Textdaten
Autor: Hans Brass
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: TBHB 1943-06
Untertitel:
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1943
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Vorlage:none
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort:
Übersetzer:
Originaltitel: Juni 1943
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom Juni 1943
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
unvollständig
Dieser Text ist noch nicht vollständig. Hilf mit, ihn aus der angegebenen Quelle zu vervollständigen! Allgemeine Hinweise dazu findest du in der Einführung.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


Einführung

Bearbeiten

Der Artikel TBHB 1943-06 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Juni 1943. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 7 Seiten.

Tagebuchauszüge

Bearbeiten
[1]
Donnerstag, 3. Juni 1943.     
Christi Himmelfahrt.     

     Dienstag Abend bei Dr. Grimm. Ich war zum ersten Male bei ihm, seitdem er das kleine Haus bewohnt, welches das ehemalige Waschhaus ist, welches er sich sehr geschickt ausgebaut hat. Wir saßen in einer geschlossenen Veranda, die den Ausblick nach Norden zum Darsser Ort u. nach Westen über die See hat. Für denjenigen, der das liebt, ist die Lage des Hauses hart am Strande recht reizvoll, für mich ist das nichts. Man hat zu wenig das Gefühl der Geborgenheit im Hause, man fühlt sich der ungebändigten Natur zu sehr ausgeliefert; aber das ist ja die Sehnsucht der Großstädter! Sieburg hat wohl recht, wenn er meint, daß es die Sehnsucht aller Deutschen sei im Gegensatz zu den Franzosen, welche mehr die kultivierte Landschaft lieben. Wenn dem so ist, dann fühle ich deutlich meine französische Abstammung. Ich liebe diese Landschaft hier nicht, welche immer unbestimmt u. in Licht oder in Nebel oder in Dämmerung zu zerfließen scheint, ohne klare Konturen u. Grenzen. Die Landschaft ist ganz unkultiviert u. wild, es ist eine barbarische Landschaft. – An jenem Abend kam das besonders stark zum Ausdruck, da sich der Himmel eingetrübt hatte u. da es begann, zu nieseln, sodaß auch der Horizont nicht mehr zu sehen war. Man sitzt dann vor einer grauen Unbestimmtheit wie vor einem Abgrund, der ins Nichts zerfließt. – Wir saßen hart auf unbequemen Bänken u. tranken einen ziemlich sauren Rheinwein. Zum Glück ist Dr. Grimm ein lebhaften Mensch, der viel spricht, sodaß es zwar nicht sonderlich interessant war, seinen Reden zuzuhören, aber die Zeit verlief wenigstens rasch. Auf dem Nachhauseweg nieselte es noch, um 1/2 12 Uhr waren wir wieder daheim. – Solche Verpflichtungen sind höchst lästig. –

     Am Montag haben wir zum ersten Male das Geschäft geöffnet gehabt. Es war ziemlich lebhaft durch die Filmleute, die augenblicklich hier sind. Es wird ein Film gedreht, der um 1900 spielt u. eigentlich auf Helgoland spielt, wo man aber jetzt im Kriege nicht filmen kann. Henni Porten spielt mit u. ist wohl die Kanone. –

     Herr Hülsmann ist da u. hatte sich zu heute abend angesagt, doch sagte er nachmittags wieder ab. Wir waren sehr froh, denn heute Nachmittag war die Preisprüfungs=Kommission bei uns u. fand allerhand auszusetzen. Trotzdem kamen wir einigermaßen glimpflich davon, denn die beiden Herren in Civil waren ziemlich wohlwollend, nur der dazugehörige Polizeimann war ein rechter Büttel, der uns am liebsten in hohe Strafe genommen hätte, weil wir einige kunstgewerbliche Gegenstände zu hoch kalkuliert hatten. Zum Glück waren wir vorher von anderen Geschäftsleuten benachrichtigt worden, sodaß wir vorher den Laden ziemlich leer räumen konnten. Als die Kommission kam, war kaum noch Ware im Geschäft. Wir werden wahrscheinlich einen Verweis bekommen, u. werden uns in Zukunft noch mehr vorsehen müssen. Es ist nur tröstlich, daß dieses Regierungssystem bald sein Ende gefunden haben wird. Aber die Sache hat uns doch sehr mitgenommen u. besonders Martha war sehr aufgeregt, – was aber sehr gut war, denn sie erregte so das Mitleid der beiden Herren.

