TBHB 1943-05
Einführung
BearbeitenDer Artikel TBHB 1943-05 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Mai 1943. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 13 Seiten.
Tagebuchauszüge
BearbeitenFreitag Besuch von Frau Dr. Anders aus Stralsund-Prerow. War mit dem Rade u. ihrem Jungen hier, rief am Tage vorher an, ob sie auf eine Stunde kommen könne. Sie kam um 11 Uhr u. fuhr endlich um 4 Uhr Nachmittags wieder ab. Zwischendurch aß sie im Balt. Hof zu Mittag. – Als sie endlich fort war, kam Frau Dr. Ziel, um einen Besuch zu machen. Diese Frau u. ihr Mann möchten gar zu gern einen gesellschaftlichen Verkehr mit uns u. wir wissen kaum, wie wir sie uns vom Halse halten sollen, ohne allzu unhöflich zu sein.
Gestern kamen Margret u. ihre Mutter aus Bln. zurück, was uns auch wieder allerhand Zeit kostet; aber das müssen wir nun in Kauf nehmen für Fritzens Hochzeit, die nun so wie so unsere ganze Kraft in Anspruch nimmt. Es ist so viel zu überlegen u. alles ist jetzt in der Kriegszeit nicht so einfach. Wir werden zur Kaffeetafel 30 – 40 Personen sein, zu den verschiedenen Mahlzeiten 12 – 14 Personen. Zum Glück hat Frau Gerda Knecht zugesagt, uns mit allem zu helfen.
Heute morgen unsere übliche Sonntags-Andacht. Es ist kühl draußen u. ich habe heute früh geheizt. Gartenarbeit ist in der Hauptsache beendet, es kommen jetzt noch die Dahlien an die Reihe. Der Steingarten wächst gut an. Leider wird in diesem Jahre der junge Flieder garnicht blühen, nachdem er es im vorigen Jahre zum ersten Male getan hat.
Gestern nachmittag Besuch Dr. Krappmann, der mir ein Buch: „Stalin", von Essad Bey, mitbrachte, welches im Jahre 1931 bei Kiepenheuer erschienen ist. Es ist eine Biographie u. – so weit ich bis jetzt darin gelesen habe, sehr interessant. – Dr. K. war etwas weniger deprimiert, als beim letzten Besuch, jedoch nicht weniger hoffnungslos. Er hat seiner vorgesetzten Stelle empfohlen, den Schieß-Kursus in eine andere Gegend zu verlegen, weil unser Teil der Ostsee zu sehr vermint ist u. man deshalb so oft nicht schießen kann, da die Scheibe, bzw. der Schlepper, Gefahr läuft, auf eine Mine zu laufen. Bei dieser Gelegenheit hörten wir, daß vor kurzer Zeit am Darsser Ort der Dampfer Gneisenau, ein Ostasienfahrer, auf eine Mine gelaufen u. gesunken ist. –
Interessant ist, daß Marschall Mannerheim zu einem Erholungs-Urlaub in die Schweiz gefahren ist. Warum fährt er grade in die Schweiz? Vielleicht hat er nicht die Absicht, wieder nach Finnland zurückzukehren. –
Margret fährt heute nachmittag mit Dr Wessel nach Ribnitz, von dort morgen früh nach Berlin. Sie wird dort auf Fritz warten, der am Dienstag dort eintrifft u. beide zusammen werden dann hierher fahren. Wenn nur schon diese Hochzeit vorüber wäre, die uns furchtbar viel Mühe u. Unruhe macht. Dazu kommt, daß Martha eine unbedachte Aeußerung getan hat, die Frau Bohner hörte, wodurch eine Verstimmung entstanden ist. Margret hat dann wieder sich unmutig über uns ihrer Mutter gegenüber geäußert, was wieder Frl. v. Tigerström hörte u. Martha wiedererzählte. Kurzum, es ist schwierig, die Harmlosigkeit zu bewahren u. ich mußte heute schon zum zweiten Male die Erregungen beschwichtigen u. ausgleichen. Es bleibt bei solchen Sachen natürlich immer etwas zurück. Margret möchte nun nach der Hochzeit für sich allein wirtschaften u. ich würde das auch für uns ganz angenehm finden, wenn dieser Entschluß nur nicht das Resultat heimlicher Verstimmung [2] wäre. –
Vorgestern waren Peter Erichson u. Frau Ristow bei uns u. Erichson brachte wie immer viel Anregung für die Gestaltung der Hochzeit. Wir wollen bei gutem Wetter einen kleinen Hochzeitszug durch die Straße machen, an der Grenze unseres Besitzes entlang. Erichson wird einen Kranz mit bunten Bändern machen lassen, der an einer Stange vorangetragen wird u. er wird auch dafür sorgen, daß irgend jemand auf der Ziehharmonika dazu Musik macht. – Das Wetter ist unentwegt so schön, daß man leider damit rechnen muß, daß es zur Hochzeit regnet. –
Heute habe ich die Dahlien teilweise eingebracht.
Nachmittags kam Erichson mit Frau Ristow nochmals u. brachte uns die ausgezeichnete Anregung, den großen Hochzeitskaffee bei Knecht zu geben. Das ist eine vorzügliche Lösung. Die Trauung findet dann um 3 Uhr bei uns in der Diele statt, wo alle Gäste versammelt sind u. wohin das Brautpaar aus dem kleinen Hause direkt durch den Garten kommt. Nach der Trauung formiert sich dann ein großer Hochzeitszug mit allen Gästen und geht zu Knecht. Auf diese Art halten wir uns das Haus frei für den Abend u. es kann in Ruhe das Abendessen vorbereitet werden. Wir sind gleich zu Frau Knecht gegangen, die sofort bereit war. Es ist das eine sehr große Erleichterung für uns. –
In Afrika geht es langsam weiter, – aber sehr langsam, unsere Truppen wehren sich sehr tapfer. Merkwürdig ist, daß nur immer als Führer unserer Truppen v. Arnim genannt wird, – zwar nicht von uns! – aber von Rommel ist nie die Rede. Wo mag er sein? Ist er nicht mehr in Afrika?
Laval war beim Führer. Es müssen da doch sehr wichtige Verhandlungen stattfinden.
