TBHB 1943-05-26
Einführung
BearbeitenDer Artikel TBHB 1943-05-26 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 26. Mai 1943. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.
Tagebuchauszüge
Bearbeiten[1] Sehr interessante Unterhaltung mit Justus Schmitt, bei dem wir nachmittags zum Kaffee waren. Er ist ein sehr anregender Erzähler u. wußte viel aus Polen u. besonders Warschau zu berichten, wo er während des Krieges eine wirtschaftliche Stellung im Auftrage des Wirtschaftsministeriums bekleidet. Er bestätigte, was schon Dr. K. erzählte, daß momentan ein Aufstand des Gettos abläuft in Warschau, den unser Militär bereits seit 4 Wochen vergeblich bekämpft. Angezettelt von den Russen, die über dem Ghetto Waffen abgeworfen u. vielleicht auch Menschen abgesetzt haben, ist dieser Aufstand eine ziemlich ernste Angelegenheit, wenngleich er sein offenbares Ziel, namlich die polnischen Arbeiter ebenfalls zum Aufstand zu ermutigen, nicht erreicht hat. Die Arbeiter machen nicht mit sondern arbeiten in den Fabriken. Das Ghetto aber brennt. Dennoch sind alle Polen sehr zuversichtlich u. erwarten den baldigen Zusammenbruch der Nazis. Auch die Bauern treiben viel Sabotage. Schmitt gehört zu den wenigen Leuten, die mit mir der Ansicht sind, daß der Zusammenbruch bei uns in diesem Herbst kommen wird. Er kauft in Warschau schöne, alte Kupferstiche, die man dort noch ziemlich günstig bekommt. Nach seiner Idee, die mir neu, aber einleuchtend ist, haben die Engländer absichtlich in weit vorausschauender Politik im Jahre 1933 Hitler ungestört ans Ruder kommen lassen, weil sie erstens uns als Gegengewicht gegen Frankreich brauchten, u. zweitens, weil ihnen unsere militärische Erstarkung als Schutz gegen den Bolschewismus sehr willkommen war. Schon damals haben die Engländer seiner Meinung nach den Plan gehabt, daß wir die Bolschewisten u. die Bolschewisten uns vernichten sollten. Dieser Plan wäre dann also völlig geglückt, auch nach Schmitt's Ansicht ist der Bolschewismus für Europa erledigt, er wird sich vielleicht noch in Asien halten, doch ist man in Polen der Meinung, daß Rußland mit Japan längst ein Geheimabkommen habe, sodaß diese beiden sich verständigt haben. Dies letztere ist auch meine Meinung, denn sonst läßt sich das Verhältnis Rußland-Japan in diesem Kriege schlecht erklären. Nachdem jetzt die III Internationale, d.h. also die Komintern, aufgelöst ist, ist unser Antikominternpakt mit Japan ja völlig gegenstandslos geworden, – daher unsere Wut u. unser Geschimpfe, daß diese Auflösung nur ein Bluff u. Betrug sei. Natürlich! denn es nimmt uns das ja jeglichen Kriegsgrund u. zerschlägt obendrein unser Bündnis mit Japan. – Auch über Japan-Amerika hatte Schmitt eine sehr gute Ansicht. Er meinte, daß nach der Niederringung Deutschlands Amerika gegen Japan marschieren müsse u. dazu die Hilfe Englands brauche. England werde sich dann als Gegenleistung alles wieder zurückgeben lassen, was Amerika ihm in diesem Kriege schon abgenommen hat. Nun, das ist schon möglich, wenngleich ich glaube, daß es zwischen Amerika u. Japan zu irgend einer Verständigung kommen wird u. die Engländer dann doch die Dummen sein werden, denn die Japaner werden im Bunde mit dem asiatischen Rußland unbesiegbar sein u. dann eine schwere Gefahr für Indien bedeuten. Diese Unterhaltung mit Schmitt war jedenfalls wieder einmal sehr anregend. Er meinte, nicht deutlich zu sehen, wo eigentlich der Bruch in der deutschen Politik läge, durch den wir zu unserem Weltmachtstreben gelangt seien, das uns alle ins Unglück gebracht hat. Ich erwiderte ihm, daß ich diesen [2] Bruch in der Politik Bismarcks sehe, der die törichte Idee des deutschen Kaiserreiches aufgebracht hat. Diese Idee des deutschen Kaisertums ist durchaus uneuropäisch, durchaus asiatisch. In Europa gibt es Könige, keine Kaiser. Aus diesem Gefühl heraus ist der englische König wohl Kaiser von Indien, aber nie Kaiser von Großbritannien, – u. wenn Napoleon einst sich zum Kaiser von Frankreich gemacht hat, so lehnt die französische Nation als solche dieses Kaisertum durchaus ab. Die alte, deutsche Kaiseridee des heiligen römischen Reiches deutscher Nation war eben auch etwas ganz anderes, sie war die Idee des christlichen Abendlandes, also Europas u. unter ihm bestand das eigentliche Königtum unangefochten weiter. Im Uebrigen war auch diese Idee als Nachfolge des römischen Kaisertums ein asiatischer Rest in Europa. –
Frl. v. Tigerström wird uns morgen verlassen, sie geht zum Roten Kreuz. Schenkten ihr zum Abschied einen wertvollen Bernstein-Anhänger.
Abends Stalin gelesen.