TBHB 1944-02
Einführung
BearbeitenDer Artikel TBHB 1944-02 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Februar 1944. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 8 Seiten.
Tagebuchauszüge
Bearbeiten[1] Gestern Nachmittag sehr netter Nachmittag bei Monheim. Bohnenkaffee, – Erfolg: schlaflose Nacht. Während wir dort waren, wurde telephonisch ein Telegramm für Frau M. aus Berlin durchgegeben mit der erfreulichen Nachricht, daß dort alles in Ordnung u. gesund sei. Seit drei Tagen wartete Frau M. auf Nachricht, – u. wir mit, – es ist auch heute noch keine Verbindung mit Berlin zu bekommen. Gerüchtweise hört man, daß die Innenstadt sehr stark betroffen sein soll u. Martha macht sich Sorge wegen Kurt's Frau. Ich fürchte allerdings auch, daß da etwas passiert sein wird, – es war ja bisher schon fast wunderbar, daß dieses Haus der Potsdamerstraße bei den bisherigen Angriffen, verschont geblieben war, – einmal muß ja auch dieses den Angriffen zum Opfer fallen. Hoffentlich ist wenigstens Anneliese nichts passiert. –
Frau Grimm war gestern Vormittag bei uns. Sie sah sehr elend aus u. erzählte Schreckliches aus Hannover, ohne daß sie wußte, daß gestern wieder ein neuer Angriff auf Hannover war. Das Tollste ist, daß die Behörden den aufbauwilligen Leuten noch größere Schwierigkeiten machen, als zur Vernichtung notwendig gewesen ist. Die Leute bekommen nichts wieder, weil nichts vorhanden ist. Für ihre Betten bekommen sie primitive Gestelle mit Strohsäcken, Schränke gibt es blos für Familien mit mehr als fünf Köpfen. – Ich habe ihr gesagt, daß ich das Grundstück in Prerow kaufen würde.
[2]Heute morgen rief Kurt's Frau Anneliese aus Bln. an, nachdem Martha sich die ganze Woche hindurch vergeblich bemüht hatte, eine Verbindung zu bekommen. Obwohl das Amt in Bln. behauptete, daß die Verbindung noch bestünde, daß sich dort nur niemand melde, war ich von Anfang an sehr skeptisch, da bisher Anneliese von sich aus nach jedem größeren Angriff bei uns angerufen hatte u. das tat sie diesmal nicht.
Es stellte sich nun also heraus, daß tatsächlich diesmal auch ihr Haus niedergebrannt ist. Es war am Sonntag d. 30. Jan., dieser Angriff soll ja besonders schwer gewesen sein. So weit sie am Telephon sagte, hat sie nichts gerettet, außer einem Sack mit der notwendigsten, in der Eile zusammengerafften Wäsche, der aber dann gestohlen worden ist. Das Büro ist natürlich total vernichtet u. alle Geschäftsakten sind verbrannt. Sie selbst ist zum Glück ziemlich unbeschädigt geblieben u. sie hat ein Unterkommen bei ihren Eltern im Osten Berlins gefunden; aber diese haben, wie ich glaube, auch nur eine kleine 2-Zimmer-Wohnung. Sie erwartet Kurt u. hat für die Zeit seines Urlaubs ein Zimmer bei Bekannten dort in der Gegend bekommen. Mehr haben wir noch nicht erfahren.
Es ist eine Vernichtung ohnegleichen. Zuerst brannte Klaus ab, jetzt Kurt. Damit sind die letzten Reste der Hinterlassenschaft von Max Wegscheider, so weit es sich um Möbel handelte, endgültig vernichtet. Nur dieses Haus in Ahr. ist noch übrig, aber das hat mit ihm nichts mehr zu tun, es ist durch u. durch neu von mir umgebaut. Dennoch sehe ich nun um so mehr, daß der Kauf des Grundstückes in Prerow ein guter Ausweg sein wird. Es ist doch die größte Sicherheit, die man heutzutage haben kann, wenngleich es auch immer möglich ist, daß der Staat auch solche Grundstücke eines Tages beschlagnahmt u. enteignet.
