Textdaten
Autor: Hans Brass
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: TBHB 1943-11
Untertitel:
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1943
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Vorlage:none
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort:
Übersetzer:
Originaltitel: November 1943
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom November 1943
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
unvollständig
Dieser Text ist noch nicht vollständig. Hilf mit, ihn aus der angegebenen Quelle zu vervollständigen! Allgemeine Hinweise dazu findest du in der Einführung.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


Einführung

Bearbeiten

Der Artikel TBHB 1943-11 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom November 1943. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 9 Seiten.

Tagebuchauszüge

Bearbeiten
[1]
Donnerstag, 4. November 43.     

[1]      Gestern Abend der erste richtige Kovertiten-Unterricht: Frau Dr. Ziel u. ihre Tochter Marianne Clemens. Martha nahm daran teil. Es ging ausgezeichnet, alle waren sehr befriedigt. Ob je eine Konversion daraus werden wird, ist zwar unwahrscheinlich, aber Gottes Sache. –

[1]
Sonntag, 7. November 1943.     

[1]      Freitag abend waren wir bei Frau Monheim, die Geburtstag hatte u. ganz allein in ihrem Hause saß, d.h. ohne ihre Tochter Ingrid, die z. Zt. in Berlin beim Vater ist, solange die Schwester Helene, die in Abwesenheit von Frau M. den Haushalt dort führt, auf Urlaub ist. Hier bei Frau M. sind nur ihre beiden Jungens Berni u. Herbert. Dieser letztere ist an einer Grippe kank. Außerdem hat sie noch ein Hausmädchen, welches sich aber die Füße verbrüht hat u. daher z. Zt. ziemlich arbeitsunfähig ist. – Der Abend brachte es mit sich, daß Frau M., – von mir etwas gezwungen, von Ingrid sprach. Dieses arme Mädchen, die, wie ich jetzt hörte, 20 Jahre alt ist, – ich hatte sie bisher für 17 – 18 Jahre gehalten – ist auf dem Parkett im Hause ausgeglitten, als sie 4 Jahre alt war. Dabei hat sie sich die Hüfte gebrochen. Niemand ist zunächst auf einen solchen Gedanken gekommen. Dadurch ist der Bruch schlecht verheilt u. daher rührt die Verkürzung des Beines. Das arme Kind hat 10 Jahre lang im Bett liegen müssen. Man hat ihr diese qualvollen Streckverbände gemacht wie ich sie nach meinem Autounfall erleben mußte, u. die Gipsverbände bis an die Hüften hinauf. Auch diese Qual habe ich erlebt. Aber bei ihr hat das alles 10 Jahre gedauert u. es hat dazu eine Rückgratverkrümmung u. sonstige Folgen gegeben. Dabei hat das Kind nicht einen Tag in einer Klinik gelegen, sondern ist immer von der Mutter u. dieser Schw. Helene betreut worden. Es muß eine große Qual gewesen sein u. die Mutter sprach mit bebender Stimme davon. Da sie sonst niemals darüber spricht, war dieses Gespräch eine neue innige Verbindung zwischen uns u. dieser prächtigen Frau, die dieses Erleben in tiefem religiösem Gefühl durchlebt. – Leider konnte sie wegen Herberts Erkankung u. der noch nicht vollen Arbeitsfähigkeit ihres Mädchens auch heute noch nicht an unserer Andacht teilnehmen [2] u. da auch sonst niemand kam, hielt ich meine kleine Predigt zum nachgeholten Allerheiligenfest nur vor Martha u. vor Trude. Es fehlt doch sehr, wenn man keine Zuhörer hat.

     Von Hildegard Wegscheider bekamen wir einen überaus herzlichen Dankesbrief für das, was wir an ihrem Enkel Jens tun. Dieser Brief beschämte uns, denn so viel ist es ja garnicht.