[2]
Sonntag, 6. Juni 1943     

     Wir haben das Geschäft noch weiter leer geräumt, weil zu erwarten ist, daß die Preisüberwachung nocheinmal wiederkommt. Freitag abend war Frl. Neumann bei uns u. erzählte von ihren Erlebnissen mit dieser Kommission im Kurhause, wo diese Leute nicht weniger als sechs Stunden lang den ganzen Betrieb durchgeschnüffelt haben. Sie haben sich dort gradezu unverschämt benommen, während sie bei uns ziemlich harmlos waren. Frl. N. hat, als die Leute endlich fort waren, einen regelrechten Nerven-Zusammenbruch gehabt. Es läßt sich das denken, nachdem wir schon nachher total erschöpft waren, obwohl sie nur etwa eine halbe Stunde bei uns waren.

     Gestern Abend suchte uns überraschend Hülsmann auf u. es trat ein, was ich schon befürchtet hatte. Aus kurzen Gesprächen am Gartenzaun u. in meinem Zimmer, wohin er schon vorher gekommen war, um sich gelegentlich Cigaretten zu holen, hatte ich bereits die Vermutung gehegt, daß es mit seiner Ehe nicht mehr stimmt denn seine Frau ist schon seit längerer Zeit hier bei ihrer Freundin Mary v. Paepke, der sie im Hause hilft u. er selbst fragte mich immer wieder nach der Stellung der kathol. Kirche zum Ehescheidungs=Problem, obgleich ihm diese Stellung offenbar sehr genau bekannt ist. Auch aus anderen Bemerkungen konnte ich den Grund dieses Interesses unschwer erkennen. Gestern Abend nun fing er gleich wieder ein Gespräch über kathol. Glaubensfragen an u. zwang dann das Gespräch auf diese Ehescheidungsfrage. Plötzlich erklärte er mir rund heraus, daß er meine Ansicht u. meinen Rat hören wolle u. daß er mir sein Herz ausschütten müsse. Martha ging darauf gleich zu Bett u. ließ uns allein. – Es ist nun so, daß seine Frau schwer Lungenkrank gewesen ist u. deshalb eine Zeit lang in Davos sein mußte. Beide haben geheiratet mit dem Vorsatz, keine Kinder zu haben, da die Aerzte der Ansicht sind, daß die Frau Kinder nicht bekommen dürfe. Vor zwei Jahren, als das Ehpaar zuletzt hier war, habe sich bereits irgendwie eine Entfremdung eingestellt, – einen Grund konnte er nicht angeben. Im Winter darauf (oder im letzten Winter?) habe er dann eine junge Studentin kennengelernt, ein gesundes, kräftiges Mädchen, u. er habe sofort gefühlt, daß diese ihm zum Verhängnis werden würde. Diese Bekanntschaft hat dann auch bald zu einem Liebesverhältnis geführt u. seitdem sei er ganz einfach von dem Verlangen besessen, von diesem Mädchen ein Kind zu haben. Er hat schließlich diese Sache seiner Frau gebeichtet, jedoch nicht so vollständig, daß seine Frau klar erkennen kann, daß er die Absicht habe, sich scheiden zu lassen u. die andere zu heiraten. Uebrigens scheint er sich selbst darüber nicht ganz klar gewesen zu sein. Um diese Klarheit zu gewinnen, hat er nun zwischen sich u. jenes Mädchen diese Trennung gelegt; aber er erklärte mir, daß er nun bald nach München zurückkehren wolle, weil er die Trennung nicht länger ertrüge. – Und nun wünscht er von mir meinen Rat u. meine Ansicht. – Ich habe ihm geantwortet, daß ich mir eine Antwort erst reiflich überlegen müsse u. damit ist er dann auch zufrieden gewesen. – Doch was soll ich sagen? Er erklärt mir, daß diese ganze Situation seine Kräfte verzehre, sodaß er seit einem Jahre künstlerisch unproduktiv sei. Ich kann mir das denken. Ich kann ihm aber doch einen Rat nur auf Grund meiner kathol. Ueberzeugung geben u. dieser Rat kann nur lauten: Verzichten Sie auf jenes Mädchen mitsamt dem Kinde, verzichten Sie notfalls auf ihre künstlerische Produktion, ergreifen Sie dann einen bürgerlichen Beruf, was ihm nicht schwer fallen kann, da er im Grunde so wie so eine starke Neigung zur Bürgerlichkeit hat u. da er einer Bremer Kaufmannsfamilie entstammt, die in als verlorenen Sohn betrachtet u. ihn [3] mit offenen Armen aufnehmen wird, falls er zurückkehren will, bleiben Sie bei Ihrer Frau, von der Sie sich ja ruhig für einige Zeit räumlich trennen mögen, – u. bleiben Sie auf diese Weise frei von Schuld. – Nach dem, was mir H. andeutete, wird seine Frau eine Scheidung nur sehr schwer oder garnicht überleben. Ob ihm jenes Mädchen das ersehnte Kind schenken wird, ist ja noch nicht bewiesen, – u. wenn sie es tut, so ist noch nicht gewiß, ob dieses Kind ihm zur Freude gereichen wird. Die sinnliche Leidenschaft aber wird irgendwann einmal verrauscht sein, – u. was bleibt dann? Im besten Falle eine brave Mutter einiger braver Kinder u. auf jeden Fall eine schmerzhafte Stelle in seiner Seele, – doch kann dann auch diese Mutter weniger brav sein, vielmehr eine ganze Reihe von trüben Stellen aufweisen, die Kinder können mißraten, die wirtschaftliche Last wird groß sein, – jetzt lebt H., wie er mir selbst sagte, größtenteils vom Vermögen seiner Frau, – nachher soll er seinen eigenen Unterhalt allein bestreiten, dazu den für die Mutter u. den für die Kinder, u. je mehr diese Last drückt, um so drückender wird dann die Gewissenslast sein. Da H. ganz offensichtlich eine große Sehnsucht hat, mit Gott in Frieden zu leben, so wird er sich um so mehr in Schuld stürzen u. er wird sich den Weg zum Katholizismus, mit dem er so lange schon liebäugelt, gänzlich verbauen. – Alles das muß ich ihm sagen, – u. weiß doch, wie schwer es ist, einen Mann, der von sinnlicher Leidenschaft ergriffen ist, von diesem Weg zurückzureißen. –