Am Donnerstag abend waren wir bei Neumanns im Kurhaus eingeladen, wie jedes Jahr um diese Zeit. Es gab wie immer vorzügliches Essen, Brühe, Hasenbraten, Rotkohl. Leider ist dem Vater Neumann nun auch der Wein ausgegangen u. wir mußten uns mit Flaschenbier begnügen. Seit Beginn des Krieges, also seit fünf Jahren, habe ich kein Bier mehr getrunken. Was uns unter diesem Namen vorgesetzt wurde, war ein dünnes u. fades Gesöff, das sich höchst unangenehm auf die Blase schlug. – Ohne Alkohol ist, abgesehen vom Essen, solch ein Abend bei Neumanns eine reichlich langweilige Sache.
Am Sonntag sagte uns Frau Monheim nach der Andacht, daß ihr Mann telephoniert habe, sie solle Ahrenshoop verlassen. Ihr jüngster Sohn Herbert verträgt das Klima hier nicht, da er eine Anlage zu Asthma hat, u. der Arzt in Bln. habe gesagt, es sei eine sofortige Luftveränderung notwendig. Aber das scheint mir doch nur ein Vorwand zu sein. Frau M. hat schon früher wiederholt Andeutungen gemacht, daß im Falle der Vernichtung der berliner Fabrik ihr Mann seinen Wohnsitz wo anders nehmen müsse, denn M's. haben drei Fabriken. Wo diese liegen, weiß ich nicht u. Frau M. ist darin überaus verschwiegen. Alle diese Fabriken sind jetzt natürlich Rüstungsbetriebe. Frau M. hat uns schon immer gesagt, daß sie im Falle der Vernichtung der berliner Fabrik dann dorthin müsse, wo ihr Mann dann sein wird. Das hat mir nie eingeleuchtet, da sie ja jetzt auch nicht dort ist, wo ihr Mann ist, nämlich in Berlin. –
Nun scheint bei den letzten Angriffen Weissensee, wo diese Fabrik liegt, sehr stark betroffen worden zu sein, aber die Fabrik ist selbst unversehrt geblieben. Frau M. sagt, daß ihr Mann [3] nun bestimmt mit der Vernichtung der Fabrik rechne. Aber so lange das noch nicht eingetreten ist, wird er doch dort bleiben. Es ist also unverständlich, warum Frau M. so Hals über Kopf von hier fort soll! – auch sagt sie nicht, wohin sie geht, – sie macht nur gelegentlich Andeutungen, aus denen hervorgeht, daß sie irgendwo in der Gegend von Frankfurt M. sein wird; aber diese Gegend ist fast noch gefährdeter, als Berlin. –
Vor einiger Zeit, etwa vor 14 Tagen oder 3 Wochen, traf hier ein großer, grau gestrichener Wehrmachts-Möbelwagen ein, der bei Monheims stehen blieb. Die Sache machte natürlich im Dorf großes Aufsehen. Ich hatte geglaubt, daß dieser Wagen Möbel u. Wertgegenstände aus der Frohnauer Villa hierher gebracht hätte. Frau M. sagte bloß, daß ihr Mann diesen Wagen geschickt hätte. Aber als wir neulich zum Kaffee bei ihr waren, sah ich, daß in der großen Halle ein großer Schrank, Teppiche u. Beleuchtungskörper u. a. Dinge fort waren. Der Möbelwagen hatte also nichts gebracht, sondern geholt. Er war aber viel zu groß, um von diesen Sachen voll zu werden, er wird also entweder noch andere Sachen enthalten haben, oder es werden sonst wo noch andere Sachen dazu getan worden sein. Als dann einige Tage später ein schwerer Angriff auf Frankfurt stattgefunden hatte und ich zu Frau M. davon sprach, – die es noch nicht wußte, bekam sie einen großen Schrecken u. rief. „O Gott! – unser Möbelwagen!“ – Also ist dieser Wagen dorthin gegangen. – Gestern sagte Frau M., daß es ihrem Mann noch einmal gelungen sei, einen solchen Möbelwagen zu bekommen, mit dem dann Wertgegenstände aus Frohnau abtransportiert werden sollen. – Wohin? – Frau M. sagt, daß ihre künftige Wohnung sehr klein sein würde, – also kann dort nicht der Inhalt von zwei großen Möbelwagen untergebracht werden. Diese ganze Sache erscheint mir sehr geheimnisvoll u. ich habe den Verdacht, daß die Nähe der schweizer Grenze dabei eine Rolle spielen wird. –