     Gestern Vormittag Besuch von Frau Smith, die nun erfahren hatte, daß ich inzwischen mit dem Konvertiten-Unterricht an Marianne Clemens u. ihre Mutter begonnen habe. Sie glaubte nun wohl, den Mangel an Eifer bisher wieder gut machen zu müssen u. entschuldigte sich mit allerhand Dingen. Sie brachte ein Körbchen mit einigen Aepfeln, Tomaten u. Blumen mit u. bat, nun auch Unterricht zu bekommen. Leider kann sie aber wegen ihrer Kurzsichtigkeit Abends nicht kommen sie fürchtet den Weg in der Dunkelheit, was wohl auch zu verstehen ist. Es bleibt also nichts weiter übrig, als noch einen zweiten Unterricht zu veranstalten. Sie will nun jeden Dienstag um 11 Uhr erscheinen. –

     Heute Nachmittag wollen Krappmanns kommen, um über die Wiederaufnahme des Religionsunterrichtes mit mir zu sprechen. Es muß das sehr vorsichtig geschehen u. ich werde nur noch die drei Jungens Jens, Lothar Krappmann u. den kleinen Reinhard Clemens zulassen, damit möglichst nicht neues Geklatsche entsteht. – Vielleicht fange ich morgen wieder an.

     Die Moskauer Konferenz hat anscheinend unter den vereinten Nationen einen neuen Auftrieb verursacht. Man will nun diesen Krieg zu einem raschen Ende bringen. Stalin hat eine Rede gehalten, in der er von der zweiten Front gesprochen hat. Er hat von der Front in Italien gesprochen u. hat von ihr gesagt, daß sie zwar keine zweite Front sei, aber doch wenigstens etwas Aehnliches. Fortfahrend hat er dann gesagt, daß die zweite Front Deutschland erledigen würde. Er sagte damit also, daß eine solche Erledigung Deutschlands von Italien her nicht zu erwarten sei, daß das aber durch eine zweite Front von Westen her geschehen würde. Da man von einer raschen Beendigung des Krieges gesprochen hat, ergibt sich, daß die Invasion von Westen her nun wirklich beschlossene Sache ist, zumal Churchill selbst vor einigen Wochen sagte, daß er die Front in Italien nicht als zweite Front betrachte. – Vor einigen Tagen wurde von unserer Seite gesagt, daß das Gebiet von Skagerak für die freie Durchfahrt Schwedens gesperrt worden sei. Ich nehme darum an, daß die Engländer wie im ersten Weltkriege den Plan haben, von dort her die Einfahrt in die Ostsee zu erzwingen. Damals scheiterte dieser Pan durch die Seeschlacht von Skagerak, doch dürften heute die Voraussetzungen dafür eher gegeben sein. Eine Landung in Dänemark müßte wohl möglich sein. Solche Landungsmanöver sind in diesem Kriege ja schon oft durchgeführt worden u. es hat sich gezeigt, daß sie heute bei der starken Luftunterstützung nicht mehr gar so schwierig sind. Erst jetzt eben erst haben die Russen das wieder bewiesen, indem sie bei Kertsch gelandet sind u. indem es uns nicht gelungen ist, eine Landung zu verhindern. Nachdem die Russen die Krim im Norden abgeriegelt u. das ganze linke Dnjeprufer bis zur Mündung besetzt haben, bahnen sich dort böse Sachen an. Zwar ist es uns gelungen, die drohende Einkesselung von Krivoi Rog her zu verhindern; aber das scheint mir nur ein Augenblicks-Erfolg zu sein, der keine Dauer haben wird, nachdem von den Armeen Mansteins nicht mehr allzuviel übrig geblieben sein dürfte. Daß wir diese Armeen besonders bei Krivoi-Rog auf Kosten anderer Frontstellen verstärkt haben, scheint [3] daraus hervorzugehen, daß die Russen gestern die Erstürmung von Kiew gemeldet haben. Diese Stadt hatte unter allen Umständen gehalten werden müssen, aber man hat es eben nicht mehr gekonnt. Die dort abgezogenen Truppen haben bei Krivoi-Rog zwar einen Augenblicks-Erfolg errungen, indem sie die Einkesselung des ganzen Dnjeprbogens verhinderten, jedoch wird diese Katastrophe auf die Dauer nicht zu verhindern sein. Und Herr Dr. Goebbels schreibt unentwegt von der Gewissheit unseres Sieges, u. die übrigen Zeitungen tun dasselbe, während Herr Himmler alle Menschen hinrichten läßt, die auch nur den geringsten Zweifel an diesem Siege äußern. Es ist z. Zt. in Deutschland lebensgefährlich, ein Wort zu sprechen.

