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Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1943-08
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Entstehungsdatum: 1943
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Originaltitel: August 1943
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom August 1943
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Einführung

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Der Artikel TBHB 1943-08 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom August 1943. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 13 Seiten.

Tagebuchauszüge

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[1]
Donnerstag, 5. August 1943.     

[1]      Sonntag Nachmittags machten Prof. Franz Triebsch u. Frau Besuch. Wir saßen auf der Terrasse in ingeregtem Gespräch, natürlich war das Hauptthema die politische Lage u. die Katastrophe von Hamburg. Frau T. ist Hamburgerin, geb. Becker. Durch die Katastrophe ist T. auch sehr berührt, da er sein Vermögen dort angelegt hatte. Ich konnte mich nicht enthalten, Herrn T. einige bittere Wahrheiten zu sagen über die ehemaligen Deutschnationalen, zu denen er ja auch gehörte u. denen wir die Nazis in der Hauptsache zu verdanken haben. Uebrigens war er morgens bei uns im Hochamt gewesen u. hatte die schöne Predigt von Pfr. Feige gehört, über den er des Lobes voll war.

     Inzwischen hat sich der Ort mehr u. mehr mit Hamburgern angefüllt, lauter Menschen, die alles verloren haben u. die dieses traurige Geschick teilweise mit nur geringer Würde zu tragen wissen. Der Gott dieser Menschen war von je her ihr Bauch, ihr Lebensinhalt war Reichtum u. Wohlleben. Nun ist das über Nacht dahin u. es bleibt nichts übrig als eine leere Fassade. Jetzt schimpfen sie alle auf Hitler – aber früher haben sie ihn gewählt. – Die Stimmung ist fürchterlich. –

     Heute abend wurde bekannt, daß die Engländer Catania auf Sizilien genommen haben. Gestern noch wurde geschrieben, daß unsere Stellungen dort uneinnehmbar seien. Desgleichen wurde bekannt, daß wir Orel an der Ostfront „planmäßig“ [2] geräumt hätten. Es ist damit wenigstens eine Wiederholung von Stalingrad vermieden worden, aber so ohne Verluste an Menschen u. Material, wie gesagt wird, wird diese Operation nicht vor sich gegangen sein.

     Die Evakuierung Berlins ist in vollstem Gang. Die Schw. Oberin telegraphiert aus Mährisch-Ostrau, wohin anscheinend die Pfleglinge der Aquinaten verbracht worden sind. Es herrscht Panikstimmung, man erwartet die Bombardierung Berlins jeden Augenblick.

     Agnes Borchers=Papenhagen hat endlich Nachricht von ihrem Mann aus Hmb.

     Am Dienstag Nachmittag bei Frau Monheim gewesen.

     Heute im Geschäft begrüßte uns Herr Ringeling, den wir zum Sonntag Nachmittag einluden.

     Die Hitze hat nachgelassen, wir hatten Gewitter in den letzten, aufeinanderfolgenden Nächten, dazu etwas Regen, sodaß die schlimmste Dürre gewichen ist. –

     Aus Italien hört man überhaupt nichts, alle Nachrichten von dort sind gesperrt.

     Es gibt seit Hamburg keinen Tabak mehr. Die Leute kommen täglich zu mir, um zu fragen, ob nicht doch etwas gekommen wäre. Auch auf die Kleiderkarten gibt es nichts mehr zu kaufen, jeder Verkauf ist gesperrt. Infolge der Dürre gibt es kaum noch Magermilch.

     Heute Postkarten von Marthas Schwester Emma u. Cousine Martha Bahnson aus Hmb. Alle sind noch lebend, aber es gibt dort weder Wasser, noch Gas, noch Licht usw. Es muß furchtbar sein. Dazu die Angst vor neuen Angriffen.

Sonnabend, 7. Aug. 43.     

     An der Ostfront haben wir nicht nur Orel den Russen überlassen, sondern auch Bjelgorod. Der Verlust dieser letzteren Stadt, sowie der Verlust Catanias, ist in unserem Herresbericht noch nicht zugegeben. –

     Gestern Abend war Erzpriester Feige u. P. Dubis bei uns. Leider waren Martha u. ich sehr müde. Ich schenkte dem Pfr. Feige eine neue Tabakspfeife, über die er sich sehr freute. – Die allgemeine Nervosität hält an, die Evakuierung Berlins wird mit Hochdruck fortgeführt. Nennenswerte Einflüge der Engländer fanden jedoch bisher nicht statt. Man erwartet sie erst Ende des Monats, wenn die Nächte länger geworden sind u. der Vollmond scheinen wird.

     Gestern kamen Zigaretten, die Sendung war arg bestohlen.

     Es geht jetzt ein neues Gerücht: Der ehemalige Kronprinz soll in Berlin sein u. Verhandlungen führen zur Aufstellung einer neuen Regierung. Es ist das seit Langem ein Wunschtraum nicht nur deutschnationaler Kreise, sondern auch breite Kreise des Mittelstandes u. auch viele Arbeiter sind dafür zu haben. Gegenwärtig gewinnen solche Ideen zweifellos an Wirklichkeit. Zwar glaube ich nicht, daß der Kronprinz, falls er wirklich solche Absichten verfolgen sollte, auf die Dauer damit Erfolg haben wird; aber im Augenblick wäre seine Person zweifellos ein Centrum von sehr starker Anziehungskraft u. er könnte die Sache in's Rollen bringen. Sicher werden viele hohe Offiziere u. Beamte hinter ihm stehen, doch ist es ein sehr gefährliches Spiel, bei dem er leicht das Leben verlieren kann. Vielleicht aber ist das die einzige Möglichkeit, aus dem Dilemma herauszukommen.

     Im Führerhauptquartier sollen ebenfalls bedeutende Verhandlungen geführt worden sein, an denen Göring, Goebbels, Speer [3] Himmler u. die übrigen hohen Bonzen teilgenommen haben. Natürlich auch Ribbentrop. Es wird gesagt, das Ribbentrop nach diesen Besprechungen nach Rom gereist sei u. Göring nach Hamburg. Letzteres wird heute in der Zeitung bestätigt, also wird wohl auch das erste wahr sein. Göring taucht also nach langer Versenkung wieder auf u. begibt sich zum ersten Male dahin, wohin er als Luftfahrtminister gehört, nach Hamburg. Es wird ihm nicht wohl dabei sein.