     Politisch hat sein einer Woche eine große Propaganda=Aktion begonnen mit dem Ziel, zu beweisen, daß die Engländer mit dem Bombenkrieg auf offene Städte begonnen hätten. Die Engländer antworten u. beweisen das Gegenteil. Gestern hat nun eine große Sportpalast-Versammlung in Berlin stattgefunden, in der Reichsminister Speer zuerst dargelegt hat, wie ungeheuer die Vermehrung der Rüstungsindustrie seit seiner Berufung zum Minister fortgeschritten sei, u. dann ergriff Herr Goebbels das Wort. Seine Ausführungen ließen durchblicken, daß nun von uns aus Vergeltungsangriffe gegen England erfolgen würden. Er sagte: Terror kann nur mit noch größerem Terror bekämpft werden. Wir werden es nun also erleben. Man spricht von neuen Preßluft-Granaten, die eine ungeheuerliche Wirkung haben sollen. Natürlich werden die Engländer entsprechend antworten u. damit dürfte dann der endgültige Untergang der Reste jener Städte besiegelt sein, die bisher schon fast ganz zertrümmert sind. Der Wahnsinn wird nun total werden. –

     In Argentinien ist Revolution ausgebrochen u. der bisherige achsenfreundliche Präsident ist geflohen. Also wird uns dieses Land nun auch den Krieg erklären.

     Churchill ist aus Amerika, wo er lange Zeit war, über Nordafrika nach England zurückgekehrt. In Afrika hat er sich eine Woche aufgehalten. Auch von dort her wird es nun bald losgehen.