Interessant ist die Affäre Katyn. Es ist von uns eine Riesenpropaganda gemacht worden wegen angeblich 12000 ermordeter polnischer Offiziere. Diese Propaganda hat auch gut gewirkt u. Sowjet-Rußland hat im Verlaufe derselben mit Polen die Beziehungen abgebrochen. Nun aber sind auf Einladung des Reichsgesundheitsführers Dr. Conti Aerzte aus 12 verschiedenen Nationen in Katyn gewesen u. haben ein Protokoll veröffentlicht, das in allen Zeitungen steht. Darin heißt es, daß bis zum 30. April 900 u. einige Leichen ausgegraben worden seien. Wo sind nun die übrigen 11000 Leichen geblieben? – Darüber, u. überhaupt über diese Differenz wird kein Wort gesagt. Man kann dem deutschen Spießen, wie es scheint, alles zumuten. –
An der Ostfront in seit Wochen Ruhe, mit Ausnahme des Brückenkopfes am Kuban, wo die Russen unentwegt angreifen. –
Das Stalin-Buch ist ungemein interessant, besonders, wenn man diesen Menschen mit unserem Hitler vergleicht. Dort ein skrupelloser, von keinem Gefühl u. keinem spekulativen Gedanken gehemmter Bandit, – hier ein sentimentaler Spießer, der toll geworden ist u. aus dieser Tollheit heraus nicht weniger skrupellos, jedoch viel weniger ein brutaler Tatmensch wie Stalin, sondern ein gerissener Gauner, der seine Schurkereien selbst noch vor sich selber mit idealistischer Sentimentalität verkleidet.
Gestern Abend bei Prof. Erich Seeberg. Es waren noch da: Frau Bohner, Frl. v. Tigerström u. Frau Prof. Seeberg. Unglücklicherweise kam auch Herr Dr. Ziel, um Seeberg zu sagen, daß heute im Dorfe der Film „Die Entlassung“ laufe. Herr Ziel hat wiederholt Versuche gemacht, mit mir zu verkehren, was ich stets abgelehnt habe mit der Begründung, daß ich überhaupt jeden gesellschaftlichen Verkehr ablehne. Nun stellte er fest, daß ich zu Seebergs gegangen war. Ich würde niemals dorthin gegangen sein, wenn ich nicht durch Fritzens Heirat in ein gewisses verwandtschaftliches Verhältnis [3] zu Seebergs gekommen wäre, sodaß ich diesen Besuch mehr Fritz u. Margret zuliebe gemacht habe. Herr Ziel wird es nun so auffassen, als hätte ich gegen ihn eine besondere Abneigung. Zwar stimmt das in gewissem Grade, aber es ist peinlich, daß es so gekommen ist.
Von Erich Seeberg habe ich gestern aber einen weit besseren Eindruck gewonnen. Er ist doch nicht bloß ein amüsanter Schwätzer, sondern hat sehr vernünftige u. auch klare Ideen, die sich auf ein sehr gründliches historisches Wissen stützen. Er ist ja Kirchenhistoriker. Seiner Meinung nach ist eine Rettung Europas nur möglich, wenn sich Europa auf seine alten, christlichen Grundlagen besinnt, wobei er einer Vereinigung der beiden christl. Konfessionen das Wort redet, ohne allerdings für sich selbst die Konsequenzen zu ziehen, denn die Autorität des Papstes glaubt er für sich selbst nicht ertragen zu können. Er gab aber zu, daß er dieses nur für sich als Theologe sage, während es für den protestant. Laien ziemlich unwesentlich sei. Es scheint, daß er sich eine papstfreie, einheitliche katholische Kirche für Deutschland denkt. Er formulierte seine Ansicht etwa so: Der Nationalsozialismus kommt als Grundlage für ein geeintes Europa nicht in Frage, – das ist klar erwiesen. Eine andere Idee als Grundlage ist bislang nicht vorhanden, – bleibt nur die christliche Grundlage, wofür die bisherige evangelische Kirche geopfert werden muß, ein Opfer, das seiner Meinung nach nicht allzu schwer sein wird. Das ist wohl klar u. richtig gesehen; aber diesem Opfer stehen bislang noch die evangelischen Theologen entgegen, die sich dem Papste nicht unterordnen werden, – das ist wohl der springende Punkt. Ich entgegnete ihm, daß diese gefürchtete Autorität des Papstes doch wohl ein Kinderschreck sei, durch jahrhundertelange Propaganda hochgezüchtet; aber da war er skeptisch. – Jedenfalls verlief der ganze Abend außerordentlich angeregt u. ich habe große Lust bekommen, mich öfter mit ihm über diese Fragen zu unterhalten. – Im Hause ist besonders sein Arbeitszimmer sehr schön. – Er erzählte sehr amüsant von gelegentlichen Berührungen mit kathol. Bischöfen, denen er sehr große Hochachtung entgegenbringt, weil sie, wie er sagte, sehr gebildete u. kultivierte Menschen seien. So weit ich bemerken konnte, ist aber sein Christentum recht theoretisch u. sehr skeptisch, – er zweifelte, ob Gott sich wirklich uns Menschen in Jesus Christus offenbart habe u. er begründete diesen Zweifel mit der ungeheuren Ausdehnung des Kosmos. Man könne, meinte er, nicht einsehen, warum Gott sich grade diesen kleinen Weltkörper Erde zu seiner Offenbarung ausersehen habe, – es sei unwahrscheinlich. Ich erwiderte, daß dies nicht unwahrscheinlicher sei als die Tatsache, daß Gott sich unter den Völkern grade das verachtetste Volk der Juden ausgesucht habe u. daß außerdem vor Gott Größenunterschiede in unserem Sinne nicht existierten. Außerdem sagte ich, daß ja nirgends behauptet werde, daß dies die einzige Offenbarung Gottes sei, vielmehr sei doch die Existenz von Engeln eine ganz andere Offenbarung, – niemand könne wissen, ob die verschiedenen Chöre der Engel im Kosmos nicht ähnliche Wohnsitze hätten, wie wir Menschen auf der Erde. – Er gab das zu.
In solchen Gesprächen verging der Abend äußerst anregend u. es war bereits 12 Uhr, als wir nachhause gingen. –
Heute sandte uns Fritz eine kurze Nachricht von Kurt, die dieser ihm gesandt hat. Danach ist er um Ostern mit seinem Chef, Oberstlt. Schultes, nach Rom gefahren, um von dort nach Tunis zu fliegen, jedoch seien sie von Rom wieder zurückgerufen worden. Er sitzt nun wieder in Berlin u. wartet auf neue Befehle. Von Rom schreibt er, daß er es nur vom Wagen aus sehen konnte, da Rom zur offenen Stadt erklärt ist u. Soldaten sich auf den Straßen nicht zeigen dürfen. – Tunis dürfte nun wohl dicht vor dem Fall stehen u. es hat sich vielleicht ergeben, daß von dort nichts mehr zu transportieren [4] ist. Heute meldet man, daß die Kämpfe bereits in den Außenbezirken von Tunis u. Biserta stattfinden, sodaß wohl kaum noch etwas abtransportiert werden kann. Es wird, wie es zu erwarten war, ein Dünkirchen geben, oder ein zweites Stalingrad. Damit ist dann Afrika völlig abgeschrieben. Mussolini hat eine große Rede gehalten, aber man erfährt nicht, was er denn eigentlich gesagt hat; hätte er etwas Gutes gesagt, würde es wohl in der Zeitung stehen.