     Der Heeresbericht gibt jetzt endlich die Räumung von Catania zu. Es macht den Eindruck, als befinde sich die Front auf Sizilien in der Auflösung. In Italien ist der Ausnahmezustand nun über das ganze Land verhängt. Ferner scheint es so, als wäre unsere Ostfront nördlich Charkow in schwerer Gefahr. Es geht mit Riesenschritten dem Zusammenbruch entgegen. –

     Seit einigen Tagen sind die jungen Besitzer des von den Aquinataschwestern gepachteten Hauses hier. Besonders der junge Herr Claassen scheint es darauf anzulegen, Streit zu entfesseln, um den Pachtvertrag vorzeitig zu zerbrechen. Morgen haben wir Hochamt dort u. ich hoffe, daß es da keine Schwierigkeiten gibt. Bis Mittwoch bleiben die geistl. Herren noch hier, dann wird wohl so wie so Schluß sein. Die Sr. Oberin will übrigens am Mittwoch kommen. Es scheint, daß die Sache nicht länger zu halten ist. –

     Von Frau Dr. Hildegard Wegscheider heute ein sehr schöner Brief an Martha, in dem sie flehentlich bittet, wir möchten doch den kleinen Jens behalten. – Natürlich behalten wir ihn, man kann den Jungen jetzt nicht nach Bln. schicken, wenngleich er uns auch eine Last ist.

Sonntag, 8. August 1943.     

     Heute früh Hochamt. Erzpr. Feige hielt außerordentlich schöne Rede. Es war wieder ziemlich voll, auch einige Soldaten von der Batterie. Auch Margret war mit.

     Mittags kam Frau Triebsch u. bat mich um Vermittlung zwischen Erzpr. Feige u. ihrem Mann. Ich sagte ihr, wir würden Erzpr. Feige am Dienstag Abend noch einmal einladen u. sie u. ihren Mann dazu. – Vormittags Briefe geschrieben an Hildegard Wegscheider u. an Grete, der ich einige Zigaretten für ihren Mann mitschicken werde.

     Um 4 Uhr kam Herr Dr. Ringeling, den ich für einen Mann von 60 – 65 Jahren gehalten hatte. Es stellte sich heraus, daß er erst 55 Jahre alt ist. Er sieht sehr elend aus. Wir unterhielten uns sehr angeregt bis 7 Uhr, hauptsächlich über Politik u. die Aussichten, aber auch über religiöse Fragen. Er ist ein überzeugter Christ u. darin sehr ernst. Dieser Nachmittag, an dem es zu dem unausgesetzt regnete, war sehr schön.

     Um 1/2 9 Uhr waren wir nochmals im Hause Claassen zur Andacht, anschließend kleine Plauderei, bei der ich Pfr. Feige wegen Herrn Triebsch fragte. Er sagte gern zu.

     Man spricht von den Verhandlungen im Führer-Hauptquartier u. der Reise Ribbentrops nach Rom u. glaubt, daß es sich um ein Friedensangebot handelt, das indessen aussichtslos sein dürfte. Unsere Ohnmacht ist zu offensichtlich, seitdem Schweden uns letzthin den Transitverkehr nach Norwegen aufgekündigt hat u. wir dieses widerstandslos hinnehmen mußten – Auch scheint unsere militärische Lage bei Belgorod schlechter geworden zu sein.

     In dieser Woche erwarten wir Fritz. –

[4]
Montag, 9. Aug. 1943.     

     Vormittags Erzpr. Feige bei mir. Im vorigen Jahre hatte er mich halb scherz= halb ernsthaft zum Vorsteher der kathol. Gemeinde in Ahrenshoop ernannt, die freilich zunächst nur aus Martha u. mir besteht. Heute Morgen besprach er mit mir sehr ernsthaft die Möglichkeiten. Ich erzählte ihm von Frau Asta Smith, die nun ja wohl bald kommen wird, um den Konvertiten-Unterricht bei mir zu nehmen u. ich berichtete, wie ich mir diesen Unterricht denke, nämlich ganz schlicht u. einfach an Hand des Katechismus, indem es m. E. garnicht so sehr darauf ankommt, Dogmatik zu treiben, als Christus zu begegnen. Meine Anschauung fand seine volle Billigung. Er empfahl mir, Bibelstunden einzurichten, was wiederum auch mir schon längst als wünschenswert erscheint. Zum Schluß ermunterte er mich, meinen Weg wie bisher ruhig weiter zu gehen, da seiner Ansicht nach Gott für mich hier eine besondere Mission im Auge habe.

     Die Angst u. Nervosität des Publikums läßt langsam nach. Der Angriff auf Hamburg ist vorbei, neue Angriffe sind inzwischen nicht gewesen, u. schon fangen die lieben Deutschen wieder an, nach Rache u. Vergeltung zu schreien u. von der Notwendigkeit unseres Sieges zu reden. – Lehrer Deutschmann, unser politischer Leiter, ist zurück von einer großen Tagung, auf der die Richtlinien für die nächste Zeit besprochen worden sind. Er hat erklärt, daß Ahrenshoop für evakuierte Berliner ausersehen sei. Für die Bevölkerung sei pro Kopf ein Zimmer zugebilligt. Das kann in unserem Hause ja nett werden, nachdem die Zimmer fast alle ineinander übergehen. Man will Oefen aufstellen, um die nicht heizbaren Räume bewohnbar zu machen. –

Auf Sizilien sind die Amerikaner an der Nordküste in unserem Rücken neu gelandet. Der Fortschritt der Russen wird zugegeben, indem von Kämpfen westlich Bjelgorod gesprochen wird, obgleich bisher noch nichts davon gesagt worden ist, daß wir Bjelgorod geräumt hätten. Mailand, Turin u. Genua sind sehr schwer bombardiert worden.

     An Paul Künzel Zigaretten geschickt. – Wetterumschwung: Sturm, Regen, kaltes Herbstwetter.

Mittwoch, 11. August 1943.     

     Gestern kam Fritz. Wir warteten mit dem Essen, doch wurde es 1/2 3 Uhr, bis er eintraf. Mit ihm kam Borchers, der Schwiegersohn Papenhagens. Er hatte eine Kiste bei sich u. sagte, daß dies seine ganze Wohnungseinrichtung sei; alles andere ist verbrannt. Der kleine, schwächliche Mensch war noch weniger geworden u. sah in seiner schäbigen Pionier-Uniform sehr erbarmungswürdig aus.

