebot betr. die Prerower Grundstücke. Wir boten einen Kaufpreis von 6000 Rm. –
Die Sache dauerte ziemlich lange u. inzwischen hatte sich das Wetter erheblich verschlechtert. Wir tranken im Rostocker Hof, eine sehr bescheidene Gastwirtschaft, eine Tasse sogenannten Kaffee u. gingen dann wieder zum Dampfer, der um 2 Uhr abfuhr. Der Wind hatte wieder nach Westen gedreht, es regnete stark u. es war kalt. In Wustrow wartete Spangenberg. Das Ehepaar Grantz war auch wieder da u. wir fuhren in strömendem Regen u. bei starkem Winde zurück. Um 4 Uhr waren wir endlich wieder daheim, total erschöpft. Der alte Grantz war nach Ribnitz gefahren, um einen Anzug beim Schneider anzupassen, den er sich ändern läßt, weil er ihm zu weit geworden ist. Es ist wirklich zum lachen, daß diese 94 jährige Mann eine derartige Reise auf sich nimmt, bloß um einen Anzug anzuprobieren.
Martha war von der Reise so erschöpft, daß sie sich gleich hinlegte. Auch ich war erledigt. Abends waren wir aber wieder ziemlich frisch. Ich holte eine Fl. Rotwein aus dem Keller, die uns sehr wohl getan hat.
An der Ostfront sieht es wieder sehr bedrohlich aus. In dem so sehr gefährdeten Dnjeperbogen wollen die Russen schon seit einigen Tagen zehn Divisionen von uns eingekesselt haben u. nun neuerdings weiter östlich nochmals vier Divisionen. In unseren Heeresberichten steht davon natürlich kein Wort. Dieser ganze Vorsprung unserer Fron im Dnjeperbogen ist strategisch kaum zu rechtfertigen. Er bedeutet eine riesige Frontverlängerung u. einen ungeheuren Aufwand an Menschen u. Material. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß diese gefährliche Lage wie bei Stalingrad wieder auf die Verbohrtheit Hitlers zurückzuführen ist u. gegen den Willen Mansteins ist. – Zugleich haben die Russen nun am Nordflügel die Estnische Grenze u. den Peipussee erreicht. An der ganzen Ostfront ist Tauwetter, nachdem in diesem milden Winter der Boden nirgends sehr tief durchgefroren war. Mithin sind alle Wege sehr aufgeweicht, was die Russen wohl sehr behindern wird, – aber uns nicht weniger. –