Man spricht von der bevorstehenden Offensive im Osten. Zu diesem Zweck sollen ungeheure Massen von den berüchtigten Preßluftgranaten an die Ostfront gebracht worden sein, mit denen man eine neue Offensive von riesiger Wucht starten will. Man hat erzählt, daß die Russen auf die Verwendung dieser Munition mit Gas antworten werden. Dann wäre also diese furchtbarste Kriegführung da. Man wird ja bald sehen, was an diesem Gerede ist. –
Heute Vormittag Gewitter mit mäßigem Regen, der es ermöglichte, Blumensamen auszusähen. Es war kühl, aber abends wurde es wieder klar. Gestern war es sehr warm. Die Trockenheit ist katastrophal.
Die Anzeigen zur Hochzeit sind fertig beschriftet, morgen beginne ich mit der Absendung.
Ruth hat aus Regensburg angerufen, sie kommt nun doch zur Hochzeit u. bringt die kleine Ortrun mit. –
Gestern ist Biserta gefallen u. in den Straßen von Tunis wird gekämpft. Damit wäre denn also dem Afrikarorps der Rückzug abgeschnitten u. das gesamte Material ist ebenfalls verloren, denn ein anderer Hafen steht nicht zur Verfügung. Diese Niederlage dürfte Dünkirchen weit in den Schatten stellen. Natürlich wird in unserem Rundfunk diese ganze Angelegenheit als ein Erfolg dargestellt, indem man sagt, wir hätten die Engländer u. Amerikaner sechs Monate lang aufgehalten u. inzwischen Zeit gehabt, anderes zu tun. Worin dieses Andere besteht, soll sich ja wohl in nächster Zeit erweisen.
Das Wetter ist unbeständig geworden, aber doch ist es vorwiegend warm u. die Sonne scheint. Hoffentlich wird es sich bis zur Hochzeit am Mittwoch halten. Fritz fährt heute ab u. wird morgen Abend in Bln. sein. Gestern habe ich den Bürgermeister u. seine Frau zur Hochzeit eingeladen u. ihm gleichzeitig eine Spende von 50,– Rm. übergeben. Lehrer Deutschmann u. seine Frau haben, wie zu erwarten, bedauert, die Einladung ablehnen zu müssen, da Frau D.'s Schwester vor Kurzem gestorben ist u. sie Trauer hat. Leider werden auch die Nachbarn Papenhagen nicht kommen, weil die gute Frau zu schüchtern ist.
Heute von Frau Heimann aus Bln. ein Brief. Sie bittet um Abholung meiner Bilder, die immer noch dort stehen, weil sie in ihrer Wohnung bombengefährdet sind. Vielleicht kann ich die Bilder wenigstens teilweise rasch herbekommen, um Fritz damit ein anständiges Hochzeitsgeschenk machen zu können. Martha telephoniert eben mit Rena Blühm in Bln., damit sie wenigstens einige von diesen Bildern abholt, dann kann Fritz oder Ruth morgen Abend etwas davon mit hierher bringen.
Auch Tunis ist gefallen. Der Befehlshaber des Afrikakorps v. Arnim ist auf Kap Bone abgedrängt u. dürfte kaum die Möglichkeit haben; seine Truppen nach Italien zu retten, vom Material ganz zu schweigen. Diese Niederlage ist weit größer als Dünkirchen. Vor allem [5] aber ist dieser Sieg weit größer. Dünkirchen hat uns garnichts genützt, die Eroberung von Tunis aber bedeutet die Oeffnung des Mittelmeeres, d.h. die Verkürzung des Seeweges u. eine ungeheure Einsparung an Tonnage. Diese Niederlage, bereits die zweite innerhalb eines halben Jahres, ist von ungemein großer Tragweite, die Stalingrad weit in den Schatten stellt, denn der Weg nach Italien ist nun stark bedroht. – Rommel scheint schon vor längerer Zeit aus Afrika verschwunden zu sein, von ihm ist nicht die Rede. Wo ist er? Möglicherweise wird er bald an der Ostfront wieder auftauchen, denn man wird dort ja auf jeden Fall eine Offensive mit allen Mitteln versuchen. Was nützt nun der sogenannte Atlantikwall, wenn er von hinten angegriffen werden wird? Und was werden uns italienische Küstenbefestigungen nützen, wenn die Italiener sie nicht verteidigen werden? – Der Fall von Tunis war wohl zu erwarten, doch war anzunehmen, daß sich die dortigen Streitkräfte viel länger halten würden, denn sonst hätte die Oberste Heeresleitung nicht noch in jüngster Zeit Verstärkungen dorthin geschickt, vor allem nicht die neuen Tieger-Panzer. So kommt diese Niederlage doch überraschend u. läßt Schlüsse zu auf die rasch abnehmende Kampfkraft unserer Truppen. Von einem sogenannten „Heldenlied“, wie bei Stalingrad, ist jetzt jedenfalls nicht die Rede. Der allgemeine, innere Zusammenbruch wird ebenso überraschend kommen. –
Frau Bohner telephonierte mit ihrem Mann in Bln., der sagte, daß Margret zur Bahn gefahren sei, weil Fritz heute schon in Bln. ankäme. So scheint er also doch einen ganzen Urlaubstag plus gemacht zu haben. Wir warteten auf einen Anruf, aber hörten nichts. Er wird wohl morgen anrufen.
Die Vorbereitungen der Hochzeit verursachen große Unruhe.