     Fritz machte einen sehr veränderten Eindruck; es war, als ob er Dinge dächte, von denen wir nichts wissen. Man muß abwarten. Abends erwarteten wir Herrn + Frau Triebsch, da Frau T. mich gebeten hatte, ihren Mann u. Pfr. Feige zusammenzubringen. Martha hatte einen Apfelkuchen backen lassen. Pfr. Feige u. P. Dubis kamen, aber Triebsch'ens blieben aus. Es muß wohl ein Mißverständnis vorgelegen haben. Während wir oben im Wohnzimmer sprachen, ertönte aus der Diele ein Guitarrespiel u. der wunderschöne Gesang eines frommen Abendliedes. Als der Gesang verklungen war, ging ich in die Diele, hörte aber nur noch, daß jemand das Haus durch die [5] Küchentür verließ. Ich ging vorne herum ums Haus u. traf einen Herrn, der momentan als Sommergast hier ist u. der mir im Geschäft durch sein ungemein originelles Wesen oft aufgefallen ist u. mit dem ich mich gern unterhalte. Offenbar hat er auch eine Neigung zu mir. Ich stellte ihn u. er sagte mir, er habe gehört, daß Fritz gekommen sei u. das habe ihm die Idee gegeben, dem jungen Paare ein Ständchen zu bringen. Margret habe ihm gesagt, daß wir geistlichen Besuch hätten u. da habe er auch uns ein Ständchen gebracht. Er war überaus nett u. ich habe mich herzlich gefreut. Ich werde nun versuchen, diesen Menschen näher kennen zu lernen. –

     Heute früh die letzte Messe; Pfr. Feige u. P. Dubis fahren heute Nachmittag wieder ab. Sie fahren nach Bln., einen sehr ungewissen Schicksal entgegen. Pfr. Feige will allerdings nicht gleich in Bln. bleiben, sondern noch seine Schwester in Schlesien besuchen, da er fünf Wochen Urlaub hat.

     Gestern nachmittag war der kleine Borchers noch einmal bei mir, um Zigaretten zu erbitten. Ich ließ mir etwas von Hmb. erzählen. Als Pionier ist er ja sowohl bei den Rettungsaktionen wie bei der Aufräumung tätig. Seine kurzen Schilderungen sind grauenhaft. Er ist mit dem Motorrad durch die Straßen gefahren, oft über die verkohlten Leichen hinweg. Zerfetzte Menschen, abgerissene Glieder. Es brennt immer noch, besonders die Schiffe im Hafen.

     Jens wird nun bald zur Schule gehen. Es beginnt jetzt sein drittes Schuljahr. Ich werde ihm Religionsunterricht geben. –

     Bisher hatten wir das Geschäft jeden Montag, Mittwoch, Donnerstag u. Sonnabend von 4 – 7 Uhr für das Publikum geöffnet, von jetzt an wollen wir auch den Donnerstag schließen.

     Politisch nichts Neues. Das Gerücht über die großen Beratungen im Führer-Hauptquartier ist offiziell bestätigt, – auch die Reise Görings nach Hmb. Also wird es wohl auch stimmen, daß Ribbentrop nach Rom gefahren ist. Dort ist der Innenminister der neuen Regierung Badoglio bereits zurückgetreten. – Auf Sizilien geht es nur langsam vorwärts. Auch die Ostfront scheint noch zu halten, wenngleich die Russen in unverminderter Stärke angreifen u. dabei zweifellos auch Gelände gewinnen, was von uns allerdings nie zugegeben wird.

Freitag, 13. Aug. 1943.     

     Gestern Abend jener originelle Mann bei uns, der uns kürzlich das Ständchen gebracht hat. Er kam erst sehr spät und brachte seine Frau u. seine Laute mit. Er führte sich mit einem Ständchen in der Diele ein. – Ich habe mich nicht getäuscht, er ist der originellste Mensch, den ich kennen gelernt habe. Im bürgerlichen Beruf ist er prakt. Arzt in Leipzig u. er heißt Walther Röthig. Er hat uns den ganzen Abend mit Liedern, die er mit seiner Frau sehr schön vortrug u. mit sprudelnder Rede unterhalten. Er ist der Sohn eines Volksschullehrers aus Leipzig, der ein großer u. sehr frommer Musikus war u. es als Kantor an St. Johannis in Leipzig zum Professor gebracht hat Seine Mutter Kläre, ebenfalls eine sehr musikalische Frau, hat mit dem Vater zusammen gesungen u. musiziert, so wie es jetzt der Sohn mit seiner Frau tut. Die Eltern u. Großeltern waren Nachkommen aus der Herrenhuter Gemeinde u. diese eigenartige Frömmigkeit ist in Walther R. noch immer lebendig. Das Leben dieses Mannes steht völlig unter dem christl. Gedanken, wie es bei seinen Vorfahren der Fall war u. er erzählte Dinge, die fast [6] unheimlich anmuteten, so sehr ist die Gnade Gottes bei diesen Menschen spürbar. So erzählte er z. B. von seinem Bruder, der als Marineflieger=Oberleutnand im ersten Weltkriege gefallen ist. Er, wie alle Kinder, – es ist noch eine Schwester da, hatte die natürliche Gewohnheit, seinem Vater zum Geburtstage zu schreiben, der im Oktober war. Nun wurde er aber im September von den Engländern über dem Kanal abgeschossen u. der Geburtstagsbrief fiel aus. Der Vater hatte vorher die Nachricht vom Tode des Sohnes erhalten, doch war die Leiche bislang nicht gefunden worden. Am Geburtstage erhielt der Vater ein Telegramm, daß die Leiche soeben an der holländischen Küste angeschwemmt worden sei. So kam der Sohn doch noch zum Geburtstage seines Vaters. – Solche u. ähnliche Geschichten erzählte er sprudelnd. – Merkwürdig ist auch, daß seine Eltern auf einer Konzertreise in Jerusalem ein Ehepaar aus Bremen kennen lernten. Die Tochter dieses Ehepaares, die damals noch grade unterwegs u. noch nicht geboren war, lernte Walther R. nach vielen Jahren, „zufällig“ kennen, als er irgendwo in Norddeutschland, ich glaube bei Bremen ein Kirchenkonzert gab. Sie gehörte zum Kirchenchor u. wirkte beim Konzert mit. Dieses Mädchen kam dann nach Leipzig, um ihre Stimme weiter ausbilden zu lassen, traf dort Walther R. wieder u. wurde dann seine Frau.