Ich kann auch nicht verstehen, wieso es nötig ist, daß die Schw. Helene, die den Haushalt in Frohnau versieht, plötzlich hierher kommen soll u. dafür Ingrid nach Frohnau gefahren ist. Wenn Frohnau so gefährdet ist, verstehe ich nicht, wieso man die Tochter, die noch dazu körperlich behindert ist, dorthin schafft. Alles das ist sehr undurchsichtig; aber wir fragen nicht. Es ist sehr rührend, zu sehen, wie Frau M. sich durch all diese Geheimniskrämerei hindurchwindet u. dankbar ist, daß wir sie nicht fragen; aber wissen möchte ich doch, was eigentlich dahinter steckt. Frau M. ist dabei ebenso traurig, wie wir selbst, daß sie von uns fortgehen muß. Wir sind die Einzigen im Ort, mit denen sie verkehrt u. ich muß sagen, daß ich sie sehr gern habe. –
Gestern mußten wir, Martha u. ich, nach Ribnitz zum Notar Rütz wegen des Prerower Grundstücks. Wir ließen uns von Spangenberg nach Wustrow zum Dampfer fahren. Es war recht kalt, schneidender Ostwind. Auf dem Wagen fuhr Ingrid Monheim mit, um nach Bln. zu fahren. Am Grenzweg stieg noch das Ehepaar Geh. Rt. Granz dazu u. ich mußte diesem Mann, der von je her gegen mich überaus gehässig gewesen ist, gegenübersitzen. Er ist schon 94 Jahre alt, aber noch sehr rüstig. – In Wustrow trafen wir Erich Seeberg u. seine Frau u. den Sohn, den Marinepfarrer, der gegenwärtig auf Urlaub ist. Er ist Pfarren auf der Tirpitz u. liegt irgendwo in Norwegen. Kein angenehmer Mensch, das Ebenbild seiner Mutter, Seeberg freute sich, uns zu sehen, begrüßte uns u. wir saßen auf dem Dampfer zusammen. Ich hatte ihm vor einiger Zeit mein Manuskribt „Wehe uns Gottlosen“ gegeben, das er mir [4] neulich zurückbrachte u. es sehr lobte. Ich wußte nicht recht, ob es nur Höflichkeit war, aber er fing gestern auf dem Dampfer wieder davon an u. sprach mit großer Anerkennung. Das hätte er nicht nötig gehabt, – also scheint sein Lob doch ehrlich zu sein.
In Ribnitz gingen wir gleich zum Notar Rütz. Dort schlossen wir erst den schon von je her beabsichtigten Vertrag ab, nach dem ich auf jegliche Erbschaft verzichte, falls ich Martha überleben sollte, damit nicht etwa meine Nacherben später einmal Erbschaftsansprüche stellen können. Sodann gab ich meinen Willen zu Protokoll, daß Martha ohne meine ehemännl. Genehmigung alle Verfügungen treffen kann u. zuletzt machten wir an Dr. Grimm ein Kaufangebot betr. die Prerower Grundstücke. Wir boten einen Kaufpreis von 6000 Rm. –
Die Sache dauerte ziemlich lange u. inzwischen hatte sich das Wetter erheblich verschlechtert. Wir tranken im Rostocker Hof, eine sehr bescheidene Gastwirtschaft, eine Tasse sogenannten Kaffee u. gingen dann wieder zum Dampfer, der um 2 Uhr abfuhr. Der Wind hatte wieder nach Westen gedreht, es regnete stark u. es war kalt. In Wustrow wartete Spangenberg. Das Ehepaar Grantz war auch wieder da u. wir fuhren in strömendem Regen u. bei starkem Winde zurück. Um 4 Uhr waren wir endlich wieder daheim, total erschöpft. Der alte Grantz war nach Ribnitz gefahren, um einen Anzug beim Schneider anzupassen, den er sich ändern läßt, weil er ihm zu weit geworden ist. Es ist wirklich zum lachen, daß diese 94 jährige Mann eine derartige Reise auf sich nimmt, bloß um einen Anzug anzuprobieren.