     Der U=Bootkrieg ist katastrophal zurückgegangen. Von ihm hat Herr Goebbels gesagt, er wäre unser Griff an Englands Kehle, – aber dieser Griff ist sehr locker geworden u. er wird im Laufe der Zeit wohl noch lockerer werden. Deshalb braucht man nun etwas Anderes u. dieses Andere soll das nun beginnende Bombardement sein.

Dienstag, 8. Juni 1943.     

     Martha's Geburtstag. Festlicher Frühstück mit Bohnenkaffee und Käse, der von Fritz geschickt ist u. weichen Eiern. Margret war dabei. Auf dem Geschenktisch von mir ein silber=vergoldetes Armband, italienische Filigranarbeit, welches vor einigen Tagen mit anderen, ähnlichen Dingen von der Firma Henzog Seifert aus Hamburg grade zur rechten Zeit eintraf. Fritz u. Margret schenkten ein Paar entzückende Handschuhe aus Glacé-Leder, Parfüm, Seifenpulver u. ein Buch. Ruth rief aus Regensburg an während des Frühstücks. Dieses verlief sehr angeregt bei der eingegangenen [4] Post, deren Hauptteil wohl erst am Nachmittag kommt. Es ergab sich im Gespräch, daß zwischen Fritz u. Margret eine kleine Verstimmung herrscht, hervorgerufen durch Fritzens leider vorhandenen Minderwertigkeitskomplex gegenüber den Leuten mit akademischer Bildung, zu denen Margret natürlich ein ganz selbstverständliches Zugehörigkeitsgefühl hat, – insbesondere, so weit es sich um Mitglieder ihrer Familie u. des hiesigen Forensenkreises handelt. Es muß versucht werden, dergleichen Spannungen auszugleichen. –

     In der Sache des Malers Hülsmann habe ich am Sonntagabend meinen Standpunkt schriftlich formuliert u. habe ihm diese Niederschrift gestern übergeben. Es scheint, als wäre das nicht ohne gute Folgen. Möge ihm Gott helfen.

     Seit gestern regnet es unaufhörlich. Es holt alles nach, was bisher an Feuchtigkeit gefehlt hat. Gestern wurde uns bekannt, daß die Preisprüfungs-Kommission ab heute bis Donnerstag Zimmer im Baltischen Hof belegt hat. Es wird also heute diese Preisschnüffelei wieder losgehen. Gestern abend haben wir nochmals einige Preise in der Textilabteilung revidiert, hoffentlich wird es diesmal alles klappen.

Sonnabend, 12. Juni 43.     

     Das Wetter ist wieder schön geworden. Sommerliche Temperatur, Sonnenschein. Morgen ist Pfingsten. Heute im Geschäft sehr lebhaft. Die Leute kaufen, nur um ihr Geld los zu werden. Die Preisprüfungskommission ist nicht wieder bei uns gewesen. Tageskasse heute 1033,– Rm., obwohl wir nur von 4 – 7 Uhr geöffnet haben.

     Herr Beichler war nach Geschäftsschluß eine Viertelstunde bei uns mit seiner Pflegetochter, Frau Gerda Knecht. Wir saßen etwas vor dem Hause u. er erzählte vom letzten Angriff auf Wuppertal, der furchtbar gewesen sein muß. Er ist Unteroffizier bei der Artillerie in Osnabrück u. zwei Wachtmeister seiner Truppe sind aus Wuppertal. Sie haben erzählt, die Engländer hätten nicht mehr wie bisher Phosphor in Kanistern abgeworfen, sondern sie hätten das Phosphor direkt aus den Flugzeugen gespritzt, sodaß ein Feuerregen niedergegangen sei, der alles vernichtet hätte, sogar das in dieser Stadt verwendete Holz=Asphaltpflaster hätte gebrannt, sodaß die Menschen nicht aus den Häusern herauskonnten. Die Leute sollen in die Wupper geflüchtet sein.