     Fritz, der mit Margret gestern Abend ebenfalls bei uns war, hat sich gestern Nachmittag kurz bei mir ausgesprochen. Er sagte mir, daß er Margret sehr verändert fände, – ich mußte ihm das bestätigen, – leider. Es ist schon seit Wochen so, daß sie zwar willig tut, was man ihr sagt, aber sie zeigt dabei nicht das mindeste Interesse. Es war natürlich nun die Frage zur Sprache gekommen, was sie im Winter tun soll. Diese Frage spielt seit langem eine Rolle u. wurde zwischen ihr u. Klaus schon oft erörtert. Sie will nach Bln., um zu studieren, wogegen Klaus ihr eindeutig gesagt hat, daß das nicht ginge. Sie hat als Fritzens Frau hier zu bleiben, so langweilig das für sie auch sein mag. Studiert sie aber in Bln., so wird sie sich von Fritz entfernen. Sie hat sich deshalb auch an ihren Vater gewandt, der ja ursprünglich nichts lieber gesehen hätte, als wenn sie studiert hätte u. der deshalb gegen diese Heirat war. Sie hat deshalb geglaubt, von ihrem Vater Hilfe zu bekommen. Dieser hat das aber abgelehnt u. hat ihr erklärt, daß darüber allein Fritz zu entscheiden habe. Das hat sie dem Vater sehr übel genommen.

     Fritz ist natürlich auch gegen diese Idee, die sich ja schon rein wirtschaftlich nicht durchführen läßt, da Fritz garnicht in der Lage ist, das Studium zu bezahlen, besonders, da es sich ja nur um eine Laune u. eine Abwechslung handelt. – Ueber diese Frage ist es zwischen beiden schon früher brieflich zu Auseinandersetzungen gekommen, die sich jetzt in anscheinend scharfer Form wiederholt haben. Ich habe Fritz den Rücken gestärkt u. habe ihm empfohlen, fest zu bleiben auf Biegen oder Brechen. – Das Schlimmste ist, daß Margret im September ihre Mutter erwartet, die natürlich die Albernheiten noch unterstützen wird u. überhaupt einen denkbar schlechten Einfluß ausüben wird. Es werden da manche Kämpfe bevorstehen. –

An der Ostfront, wo wir nach unserem Heeresberichten stets alle Angriffe abweisen, haben die Russen Achtyrka genommen, eine Stadt westlich Charkiw. Auch an anderen Stellen sind sie im Vordringen u. greifen unentwegt an. Auf Sizilien haben wir neue Stellungen bezogen, wir halten also nur noch einen kleinen Brückenkopf bei Messina.

[7]
Sonnabend, 14. Aug. 43.     

     Borchers erzählt mir, daß bis zum vorigen Freitag, – so lange er noch in Hmb. war u. sich als Pionier bei der Aufräumung beteiligen mußte 103.000 Leichen geborgen wurden. Zu dieser Zeit waren aber nur die wichtigsten Stadtteile bearbeitet, unter den Trümmern der übrigen Stadtteile mag noch einmal dieselbe Anzahl liegen. Die Fortschaffung dieser Leichen geschieht auf Lastwagen u. sie werden dann mit Baggern oder Greifern in vorher ausgebaggerte Gruben geworfen, da eine Identifizierung der Leichen völlig unmöglich ist. – Das sind die letzten Früchte menschlich=teuflischer Kultur!

     Die Russen behaupten im Nordrande von Charkow zu stehen, es wird also diese Stadt fallen. Gestern Nacht haben die Engländer Berlin mit Moskito-Bombern angegriffen, doch scheint es nur ein leichter Angriff gewesen zu sein. Außerdem synthetische Treibstofffabriken in Gelsenkirchen u. bei Köln. Die Hauptangriffe aus der Luft sind jedoch in Mailand u. Turin, wo die Angriffe anscheinend sehr schwer waren. Auch die Eisenbahnanlagen bei Rom wurden angegriffen.

     Gestern Abend kam noch einmal Dr. Röthig, nachdem er Nachmittags an einer kleinen Kinderveranstaltung in der Bu Stu. mitgewirkt hatte. Martha hatte seit Wochen jeden Freitag kleine Mädchen nachmittags in der Bu Stu. versammelt, wo unter Leitung von einer Frau Lücke, Witwe eines evang. Pastors, der im Kriege gefallen ist, geheimnisvoll gebastelt wurde. Gestern wurden die Sachen ausgestellt, es waren 17 Schultüten für Kinder, die jetzt hier zur Schule kommen. Die Sachen waren sehr reizend gemacht, einige wirklich bewunderungswürdig. Die Mädchen haben die Ausstellung sehr hübsch mit buntem Papier ausstaffiert u. das Ganze machte einen famosen Eindruck. Die Ausstellung bleibt noch die ganze kommende Woche über. Herr Dr. Röthig trug mit seiner Frau und seinem Sohn Hansel Kinderlieder zur Laute vor u. fand sehr großen Beifall bei den Mädchen. Da er viel Religiöses in seine Vorträge einflocht, war es auch in dieser Weise anregend. – Wie ich jetzt von Fritz höre, war er gestern Abend gekommen, um einige Zigaretten zu erbitten, – aber er war dann wohl doch zu bescheiden, um es zu tun. Es tut mir sehr leid.

Montag, 16. August 1943.     