Gott sei gedankt, daß dieses Hochzeitsfest vorüber ist, – es war
überaus anstrengend. – Am Dienstag Mittags kamen zuerst Fritz mit Margret u. Vater Bohner, der sehr elend aussieht, aber besonders mir mit großer Höflichkeit entgegenkam. Otto Wendt u. seine Frau Lita mit ihrem Sohn Max. Eine Stunde später kamen Fritz mit Margret u. Vater Dr. Bohner u. Ruth. Wir aßen gemeinsam zu Mittag. Abermals 2 – 3 Stunden später kam Marthas Vetter, der Pastor Karl-Ernst Wendt aus Casekow b. Blumberg i. Pom, in der Nähe von Stettin, mit seiner Frau Hedwig, ein typisches Landpastorenpaar, sehr würdig u. sympathisch. Wir tranken gemeinsam Kaffee, d.h. das Pastorenpaar bekam noch gewärmtes Essen (Dorsch). Am Montag hatte ich bereits den Altar aufgebaut in der Diele, in der Ecke, wo unsere weiße Muttergottes steht. Ich hatte die ganze Ecke bis zur Decke, u. diese auch, mit einem weißen Dekorationsstoff mit silberner Flimmerwirkung ausgeschlagen u. das Ganze Baldachin-artig mit demselben Stoff in Lachsfarbe abgeschlossen. Dieser lachsfarbene Stoff, der vorzüglich zur lachsfarbenen Wand der Diele paßte, war nach rechts u. links weit auseinandergerafft, so daß die Muttergottes wie eine rechte Maienkönigin unter diesem Baldachin stand. Hinter ihr waren grüne Blattpflanzen u. zu ihren Füßen eine Fülle von Stiefmütterchen, dazu die zwei dreiarmigen Leuchter, besteckt mit roten Kerzen. Der eigentliche, weiß gedeckte Altartisch stand davor, doch so, daß die Muttergottes viel höher stand. Auf dem Altar standen nochmals zwei silberne, hohe Leuchter mit weißen Kerzen, in der Mitte das Kruzifix. Am Boden rechts u. links vom Altar standen große Vasen mit Tannengrün, auf der Heizung links vom Altar Tulpen u. Flieder, auf dem hochgelegenen Fenster rechts vom Altar ebenfalls. Diese ganze Dekoration wirkte überaus schön u. imponierend. Ich hatte etwas Angst, wie der protestantische
[6] Pastor sich zu dieser Maienkönigin stellen würde, doch ging alles ganz glatt. Später stellte ich fest, daß Karl-Ernst überhaupt sehr katholikenfreundlich ist u. guten Umgang mit kathol. Geistlichen pflegt. –
Abends gegen 18 Uhr kamen die Gäste zum Polterabend. Es waren zugegen: Fritz u. Margret, Ruth, Dr. Bohner u. Frau u. Christa Schmidthals, Otto Wendt u. Frau mit Max, Pastor Wendt mit Frau, Martha u. ich, Frl. v. Tigerström, dazu kam noch vorübergehend Charlotte Schmitt als Mutter ihrer kleinen Jutta, die der Braut Kranz u. Schleier übergab u. dabei ein von mir gemachtes Gedicht ganz entzückend deklamierte. Vorher hatten Kurt Spangenberg u. unser Mädchen Trude Dade gemeinsam ebenfalls Verse aufgesagt, die ich verfaßt hatte. Kurt Sp. hatte einen Gehrock seines Vaters an u. einen alten Cylinder auf dem Kopf, Trude war von Frl. v. Ti., sehr niedlich herausgeputzt worden. Beide vertraten mit ihrem Glückwunsch die einheimische Bevölkerung. Etwas später trug ich dann selbst ein längeres Scherzgedicht vor, bzw. las es vor. Es waren das meine ersten Gedichte, oder besser Knittelverse, die ich in meinem Leben zustandegebracht habe, aber sie waren wirklich scherzhaft u. machten sehr guten Eindruck. Ich hatte eine vorzügliche Bowle gebraut, da Dr. Bohner gut für Wein gesorgt hatte. Dieser war im letzten Augenblick am Sonnabend eingetroffen mit einer Kiste sehr anständiger Cigarren. Die Bowle bestand aus 6 Fl. rotem Nahewein u. einer Flasche deutschem Schaumwein, das Ganze auf einer Dose Pfirsichen. Es schmeckte sehr gut u. sie wurde restlos ausgetrunken. – Gegen 11 Uhr Abends ging, der Spektakel der Dorfjugend los, der leider wie meistens sehr ausartete. Diese rohe Gesellschaft warf nicht bloß große Massen von Scherben vor die Tür, sondern fuhr in Blockwagen ganze Berge voll alten Blechgerümpel vor die Haustür. Als ihnen das noch nicht genügte, schleppten sie unsere Gartenmöbel zusammen u. türmten diese noch über diesen Unrathaufen. Eine Scheibe in der Haustür ging dabei noch in Scherben. Als sie dann dazu übergingen, die Müllkisten hinter dem Hause umzustülpen u. vor der Küchentür auszuleeren, u. als ich hörte, daß sie noch weiteres Gerümpel anfahren wollten, rief ich den Bürgermeister an u. bat um Schutz. Dieser benahm sich sehr ordentlich, indem er mir durch die Zollbeamten einen Posten vors Haus stellen ließ. – Alles dies störte natürlich sehr sodaß eine sehr gute, ernste Rede, die Dr. B. auf dem Herzen trug leider davon beeinträchtigt wurde. Unsere Gäste mußten später durch den rückwärtigen Ausgang das Haus verlassen, weil man durch den Vordereingang nicht gehen konnte. Alle Gäste wohnen im Kurhaus, mit Ausnahme von Ruth.
Am nächsten Morgen beschwerte sich Martha beim Lehrer Deutschmann den sie zufällig auf der Straße sah, über die Jungens. Der Lehrer ließ sofort die Jungens antreten u. sie mußten den ganzen Unrat beiseite räumen u. abfahren. Die dadurch versäumten, Schulstunden mußten sie nachmittags nachsitzen. So hatten sie ihre Strafe. – Am Dienstag war das Wetter sehr kalt u. regnerisch gewesen, es war der Letzte der drei gestrengen Herren, – am Mittwoch war strahlender Sonnenschein, Windstille u. es war prachtvoll warm. So ist es auch heute noch. –
Um 10 Uhr fuhr das junge Paar nach Born in schön mit Tannengrün u. Narzissen geschmückten Wagen von Spangenberg. Trauzeugen waren Otto Wendt, der Fritzens Patenonkel ist, u. Vater Bohner. Frau Bohner u. Ruth fuhren als Begleitung mit, weil das Wetter so schön war u. die Fahrt durch den Darss ja wirklich sehr schön ist. Der Wagen kam erst nach 1 Uhr zurück u. wir aßen dann ein warmes Frühstück, Tomatensuppe, Hammelragout. Um 3 Uhr fand dann die sehr schöne Trauung statt. Frl. Marry von Paepke, die grade eben angekommen war, spielte meisterhaft Harmonium, welches wir von Steinäcker's geliehen hatten, Karl-Ernst [7] hielt eine sehr schöne Predigt, die auf alle Teilnehmer sehr stark wirkte. Die feierliche Dekoration tat das ihrige dazu. Es waren in der Diele 40 Personen oder mehr versammelt, außer den vielen Kindern, die auf der Treppe hinauf saßen wie die Engelchen auf der Himmelsleiter. Evi Niemann hatte im letzten Augenblick noch aus Müritz einige wundervolle Kalla-Blüten beschaffen können, sodaß die Braut dadurch eine sehr schönes Brautboukett im Arme tragen konnte. Die Diele war natürlich übervoll von Menschen, aber grade das war sehr schön. Vater Bohner war besonders ergriffen u. man sah, daß er verzweifelt mit den Tränen kämpfte. Es ist das nun die letzte seiner drei Töchter, die er hergibt u. grade für Margret hatte er gehofft, daß sie studieren würde. –
Nach der Trauung bewegte sich der Brautzug langsam u. sehr feierlich-fröhlich zu Knechts, wo die Kaffeetafel stattfand. Max Wendt trug einen bunten Kranz mit blau-weißen Bändern an einer hohen Stange voraus, dann folgte das Brautpaar u. anschließend die Gäste. Bei der Kaffeetafel saß ich zwischen Martha u. Frau Krappmann, dann Dr. Krappmann. Es gab eine Fülle von Kuchen u. Torten aller Art, alles von Frau Knecht sehr liebevoll gemacht. Es blieb viel übrig.