Montag, 8. November 1943.     

     Gestern Nachmittag Krappmanns. Wie immer, war es sehr nett. Diese beiden Menschen sind mir wirklich überaus sympatisch. – Als wir zum letzten Mal bei ihnen waren, hatte ich ihm versprochen, ihm gelegentlich Fotos meiner früheren Bilder zu zeigen. Ich kramte also die Mappe mit diesen Fotos aus der Komode in meinem Zimmer heraus u. fand bei dieser Gelegenheit eine ziemlich große Anzahl von Bleistift-Zeichnungen früherer Jahre, landschaftl. Naturstudien u. Bildniszeichnungen, von denen ich nie wußte, wo sie geblieben waren. Wir besahen sie u. ich selbst fand sie noch recht gut. Dr. K. u. seine Frau waren sehr entzückt. – Mir war bei der Durchsicht doch etwas wehmütig. Welche großen Hoffnungen habe ich doch einst auf meine Kunst gesetzt, – u. nun ist das alles längst dahin. Mit der Bunten Stube hat es angefangen. Sie ließ mich nicht zur Arbeit kommen. Dadurch wurde ich gedrängt, hier im Ort Gemeindevorsteher zu werden, dann kam der Autounfall u. in dessen Gefolge noch einmal ein kleiner Ansatz, der aber schließlich in den seelischen Nöten jener Zeit erstickte. Dann kam meine Konversion u. damit war es dann ganz aus. Meine gegenwärtigen neuen Versuche haben bisher zu keinem Resultat geführt u. es sieht nicht grade so aus, als wollte daraus etwas werden, schon weil mir ein rechter Arbeitsraum fehlt. Immerhin habe ich heute früh meinen Schreibtisch umgestellt u. sonst einige kleine Aenderungen im Zimmer getroffen, um etwas mehr Platz zu gewinnen, für den Fall, daß ich doch noch einmal Lust zur Arbeit bekomme.

     Mit Dr. K. bin ich übereingekommen, daß sein Lothar heute Nachmittag wieder zur Religionsstunde kommen wird. Wir werden die Sache ganz heimlich aufziehen, werden im Seezimmer sitzen nur mit den drei Jungens Jens, Reinhard u. Lothar.

Sonntag, 14. November 1943.     

     Seit Donnerstag ist Martha Bahnson hier, um ihren Urlaub bei uns zu verbringen. Sie kann zwar nichts aus Hmb. erzählen, was man nicht schon dutzendfach gehört hätte, aber es ist doch sehr eindrucksvoll, wenn man die furchtbare Erregung sieht, die durch die Erinnerung an Hamburgs Schreckenstage bzw. Nächte immer noch bei ihr ausgelöst wird. Sie hat eine gründliche Erholung bitter nötig.

     Von Klaus Wegscheider bekamen wir Nachricht, daß er von Brüssel nach Halle versetzt worden ist. Er freut sich zwar zunächst, in der Nähe Berlins zu sein, d.h. also wohl in der Nähe seiner geschiedenen Frau u. seiner Kinder, aber im Uebrigen wird er sich wohl bald nach dem guten Leben in Brüssel zurücksehnen.