     Gestern mit Fritz u. Margret gefrühstückt mit Bohnenkaffee u. Ei. Nach dem Frühstück wollten beide an unserer Andacht teilnehmen, doch berührte Fritz das Thema von Margrets geplantem Winterstudium in Berlin. Diese Sache war bereits zwischen Klaus u. Margret wiederholt zur Sprache gekommen u. Klaus hatte ihr sehr eindringlich gesagt, daß dieses eine törichte Idee sei, durch die sie sich von Fritz entfernen würde. Sie sei jetzt eben die Frau von Fritz u. habe als solche in Ahrenshoop zu bleiben, selbst wenn sie sich im Winter arg langweilen sollte. Es war aber schon zu erkennen, daß Klaus sie nicht überzeugen konnte. – Auch an ihren Vater hatte sich M. dieserhalb gewandt, der jedoch alles abgelehnt hatte u. der geantwortet hatte, daß er dazu garnichts tun könne, es sei allein Fritzens Sache. – Klaus hat dann Fritz in Brüssel mehrfach gesprochen u. hat ihn gewarnt. Er hat ihm sehr richtig gesagt, daß Fritz, falls er in dieser Sache nachgeben würde, Margret entgleiten würde. Er hat richtig gemeint, daß man von M. verlangen müsse, als junge Frau jetzt zuhause zu bleiben u. nicht in Bln. eine Zerstreuung zu suchen. In dieser Ueberzeugung kam Fritz auch hierher. Schon sehr bald kam er dann zu mir, um mit mir die Sache zu besprechen, da M. wiederum davon angefangen hatte. Ich habe Fritz gesagt, daß er unbedingt in der Ablehnung fest bleiben müsse [8] wenn er nicht für's ganze Leben seine Autorität einbüßen wolle. Wenn M. jetzt schon, drei Monate nach der Hochzeit, solche Pläne hätte, wäre das ein Zeichen mangelnden Ernstes u. ein Winter in Bln. mit sogenanntem Studium würde der Anfang der Eheauflösung sein. – Fritz begriff das. – Gestern nun war zu erkennen, daß es M. dennoch verstanden hatte F. herum zu kriegen, – u. das löste bei Martha eine regelrechte Explosion aus. Es gab eine sehr heftige Auseinandersetzung, bei der ich Martha mit aller Kraft unterstützte. M. saß dabei u. sprach kein einziges Wort. – Schließlich ging sie wortlos hinaus. Fr. blieb noch etwas u. es war zu merken, wie er sich über unsere kräftige Hilfe freute. – Wir hielten dann unsere Andacht allein. –

     Nachher Dr. Röthig, Gespräch über das Verhältnis Katholizismus=Protestantismus.

     Zum Mittagessen erschien M. wieder, freundlich u. harmlos, als wäre nichts gewesen, sodaß wir den Eindruck hatten, als wäre sie durch uns nun überzeugt worden von der Torheit dieser Idee. – Gesprochen wurde darüber nicht. – Nachmittags waren Martha u. ich bei Dr. Krappmann, – Frau K. hatte Geburtstag. Frau Smith war aus Bln. zurückgekommen fährt aber heute nochmals dorthin zurück, um Ende dieser Woche wieder zu kommen. Es war wie stets sehr nett in diesem schönen Hause.

     Abends kam Fr. zu uns. Er war den ganzen Nachmittag mit M. im Darss gewesen u. berichtete, daß M. keineswegs von uns überzeugt worden sei, sondern hartnäckig bei dieser Idee bleibe. Es kam nun allerhand zur Sprache, so auch, daß M. sich plötzlich weigere, Kinder zu bekommen, wohingegen sie früher ganz gegenteilig davon gesprochen hat. Wir haben ihm nach Kräften den Rücken gestärkt, – es muß jetzt biegen oder brechen. –

Dienstag, 17. August 1943.     

     Sizilien ist aufgegeben. Aus dem Heeresbericht kann man entnehmen, daß diese Insel bisher fast nur von Deutschen verteidigt worden ist, die Italiener haben sich offenbar nicht nennenswert daran beteiligt. – Was wird nun werden? Wird man ganz Italien bis zur Poo-Ebene aufgeben? Die nächsten Tage werden es zeigen. Es scheint mir aber so, als könne man schon nicht mehr die Poo-Ebene halten, – als müsse man zurück an die Alpen. Jedenfalls liegt ganz Süddeutschland dann unter der Macht der englisch-amerikanischen Luftangriffe, u. man kann alle Menschen, die man bisher aus dem Rheinland u. aus Hamburg dorthin evakuiert hat, wieder woanders hinbringen. Aber wohin?

     Zwischen Fritz + Margret immer noch keine Klärung. Dieses törichte Kind besteht auf seinem Kopf. Sie zeigt dabei, daß sie nicht nur kein Pflichtgefühl hat, sondern daß es ihr an Herz u. Gemüt fehlt. Sie gibt Fritz gegenüber frei zu, daß sie ihn nicht liebt u. wundert sich, daß er das nicht schon im Mai, – also gleich nach der Hochzeit, – gemerkt hätte. Sie weigert sich, Vernunft anzunehmen u. glaubt offenbar, daß es für sie wichtiger wäre, „Freiheit“ zu erlangen, wobei sie glaubt, frei zu werden, wenn sie fortläuft. – Unter diesen Umständen wird sie kaum zu halten sein, zumal wir nicht auf die Vernunft ihrer Mutter rechnen können, die ja den stärksten Einfluß hat. – Fritz quält sich schrecklich u. er tut mir sehr leid, – er hätte Besseres verdient. Doch weiß nur Gott, wozu das dient. –

     Dr. Röthig verabschiedete sich Morgens mit Frau u. Sohn mit nochmaligem Ständchen. Auch mußte er uns fotographieren, – wir taten ihm den Gefallen.

[9]
Mittwoch, 18. Aug. 1943.     

     Ich wachte um 1/2 2 Uhr auf von sehr starkem Motorengeräusch, das von schweren Bombern herrührte, die über uns hinweg flogen. Gegen 3/4 2 Uhr kam Martha zu mir, sie ängstigte sich. Sie will in Richtung Rostock Flakfeuer gesehen u. Detonationen gehört haben. Es mag sein, – ihre Fenster liegen in dieser Richtung, während ich in meinem Zimmer nur das Motorengeräusch hörte. Es müssen viele Hunderte von Flugzeugen gewesen sein, die immer in neuen Wellen anflogen aus Richtung Gjedser. Der Lärm ließ erst nach 1/2 3 Uhr nach. – Heute früh im Rundfunk wurde keinerlei Nachricht darüber bekannt gegeben. Ich fürchte, daß dieser Angriff Berlin gegolten hat. Es war klarer Mondschein u. fast windstill.

Sonnabend, 21. Aug. 1943.     