     Ueber die allgemeine Lage konnte er auch nichts Neues sagen, doch meinte er, daß bald etwas Furchtbares geschehen würde. Von seinem Truppenteil ginge der Ersatz nach ganz merkwürdigen, Gegenden, er sagte aber nicht, wohin. Sonst hat er dieselbe Vorstellung wie wir auch, daß nämlich die gegenwärtige Stille an der Ostfront sehr unheimlich wäre. Er wußte aber offenbar nicht mehr wie wir auch.

     Gestern Abend wurde bekannt, daß Pantelleria gefallen sei.

     Prof. Erich Seeberg hat Schlaganfall gehabt u. ist hier eingetroffen. Rechtsseitige Lähmung. Er ist Anfang 50. – Sehr früh!

     Von Pfr. Dobzcynski bekam ich heute ein kleines Heftchen über das Bußsakrament, das er verfaßt u. auf einer Vervielfältigungsmaschine vervielfältigt hat. Es soll für den sog. Beichtunterricht dienen u. ist wirklich sehr gut. Es ist rührend, welche Mühe sich dieser Mann gibt.

Pfingstsonntag, 13. Juni 1943.     

     Morgens hatten wir eine besonders schöne Andacht. Die ersten Rosen aus dem Garten auf dem Altar. Als Gast war ein kleines, etwa 10 Jahre altes Mädchen aus Duisburg bei uns, welches von Frau Kuhnke für die Ferien hierher gebracht worden ist, ein reizendes Kind, fromm u. lieb. Die Gegenwart dieses Kindes gab mir viel [5] Antrieb bei meiner sonntäglichen Ansprache, die diesmal besonders gut ausfiel. – Nachher langen Brief an Fritz geschrieben.

     Am Nachmittag war Prof. Heydenreich mit Frau hier. Dieser sehr kranke u. müde junge Mann enttäuscht jedesmal. Ich glaubte, daß er Interessantes aus Italien zu berichten haben würde, aber es war nichts. Offenbar ist er so müde u. kränklich, daß er nicht mehr ordentlich auf einem Stuhl sitzen kann. Von Zeit zu Zeit unterdrückt er ein Gähnen – oder er gähnt herzhaft los u. was er spricht, kommt gequält heraus. Es war eine langweilige Sache u. schade um den Nachmittag, obgleich sich Martha viel Mühe gegeben hatte, einen netten Kaffeetisch zu decken.

     Auch Lampedusa u. noch eine andere kleine Insel ist von den Amerikanern genommen worden. Gestern wurden Bremen, Kiel u. wieder Bochum bombardiert, drei Städte auf einmal.

Mittwoch, 16. Juni 1943.     

     Gestern Abend war Frau Smith bei uns. Sie wollte Anfang dieses Monats mit dem Konvertiten-Unterricht beginnen, doch scheint es da noch mannigfache Hindernisse wirtschaftlicher Natur zu geben. Sie hat zum Schein ihr Haus in Berlin vermietet u. hat sich hier polizeilich angemeldet, um der Verfügung zu entgehen, daß die Besitzer von Sommerhäusern in Badeorten sich nicht länger als drei Wochen in ihren Häusern aufhalten dürfen. Diese Verfügung, welche erlassen worden ist, um angeblich Ungerechtigkeiten gegen solche Menschen zu vermeiden, welche keine Sommerhäuser besitzen u. die ebenfalls sich nicht länger wie drei Wochen im Badeort aufhalten dürfen, stellt in der Tat einen unerhörten Eingriff in das Privateigentum dar u. erregt überall die größte Erbitterung. Im Falle Smith erklärt nun der Bürgermeister in Althagen, daß die Vermietung ihres Berliner Hauses nur eine Scheinaktion sei, zur Umgehung jener Verfügung, womit er natürlich Recht hat, besonders, nachdem Frau S. das Haus an ihren eigenen Mann vermietet haben will, von dem sie sonst getrennt lebt. Auf diese Weise sprach sie gestern zum ersten Male überhaupt von der Existenz dieses Mannes, der Filmregisseur sein soll. Da sie nicht gerichtlich geschieden ist, sagt der Bürgermeister mit Recht, daß die Frau ihren ständigen Wohnsitz dort habe, wo der Mann ihn hat, also Berlin u. nicht Althagen. Es ist nun also unklar, ob Frau S. überhaupt hier bleiben kann, jedenfalls wird sie Anfang Juli erst wieder nach Bln. fahren u. bis in den August hinein dort bleiben. Unter diesen Umständen habe ich ihr gesagt, es hätte keinen Zweck, mit dem Unterricht zu beginnen, ehe diese Frage geklärt wäre u. ich nicht die Sicherheit hätte, daß sie wirklich erst einmal eine längere Zeit hindurch dem Unterricht beiwohnen könnte. Jetzt zwei bis drei Unterrichtsstunden zu geben, dann eine wochenlange Pause machen, um in einer ungewissen Zeit den Unterricht wieder aufzunehmen, das ist sinnlos. Ich bedaure das sehr, denn ich hatte mich auf diese Sache schon sehr eingestellt, aber offenbar ist es noch nicht so weit. – Martha machte der Frau S. den Vorschlag, ihr Haus von Anfang Juli bis Anfang August an das Ehepaar Krappmann zu vermieten. Da sie nicht abgeneigt war, rief Martha Krappmanns an, die auch beide sofort per Rad herüberkamen, sodaß eine vorläufige Einigung erzielt werden konnte. –