Martha war von der Reise so erschöpft, daß sie sich gleich hinlegte. Auch ich war erledigt. Abends waren wir aber wieder ziemlich frisch. Ich holte eine Fl. Rotwein aus dem Keller, die uns sehr wohl getan hat.
An der Ostfront sieht es wieder sehr bedrohlich aus. In dem so sehr gefährdeten Dnjeperbogen wollen die Russen schon seit einigen Tagen zehn Divisionen von uns eingekesselt haben u. nun neuerdings weiter östlich nochmals vier Divisionen. In unseren Heeresberichten steht davon natürlich kein Wort. Dieser ganze Vorsprung unserer Fron im Dnjeperbogen ist strategisch kaum zu rechtfertigen. Er bedeutet eine riesige Frontverlängerung u. einen ungeheuren Aufwand an Menschen u. Material. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß diese gefährliche Lage wie bei Stalingrad wieder auf die Verbohrtheit Hitlers zurückzuführen ist u. gegen den Willen Mansteins ist. – Zugleich haben die Russen nun am Nordflügel die Estnische Grenze u. den Peipussee erreicht. An der ganzen Ostfront ist Tauwetter, nachdem in diesem milden Winter der Boden nirgends sehr tief durchgefroren war. Mithin sind alle Wege sehr aufgeweicht, was die Russen wohl sehr behindern wird, – aber uns nicht weniger. –
Heute ist nun Frau Monheim abgefahren, nachdem sie gestern Vormittag bei uns war um sich zu verabschieden. Es war ein sehr bewegtes Abschiednehmen u. die Tränen waren uns alle nahe. Wir sind, ohne daß wir es recht wußten, sehr aneinandergewachsen u. die Trennung war nun ein schmerzliches Ereignis, besonders unter den heutigen Umständen. Martha war heute morgen noch einmal dort, denn Frau M. wollte uns Verschiedenes zukommen lassen, was sie hier lassen mußte, z.B. einige Flaschen Tomatensaft u. Fliederbeersaft, ein Faß Sauerkraut usw. Beim Abschied hat sie dann (Frau M.) sehr geweint. Ich selbst begrüßte sie noch, als sie [5] auf Spangenbergs Wagen mit ihren beiden Jungens u. mit Schw. Helene vorbei kam. Nachher waren M. u. ich mit Spangenberg noch im Hause u. holten die Sachen, auch das schöne Radio, das sie eigentlich mitnehmen wollte, dann aber doch hier ließ, wahrscheinlich, weil sie wußte, daß sie uns damit eine große Freude machte. – Sie ist nun heute erst nach Bln-Frohnau gefahren, wo sie in ihrem eigenen Hause, in dem lauter fremde Menschen u. militär. Dienststellen sind, wahrscheinlich in der Waschküche schlafen wird, – so sagte sie, – u. wird dann wohl am Dienstag weiterfahren nach Bombach bei Kenzingen im Breisgau. Gott wird sie behüten, denn sie ist unentbehrlich für ihre Kinder. Aber wer fragt heute danach! Möge Gott sie nur ihrem Ziel entgegenführen.