     Margret schien zur Einsicht gekommen zu sein, jedenfalls erklärte sie, auf ihr Studium verzichten zu wollen u. im Winter hier bleiben zu wollen, jedoch nicht, wie sie zu Fritz sagte, aus Liebe zu ihm, sondern aus Zwang. Ich hielt das noch immer für kindischen Trotz u. begnügte mich vorerst mit dem Sieg, den Fritzens Standhaftigkeit davongetragen hatte. Gestern nachmittag waren Frau Prof. Marie Seeberg mit ihren beiden Töchtern Stella u. Doris bei Fritz + Margret zum Kaffee. Margret hatte auch uns durch Fritz auffordern lassen, aber wir hielten es für besser, nicht hinzugehen. Fritz erzählte uns dann Abends, daß M. jetzt ganz vernünftig sei. Die drei Damen Seeberg, die wohl eine schwache Ahnung von dem Konflikt haben mochten, da Martha der sehr netten Doris gegenüber etwas davon gesagt hatte, sind rührend bemüht gewesen, Margret zur Vernunft zu bringen, wobei Stella auch eine positive Idee beisteuerte, indem sie Margret vorschlug, im Winter den Kindern der Forensen, die ja vermutlich in großer Zahl hier sein werden wegen der Bombenangriffe, wissenschaftlichen Unterricht zu geben. – Obwohl ich selbst nicht glaube, daß M. dazu überhaupt fähig ist, nahm sie diesen Gedanken doch mit Begeisterung auf, sodaß Fritz ihr versprach, daß er dafür sorgen wolle, daß sie in diesem Falle im Geschäft nicht im Geringsten beschäftigt werden würde. Es schien so, als sollte auf diese Weise der ganze Konflikt doch noch eine Lösung finden. – Heute früh traf aber ein Telegramm von Margrets Mutter aus Schwarzenberg ein, wo sich diese momentan aufhält. Es ist das ein kleiner Ort in den Alpen irgendwo in der Nähe des Bodensees. Sie telegraphierte, sie sei krank geworden u. Margret müsse sofort zu ihr kommen. Ich sagte zu Fritz, daß ich dieses Telegramm für eine abgekartete Sache zwischen Mutter + Tochter hielte u. daß es eine glatte Unverschämtheit sei, Margret zu rufen, während Fritz für 14 Tage hier im Urlaub ist. Es war das natürlich nur ein Gefühl von mir, doch erreichte ich damit, daß Fritz zurücktelegraphierte, daß Margret's Kommen während seines Urlaubs ausgeschlossen sei. Fritz bestätigte mir auch, daß Margret sich über das Telegramm u. die angebliche Erkrankung der Mutter nicht im Geringsten aufgeregt gezeigt hätte, obgleich sie heute wieder einmal selbst den ganzen Tag über die Kranke gespielt u. im Bett gelegen hatte. Auch diese Krankheit halte ich für Simulation. Heute abend nun kam Fritz in sehr aufgeregtem Zustande [10] zu uns u. berichtete, daß Margret heute Nachmittag, während Fritz im Geschäft war, an die Mutter einen Brief geschrieben habe, den sie, wie sie es mit all ihren Briefen u. Sachen macht, herumliegen ließ, sodaß Fritz in die Lage kam, einige Sätze daraus zu lesen. Sie schrieb darin, sie wüßte nun, daß ihre Ehe kaput gehen würde, sie bereute es, diese Heirat gemacht zu haben, u. das heutige Telegramm zeigte ihr, daß die Mutter sie verstanden hätte. – Daraus geht hervor, daß die Idee dieses Telegramms zwar nicht von Margret stammt u. sie das Telegramm nicht bestellt hat, daß sie aber schon vorher der Mutter in einem Sinne geschrieben hat, daß dieses Telegramm die Antwort darauf war. – Margret hat Fritz diesen Brief verschlossen zur Beförderung übergeben. Wir haben die Sache besprochen: Fritz wird den Brief nun in ihrer Gegenwart öffnen u. ihn lesen u. wird sie zur Rede stellen. Es ist damit bewiesen, daß sie gegen Fritz u. uns im höchsten Grade unehrlich ist u. ein doppeltes Spiel treibt. Sie hat damit endgültig die Voraussetzungen zu einer Ehe zerstört u. es zeigt sich kein Weg mehr, wie das längst erschütterte Vertrauen wieder hergestellt werden soll, nachdem wir alle bis zu diesem Augenblick besten Willens gewesen waren, einen solchen Weg doch noch zu finden. – Armer Fritz.!

     Von Martha Bahnson kam heute ein ausführlicher Brief aus Hamburg. Ihr Haus u. sie selbst mit Schwester sind unversehrt geblieben, die alte Mutter war zufällig in Flensburg bei ihrem Sohn. Es ist der erste Brief aus Hamburg, der mit Klarheit von den Ereignissen berichtet. Alles ist sehr grauenvoll.

     Heute Nachmittag kam das Gerücht auf, der König von Italien habe abgedankt, Kronprinz Umberto sei mit seiner Familie nach Belgien entflohen u. in Italien sei die Räterepublik ausgerufen worden. – Eine Bestätigung dieses Gerüchtes war aber nirgends zu erlangen.

Sonntag, 22. August 1943.     

     Heute früh Andacht. Ich hielt eine kleine Ansprache über das Sonntags-Evangelium vom reuigen Zöllner u. hoffärtigen Pharisäer. Jede Sünde geht auf Stolz u. Hoffart zurück. Eigenliebe. „Ich diene nicht!“ Dieses Thema konnte ich gut auf Margret ausmünzen.

     Mittags kam ein Freund u. Kriegskamerad von Fritz, Pastor Hilscher irgendwo in Schlesien, der momentan ein Kommando in Schwerin hat. –

     Fritz hat gestern Abend Margret wegen des Briefes an ihre Mutter zur Rede gestellt. Sie hat sich nicht weiter verteidigt, wollte bloß den Brief zurückhaben, doch hat Fritz ihn nicht gegeben. Er gab ihn heute morgen mir zur Aufbewahrung. Als Fritz heute morgen nach der Andacht rüberging, – M. war zur Andacht nicht gekommen, – fand er sie ihren Koffer packen, wobei sie weinte. Auf seine Frage antwortete sie, sie wolle nach Schwarzenberg zu ihrer Mutter fahren. Fritz wendete nichts dagegen ein. So ist sie heute Nachmittag abgefahren, ohne vorher das Bedürfnis gehabt zu haben, sich vor uns zu rechtfertigen u. sich von uns zu verabschieden. Was nun daraus werden wird, steht bei Gott, dessen Wille geschehe, Amen!

[11]
Montag, 23 Aug. 1943.     