     Sonst ist nichts von Belang geschehen, außer, daß die Russen westlich Kiew unaufhaltsam weiter vorrücken u. nun schon dicht vor Schitomir stehen. Am 8. Nov. abends hat Hitler in München eine Rede gehalten. Wir wußten es nicht u. lasen die Rede in der Zeitung. Diese Rede war ganz darauf abgestellt, die Stimmung [4] wieder neu aufzumöbeln, was denn wohl auch bei der Mehrzahl dieser Herde gelungen ist. Er hat zwar nicht gesagt, auf welche Art er das Schicksal wenden u. diesen Krieg noch gewinnen will, sondern er hat im Gegenteil zugestanden, daß Amerika für uns unerreichbar ist, aber er hat dafür angedeutet, daß er den Krieg auch dann noch weiter führen wird, wenn er demnächst auf deutschem Boden stattfinden sollte. – Gleichzeitig hat Churchill eine Rede gehalten, die ebenfalls recht hoffnungslos klang insofern, als er der Meinung ist, daß dieser Krieg in diesem Jahre noch nicht sein Ende finden wird, sondern erst im nächsten Jahre, u. daß bis dahin noch Kämpfe stattfinden würden, die blutiger sein würden als alles, was die Weltgeschichte bisher gesehen hätte. Diese Ansicht ist um so betrübender, als man nach der Moskauer Konferenz ganz Anderes erwarten durfte, denn dort wurde gesagt, daß man diesem Kriege nun so rasch wie möglich ein Ende machen u. die zweite Front in absehbarer Zeit aufgezogen werden würde. Ich hatte gehofft, daß dies noch in diesem Herbst geschehen würde, denn den Engländern muß doch allmählich die ungeheure russische Kraftentfaltung selbst unheimlich werden. Das scheint aber doch nicht der Fall zu sein, wenn die Rede Churchills nicht ein absichtlicher Bluff ist, um uns in Sicherheit zu wiegen.

     Unsere Andacht heute morgen: Frau Monheim mit Berni, Martha Bahnson u. Marianne Bierwirth.

     Mittwoch Abend kam Prof. Erich Seeberg, um mir ein Buch zurückzubringen. Er wollte wohl etwas länger bleiben, ging dann aber, als er hörte, daß Frau Ziel u. ihre Tochter Marianne zum Unterricht kamen. – Am Dienstag Vormittag war erstmalig Frau Smith zum Unterricht, aber wie ich höre, ist sie inzwischen schon wieder nach Bln. gereist. Daraus wird nicht viel werden.

Sonntag, 21. November 1943.     

     Martha Bahnson ist am Freitag wieder nach Hmb. zurückgefahren. Die Arme war sehr herunter mit ihren Nerven, total überanstrengt. Kein Wunder bei einer zehnstündigen Arbeitszeit, wo sie gesundheitlich nicht einmal Normales leisten kann. Sie bekam bei uns ein heftiges Ischias, sodaß wir Dr. Meyer holten. Er sagte, daß die Ursache eine totale Ueberanstrengung sei. Prof. Sudek, der in diesem Jahre noch immer hier ist, empfahl sie an einen Arzt im Eppendorfer Krankenhause. –

     Gestern kam Prof. Erich Seeberg u. brachte uns einen Brief seines Schwagers Dr. Th. Bohner, in dem dieser versucht, seine Tochter Margret zu rechtfertigen. Erich S. war empört. Herr B. unternimmt es tatsächlich, seine Tochter zu verteidigen, indem er nicht ohne Genugtuung von dem „Zigeunerblut“, spricht, welches er von seinem Urgroßvater her haben will, der, wie er stolz schreibt, ein Seiltänzer gewesen sei. Im Uebrigen führt er noch weitere Dinge an, die er Fritz u. auch uns vorwirft, die allesamt unwahr oder verdreht sind. Dieser Brief ist eine Unverschämtheit. Die moralische Minderwertigkeit, die daraus spricht, mag ja ebenfalls auf jenen Seiltänzer zurückzuführen sein.

     Heute zur Andacht Frau Monheim u. Trude. Frau M. erzählte nachher von ihren Aengsten, die sich besonders um ihren Aeltesten drehen, der im Februar 15 Jahre wird u. dann zur Flak kommen soll. Alles das ist empörend!

     Differenz mit Frau Vogt, die sich darüber ärgert, daß wir sie nicht besucht haben, als sie krank war. Wir haben aber von ihrer Krankheit nichts gewußt. Alberne Person. –

     In dieser Woche Angriff auf Bln., es scheint aber nicht so, als wäre er zur gewünschten Durchführung gekommen.

[5]
Mittwoch, 24. November 1943.     