Nach der Kaffeetafel war dann das Abendessen bei uns. Es waren 18 Personen: Fritz, Margret, Ruth, Christa, Herr + Frau Bohner, Martha u. ich, Frau Prof. Mariechen Seeberg, die ich als Tischdame hatte, Prof. Erich Seeberg u. Frau, Karl-Ernst Wend u. Frau, Otto Wendt u. Frau mit Max, Dr. Wessel, Frl. v. Tigerström. Es gab Brühe, Seelachs, Rinderbraten mit Gemüse u. Kartoffeln, Nachtisch, Nahewein, zum Schluß franz. Sekt. Ich hielt nach dem Fisch meine Rede, später auch Dr. Bohner, was ich nicht erwartet hatte, da er schon am Polterabend gesprochen hatte. Es sprach dann noch Karl-Ernst Wendt u. zuletzt Ruth. Nach dem Essen waren wir noch eine Weile oben im Wohnzimmer zusammen, wo ich dann mit Ruth eine gründliche Aussprache hatte. Alle Differenzen der letzten Zeit sind damit nun glücklich beigelegt u. es ist das alte Vertrauensverhältnis wieder hergestellt. Die Gäste gingen gegen 12 Uhr, aber Martha, Ruth u. ich saßen noch bis 2 Uhr zusammen u. besprachen Dinge, die sonst nie zur Sprache kommen. –
Am Donnerstag war dann, Gott sei Dank, etwas Ruhe. Unsere Trude ließ uns im Stich u. Martha mußte sich selbst bemühen, im Wohnzimmer so weit Ordnung zu schaffen, daß wir angenehm frühstücken konnten. Am Nachmittag wollte Dr. Bohner kommen, um sich über die Bunte Stube näher informieren zu lassen, doch kam er nicht. Dafür waren Karl=Ernst u. seine Frau da u. später auch Otto mit Frau u. Max. Wir waren alle sehr erschöpft.
Freitag Nachmittag fuhren die Eltern Bohner mit Christa wieder ab, mit ihnen Ruth, am frühen Morgen waren Karl-Ernst mit seiner Frau abgefahren, u. zwar über Prerow. Mit der Abfahrt von Frau Bohner trat für uns eine erhebliche Erleichterung ein, denn diese Frau hat, wie sich immer mehr herausstellt sehr wenig dazu beigetragen, die Schwierigkeiten zu überwinden, die für uns mit dem Eintritt der Schwiegertochter in unseren engsten Kreis naturgemäß gegeben sind. Anstatt ihre Tochter anzuhalten, sich uns einzufügen, hat sie sie offenbar nach Kräften ermuntert, sich gegen uns zu behaupten u. das hat bereits zu unangenehmen Klarstellungen geführt, die um so peinlicher waren, als wir, besonders Martha, durch die wochenlange Anstrengung, die die Vorbereitung der Hochzeitsfeier von uns verlangt hat, reichlich erschöpft waren. Martha war diesen Dingen nicht mehr gewachsen. – Abends waren Otto u. Frau mit Max bei uns u. es kam zu einer gereizten Aussprache, die Gott sei Dank durch das gute, frauliche Wesen von Lita wieder in Ordnung gebracht wurde. Der letzte Grund zu diesen Dingen lag in Frau Bohner, die mit größter Selbstverständlichkeit unsere Einrichtungen u. Gegenstände für ihre Tochter u. für sich selbst in [8] Anspruch nahm, ohne sich je zu bedanken, wie sie überhaupt die Tatsache, daß wir die ganze Last der Hochzeit auf uns genommen haben, als selbstverständlich u. ohne Dank hingenommen hat. Es wird sehr gut sein, wenn Margret jetzt von dieser Mutter getrennt ist, denn von ihr ist offensichtlich nichts Gutes zu erwarten.
Am Sonnabend waren Abends nochmals Otto usw. bei uns u. heute um 11 Uhr sind auch sie abgefahren. Nun ist Ruhe. Fritz bleibt noch bis Mittwoch. Dann werden wir mit Margret allein sein. Es haben sich in diesen Tagen genug Wolken am Horizont aufgetürmt u. wir können nur Gott bitten, daß er alles zum Besten lenken möge.
Inzwischen ist Afrika erledigt, es steht dort kein deutscher oder italienischer Soldat mehr, es sei denn als Kriegsgefangener. Bisher wird die Zahl der Kriegsgefangenen mit 175000 Mann angegeben, darunter 10 Generäle. – Rommel ist, wie jetzt bekannt gegeben wird, bereits vor längerer Zeit aus Afrika abberufen worden.
Nachmittags waren wir: Martha, ich, Fritz u. Margret bei Frau Prof. Mariechen Seeberg, gen. „der Silberhase“ zum Kaffee eingeladen. Frau Prof. Seeberg war beim Hochzeitsessen meine Tischdame gewesen. Sie ist die Tochter eines hohen, evangelischen Geistlichen aus Rußland u. war dann mit einem Seeberg verheiratet, der m. W. ebenfalls Theologe war, u. zwar in Rostock. Er ist aber längst verstorben. Frau S. hat ihre Jugend in Petersburg zugebracht u. konnte anschaulich von dem luxuriösen Leben jener längst vergangenen Zeiten erzählen. Jetzt hat sie hier in Ahr. ein Haus, in welchem sie seit einigen Jahren im Sommer u. im Winter lebt, zusammen mit ihrer Tochter Doris, die eine Bildhauerin von durchschnittlicher Begabung, aber von sehr nettem Wesen ist. Frau S. selbst war uns im Geschäft als Kundin stets eine ziemlich fatale Erscheinung, doch zeigte sie sich heute in ihrem Hause von einer wesentlich angenehmeren Seite. Das Haus ist teilweise hübsch eingerichtet, gleichsam mit den Trümmern eines früher luxuriösen Lebens.
Abends „Stalin“ gelesen.
Vormittags Rest des Gartens umgegraben u. für Buschbohnen hergerichtet. Nachmittags bei Margret u. Fritz zum Kaffee. Es war sehr gemütlich, das Wohnzimmer ist hübsch eingerichtet, sehr behaglich das Sofa. Martha sah sich die Post durch, die das junge Paar bekommen hat u. die sehr umfangreich ist, aber zum größten Teil auch sehr nichtssagend. Auch hierin Massenproduktion bei abnehmendem, inneren Wert. Es scheint, als ob nach den manchmal gefährlichen Spannungen der ersten Zeit sich langsam eine harmonischere Stimmung herausentwickeln wolle.