     An Margrets Vater, Dr. Bohner, Brief entworfen mit ausführlicher Darstellung der Geschehnisse.

Mittwoch, 25 Aug. 1943.     

     Brf. an Dr. Bohner mit Schreibmaschine mit drei Durchschlägen geschrieben, drei eng geschriebene Seiten. Der Brf. geht heute eingeschrieben ab. –

     Gestern, bzw. vorgestern Nacht (Montag – Dienstag) Fliegerangriff auf Berlin. Die Flugzeuge flogen über uns weg mit dem üblichen Lärm, doch bin ich selbst nicht erwacht, da unsere Batterie vorher Nachtschießen veranstaltete u. man davon nicht schlafen konnte. Der Angriff auf Bln. scheint ziemlich schwer gewesen zu sein, doch habe ich Näheres noch nicht gehört.

     Die Russen haben Charkow genommen. Bei uns heißt es plötzlich, daß Charkow ganz unwichtig wäre. Warum haben wir es dann im Frühjahr, als wir diese Stadt schon einmal verloren hatten, mit so großen Machtmitteln zurückerobert? –

     An der Mius-Front scheint es ebenfalls nicht sehr gut zu stehen.

Donnerstag, 26. Aug. 1943.     

     Gestern Nachmittag erhielten wir die Anzeige des Geburt eines kleinen Mädchens Susanne des Ehepaares Arnold u. Barbara Klünder in Althagen. Barbara ist die Tochter von Koch-Gotha, der eine sehr reizende Anzeige gezeichnet hat. Heute habe ich in Gedichtform gratuliert.

     Ferner wurde gestern bekannt, daß Heinr. Himmler zum Innenminister ernannt worden ist. Der bisherige Innenminister Dr. Frick ist Reichsprotektor in Böhmen geworden an Stelle von Neurath, der nun endlich von diesem Amte entbunden worden ist, nachdem er es schon längst nicht mehr führte. – Die Ernennung Himmlers zum Innenminister wirkt überall niederschmetternd. Dieser Mann ist wohl der Meistgehaßteste unter allen Bonzen, selbst die Nazis u. sogar die SS, deren Chef er ist, hassen ihn. Diese Ernennung ist ein Symptom für den Ernst der Lage, man fürchtet Revolten, zu deren Niederschlagung man einen brutalen, rücksichtslosen Menschen braucht, besonders am Vorabend der zu erwartenden Angriffe auf Berlin. Der erste größere Angriff ist ja schon gewesen u. es scheint hauptsächlich Lichterfelde, Steglitz u. Schöneberg betroffen zu haben, also dieselben Stadtteile wie schon im März. Obgleich dieser Angriff schwerer gewesen zu sein scheint, hört man nicht viel davon, denn nach der furchtbaren Katastrophe von Hamburg erscheint das alles nicht mehr so schlimm.

     Gestern Abend spät kam noch Frau Margot Seeberg, Erich's Frau, um ihre u. ihres Mannes Empörung über Margrets Betragen auszusprechen. – Fritz ist heute früh 515 Uhr wieder abgefahren. Er war sehr niedergedrückt, der arme Kerl, nachdem er gestern noch einen höchst frechen Brief von Margret erhalten hat, den sie unterwegs in Rostock geschrieben hatte. Es scheint doch unmöglich, daß diese Sache sich wieder einrenken ließe.

Sonnabend, 28. Aug. 1943.     

     Gestern Abend war Prof. Erich Seeberg mit seiner Frau bei uns. Wir tranken einen Nahewein. Seebergs waren sehr bemüht, uns ihre Sympathie zum Ausdruck zu bringen u. ihre Empörung über Margrets Betragen. Wir besprachen eingehend die Maßnahmen, die von uns ergriffen werden könnten. Ich sagte, daß ich an Dr. Bohner einen aufführlichen Brief gerichtet hätte mit einer genauen Schilderung der Vorgänge u. daß ich diesen Brief verfaßt hätte in der Absicht, für den äußersten Fall eine brauchbare Unterlage für den Rechtsanwalt zu haben. Seeberg fand das gut. Wir besprachen, was sonst noch geschehen könne u. Seeberg meinte, ich solle garnichts tun, um Margret u. ihre Mutter im Ungewissen zu lassen. Margret würde dadurch [12] unsicher werden u. schließlich von selbst zurückkommen. Ich hielt dem entgegen, daß Margret inzwischen an Fritz schreiben würde, u. zwar in derselben unverschämten Haltung, mit der sie bereits bei ihrer Abreise von Rostock aus an ihn geschrieben hatte. Anstatt ihr Unrecht einzusehen, machte sie ihm noch Vorwürfe. Es besteht aber bei Fritzens weicher Gemütsart die Gefahr, daß er nachgibt. Außerdem wird Margret, wenn sie wirklich zurückkommen sollte, sicher ihre Mutter mitbringen u. wir hätten dann zwei Teufel im Hause. Aus diesen Ueberlegungen heraus hatte ich bereits einen Brief an Margret entworfen. Derselbe ist von äußerster Schärfe. Ich sagte Seeberg diese Bedenken u. laß ihm dann den Briefentwurf vor. Er fand ihn ganz ausgezeichnet u. überzeugte sich, daß ich mit meiner Ansicht Recht hätte, u. redete mir sehr zu, diesen Brief abzusenden. Ich werde ihn morgen mit der Maschine schreiben u. Fritz einen Durchschlag senden. – Seebergs gingen erst um 12 Uhr fort, es war sonst ein sehr angenehmer Abend. –

     Heute wurde bekannt, daß König Boris von Bulgarien gestorben sei. Er war ein großen Freund Deutschlands u. es besteht Gefahr, daß durch seinen Tod die Politik Bulgariens geändert werden könnte.

     In der letzten Nacht wurde Nürnberg bombardiert.

Sonntag, 29. August 1943.     

     Heute früh sehr schöne Andacht: Zugegen war Frau Monheim u. aus dem Aquinatahaus Schw. Maria, Frau Ruthe u. Vater u. Schwester von Kaplan Heimann. Ich sprach über die Demut Gottes. Das Sprechen wird mir von Mal zu Mal leichter u. ich fühlte heute besonders, daß die Zuhörer mir folgten.