Vorgestern Nachmittag traf Frau Eitner-Waros mit ihrem Mann bei uns ein, der Soldat an der Ostfront ist. Beide fuhren heute früh wieder ab. Frau E. ist in Berlin total ausgebombt, zuerst ihre Wohnung, nun auch das Geschäft. Sie hat nur sehr wenig retten können. Sie möchte am Donnerstag wiederkommen, um dann hier zu bleiben u. bei uns im Geschäft irgendwie tätig zu sein. Da sie eine praktische Geschäftsfrau ist, die die Sache versteht, ist uns dieser Gedanke nicht unsympatisch. Sie wird Martha, die der Sache schon längst nicht mehr gewachsen ist, sehr entlasten u. wenn Frau Stoffers, die jetzt schon bei uns hilft, im Sommer ebenfalls zu uns kommt, wie sie beabsichtigt, dann könnte ich ganz aus dem Geschäft herausbleiben u. endlich mal wieder ein Privatleben führen. Da Eitners die Idee haben, auch nach dem Kriege hier zu bleiben u. der Mann Bücherrevisor ist, könnte das vielleicht einmal eine ganz gute Entwicklung geben. Herr Eitner erzählte anschaulich vom Soldatenleben an der Ostfront. Es war mir interessant, die Dinge einmal aus der Perspektive eines einfachen Landsers zu sehen, nicht nur immer mit den Augen von Offizieren. Danach zu urteilen, herrscht unter den Soldaten doch ein sehr großer Ueberdruß, – was ja auch ganz natürlich ist u. nur deshalb bemerkenswert ist, weil immer das Gegenteil behauptet wird. Vor allem haben diese Soldaten nun nicht mehr das Gefühl der Ueberlegenheit gegenüber den Russen. –
Den Anglo-Amerikanern dagegen scheint es in ihrem Landekopf südlich Rom sehr schlecht zu gehen u. es sollte mich nicht wundern, wenn sie dieses Unternehmen wieder aufgeben u. sich auf ihre Schiffe zurückziehen, wobei sie dann große Materialeinbuße haben würden. Jedenfalls gibt diese Landung sehr viel zu denken im Hinblick auf die erwartete Invasion. Ich kann mir darunter nicht mehr viel vorstellen. Selbst wenn sie hier am Atlantik oder am Kanal landen werden, so können sie von einer solchen Landestelle aus doch nicht einfach vorstoßen wie ein Schlauch. Sie müßten dann schon irgendwo an der Nordseeküste landen, um rasch nach Berlin vorzustoßen, – aber ob das glückt, ist bei ihrer militärischen Unfähigkeit eine große Frage. So bleibt also eigentlich immer nur Portugal, was aber auch ein Festrennen in den Pyrenäen bedeuten würde, oder als Manöver, um unsere Truppen dort zu binden u. dann eine Landung in Dänemark zu versuchen. Jedenfalls ist alles das äußerst schwierig u. der Erfolg sehr fraglich.
Es wird jetzt wieder mehr von der geheimnisvollen Vergeltungswaffe gesprochen, nachdem es in der letzten Zeit davon ganz ruhig geworden war. Alles das muß ja nun in den nächsten vier bis sechs Wochen offenbar werden.
Fritz ist nun seit dem 2. oder 3. Februar in Fontainbleau, aber wir haben noch keine Nachricht von ihm. Es wird dem armen Kerl recht bitter werden.
[6]Am Dienstag-Abend 8 Uhr, also 15. Febr., hörten wir das Dröhnen feindlicher Flieger über uns hinweg ziehen. Es war sehr lang anhaltend u. wir horchten mit Bangen, wohin sie wohl fliegen mochten. Gestern wurden bekannt, daß sie wieder in Bln. waren, ein sehr schwerer Angriff.