     Heute sollte eigentlich Jens Wegscheider wieder nachhause fahren. Alles war vorbereitet, Frau Monheim, die ebenfalls fahren wollte, sollte ihn mitnehmen. Da wurde gestern früh im Radio durchgegeben, daß am Abend vorher, also am Montag Abend, ein Angriff auf Berlin gewesen wäre. Da solche Angriffe vom Abend vorher sonst niemals in den Frühnachrichten erwähnt werden, schlossen wir daraus, daß es sehr schlimm gewesen sein muß. Gestern im Laufe des Tages kamen dann spärliche Nachrichten durch. Herr Monheim telegraphierte per Blitz an seine Frau, sie solle nicht kommen, wennschon bei ihm nichts passiert sei. So behielten wir auch Jens hier, der die Enttäuschung recht tapfer trägt. Er ist überhaupt ein sehr lieber Junge, im Religionsunterricht sehr aufmerksam u. sehr interessiert, sodaß es mir leid tut, ihn als Schüler wieder zu verlieren.

     Ueber den Angriff habe ich gehört, daß derselbe am Montag Abend um 8 Uhr begann u. bis kurz nach 1/2 9 Uhr gedauert hat. In dieser halben Stunde haben die Englänger 2.300.000 kg. Bomben auf Berlin abgeworfen, eine ungeheure Menge. Zwanzig Minuten nach dem Angriff soll sich in Bln. eine Explosion ereignet haben von gewaltiger Wucht. Man sagt, es sei der schwerste Angriff gewesen, den Berlin bisher erlebt hat, sonst aber weiß ich nichts, außer, daß es die Gegend des Kurfürstendamm sehr stark betroffen haben soll. Ich wüßte aber nicht, wo dort Ursache zu einer Riesen-Explosion sein sollte, es werden also wohl auch noch andere Gegenden betroffen worden sein.

Donnerstag, 25. November 1943.     

     Aus Berlin kommen nur spärliche Nachrichten. Sicher ist, daß der Stettiner Bahnhof total zerstört ist u. die Züge nach hier nur von Oranienburg ab fahren. Frau Dr. Müller aus Althagen erzählte, daß das Ehepaar Dr. Krappmann, die in Schweinfurt bei den ebenfalls schwer bombengeschädigten Schwiegereltern gewesen waren u. auf dem Rückwege über Berlin mußten, nur mit großen Schwierigkeiten durchgekommen seien. Es sollen auch alle anderen Bahnhöfe zerstört sein, außerdem Görlitzer Bahnhof. Herr Monheim hat mit seiner Frau 2 Minuten telephoniert, es sei der schlimmste Angriff gewesen, den Berlin bisher erlebt habe. Post u. Zeitungen sind aus Berlin nicht angekommen. Am Dienstag Abend ist dann ein neuer Angriff gewesen. –

     Am vorigen Mittwoch nahm Dr. Wessel endlich einen Abdruck meines Oberkiefers. Er wollte an der Prothese, die ich nun schon zehn oder elf Jahre trage, ein Stück anschweißen lassen, da mir in letzter Zeit noch weitere Vorderzähne ausgefallen sind u. wollte die Prothese mit nach Hamburg nehmen, wo es gemacht werden sollte. Am Sonnabend fuhr er nach Hambg. – In der Nacht von Freitag zu Sonnabend brach mir dann aber der linke hintere Backenzahn ab, an dem die ganze Geschichte hängt. Zum Glück konnte ich Dr. W. noch rechtzeitig telephonisch erreichen, um ihm das mitzuteilen. – Er kam gestern u. brachte mir die Prothese wieder zurück. Er sah sich die Geschichte an u. meinte, daß nun nichts weiter übrig bliebe, als die restlichen vier Zähne, die ich im Oberkiefer noch habe, auch noch herauszunehmen u. dann ein ganz neues Stück machen zu lassen. Es wird wohl einige Wochen in Anspruch nehmen.

[6]
Freitag, 26.11.43
siehe nächste Seite.
Sonnabend, den 27. November 1943.     

     Heute morgen hörte ich von Wullenbecker, daß die Engländer trotz des Sturmes gestern Nachmittag eingeflogen sind, u. zwar über unsere Gegend weg. Die Feuerwehr in Althagen war alarmiert. Eben wurde mir erzählt, daß sie in Weimar gewesen sein sollen, wo angeblich 8000 Obdachlose sein sollen. Auch sind sie in der Nacht wieder in Berlin gewesen, diesmal im Norden, Gegend Gesundbrunnen. Herr Monheim soll telephoniert haben. Auch Frohnau ist diesmal nicht verschont geblieben. –

     Heute morgen etwas geholfen beim Dekorieren des Schaufensters für Weihnachten, eine Tätigkeit, die mich sehr anstrengt. Nach einer Stunde habe ich's wieder aufgegeben u. Kurt Spangenberg den Rest überlassen. Heute scheint die Sonne u. es ist ziemlich warm draußen.