     Nach der Andacht kam der Verlobte unserer Trude, um sich vorzustellen. Er ist Matrosengefreiter aus der Gegend von Jena, wo seine Eltern anscheinend ein größeres Anwesen besitzen oder gepachtet haben. Er war in blauer Uniform, ein 23jähriger, hübscher, sehr adrett aussehender junger Mann, der auch von seinem Vorgesetzten, Oblt. Dr. Krappmann, das beste Zeugnis hat. Er ist jetzt nach Stralsund kommandiert zur U-Boot-Ausbildung, die aber zwei Jahre dauert, sodaß er hoffentlich nicht mehr in die Lage kommt, zu fahren. Zu unserer größten Ueberraschung stellte sich heraus, daß er katholisch ist u. zwar ein treuer Katholik, der erwartet, daß seine Trude es ebenfalls werden wird. Wir haben nun über diesen Weg ein neues Interesse an diesem Kinde. –

     Nach Tisch den Brf. an Margret in die Maschine geschrieben u. einen Brf. an Fritz. Währenddem kamen 2 Schwestern aus Müritz mit 3 Dienstmädchen, die natürlich bei uns Kaffee trinken wollten. Martha, die garnicht wohl war, hatte zwar vorher geschlafen, doch war sie sehr angestrengt. Ich nahm ihr die Kaffeebereitung ab, aber sie mußte dann doch mit allen in die Bunte Stube. Als sie nicht zurück kam, ging ich auch rüber u. traf sie in der Tür in sehr schlechtem Zustand. Sie sagte, daß sie ohnmächtig geworden sei u. man sah, daß sie hingefallen war. Ich brachte sie gleich wieder ins Bett. Es ist ein Glück, daß wir uns entschlossen haben, Montags das Geschäft nicht zu öffnen, so hat sie bis Mittwoch Zeit, sich zu erholen. Die Sache Fritz-Margret hat sie doch sehr mitgenommen. Uebrigens war es sehr drollig, daß wir heute früh feststellten, daß wir für heute überhaupt nichts zu essen hatten. Da kam um 9 Uhr früh die junge Frau Wewoldt aus Althagen u. brachte uns ein fettes Huhn, das wir braten konnten.

     Während die Müritzer Schwestern da waren, kam Frau Vogt mit ihrer Tochter, der ich neulich 300 Rm. geliehen hatte, da [13] sie kein bares Geld besaß, um den Umzug der Tochter aus Dresden nach hier zu bezahlen. Sie brachte jetzt das Geld zurück. Die Tochter wird im Winter hier bleiben. –

     Der Tod des Königs Boris von Bulgarien scheint für uns gefährlich zu werden. Die Telephonverbindung mit Bulgarien ist gesperrt, es sollen Demonstrationen für den Frieden stattgefunden haben. – In Dänemark soll Ausnahmezustand herrschen, auch dort ist das Telephon nach Schweden gesperrt u. Aktionen gegen unsere militärischen Einrichtungen sind unter Todesstrafe gestellt. Es krieselt immer mehr. – Uebrigens ist dieser plötzliche Tod des Königs Boris sehr verdächtig. Man erfährt nicht, woran er erkrankte, es wurde nur die Tatsache seiner Erkrankung berichtet, u. dieser Meldung folgte die Nachricht von seinem Tode sehr rasch, ich glaube drei Tage später. Sollte er ermordet worden sein? Es sind in Bulgarien in letzter Zeit ja viele andere, politische Morde vorgekommen. Ein Mord scheint mir sehr wahrscheinlich.

Montag, 30. Aug. 1943     

     Martha lag den ganzen Tag im Bett. Sie sieht schlecht aus, Durchfall, klagt über Kopfschmerzen. – Ich mußte mich um Jens kümmern, mußte Mittag= u. Abendessen machen, da auch Trude nicht gekommen war. Zum Ueberfluß ist noch die Tochter von Frau Charlotte Schmitt, Jutta, zu uns gekommen, da Frau Schmitt plötzlich nach Berlin mußte. – Von P. Dubis ein Brief. Er teilt mit, daß das schöne Aquinatahaus in Bln-Südende nicht mehr steht, es ist dem letzten Bombenangriff zum Opfer gefallen. Ebenso ist das Altersheim in Lichterfelde total abgebrannt. Die Sr. Oberin ist immer noch unterwegs, wahrscheinlich in Sachsen, irgendwo im Erzgebirge, wo die alten Leute aus Südende untergebracht sein sollen. Sr. Marie-Luise ist mit anderen alten Leuten in Schweidnitz in einem Reservelazarett untergekommen, drei Tage u. drei Nächte im Viehwagen. Merkwürdig ist, daß Sr. Maria, die hier ist, von all dem bisher überhaupt nichts weiß. Vielleicht weiß nicht einmal die Oberin etwas. P. Dubis schreibt, daß Tempelhof, Mariendorf, Marienfelde, Lichterfelde, Steglitz, Südende, Schöneberg, Wilmersdorf u. Charlottenburg besonders betroffen seien, im Westen der Stadt besonders Innsbrucker Platz, Fehrbelliner Platz u. die SS Kaserne in Lichterfelde, d.h. die alte Hauptkadettenanstalt.

     Mit Jens an Hildegard geschrieben, die am 2. Sept. Geburtstag hat. Sie wohnt dicht am Fehrbelliner Platz. –

Dienstag, 31. August 1943.     

     Heute hatte ich die erste Stunde Biblische Geschichte. Ich war von der Teilnahme überrascht: es waren acht Kinder, außer Jens und Lothar Krappmann lauter Mädchen. Lothar u. zwei andere Mädchen waren davon Katholiken, sie fielen sehr auf mit ihren Kenntnissen, mit denen die anderen nicht mitkonnten. Obwohl ich mich gut vorbereitet hatte, merkte ich doch, daß es noch nicht genügte, ich muß mich viel gründlicher vorbereiten. Martha saß mit Trude dabei u. hörte zu, sie fand es sehr schön u. war sehr zufrieden, u. die Kinder waren ebenfalls mit starkem Interesse bei der Sache u. machten lebendig mit. Es war wirklich sehr reizend, aber es muß noch viel besser werden. Weil zwei von den Mädchen am Dienstag bis 4 Uhr Handarbeitsunterricht haben, müssen wir diesen Unterricht auf Montag u. Donnerstag verlegen, sodaß der nächste Unterricht am Donnerstag stattfinden wird. Ich erzählte die Schöpfungsgeschichte u. erklärte die Notwendigkeit des Betens.