     Dr. K. ist der Ansicht, daß in der nächsten Zeit von uns gegen England ein schwerer Schlag geführt werden würde u. daß man dann möglicherweise dadurch ein Nachlassen der englischen Luftangriffe erzielen würde. Das halte ich für ausgeschlossen. Sicher werden wir einen Schlag führen, aber England wird dann noch schwerer zurückschlagen u. es wird eine grauenhafte Sache entstehen.

[6]
Dreifaltigkeits-Sonntag, 20. Juni 43.     

     Donnerstag Abend sehr anregender Besuch von Dr. Sinn aus Neubabelsberg u. des Ehepaares Justus u. Charlotte Schmitt. Wir tranken zwei Flaschen von dem Metwein, den wir gelegentlich von Marthas Freundin Betty Thomas, geb. Hinze, aus Thorn bekommen haben u. den zu trinken ich mich bisher nicht getraut habe. Er erwies sich als sehr wohlschmeckend u. würzig. Justus Schmitt konnte uns aus seiner polnischen Erfahrung belehren, daß dieser Wein ein polnisches Getränk sei, der mit Honig bereitet wird u. eigentlich heiß getrunken werden soll. Wir werden nun eine dritte Flasche, die wir noch haben, zum Winter aufheben u. sie dann heiß trinken.

     Dr. Sinn steht dem Nationalsozialismus sehr positiv gegenüber, doch ist er zu intelligent, um nicht seine Fehler zu sehen, vor allem die furchtbare Korruption bis in die höchsten Stellen, die immer größere Dimensionen annimmt. Er sieht auch, daß diese ganze Sache mitsamt diesem Kriege verloren ist, einen Ausweg aber sieht er nicht. Der Abend war sehr angeregt u. interessant.

     Am Freitag Abend war Frl. Schneider bei uns welche Schwester in Hannover ist, wo sie die Wirtschaft eines sehr großen Krankenhauses leitet. Auch sie ist PG, jedoch nur dem Namen nach. Im Bruder ist SS=Mann, ehemals aus Idealismus, heute aus bitterem Zwang. Auch sie wußte interessante Dinge von der SS u. der Partei zu berichten, teilweise recht grauenhafte Sachen.

     Im Geschäft ist sehr viel zu tun, – die Leute kaufen alles, bloß um zu kaufen. Kassen von 1000,– Rm., die früher in achtstündiger Arbeitszeit seltene Ausnahmen bilden, sind heute bei dreistündiger Arbeitszeit fast die Regel. Martha will morgen nach Hamburg fahren, um zu versuchen neue Waren zu bekommen, denn unser Vorrat geht bedenklich zur Neige.