     Abends: Dr Wessel war da u. zog mir die letzten 4 Zähne aus dem Oberkiefer. Es war zwar schmerzlos, aber die Spritzen nehmen doch sehr mit.

     In Berlin sind wieder schwere Schäden durch den Luftangriff. Wir bekamen heute Abend Verbindung mit Jens Mutter, sie bat, daß wir Jens noch behalten sollen.

[7]
Freitag, 26. November 1943.     

     Frau Dr. Kemper hat es mit ihrer pfälzischen Zähigkeit nun doch wirklich fertig gebracht, daß der Pfr. von Marlow, ich glaube, er heißt Kolodzik, am Sonntag zu uns kommt. Er liest am Vormittag in Ribnitz die Messe u. kommt dann Nachmittags mit dem Dampfer herüber. Um 6 Uhr ist dann in unserem Hause hl. Messe. Er wird über Nacht im Hause der Mutter von Frau Kemper, Frau Longard, bleiben u. die Pfarrhelferin, die er mitbringt, will Frau Monheim beherbergen. Am Montag fährt er wieder nach Marlow zurück, sodaß er vielleicht dann noch eine Messe bei uns zelebrieren kann. Da Dr. Wessel mir am Sonnabend Abend die Zähne herausnehmen will, ist es mir lieb, wenn ich am Sonntag Morgen auf diese Weise keine Andacht zu halten brauche. – Für den Pfarrer bedeutet das alles allerdings eine Strapaze. Frau Dr. K. hat auch deshalb mit unserem Pfr. Dobczynski telephoniert, der sehr zufrieden ist damit, denn er ist krank u. kann sein Versprechen, in diesen Tagen bei uns einen Gottesdienst zu halten, leider nicht einlösen.

     Aus Berlin kommen nun langsam Nachrichten. Martha bekam heute Abend Verbindung mit Kut's Frau Anneliese, die gesund ist u. die Wohnung ist unbeschädigt, doch soll von der Potsdamer Brücke bis zum Potsdamer Platz u. darüber hinaus alles ein Trümmerfeld sein, ebenso nach der anderen Seite, der Lützowbrücke hin. Von Frau Prof. Triebsch, die ich heute spach, hörte ich, daß auch ihre Wohnung in Bln verbrannt u. das ganze Haus eingestürzt sei. Auch die Wohnung von Prof. Erich Seeberg, die schon früher arg mitgenommen worden war, soll nun total vernichtet sein. Es herrscht jetzt Sturm u. Regen, sodaß die Engländer mindestens eine Pause machen müssen.

     Göring hat im Ruhrgebiet eine Rede gehalten, wobei er gesagt haben soll, daß der Führer bei der Machtübernahme gesagt habe: Gebt mir vier Jahre Zeit! – Jetzt verlange er nur ein Zeit von einigen Tagen, dann solle sich das Schicksal wenden. – Es ist das offenbar wieder eine Anspielung auf die neue, geheimnisvolle Waffe, die das Wunder einer Schicksalswende bringen soll. Eine ähnliche Anspielung wurde bereits vor einigen Tagen von offizieller Seite gemacht. Danach wäre also für die allernächsten Tage damit zu rechnen, daß etwas in dieser Richtung geschieht. Das Volk blickt fasciniert auf diesen Augenblick. Es ist gefährlich. Wenn diese geheimnisvolle Wunderwaffe versagen sollte, dann wird die letzte Hoffnung in sich zusammenbrechen u. es wird dann nichts mehr geben, sie wieder aufzurichten.

Montag, 29. November 1943.     

     Gestern wieder einmal eingehenden Brief an Fritz geschrieben zu seinem Geburtstag am 4. Dezember. Ich habe mal die Sache umgedreht u. habe Margret zwar nicht verteidigt, aber doch die psychologischen Voraussetzungen zu ihrem Verhalten gesucht, um Fritz daran klar zu machen, wo seine eigenen, grundlegenden Mängel liegen. Hoffentlich hat es bei ihm endlich mal den Erfolg zur Selbsterkenntnis.