Die letzten Vorgänge in Afrika enthüllen sich langsam immer deutlicher. Es hieß in unserem Herresbericht, daß sich unsere Streitkräfte ergeben hätten, nachdem die letzte Patrone verschossen war, man wollte offenbar die Geschichte vom Heldenkampf in Stalingrad wiederholen. Das ist aber nicht gelungen u. unsere sonst so fleißige Propaganda hat es diesesmal überraschend schnell aufgegeben, diese Walze weiter zu drehen. Es scheint sich immer deutlicher zu ergeben, daß unsere Soldaten sehr gut noch einige Zeit hätten weiter kämpfen können, aber sie haben offenbar keine Lust mehr gehabt, aus Tunis ein Stalingrad zu machen. In Dünkirchen haben die Engländer wohl ihre schweren Waffen u. Fahrzeuge verloren, aber sie haben ihre Armee gerettet, – wir aber haben in Tunis alles verloren. Es ist wohl die größte Niederlage, die die Nazis bisher erlebt haben, – noch größer als Stalingrad. –
[9]Gestern Abend war Fritz mit Margret bei uns. Wir tranken eine Flasche von dem Nahe-Wein, den Vater Bohner zur Hochzeit gestiftet hat. Viel ist nicht übrig geblieben u. diese 25 Flaschen sind nebst 50 Cigarren das Einzige, was die Eltern Bohner zur Hochzeit beigetragen haben. Nicht eben viel!
Heute Vormittag habe ich zum ersten Male in diesem Jahre im Geschäft gearbeitet. Ware ausgezeichnet, besonders Ware von R. Weckmann, fast alles grauenhafter Kitsch zu horrenden Preisen. Bisher haben wir an Waren weniger als die Hälfte von dem bekommen, was wir voriges Jahr hatten u. es scheint, als wollte dieser Warenschwund noch weiter zunehmen. Es wird schwer sein, in diesem Jahre einen Verdienst aus dem Geschäft zu gewinnen. – Heute Abend brachte Fritz die Nachricht, daß vom 1. Juni an die Telephongebühren um 50% teurer werden sollen, die Fahrpreise der Eisenbahn um 100%. Das wäre also das erste offene Zeichen der Inflation, obschon von Seiten der Regierung diese Preiserhöhung als „Kriegszuschlag“ bezeichnet wird, womit ausgedrückt werden soll, daß es sich nicht um eine Preiserhöhung, sondern um eine Steuer handelt. –
Vor drei Tagen haben die Engländer zwei Stauseen bei uns gesprengt, den einen im Ruhrgebiet, den andern bei Kassel. Die Sprengung scheint vollkommen geglückt zu sein u. es ist eine furchtbare Katastrophe eingetreten. Abgesehen davon, daß weite landwirtschaftliche Gebiete total vernichtet sind, sind auch die dazugehörigen Kraftwerke zerstört, sodaß riesige, kriegswichtige Industrien lahmgelegt worden sind. Die Regierung ist von dieser Katastrophe derart beindruckt worden, daß sie ihren Schrecken darüber nur sehr schlecht verbergen konnte. Das Einzige, was sie zu sagen wußte, war ein Wutschrei gegen die Juden, die angeblich auf diese Idee gekommen sein sollen. So kommt eins zum anderen u. es geht immer weiter abwärts. – Churchill ist z. Zt. in Washington. Er hat dort im Parlament eine siegesgewisse Rede gehalten u. dabei nur noch von dem „Gefreiten“ gesprochen.
Von Afrika spricht man nicht mehr.
Es herrscht eine katastrophale Dürre. Seit Anfang März haben wir fast unentwegt Sonnenschein. Nur zu Ostern hat es etwas geregnet u. seitdem noch einmal, aber nicht nennenswert, dafür weht viel Wind aus Norden u. Osten, der die letzten Reste der Feuchtigkeit aus dem Boden saugt. Es wird schlimm werden.
Fritz reist morgen Nachmittag wieder nach Frankreich und seine junge Frau bleibt dann allein zurück. Es wird nicht einfach sein, weder für sie, noch für uns.
Das Buch „Stalin“ von Essad Bey beendet. Sehr interessant. Es hat meine Ansicht bestärkt, daß der Bolschewismus für den Westen Europas auf die Dauer unhaltbar wäre, er wird es nicht einmal für das westliche Rußland sein. Mit dem Tode dieses Banditen muß auch dieses System zusammenbrechen, wie auch bei uns mit Hitlers Tod der Nationalsozialismus zusammenbrechen muß, – wahrscheinlich aber schon früher.
Eine sensationelle Nachricht kommt heute durch: Die dritte Internationale hat sich aufgelöst. – Ich vermag die ganze Tragweite dieses Ereignisses, daß mir eben, um 10 Uhr abends erst bekannt wird, wohl noch nicht völlig zu übersehen; aber dieses Eine steht doch wohl fest: Moskau hat damit [10] seine Pläne für die kommunistische Weltrevolution unter dem Druck Amerikas u. Englands aufgegeben. Es ist aber ein bolschewistisches Dogma, das schon von Lenin herrührt, daß nämlich der Kommunismus in einem Lande auf die Dauer unhaltbar ist, wenn nicht alle übrigen Länder ebenfalls bolschewistisch werden. Wenn Moskau jetzt seine Weltrevolutions=Pläne aufgegeben hat, so heißt das nichts Anderes, als daß der Bolschewismus sich selbst aufgegeben hat, wobei es freilich noch offen bleibt, ob es sich dabei nur um einen politischen Schachzug Stalins handelt, denn dieser Asiate ist natürlich verschlagen genug, einen solchen Beschluß nur pro forma zu fassen. Das dürfte aber ziemlich gleichgültig sein, denn die Sache selbst beweist, daß Stalin das Wasser bis an die Kehle steht u. daß er dergleichen nötig hat, um sich zu retten. Damit würde sich nun meine oft geäußerte Ansicht bestätigen, daß die Nazis durch die Bolschewisten u. die Bolschewisten durch die Nazis umgebracht werden. Noch heute Abend, ehe ich diese Nachricht bekam, sagte ich dies zu Martha u. bewunderte dabei die wunderbaren Pläne Gottes. Wahrhaftig, Gottes Pläne sind wunderbar!
Morgens sehr schöne Morgenandacht in Gegenwart von Margret u. Frl. v. Tigerström. Messe des heutigen Tages u. kurze, auf Martha gemünzte Ausführung über die göttliche Tugend der Geduld, angeregt durch den Jakobusbrief der heutigen Lesung, die von Martha verstanden u. gut aufgenommen wurde. Dann Brief an Schwester Grete geschrieben, die am 26. Mai Geburtstag hat. Nachmittags langer Brief an Dr. Bohner, der mich um Daten u. sonstige Angaben der Bunten Stube gebeten gebeten hatte. Abends Martha u. Margret Stalin weiter vorgelesen.