Am Montag erhielten wir ein Telegramm von Küntzels als Antwort auf mein Angebot, das Haus von Monheims hier zu übernehmen. Mein diesbezüglicher Brief war lange unterwegs gewesen u. nun baten sie telegraphisch um diese Unterkunft. Ich hatte das nicht erwartet, da Paul doch nicht so einfach fort kann, da er im Kriege an der Technischen Nothilfe beschäftigt ist u. Grete, wie ich sie kenne, ihn nicht allein in Bln. lassen wird. Nun war ich überrascht. Später folgte ein zweites Telegramm mit der Anfrage, ob sie ihre Tochter Inge mit ihren Kindern, ich glaube drei, mitbringen könnten, da sie ausgebombt sei. Da ich dafür von Frau M. keine besondere Befugnis habe, u. da ich auch annahm, daß der Bombenschaden Inges schon ein Jahr zurückliegt, – ich wußte ja, daß sie damals Bombenschaden gehabt hatte u. deshalb bei Else in Völpke u. nachher bei ihrer Schwester Erika in Prag gewesen war, – nahm ich das nicht so wichtig u. telegraphierte zurück, daß ich über diese Sache nicht einfach entscheiden könne. Nach Abgang des Telegramms bekam ich aber gestern einen ausführlichen Brief, der mit sehr erschüttert hat. Sie sind über das Angebot voll Freude u. Dankbarkeit u. fürchten nur, daß ihre Zusage nun zu spät kommt. Allerdings schreibt Paul, daß er noch nicht wisse, wie er das Problem der Umsiedlung lösen solle u. daß er eine Unterlage brauche, ob der Umsiedlung von Seiten der Behörde hier nichts im Wege stände. Das ist Unsinn, er soll herkommen, – ich möchte die Behörde sehen, die ihn dann wieder hier hinauswirft. – Von Inge schreibt er, daß sie am 20 Januar von Prag her nach Bln. zurückgekehrt sei u. ihre reparierte Wohnung wieder bezogen habe, daß sie aber am 30. Januar erneut ausgebombt worden sei. Für sie wünscht er darum ganz besonders diese Umsiedlung. – Was Grete schreibt, ist besonders erschütternd. Sie hat nicht mehr daran geglaubt, „daß es möglich sei, uns aus unserer Lage zu retten, ich hatte schon damit abgeschlossen, hier dem Tod u. Verderben im wahrsten Sinne des Wortes ausgeliefert zu sein.“ – Es ist rührend, wie sie sich für diese kleine Aussicht einer Rettung bedankt. Auch Inge schreibt ähnlich. – Darauf habe ich sofort ein Blitz-Telegramm aufgegeben, denn alle anderen Telegramme wurden für Bln. nicht angenommen. Post ist gestern auch nicht hier eingetroffen. Ich habe telegraphiert, daß alle sofort herkommen sollen, – aber ob dies Telegramm angekommen ist, weiß ich nicht. Man will hier wissen, daß grade wieder der ganze Westen u. auch Dahlem wieder stark mitgenommen worden sei. Hoffentlich leben sie noch. –
Heute wollte Frau Eitner zu uns zurückkehren, ich bin gespannt, ob sie kommt. – Habe eben ein Blitz-Gespräch nach Berlin angemeldet zu Pauls Dienststelle an der techn. Nothilfe. Die Verbindung war an sich möglich, aber der Anschluß ist gestört.
Am Sonnabend erhielt ich endlich einen Brief von Paul u. Grete, der als Einschreiben verhältnismäßig rasch durchgekommen war. Beide sind gesund. Auch die Sache mit Inge u. ihren Kindern ist gelöst, sie ist von der NSV. nach Liebenwerda verschickt worden u. bereits dorthin abgereist. Paul hat Urlaub eingereicht, um erst einmal von seiner Technischen Nothilfe frei zu kommen, u. beide wollen nun [7] so rasch wie möglich herkommen. Sie sind überglücklich über diese nicht mehr erhoffte Rettung aus den Untergang. Ja, wer hätte gedacht, daß grade ich einmal der Retter meiner Schwester sein würde, die mir von Kindheit an nur Böses zugefügt hat u. die ich einmal gehaßt habe durch viele Jahre meines Lebens, – u. Paul, der, aufgehetzt durch Grete, – einst seinen Töchtern den Verkehr mit mir untersagte. Ich freue mich über diese Wendung, in der ich Gottes gütige Fügung erkenne. –
Von Frau Eitner-Waros haben wir heute ebenfalls ein Lebenszeichen. Auch sie ist gesund, konnte aber ihre Angelegenheiten nicht so rasch ordnen u. wird voraussichtlich am Mittwoch hier eintreffen. Auch von Frau Monheim bekamen wir heute eine Karte.