     Abends gegen 5 Uhr traf Pfr. Kolotczyk aus Marlow ein. Er brachte seine Pfarrhelferin mit, ein etwas bedarftes Mädchen. Um 1/2 6 Uhr, kamen die ersten Gottesdienstteilnehmer, die vorher beichten wollten. Es wurden immer mehr, sodaß wir erst etwa 1/4 nach 6 Uhr mit der hl. Messe beginnen konnten. Es waren 21 Teilnehmerinnen einschl. Dr. Krappmann u. mir selbst, die einzigen Männer. Das Zimmer war sehr voll. Die Messe war sehr feierlich, es wurden 8 Kommunionen ausgeteilt. Die reizende Frau Sommerhof war da u. natürlich Frau Monheim mit ihren beiden Jungens. Auch unsere Nachbarn Frau Bierwirth mit Jup u. Marianne u. Frau Beichler waren da. Ich hatte den Altar schön geschmückt, wozu zwei blühende Geranien gut halfen. Rechts vom Altar ein Adventskranz mit einer Kerze, links unsere hübsche Krippe, ebenfalls mit einer Kerze. Nach der Messe ging der Pfarrer mit Frau Dr. Kemper u. die [8] Pfarrhelferin mit Frau Monheim. – Vorher hatte sich Pfr. K. bereit erklärt, heute früh um 8 Uhr noch eine Messe zu lesen. Ich hatte nicht geglaubt, daß dazu sehr viele Menschen kommen würden, doch irrte ich mich. Trotzdem in der Nacht starker Sturm eingesetzt u. unser Lichtleitungsnetz kaputt geschlagen hatte, kamen doch viele Menschen, vor allem die alte Frau Longard, die gestern Abend wegen der Dunkelheit nicht kommen konnte. Auch Frau Prof. Triebsch war da. – Es wurde wieder von allen kommuniziert. – Nach der Messe frühstückten wir mit dem Pfarrer + seiner Helferin u. dann mußten die beiden bald fort, denn sie mußten um 1/2 11 Uhr den Dampfer in Wustrow benutzen. Da starker Südwest war, werden sie ihre Räder wohl haben schieben müssen, denn dieser Wind war ihnen entgegen u. die Chaussee ist völlig Schutzlos. – Martha u. ich räumten dann gleich wieder das Zimmer ein. Wir waren beide von gestern u. heute sehr angestrengt u. nicht fähig, am Tage noch viel zu tun. Außerdem hatten wir bis 3 Uhr nachmittags keinen Strom u. konnten darum kein Mittagessen kochen. Es fiel darum aus. Von 4 – 5 Uhr gab ich Jens u. Lothar Religionsstunde.