Im Rundfunk wird eine aufgeregte Hetze vom Stapel gelassen wegen der Auflösung der 3. Internationale, denn dadurch wird uns ja der einzige Kriegsgrund gegen Rußland aus der Hand geschlagen. Es wird so hingestellt, als handele es sich dabei um eine ausgekochte List Stalins, der in Wirklichkeit garnicht daran dächte, diese Auflösung wirklich durchzuführen. Das mag ja auch wirklich der Fall sein; aber zunächst ist es ein Beweis, daß Stalin vor der Macht Englands u. Amerikas zurückweicht. Was er dagegen für Vorteile eingehandelt hat, wird sich wohl noch zeigen. Auffällig ist natürlich, daß Stalin diesen Beschluß selbst nicht unterzeichnet hat, sondern es haben ihn nur die Vertreter der einzelnen Länder unterzeichnet, – auch ein Deutscher für Deutschland, – lauter ganz belanglose Namen; aber das will bei dem raffinierten System der Russen nichts besagen, bei denen Regierungs= und Parteibeschlüsse ungestört nebeneinander her laufen. Die 3. Internationale hat ja mit der offiziellen russischen Regierung garnichts zu tun u. ihre Beschlüsse brauchen deshalb auch von Stalin nicht unterschrieben werden. –
Im Reich hat Herr Dr. Goebbels wieder einen wunderschönen Artikel geschrieben: „Mit souveräner Ruhe.“ Darin wird mit souveräner Ruhe auseinandergesetzt, daß der Verlust Afrikas für uns eine völlig belanglose Angelegenheit sei, ja, daß unsere Position nach diesem Verlust noch viel günstiger geworden sei, da wir nun einen viel kürzeren Weg zur Verteidigung Europas hätten, indem wir nicht über's Meer müßten. Leider aber entsinne ich mich anderer Artikel aus den Tagen des Vormarsches Rommels gegen Aegypten, in denen die ungeheure Wichtigkeit [11] des Mittelmeeres u. der Nordküste Afrikas nicht weniger eindringlich dargelegt wurde. Dieser Krieg in Afrika hat Italien u. Deutschland zusammen etwa eine Millionen Verlust an Soldaten gekostet. Wozu das, wenn das Ganze nicht lebenswichtig war? Ein teurer Preis für einen Nebenkriegsschauplatz. Aber dieser Schwätzer macht aus Schwarz Weiß u. das dumme Volk glaubt es.
An der russischen Front herrscht seit Tagen, – seit Wochen eine unheimliche Ruhe. Man weiß nicht, was sich da vorbereitet. Die italienische Armee ist längst zurückgezogen, der Winter hat uns riesige Verluste gebracht, von Stalingrad garnicht zu reden. Unsere Front muß also sehr bedeutend viel schwächer geworden sein. Was wird dort werden?
Ein Minister in Dänemark hat eine Rundfunkrede gehalten über die Gefahr einer Invasion. Er hat der Bevölkerung empfohlen, in diesem Falle in die Keller zu flüchten u. sich dort jetzt schon so einzurichten, daß man mehrere Tage im Keller bleiben kann. In Holland ist der Belagerungszustand verhängt, alle ehemaligen Soldaten sind festgesetzt worden, soweit man ihrer habhaft geworden ist u. alle Rundfunkgeräte sind beschlagnahmt worden. Auch das ist ein Zeichen der Invasionsangst. Italien zieht seine Truppen, so weit wie irgend entbehrlich, aus dem Balkan heraus. Man erwartet eben „mit souveräner Ruhe“ überall die Invasion. Dabei pflastern die Amerikaner u. Engländer ganz Italien mit Fliegerbomben Tag u. Nacht zu. Es muß besonders in Süditalien u. Sizillen gradezu grauenhaft sein, doch schreiben unsere Zeitungen darüber nichts. Die Ueberraschung wird um so größer sein.
Gestern Abend Besuch Oblt. Dr. Krappmann u. Frau, tranken eine Flasche sehr guten Mosel, den mir irgendwann einmal Dr. Grimm geschenkt hat. Nach K.'s Ansicht werden wir an der Ostfront keine Offensive unternehmen, mit Ausnahme vielleicht gegen Petersburg. Er meint, es habe sich die Ansicht durchgesetzt, daß weiterer Landgewinn im Osten zwecklos sei, da er im Winter doch nicht gehalten werden könnte. Seiner Meinung nach wird man nur die jetzige Stellung im Allgemeinen halten wollen. Nach Ansicht von Offizieren, die den Feldzug im Kaukasus mitgemacht haben, soll unsere Offensive damals infolge Mangels an Betriebsstoff gescheitert sein, – der Rückzug soll uns dann etwa eine Jahresproduktion an Lastwagen gekostet haben, ebenso fast alle schweren Waffen. – In Militärkreisen erwartet man jetzt den Angriff der Engländer u. Amerikaner gegen Sizilien, Sardinien, Kreta u. Griechenland. – Wir sprachen von der sehr auffallenden Tatsache, daß zur Zeit, als Tunis fiel, amtlich in den Zeitungen bekannt gegeben wurde, daß der Führer dem Generalfeldmarschall Rommel bereits am 11. März die Brillanten zum Eichenlaub des Ritterkreuzes verliehen habe. Warum erfuhr man das erst jetzt, wo doch sonst jeder Ritterkreuzträger in Rundfunk u. Presse bekannt gegeben wird? –
Heute hörte ich aus dem Rheinlande, daß die Sprengung unserer Talsperren durch englischen Bombenwurf mehrere Tausend Menschenleben gekostet haben soll. In der Zeitung werden, „nur“ 700 zugegeben, u. es wird gesagt, es wäre garnicht so schlimm! –
An allen Fronten hält die unheimliche Ruhe immer noch an. Arbeite jetzt täglich im Geschäft. Auszeichnung der Ware, Organisation der Ware usw. Margret, die mit mir arbeitet, ist überaus eifrig. Wir richten den Turm als Warenlager ein, – wir haben so wenig Ware, daß wir damit auskommen.