Gestern Vormittag, während unserer sehr schönen Andacht, an der Frau Korsch mit ihren beiden Jungens teilnahm, waren die Amerikaner über Rostock. Ich hörte es erst heute. Sie haben weite Gebiete Norddeutschlands mit einer gewaltigen Anzahl von Maschinen heimgesucht, bis zum Harz hin. In der Nacht vorher waren die Engländer in Stuttgart, die Nacht davor in Leipzig. Sie fliegen jetzt Tag u. Nacht ein mit Tausenden von Maschinen u. man muß sich über die gewaltige Organisation wundern, die dazu notwendig ist. Die Zerstörungen, die sie dabei verursachen, sind natürlich verheerend. Sie greifen fast ausschließlich die Flugzeugindustrie an. In letzter Zeit sind jedoch auch von uns einige Maschinen nach London geflogen u. wenn deren Wirkung auch nicht im entferntesten an das heranreichen, was wir zu leiden haben, so ist es doch wenigstens ein geringes Gefühl der Abwehr.
Die Russen behaupten, nunmehr unsere zehn Divisionen, die im Dnjeperbogen eingeschlossen waren, endgültig vernichtet zu haben. Sie sprechen von 55000 Toten, 11000 Gefangenen u. weiteren 20000 Toten, die unsere Entsatzversuche gekostet hätten. Dem steht entgegen die Behauptung unseres heutigen Heeresberichtes, daß diese Divisionen sich zu uns durchgeschlagen hätten, wobei heute zum ersten Male überhaupt zugegeben wird, daß sie eingekesselt gewesen seien. Es mag sein, daß sich kleine Reste dieser Divisionen durchgeschlagen haben, aber im übrigen verdienen unsere Berichte keinen Glauben. Diese Berichte sind der Gipfel an Irreführung.
Im letzten Reich schreibt Herr Goebbels wieder seinen üblichen Artikel, der ausschließlich an England gerichtet ist. Es wird zwar so getan, als wären wir in der Lage, die Russen abzuwehren, aber es wird nicht mehr behauptet, daß wir sie entscheidend schlagen könnten u. es wird den Engländern vorgerechnet, welche Gefahren für sie aus einem Siege Rußlands entstehen werden. Damit mag er vielleicht Recht haben, aber es ist kindisch, zu erwarten, daß die Engländer sich in diesem Augenblick durch solche Erwägungen in ihrer Kriegführung gegen uns beeinflussen lassen werden. Herr G. hält das wahrscheinlich für eine besondere diplomatische Schlauheit, um England gegen Rußland zu hetzen. Diesem Lügner glaubt kein Mensch mehr, nur Dummköpfe oder Halunken wie er selbst.
Gestern traf Telegramm von Küntzels ein, daß sie am Freitag eintreffen. Nun ist die neue Schwierigkeit, daß es seit einigen Tagen etwas gefroren hat, bei uns nicht so schlimm, aber in Ribnitz mag es stärker sein, sodaß der Dampfer dort nicht einfahren kann. Am Freitag fährt kein Autobus, ein anderes Auto ist nicht zu bekommen. – Wir werden erst einmal abwarten, vielleicht schlägt das Wetter bis dahin um. – Heute will Frau Eitner kommen.