     Gestern nach der Messe blieben Krappmanns noch etwas da. Sie berichteten von Schweinfurt. Die Kugellager-Fabriken sind so gut wie völlig zerstört. Da die Fabriken aber auf Vorrat gearbeitet u. diese Vorräte auf Ausweichlager verteilt hatten, kann zunächst ein Mangel an Kugellagern nicht eintreten. Aber das ist natürlich mehr oder weniger bei allen Rüstungsbetrieben so. Es handelt sich jetzt darum, die Fabriken so rasch wieder aufzubauen, daß sie wieder betriebsfähig sind, wenn die Vorräte aufgebraucht sind. Daß das gelingt, ist kaum anzunehmen. Außerdem fehlt es ja auch an dem nötigen Material zum Wiederaufbau. – Sehr anschaulich erzählte Dr. K. von seiner Rückreise durch Berlin, wo er eintraf am frühen Morgen nach der ersten Bombennacht. Der Zug fuhr bis zu irgend einem Ort kurz vor Berlin, wo alles aussteigen mußte. Nach langem Warten kam ein kleiner Autobus, um die Leute weiter zu bringen, aber es waren natürlich Hunderte, die mitfahren wollten. Es gelang Dr. K. und seiner Frau mitsamt Gepäck mitzukommen, – er war in Uniform, das hat ihm geholfen. Er beschreibt die Fahrt in diesem Omnibus, die fürchterlich gewesen sein muß. Ich glaube, er ist bis Schöneberg gekommen, wo man Dampfzüge auf der Hochbahn eingesetzt hatte, wenn ich nicht irre. Jedenfalls wollte er zum Stettiner Bahnhof, doch stellte sich heraus, daß auch dieser in Flammen stand u. unbenutzbar war. Mit allen möglichen Mitteln ist er schließlich bis nach Oranienburg gekommen. Diese Fahrt durch Berlin bis zur Weiterfahrt von Oranienburg hat 15 Stunden gedauert. – Die Stimmung der Berliner war natürlich verzweifelt u. von der humorvollen oder heldenhaften Haltung der Bevölkerung, von der in der Zeitung geschwafelt wird, hat er keine Spur bemerkt. Was er von Bln. gesehen hat, war grauenvoll. – In Schweinfurt meint Dr. K. wäre die Stimmung aber noch viel schlechter gewesen, weil die Menschen im Süden freier sind u. aus sich herausgehen, während hier im Norden die Menschen schweigen. – Die DAZ. ist seit dem ersten Angriff bis jetzt noch nicht erschienen, wahrscheinlich ist auch sie zertrümmert. Es sind nun in der letzten Woche 4 Angriffe gewesen, bei denen insgesamt 7 Millionen Kilo Bomben auf Berlin gefallen sind. Bei anderen Angriffen in der letzten Woche sind auf ganz Deutschland u. besetzte Gebiete verteilt nochmals 7 Millionen Kilo geworfen worden. –

     In seiner Rede am 8. Nov. in München hat der Führer dem Sinne nach Folgendes gesagt: „Ich werde weiter kämpfen bis zum Siege, auch wenn darüber in Deutschland noch viel mehr zertrümmert wird, – u. sollte das Deutsche Volk da nicht mittun wollen, dann würde ich es verachten müssen.“ – Dieser Satz [9] ist beim Druck der Rede von Goebbels gestrichen worden, sodaß nur die direkten Zuhörer ihn gehört haben. Das heißt also nichts anders, als: „ich werde weiterkämpfen bis zur völligen Zertrümmerung Deutschlands, auch wenn ich selbst überzeugt bin, daß ein Sieg nicht mehr möglich ist.“ – u. so ist es! Dieser Mann wird Deutschland bis auf die Grundmauern ruinieren, das brauchen dann die Engländer nicht mehr zu tun. Man sagt immer, er wäre verrückt. Mag sein. Aber in diesem Falle denkt er sehr folgerichtig, denn eine zugegebene Niederlage wäre sein Ende genau so wie eine völlige Vernichtung Deutschlands, – aber das Letztere zögert sein Ende um eine gewisse Zeit hinaus. – In diesem Falle ist nicht er der Verrückte, sondern das deutsche Volk, das diesen tollwütigen Anstreicher nicht beseitigt. Dieses arme Volk wird noch Fürchterliches erleben. – Je länger es dauert, um so inbrünstiger klammert sich das Volk an die geheimnisvolle neue Waffe, die angeblich in den nächsten Tagen zum Einsatz kommen soll. Schlägt auch diese fehl, – u. sie muß es unbedingt, – dann wird das Volk aus seinem fürchterlichen Wahn erwachen, – vorher nicht. Und sie muß fehlschlagen, denn wenn man eine Waffe hätte, die in kurzer Zeit, sagen wir in 4 Wochen, ganz London dem Erdboden gleichmachen würde, dann wäre damit der Krieg ja keinesfalls gewonnen, – nicht einmal entscheidend beeinflußt, denn hinter England steht Amerika. Selbst, wenn es in England darüber zu einer Revolution käme, was keinesfalls zu erwarten ist, – u. selbst wenn ganz England aus dem Kriege durch diese Waffe hinausgeboxt werden würde, so würde das noch kein Sieg über Amerika sein. Die englischen Armeen würden dann unter amerikanischer Führung weiterkämpfen, genau wie die Franzosen, die Polen, die Serben usw. weiterkämpfen u. genau wie die Italiener weiterkämpfen. Und von den Russen ist dabei noch garkeine Rede!