     Heute hatten wir wieder eine schöne Morgenandacht mit der kleinen Christa, die ein liebes, frommes Kind ist. –

     Heute telephonierte Martha mit der Oberin Gertrud van Beeck in Berlin. Sie sagte, daß sie große Schwierigkeiten mit der jungen Frau Claassen habe, der Erbin des Hauses in Ahrenshoop. Diese Frau scheint eine Feindin des Katholizismus zu sein, jedenfalls stellt sie große Ansprüche, sodaß es zweifelhaft erscheint, ob die Schwestern in diesem Jahre wiederkommen oder vom Pachtvertrag zurücktreten. Damit wäre unsere Aussicht auf regelmäß. Gottesdienst dahin, – es wäre das überaus traurig. Der Oberin scheint es nicht gut zu gehen, sie machte am Telephon einen müden Eindruck.

Donnerstag, 24. Juni 1943.     

     Seit Montag ist Martha nach Hamburg gefahren, um dort vielleicht Waren einkaufen zu können, denn wir haben wirklich kaum noch etwas. Sie fuhr um 215 Uhr mit Johannsen. Gestern Abend rief sie aus Hamburg an, wo sie bei Otto ist. Einmal hat sie Fiegeralarm gehabt, nachts, doch wurden keine Bomben geworfen. Am kommenden Dienstag will sie zurück sein, nachdem sie vorher noch in Berlin war, wohin Ruth ihre Kinder bringen will. Sie bringt dann die Kinder mit hierher. –

     Dr Sinn verabschiedete sich gestern, er fährt heute. Er war sehr niedergeschlagen über schlechte Nachrichten aus dem Bombengebiet Westdeutschlands, wo er ja viele Verwandte hat. Die Bombenangriffe werden in dieser Gegend immer schlimmer. Es fällt auf, daß Herr Dr. Goebbels in diese Gebiete geschickt wird, um dort Reden zu halten, während Hermann Goering, den das doch in erstes Linie angehen [7] sollte, überhaupt nicht mehr zu sehen ist.

     Ich lese: Rudolf Thiel „Luther“, ein sehr anregendes, zweibändiges Werk. – Heute mein Namenstag.

[7]
Dienstag, 29. Juni 43.     

[7]      Heute kommt Martha zurück, ich erwarte sie gegen 2 Uhr oder früher. –

     Am Sonntag war unsere kleine Andacht sehr still, denn nur Margret u. die kleine Christa, das Kind aus dem Ruhrgebiet, waren zugegen. Ich stellte zu meiner Freude fest, daß Margret die Antworten im Staffelgebet bereits gut sprach. Wir feierten Fronleichnam u. ich versuchte, den Sinn dieses Festes darzulegen u. die Forderungen, die sich für uns daraus ergeben. Sowas ist immer etwas trocken u. lehrhaft, aber ich bemerkte doch, daß Margret aufmerksam zuhörte. – Die kleine Christa fährt heute wieder nach Hause. Ich bedaure das, denn dieses gute, fromme Kind gab unseren Andachten einen innigen Ton. Gestern war sie in der Bunten Stube u. verabschiedete sich. Bei ihr war eine ältere weibliche Person, die sich als Katholikin zu erkennen gab u. nach einem Gottesdienst fragte. Es ergab sich, daß sie Pflegeschwester für Frau Kuhnke war, die nun ja ihrer Entbindung entgegensieht. Sie schien offenbar anzunehmen, daß unsere Andachten eine öffentliche Einrichtung seien u. fragte nach der Zeit. Ich sagte ihr, daß es sich um eine private Familienangelegenheit handele, zu der ich sie aber einlud, falls sie es wünschte. –

     Gestern erhielt ich von Fritz eine Nachricht, daß jetzt alle Offiziere, die mehr als zwei Jahre in Frankreich sind, nach dem Osten versetzt werden u. daß dies auch für Mannschaften demnächst verfügt werden würde. Es sind bereits entsprechende Erhebungen in dieser Hinsicht bei ihm gemacht worden. Er hofft zwar, daß es sich um reinen Austausch handelt u. er im Osten auch wieder als Buchhändler eingesetzt werden wird, doch scheint mir das mindestens zweifelhaft. – Die Sache beunruhigt ihn sehr, zumal er auch andeutet, daß zwischen ihm u. Margret irgendetwas unklar ist. Vor einiger Zeit gestand uns Margret, daß sie sich über einen Brief von Fritz heftig geärgert hätte, aber ich sehe da noch nicht ganz klar.