[8]Frau Eitner ist bis heute immer noch nicht eingetroffen, wohl aber kamen Küntzels am Freitag mit Schwierigkeiten. Der Dampfer fuhr zwar u. ich war mit dem Wagen des Bauern Paetow in Wustrow am Hafen, aber Küntzels kamen nicht. Frau Prof. Triebsch, die von Stralsund her kam u. die ich im Wagen zurück mitnahm, sagte mir, daß Vormittags ein Angriff auf Rostock stattgefunden habe. Wir hatten in der Tat die Flugzeuge gehört, aber nicht gesehen, da der Himmel bedeckt war, auch haben wir nicht gehört, daß geschossen wurde. Jedenfalls konnte also der D-Zug aus Berlin nicht durch Rostock fahren u. ich kehrte unverrichteter Dinge wieder zurück. – Als ich wieder zuhause war, hatte Küntzel inzwischen von Ribnitz aus bei uns angerufen, er käme mit dem Bachmann-Omnibus. Also fuhr ich eine Stunde später nochmals mit Paetows Wagen bis zum Kiel u. wartete dort auf den Omnibus. Diesem entstieg Lore Ziel u. sagte mir, daß Küntzels in Wustrow ausgestiegen seien u. dort warteten. Also fuhr ich abermals nach Wustrow u. wirklich traf ich dann endlich beide. Sie waren beide überaus erschöpft, hatten 4 schwere Koffer. In Rostock war eine Brücke bombadiert worden, sodaß der Verkehr von dort nach hier völlig gestört ist. Die Fahrgäste des Zuges aus Bln. wurden mit Lastautos nach Bentwisch gefahren, von wo der Zug in Richtung Stralsund weiter ging. Den Anschluß an den Dampfer erreichten sie nicht mehr. –
Beide waren, wie gesagt, überaus erschöpft, nicht bloß von der Anstrengung der Reise, sondern überhaupt vom Leben dieser letzten Wochen oder Monate mit der immerwährenden Todesgefahr vor Augen u. beide waren rührend dankbar für die Rettung, die sie unerwarteterweise gleichsam im letzten Augenblick hier gefunden haben. – Am Sonnabend besichtigten Küntzels in meiner Begleitung das Monheim'sche Haus u. ich muß sagen, daß ich ziemlich stark enttäuscht davon war. Ich hatte geglaubt, daß das Haus komplett eingerichtet sei, da ja Frau Monheim gesagt hatte, sie würde da unten in der Freiburger Gegend in einer Pension wohnen u. später in einem kleinen Bauernhause. Jetzt wird mir der Sinn des großen Möbelwagens klar, der damals hier war. In diesen Wagen ist offenbar alles gepackt worden, was verwertbar war, sodaß in den Schlafzimmern nur die eingebauten Schränke zurückgeblieben sind, leere Bettgestelle u. zwei oder drei Stühle. Selbst die Beleuchtungskörper sind größtenteils abgenommen. Nur für zwei Betten sind wenigstens die Matratzen da, für das Bett, in dem Frau M. bis zuletzt geschlafen hat u. für das andere Bett, in dem das Mädchen schlief. – Auch in des Küche ist nicht viel zurückgeblieben, vor allem ist nur ein elektr. Herd da, aber keine Kochtöpfe. – Nun, das alles machte keinen erfreulichen Eindruck u. auch Küntzels waren sehr enttäuscht, obgleich sie nichts sagten. Sie sind dann am Sonnabend Nachmittag nochmals im Hause gewesen u. haben die Oefen geheizt u. sich sonst umgesehen. Dabei hat sich herausgestellt, daß doch noch etwas mehr im Hause war, als es zuerst den Anschein hatte, denn es fanden sich die Schlüssel zu Schränken, in denen Geschirr war. Einige Möbel werden wir abgeben können, auch elektr. Kochtöpfe u. a. Geschirr usw. Jedenfalls sind Küntzels jetzt sehr glücklich, hier sein zu können. Seit Monaten haben sie nicht mehr ordentlich geschlafen. Sie werden sich hier einrichten u. es wird gut gehen. –
In Bezug auf Monheims ist mir nun klar, daß sie alle Sachen hier aus dem Hause nach der Freiburger Gegend gebracht haben u. vorerst garnicht daran denken, hierher zurück zu kommen. Auch aus dem Berliner Hause haben sie viel fortgeschafft. Es sieht aus, als hätten sie das hier u. in Berlin schon alles aufgegeben.