[12]Sehr interessante Unterhaltung mit Justus Schmitt, bei dem wir nachmittags zum Kaffee waren. Er ist ein sehr anregender Erzähler u. wußte viel aus Polen u. besonders Warschau zu berichten, wo er während des Krieges eine wirtschaftliche Stellung im Auftrage des Wirtschaftsministeriums bekleidet. Er bestätigte, was schon Dr. K. erzählte, daß momentan ein Aufstand des Gettos abläuft in Warschau, den unser Militär bereits seit 4 Wochen vergeblich bekämpft. Angezettelt von den Russen, die über dem Ghetto Waffen abgeworfen u. vielleicht auch Menschen abgesetzt haben, ist dieser Aufstand eine ziemlich ernste Angelegenheit, wenngleich er sein offenbares Ziel, namlich die polnischen Arbeiter ebenfalls zum Aufstand zu ermutigen, nicht erreicht hat. Die Arbeiter machen nicht mit sondern arbeiten in den Fabriken. Das Ghetto aber brennt. Dennoch sind alle Polen sehr zuversichtlich u. erwarten den baldigen Zusammenbruch der Nazis. Auch die Bauern treiben viel Sabotage. Schmitt gehört zu den wenigen Leuten, die mit mir der Ansicht sind, daß der Zusammenbruch bei uns in diesem Herbst kommen wird. Er kauft in Warschau schöne, alte Kupferstiche, die man dort noch ziemlich günstig bekommt. Nach seiner Idee, die mir neu, aber einleuchtend ist, haben die Engländer absichtlich in weit vorausschauender Politik im Jahre 1933 Hitler ungestört ans Ruder kommen lassen, weil sie erstens uns als Gegengewicht gegen Frankreich brauchten, u. zweitens, weil ihnen unsere militärische Erstarkung als Schutz gegen den Bolschewismus sehr willkommen war. Schon damals haben die Engländer seiner Meinung nach den Plan gehabt, daß wir die Bolschewisten u. die Bolschewisten uns vernichten sollten. Dieser Plan wäre dann also völlig geglückt, auch nach Schmitt's Ansicht ist der Bolschewismus für Europa erledigt, er wird sich vielleicht noch in Asien halten, doch ist man in Polen der Meinung, daß Rußland mit Japan längst ein Geheimabkommen habe, sodaß diese beiden sich verständigt haben. Dies letztere ist auch meine Meinung, denn sonst läßt sich das Verhältnis Rußland-Japan in diesem Kriege schlecht erklären. Nachdem jetzt die III Internationale, d.h. also die Komintern, aufgelöst ist, ist unser Antikominternpakt mit Japan ja völlig gegenstandslos geworden, – daher unsere Wut u. unser Geschimpfe, daß diese Auflösung nur ein Bluff u. Betrug sei. Natürlich! denn es nimmt uns das ja jeglichen Kriegsgrund u. zerschlägt obendrein unser Bündnis mit Japan. – Auch über Japan-Amerika hatte Schmitt eine sehr gute Ansicht. Er meinte, daß nach der Niederringung Deutschlands Amerika gegen Japan marschieren müsse u. dazu die Hilfe Englands brauche. England werde sich dann als Gegenleistung alles wieder zurückgeben lassen, was Amerika ihm in diesem Kriege schon abgenommen hat. Nun, das ist schon möglich, wenngleich ich glaube, daß es zwischen Amerika u. Japan zu irgend einer Verständigung kommen wird u. die Engländer dann doch die Dummen sein werden, denn die Japaner werden im Bunde mit dem asiatischen Rußland unbesiegbar sein u. dann eine schwere Gefahr für Indien bedeuten. Diese Unterhaltung mit Schmitt war jedenfalls wieder einmal sehr anregend. Er meinte, nicht deutlich zu sehen, wo eigentlich der Bruch in der deutschen Politik läge, durch den wir zu unserem Weltmachtstreben gelangt seien, das uns alle ins Unglück gebracht hat. Ich erwiderte ihm, daß ich diesen [13] Bruch in der Politik Bismarcks sehe, der die törichte Idee des deutschen Kaiserreiches aufgebracht hat. Diese Idee des deutschen Kaisertums ist durchaus uneuropäisch, durchaus asiatisch. In Europa gibt es Könige, keine Kaiser. Aus diesem Gefühl heraus ist der englische König wohl Kaiser von Indien, aber nie Kaiser von Großbritannien, – u. wenn Napoleon einst sich zum Kaiser von Frankreich gemacht hat, so lehnt die französische Nation als solche dieses Kaisertum durchaus ab. Die alte, deutsche Kaiseridee des heiligen römischen Reiches deutscher Nation war eben auch etwas ganz anderes, sie war die Idee des christlichen Abendlandes, also Europas u. unter ihm bestand das eigentliche Königtum unangefochten weiter. Im Uebrigen war auch diese Idee als Nachfolge des römischen Kaisertums ein asiatischer Rest in Europa. –
Frl. v. Tigerström wird uns morgen verlassen, sie geht zum Roten Kreuz. Schenkten ihr zum Abschied einen wertvollen Bernstein-Anhänger.
Abends Stalin gelesen.
Briefe geschrieben an Fritz u. Frau Heimann=Berlin, die mir kurz vor Fritzens Hochzeit mitgeteilt hatte, daß sie die Verantwortung für einige kleine Bilder, die sie immer noch von mir hatte, seitdem ich einmal bei ihr gewohnt hatte, nicht mehr tragen wolle. Sie wohnt in Friedenau im 4. Stock oder im 5. Stock u. ihre Gegend ist von Luftangriffen besonders heimgesucht. Am 1. März hat es bereits gebrannt, doch konnte das Feuer im Entstehen gelöscht werden. Ich habe nach Empfang dieser Nachricht gleich Rena Bluhm in Bln. angerufen u. durch sie die Bilder abholen lassen u. Fritz u. Margret brachten sie dann hierher. Ein Bild schenkte ich dem jungen Paar zur Hochzeit, eins schenkte ich Ruth. Heute habe ich mich nun bei Frau H. bedankt. Sie besitzt jetzt noch die mazedonische Landschaft, ein abstrakt=kubistisches Bild, welches ich gelegentlich holen lassen will, da es bedeutend größer ist u. deshalb nicht mit den anderen Bildern zugleich mitgenommen werden konnte.
Die Luftbombardements im Ruhrgebiet nehmen jetzt immer mehr zu, aber die Bombardements auf Sizilien können bald kaum noch zunehmen. Der Angriff ist wohl also von dort her zu erwarten, wenn es nicht ein Bluff ist, um unsere Herresleitung irrezuführen. Von unseren U=Booten ist so gut wie nichts mehr zu hören. Vor einiger Zeit, es sind erst einige Wochen her, hat Herr Dr. Goebbels im Reich geschrieben: „Die Engländer haben uns beim Handgelenk wir aber haben sie an der Gurgel.“ Er meinte damit unseren U=Bootkrieg. Jetzt nimmt Herr G. das Maul weniger voll, er weist im Reich nach, daß ein Krieg ohne Krisis eben kein rechter Krieg wäre u. er tut so, als ob die gegenwärtige Krisis ein Garant unseres endgültigen Sieges wäre. – Schwätzer! –
Morgen eröffnen wir die Bunte Stube. In den letzten beiden Tagen habe ich mich bemüht, zu dekorieren, dabei merkte ich erst recht, wie wenig Ware wir haben. Obwohl wir etwa die Hälfte des Geschäfts abgeteilt haben u. einen erheblichen Teil einfach leer lassen, ist es kaum möglich, den verbleibenden Rest auch nur annähernd mit Ware zu füllen. Und was für Ware! Früher wären wir schamrot geworden, heute freuen wir uns, den allerübelsten Kitsch hinstellen zu können.
Heute früh eine sehr erbauliche Andacht mit Martha u. Margret, die sich immer besser eingewöhnt.